Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000
Archiv
Home
Professor Heiderich als Gastausgräber
Wie hat Georg Bausch das alles hinbekommen ?
Von Rolf Hohmann
In allen bisher bekannten Abhandlungen, die sich kritisch mit den Wetterauer Brandgräbern und der Rolle des Windecker Brunnenbauers Georg Bausch befassen, wird über das eigentliche Geschehen auf den jeweiligen Fundplätzen nur in wenigen Sätzen berichtet. Um auch den interessierten Laien eine Vorstellung einer archäologischen Ausgrabung zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zu vermitteln, wird der Geschichtsverein Windecken in Folge Berichte von damals handelnden Personen im Wortlaut veröffentlichen. Nur so ist gewährleistet, daß sich die Besucher unserer Homepage eine unbeeinflusste Meinung bilden können. 

Wir beginnen mit dem Abdruck eines Vortrags, den Professor F.K. Heiderich am 21. Mai 1909 in einer Sitzung des Anthropologischen Vereins Göttingen hielt. Sie wurde im Band 41 des Korrespondenz-Blattes der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte veröffentlicht:



"Die Grabungen, über die zu berichten ich heute die Ehre habe, wurden veranlaßt durch zwei Publikationen von Herrn Prof. Wolff in Frankfurt a.M., worin dieser Brandgräber aus der jüngeren Steinzeit, speziell aus der Kulturperiode der Bandkeramik, beschreibt. Sie wissen aus einem früheren Vortrage, den Herr Prof. Verworn hier im Verein gehalten hat, daß man aus dieser Kulturperiode zwar eine ganze Menge von Ansiedelungen in den verschiedensten Gegenden kennt, daß es aber bei einer großen Reihe dieser Ansiedelungen bisher, trotz genauer Forschung, noch nicht gelungen ist, die Grabstätten aufzufinden. 

Nach dieser Richtung hin hat also die Wolffsche Entdeckung große Bedeutung. Uns hier in Göttingen interessieren die Funde deswegen noch ganz besonders: denn die Ansiedelungen in der hiesigen Gegend, z.B. bei Diemarden, gehören derselben Kulturperiode an, aber auch hier ist das Suchen nach Grabstätten bis jetzt vergeblich gewesen. Wir wandten uns daher an Herrn Prof. Wolff mit der Bitte, uns eine Grabung in dortiger Gegend zu ermöglichen, da wir glaubten, durch eine genaue Untersuchung dieser Grabstellen Anhaltspunkte in hiesiger Gegend gewinnen zu können. Herr Prof. Wolff kam uns in der liebenswürdigsten Weise entgegen und stellte uns den Arbeiter, der die ersten Brandgräber ausgegraben hatte, für unsere Grabung zur Verfügung. 

So konnten wir dann am 3. Osterfeiertag mit der Grabung beginnen. Die Ausgrabungsstellen liegen in den Gemarkungen Butterstadt und Domäne Baiersröder Hof. Sie sind von der Station Ostheim der Hanau-Friedberger Bahn in etwa 3/4 Stunden zu erreichen. Die Lage der Ansiedelungen ist ganz typisch für diese Zeitepoche. Sie befinden sich an einem flach abfallenden Hügel, gehen aber noch bis in das Tal hinunter. Im Tal fließt ein kleiner Bach. Der Boden ist fruchtbar, ist tiefgründiger Lehmboden. Also genau dieselben örtlichen Verhältnisse wir auch hier in Diemarden, wie an zahllosen anderen Stellen derselben Kulturperiode. Die Wohnstellen waren an der Erdoberfläche deutlich als große dunkle Flecke zu erkennen. 

