Bald nach dem Tode des Windecker Brunnenbauers Georg Bausch im Jahre
1932 wurden von Prähistorikern Zweifel an der Echtheit der "Wetterauer
Brandgräber" und vor allem an den darin enthaltenen Beigaben laut.
Das besondere Mißtrauen weckten die in großer Zahl gefundenen
durchbohrten Mainkiesel, die man aufgrund ihrer veschiedenen Größe
und Anordnung der Bohrlöcher als Schmuckketten bezeichnete. Erstmals
intensiv beschäftigte sich der gebürtige Hanauer Hermann Müller-Karpe
mit diesen seltsamen bandkeramischen Brandgräbern, die vor dem Ersten
Weltkrieg in der Fachwelt einige Aufregung verursachten.
Seine im Alter von zwanzig Jahren verfaßte Arbeit "Zur Originalitätsfrage
der Wetterauer Brandgräber" wurde 1943 als maschinengeschriebener
Text in den "Mitteilungen des Hanauer Geschichtsvereins" veröffentlicht.
Müller-Karpe beließ es nicht nur beim Studium der Quellen, sondern
er befragte auch Windecker Bürger, die Georg Bausch noch kannten.
Wie sie über ihren Mitbürger urteilten, ist in der nachfolgenden
Abhandlung nachzulesen. Übernommen wurden nur die Abschnitte, die
sich mit den Ausgrabungen bandkeramischer Fundstellen in den Gemarkungen
von Butterstadt und Marköbel befassen.
"Jedem, der mit Aufmerksamkeit früher die vorgeschichtliche Abteilung
des Hanauer Geschichtsvereinsmuseums besichtigt hat, werden eine Anzahl
steinzeitlicher Halsketten aufgefallen sein, die aus sorgfältig ausgelesenen
und durchlochten Flußkieseln oder ornamentierten Schieferplättchen
bestehen. Diese Schmuckketten, die heute mit die schönsten und interessantesten
Gegenstände der Steinzeit-Abteilung unserer Sammlung darstellen, bildeten
ehemals die Beigaben von Brandgräbern, die nach gelegentlich aufgefundenen
verzierten Scherben und Steinwerkzeugen dem linearbandkeramischen und dem
Rössener Kulturkreis angehörten. Die Gräber wurden in den
Jahren 1906-1910 in den nördlichen Gemarkungen des Kreises Hanau (Marköbel,
Rüdigheim, Hirzbacher Höfe, Baiersröderhof, Butterstadt,
Ostheim, Windecken, Kilianstädten und Bischofsheim) und im Bezirk
des Frankfurter Osthafens auffallenderweise stets von dem Brunnenbauer
Bausch aus Windecken entdeckt und zum großen Teil in Gegenwart von
bedeutenden Fach-Prähistorikern, vor allen Dingen, neben zahlreichen
anderen G. Wolff und P. Steiner ausgehoben, teilweise aber auch von Bausch
alleine ausgegraben und der Inhalt, d.h. die Grabbeigaben, dann abgeliefert.
Die Auffindung dieser Gräber erregte damals in wissenschaftlichen
Kreisen großes Aufsehen, einmal weil zu damaliger Zeit noch nicht
sehr viele Fälle von Brandbestattungen der Bandkeramik bekannt waren,
vor allem aber nicht in dieser Regelmäßigkeit und Ausschließlichkeit,
wie es hier der Fall war; dann aber auch wegen des eigenartigen Charakters
der Beigaben selbst. Durch verschiedene Publikationen, sind die "Wetterauer"-
oder "Wolff'schen Brandgräber", wie sie genannt werden, allgemein
bekannt geworden. Aber bereits sehr bald nach ihrer Entdeckung hat es nicht
an Stimmen gefehlt, die die Originalität der Kieselketten sowie der
Schiefer- und Tonanhänger ernstlich in Zweifel zogen.
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Selbstporträt von Prof. Dr. Hermann Müller-Karpe. Aus der Festschrift anläßlich seines 70. Geburtstages im Jahre 1975
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Eine gewissen Skepsis war nach den bekannten Umständen durchaus
berechtigt, denn die immerhin auffallende Tatsache, daß derartigen
Ketten und Anhänger (mit Ausnahme von kugeligen bis flachen durchlochten
Tonperlen, die in bandkeramischen (Skelett-) Gräbern und Wohngruben
auch anderswo gefunden wurden) ausschließlich von Bausch entdeckt
wurden und sonstwo noch niemand ein Brandgrab auffinden konnte, legt den
Gedanken auch tatsächlich nahe, dass Bausch irgendwie an der "Erstehung"
dieser Gräber oder zumindest der Beigaben beteiligt war, zumal seinem
Sohn, W. Bausch, der bei mehreren Grabungen mitgeholfen hatte, und
dann auf Vorschlag von G. Wolff in Diemarden bei Göttingen ebenfalls
nach vorgeschichtlichen Fundstellen suchen sollte, ein offensichtlicher
Betrug nachgewiesen wurde. Er hatte nämlich durchlochte Kieselsteine
von zu Hause nach dort mitgenommen und sie an einer dunkelgefärbten
Stelle, die von einer Dreschmaschine herrührte, unbemerkt "verloren",
um sie dann als richtige Brandgräber wiederzufinden. Aber damals bezweifelte
man eigentlich weniger die Originalität der Kieselketten als solche,
die man als tatsächlich in Wetterauer Gräbern gefunden betrachtete,
als vielmehr die Behauptung des Sohnes Bausch, diese Kettensteine in Gräbern
bei Diemarden gefunden zu haben, was sich dann ja auch als Schwindel herausstellte.