Grossansicht laden© GVW 2000
Die in den Gräbern und Gruben gefundenen Beigaben. Repro: Rolf Hohmann
Als ich am ersten Morgen über die Felder ging, war ich erstaunt, wie stark an Wohnstellen besetzt jene Gegend war. Der Vorarbeiter Bausch hatte bereits zwei Stellen für die Grabung vorbereitet und Versuchsgräben angelegt. Bei der Vertiefung des ersten Versuchsgrabens schon stießen wir auf ein Brandgrab. Wir ließen dieses vorläufig unberührt und gruben erst die Wohnstelle in der ganzen Ausdehnung frei. Sie war ziemlich kreisrund angelegt und hatte einen Durchmesser von 5,20m bei einer Tiefe von 1 m unter der Ackeroberfläche. In dem nordöstlichen Teile der Grube fand sich eine fast kreisrunde Vertiefung, deren Durchmesser 1,80 m betrug und deren Boden 30 cm tiefer lag als der Boden der großen Grube. An dieser Stelle schloß sich eine parallelwandige  Verlängerung der Grube an, welche 85 cm breit und 1,40 m lang war. Hier mag wohl die Feuerstelle gewesen sein, denn hier fanden sich viele Holzkohlestückchen, einige Lehmbrocken, die im Feuer gewesen waren, und viele Scherben großer, ganz roh gearbeiteter Gefäße. 

Außerdem lagen hier einige Stücke eines glimmerhaltigen Gesteins, das wohl bei der Herstellung  von Kochgefäßen mit verwandt werden sollte, wenigstens weisen die gefundenen Scherben darauf hin, da sie viele Glimmerstückchen enthalten. Im ganzen Umkreis der Grube fanden sich Lehmstücke, die von dem Bewurf der aus Reisig geflochtenen Wand der Hütte herrührten. Sie zeigen deutlich rillenartige Vertiefungen, Abdrücke der Holzstäbe der Wand. Im übrigen suchten wir vergebens nach Scherben und Steingerät in der Grube. Ich war deshalb anfangs, ehe ich die Herdstelle gefunden hatte, im Zweifel, ob dies wirklich eine bewohnte Grube gewesen sei oder nicht nur eine Grabstelle. Ich glaube aber, daß sich das Fehlen von sonstigen Gerätschaften sehr einfach durch die Annahme erklären läßt, daß die Bewohner der Grube dieselbe nach Anlage des Grabe verlassen und dabei natürlich ihr sämtliches brauchbares Gerät mitgenommen haben. 

Grossansicht laden© GVW 2000
Einige durchbohrte und mit Punktverzierungen versehene Mainkiesel. Der Faden aus Omas Nähkörbchen diente der Demonstration. Repro: Rolf Hohmann
Das Grab hob sich von dem gelben Lehm der Umgebung deutlich durch seine intensiv schwarze Farbe ab. Die Begrenzung war eine ganz scharfe. Es hatte eine ovale Form, war 35,5 cm lang und 32 cam breit. Die schwarze, erdige Masse, aus der es bestand, war unzweilhaft Leichenbrand. Die war durchsetzt von gebrannten Knochenstückchen und Kohle. Bei vorsichtiger Entfernung der schwarzen Erde kamen wir sehr bald auf kleine ovale Steinchen, die an einem Ende durchbohrt sind und im Kreis angeordnet lagen. Es fanden sich insgesamt 30 Steinchen von verschiedener Größe vor. Sie waren genau der Größe nach geordnet und zwar so, daß die größeren in der Mitte lagen: die elf größten Steinchen sind durch kleine Pünktchen sehr hübsch verziert. 

Die Steinchen gehörten wohl zu einer Kette zusammen und stellten den Schmuck des Menschen dar, dessen Asche hier bestattet ist. An zwei Stellen, und zwar in der Ostwestrichtung orientiert, lagen unter den Steinchen der Kette Bruchstücke von zwei Steinbeilen, von denen eins neu angeschliffen ist. Nach Entfernung der gesamten Aschenreste stellte sich heraus, daß dieselbe in in einer flachen, tellerartigen Grube gelegen hatten. Die Kette lag fast auf dem Grunde der Grube, ist also  zuerst hineingelegt worden, der Leichenbrand dann darübergestreut.Die zweite Wohngrube war gleichfalls rund und von derselben Größe wie die erste. Eine bestimmte Feuerstelle ließ sich in ihr nicht ermitteln. Es fand sich eine Menge Scherben größerer Gefäße, die denen der vorigen Grube völlig glichen, aber allenthalben verstreut lagen. Ungefähr in der Mitte der Grube lag lag umgestürzt ein wohlerhaltener Mahlstein. Daß er in Benutzung gewesen ist, beweist die deutliche Aushöhlung. 