Noch 1938 werden die Wetterauer Brandgräber von W. Buttler als
eine interessante Sondererscheinung der südlichen Wetterau bezeichnet,
während kein Wort über ihren möglicherweise gefälschten
Charakter gesagt wird. In eben demselben Jahr jedoch ist in der Literatur
erstmalig der Zweifel an ihrer Originalität ausgesprochen worden und
zwar von A. Stroh, einem Schüler von Prof. G. v. Merhart. Und es ist
anzunehmen, dass Stroh diesen Zweifel von Prof. v. Merhart übernommen
hat. Es soll nun im folgenden versucht werden, möglichst viel Material
über alles, was mit den Gräbern und deren Beigaben im Zusammehang
steht, zusammenzutragen, um zu sehen, ob wir die Originalitätsfrage
endgültig beantworten können.
Zunächst muss einiges über den Charakter und die Wesensart
des Herrn G. Bausch festgestellt werden, so wie sie sich aus den Schilderungen
von heute noch Lebenden ergeben, die teils mit ihm gearbeitet, teils sonst
mit ihm öfters verkehrt haben. Der Brunnenbauer Bausch lebte bis zu
seinem Tode in äußerst einfachen, ja ärmlichen Verhältnissen,
obwohl die Bezahlung, die er auf Grund seiner Such- und Findertätigkeit
vom Hanauer Geschichtsverein und der Römisch- Germanischen Kommission
erhielt, ihm eine bessere Lebensführung durchaus ermöglicht hätte.
Er wurde verhältnismäßig gut bezahlt, einmal z.B. erhielt
er für 3 Ketten 80,-- RM. Die Schuld an der Misere wird aber übereinstimmend
seiner Frau angelast, die "ein wahrer Zigeuner" gewesen sein soll und nicht
hätte haushalten können. Bausch selbst sei "in vieler Hinsicht
eigenartig" gewesen, äußerst zutraulich und offenherzig allen
Menschen (auch den Prähistorikern) gegenüber. Gerne ließ
er sich als "Limesforscher Bausch" bezeichnen. Bis an sein Lebensende,
ja, bis an sein Sterbebett, hat er oft und gerne von Prof. Wolff erzählt,
dem er so viel verdanke und an dem er in geradezu kindlicher Weise hing.
In ganz Windecken war Bausch als Spürhund für vorgeschichtliche
Funde aller Art bekannt. Wenn er über ein Feld ging, sei es oft vorgekommen,
daß er plötzlich erklärte: "Hier wollen wir einmal graben",
und mit wenigen Ausnahmen fand er dann tatsächlich ein Grab,
einen Einzelfund oder dergl. Es scheint sich bei Bausch, soweit man nach
den Schilderungen gehen kann, um eine besondere, irgendwie intuitive Begabung
gehandelt haben. Wenn man dies annehmen will, könnte man dann
auch die Tatsache erklären, dass eben nur Bausch jene Brandgräber
fand, die so schwer kenntlich sind, dass sie dem gewöhnlichen Auge
entgehen, zumal auf den Lößhöhen der Hohen Straße
später niemals wieder systematisch gesucht und gegraben wurde.
Es geht auch nicht an, Bausch deshalb von vorn herein als Betrüger
und Fälscher hinzustellen, weil sein Sohn kein ehrenwerter Mann gewesen
ist und in Diemarden solche Dummheiten begangen hat. In vieler Hinsicht
aufschlußreich für die Originalitätsfrage der neolithischen
Brandgräber in der südlichen Wetterau sind die von Wolff und
Steiner sogleich nach den Grabungen bzw. der Einlieferung der Fundstücke
niedergeschriebenen Fundprotokolle, die, ganz der Wolff'schen Arbeitsweise
entsprechend, peinlich genau und zuverlässig sind.