Ferner befand sich in der Nähe des Mahlsteines ein eigenartiges zuckerhutförmiges, gebranntes Tonstück, dessen Verwendung noch rätselhaft ist. Seine Höhe beträgt 16 cm, der Durchmesser seiner Bodenfläche 10 cm. Dieses Stück ist an der Spitze nicht durchbohrt, wie ähnliche, die an anderen Orten gefunden worden sind. Auch in dieser Grube fanden wir ein Grab. Es lag am östlichen Rande der Grube und glich in seinem Aussehen völlig dem vorher beschriebenen. Beim Wegräumen der Branderde stießen wir auch wieder auf Steinchen einer Kette. Die sind aus demselben Material wie die des vorigen Grabes. Im Gegensatz aber zu jenen waren alle beide an beiden Enden durchbohrt, so daß sie wie Glieder einer Kette der Länge nach aneinandergereiht werden konnten. Sieben dieser Steine, und zwar die größten, die in der Mitte lagen, tragen außerdem an der Längsseite ein Loch. Zu diesen gehören Steinchen, die nur einseitig durchbohrt sind und als Anhänger an die dreifach durchbohrten Steinchen dienten. 

Grossansicht laden© GVW 2000
Vier der aus Grab 2 geborgenen Mainkiesel hatten nur eine Bohrung und wurden als Anhänger einer Kette bezeichnet. Repro: Rolf Hohmann
Die Anhänger sowohl wie die Steinchen, an denen sie hingen, sind durch Punktornamente recht hübsch verziert. Die Steinchen sind außer der Durchbohrung und der Verzierung nicht weiter bearbeitet. Die Leute haben sich diese Steinchen in dem Kiesgerölle der Flüsse zusammengesucht. Ich habe selbst am Main, der etwa zwei bis drei Stunden von der Ausgrabungsstelle entfernt fließt, derartige Steinchen gefunden. Doch muß man sehr lange suchen, bis man eine zu einer Kette genügende Menge von Form und Größe zueinander passenden Steinchen findet. Darin mag wohl auch der Wert des Schmuckes gelegen haben. Verziert und durchbohrt wurden die Steinchen mit Hilfe von Feuersteininstrumenten. Das gelingt sehr leicht, wie ich mich selbst überzeugt habe. Um die Kette herum fanden sich dann noch in dem Grabe vier Feuersteinplättchen und sechs Scherben. Bemerkenswert ist, daß die Scherben in verschiedener Art verziert waren. Die meisten zeigten einfache Linearverzierung, ein Stück aber wies Stich-und Strichornamentierung nach Art des Rössen-Großgartacher Typus auf. Das ist ein prinzipiell wichtiger Fund.

Die dritte und letzte Wohngrube, die wir ausgruben, lag auf dem Gebiet des Baiersröder Hofes. Sie ist erheblich viel größer als die vorigen und deshalb interessant, weil sie ein kompliziertes Oberflächenrelief hatte. Wir haben deshalb genaue Messungen der Grube vorgenommen und mit Hilfe eines an Ort und Stelle hergestellten Lehmmodells eine genaue Rekonstruktion der Grube gemacht. Die Grube enthält in ihrem nördlichen Teile größere, durch Wälle voneinander getrennte rundliche Räume. In dem einen fand sich eine Vertiefung in der Größe und Tiefe, wie wir sie in der ersten Wohngrube kennen gelernt haben. Diese drei Räume mögen wohl vorwiegend als Wohnäume benutzt worden sein. In diesen Gruben fanden wir zwei kleine Beile und ferner flache Schieferplatten, die wohl als Amulette gedient haben. Eine derselben ist vierseitig und doppelt durchbohrt. Diese beiden bildeten zusammen ein Gehänge. Von zwei anderen, die aber vielleicht nicht zusammengehören, ist die eine oval, doppelt durchbohrt, die andere ebenfalls dreiseitig an der Basis ausgebuchtet und daselbst durchbohrt. Diese Schieferplatten sind durch Punkte verziert.

Grossansicht laden© GVW 2000
Verzierte Schieferplättchen aus Grube 3, Zeichnung von Prof. Heiderich (?) Repro: Rolf Hohmann
Außerdem lagen in diesen Gruben zwei Stückchen Rötel, die ausgeschliffen sind. Der aus ihnen hergestellte Farbstoff dürfte wohl zum Bemalen der Haut und Geräte gedient haben. Dann fanden sich hier noch eine Anzahl von Tierknochen, wohl Reste der Mahlzeiten der Bewohner. Nach Süden hin schließen sich ganz unregelmäßig gestaltete Räume an. Über deren Bedeutung sich nichts Bestimmtes sagen läßt. Vielleicht sind hier die Schlafstellen gewesen. An zwei Stellen in der Wohnung befanden sich kleine Hügel, die, wie die nähere Untersuchung ergab, künstlich aufgeschüttet waren, denn sie waren von vielen Kohlestückchen durchsetzt. In ihrer Nähe fanden sich zahlreiche Tierknochen, die zum Teil im Feuer gewesen sind, Scherben größerer Gefäße und zahlreiche Kohlestückchen. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß hier die Herdstellen gewesen sind. Die Hügel werden vielleicht für die Stäbe, an denen die Kochtöpfe aufgehängt waren, gedient haben. Die Tierknochen stammen von Rind, und zwar von jungen Tieren, zum Teil auch vom Hirsch; in der Ecke lag ferner ein Stück Hirschgeweih. Auch in dieser Wohnung befand sich ein  Grab. Es lag im südlichen Teile derselben. In der Erde darüber lagen reichverzierte Scherben, deren Ornamente mit gelber Farbe angestrichen waren. Das Grab war von einem Erdhügel bedeckt. 

Nach dessen Abräumung glich es den beiden anderen Gräbern genau. Dieses Grab haben wir, um es in der Sitzung der Gesellschaft freilegen zu können, uneröffnet dem Boden entnommen. Zu diesem Zecke wurde ein an dem unteren Rande zugeschärfter Blechkranz um das Grab herum in die Erde eingedrückt, darauf wurde das Erdreich außerhalb des Kranzes entfernt und nun ein starkes Blech unter dem Kranze durchgeschoben und so die in dem Kranze befindliche Erdmasse von der Unterlage abgetrennt. Dann wurde das Grab in eine Kiste verpackt und hierher transportiert"


Soweit der Vortrag von Professor Heiderich im Wortlaut. Seine Ausführungen werden später hinsichtlich des von Gudrun Loewe gegen Georg Bausch erhobenen Fälschungs-Vorwurfs aus des Sicht eines Autodidakten einer näheren Betrachtung unterzogen. 

Anschließend sprach Professor Max Verworn über den "Kulturkreis der Bandkeramik" mit besonderer Berücksichtigung der Ausgrabungen bei Hanau und Diemarden bei Göttingen. Die für unsere Nachforschungen relevanten Passagen seiner Ausführungen werden wir zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichen. Am Schluß der Zusammenkunft des Anthropologischen Vereins Göttingen am 31. Mai 1909 fand eine wohl außergewöhnliche Demonstration statt: "Nach dem Vortrage wurde in der Sitzung das noch ungeöffnet mitgebrachte Brandgrab der großen Hanauer Wohngrube geöffnet. Es fand sich bei der auf dem Tisch vorgenommenen Ausgrabung außer dem Leichenbrand eine einfache Kette aus unverzierten Steinchen, die von je einem Loch durchbohrt an einer Schnur befestigt waren. Die Aushebung des Grabes wurde von der zahlreich besuchten Versammlung mit gespannnter Aufmerksamkeit verfolgt."


©  Geschichtsverein Windecken 2000
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Vereins.