Über die Entdeckung und das Schicksal der ersten Kieselketten,
die Bausch im Herbst 1906 fand, läßt Wolff weder in seinem Aufsatz
(Prähistorische Zeitung) noch in den übrigen Veröffentlichungen
genaueres verlauten. In seinem handgeschriebenen Protokoll aber heißt
es:
"Im Herbst 1906, als der Direktor der Kommission durch andere Aufgaben
ferngehalten wurde und der Unterzeichnete durch eine lange Krankheit ans
Lager gefesselt war, während der Hanauer Geschichtsverein durch Erschöpfung
seiner Geldmittel sich veranlasst sah, auf Bauschs Arbeit zu verzichten,
empfahl ich denselben dem Vorstand des Mannheimer Altertumsvereins auf
dessen Anfrage für Nachforschungen nach prähistorischen Ansiedelungen
in der Gegend von Ladenburg. Vor seiner Abreise hatte, wie wir später
erfuhren, Bausch auf dem frisch gepflügten Felde des Ökonomen
Jung von Butterstadt nahe den Grenzen der Gemarkung Hirzbach und Baiersröderhof,
wo der wenige Jahre vorher zum erstenmal angewendete Dampfpflug früher
unberührte Erdschichten an die Oberfläche gebracht hatte, wieder
eine Anzahl dunkler Flecken auf den Erdschollen und in ihnen zwischen neolithischen
Scherben durchbohrte und z.T. ornamentierte Kiesel, meist von nierenförmiger
Gestalt, die sich an 2 bis 3 Stellen bei oberflächlichem Schürfen
in grösserer Anzahl dicht bei einander in nestartigen Vertiefungen
fanden. Ihre Zusammengehörigkeit zu 2 oder 3 Ketten bleibt problematisch.
Die von Dr. Steiner vorgenommene Zusammenstellung will keine definitive
sein. Da Bausch damals ohne direkte Verbindung mit der Kommission war und
der Vorstand des Hanauer Geschichtsvereins anfangs den Kauf der Ketten
und Scherben ablehnte, so nahm der Finder eine Anzahl der ersteren mit
nach Mannheim und bot sie den Vorstandsmitgliedern des dortigen Vereins
als Geschenk an. Dadurch erfuhr ich zuerst von den Funden, da Prof. Baumann
die Kiesel, wohl in der Meinung, dass Bausch sie zu Unrecht verschleppt
habe, und nicht völlig überzeugt von der Echtheit der Funde,
diese mir übersandte und zur Verfügung stellte.
Inzwischen war Bausch durch einen Unfall bei den Mannheimer Grabungen
schwer erkrankt, sodass eine Verständigung mit ihm zunächst nicht
möglich war. Im Anfang des Mai 1907 wurde er in meiner Wohnung über
die Auffindung der nach Hanau gelieferten und der nach Mannheim geschenkten
Steinchen von mir vernommen. Er gab an, dass er aufmerksam gemacht durch
einige Scherben und Steinchen, die auf dem neugepflügten Jung'schen
Acker an besonders dunkel gefärbten Stellen durch den Pflug und an
einer Stelle auch durch einen Maulwurf an die Oberfläche gebracht
seien, dort geschürft habe. Dabei sei er in 60 cm Tiefe unter Oberfläche
auf Stellen gestoßen, an welchen die Steinchen und Knochenstückchen
und neolithischen Scherben zeigten, soweit sie ornamentiert waren, die
Form des Rössener Typus. Unter ihnen befand sich auch ein rohes Steinbeil
aus Basalt (?). Hinsicht der blauschwarzen Farbe der Steinchen, an welcher
man offenbar in Mannheim zu Recht Anstoß genommen hatte, gab der
Finder an, dass dieselben durch die mit Nadel und Messer vorgenommene Reinigung
von dem besonders in den Durchohrungen und vertieften Ornamenten festsitzende
Lehm "ihr Ansehen verloren hätten", welches er ihnen durch Eintauchen
in Tinte wieder zu geben versucht habe. Ich habe ihm meine Meinung über
dieses Verfahren nicht verhohlen, ihm auch angedeutet, dass er sich dadurch
in den Verdacht der Fälschung gebracht habe, einen Verdacht, den freilich
Professor Dragendorf und ich, - schon mit Rücksicht auf die Beschaffenheit
der Steinchen, die Schwierigkeit der Durchbohrung und die Formen der Ornamente,-
nicht geteilt hatten.
Wissenschaftlichen Wert können die Funde nur dadurch erhalten,
dass die Fundstelle in unserer Gegenwart untersucht und dabei in unberührten
Erdschichten gleichartige Steinchen, Scherben und Knochenreste gefunden,
womöglich Gräber, - für solche und zwar für Brandgräber
hielt Bausch die Fundstelle, - aufgedeckt würden. Er erklärte
sofort, dass er im Herbst nach Aberntung der jetzt den Acker bedeckenden
Frucht, imstande sein werde, die Fundstelle zu finden, auf der sich, da
er ja - ohne Erlaubnis zu ausgedehnten Grabungen - nur oberflächliche
Schürfungen habe vornehmen können, sicherlich noch weitere Steinchen
finden müßten. Um aber jeden Verdacht einer Kollusion auch für
Fernstehende unmöglich zu machen, setzte ich, da die Pfingstferien
unmittelbar bevorstanden, für diese eine Nachgrabung an, vorausgesetzt,
daß der Besitzer gegen eine Entschädigung uns das in Frage komemnde
Stück des Saatfeldes für dieselbe überließ."
Demnach gleicht eigentlich die Handlungsweise Bauschs bei den ersten
Kettenfunden eher eines unverstädigen Laien als der eines raffinierten
und intriganten Fälschers. Die Tatsache, dass Bausch die ersten Steinchen
dem Mannheimer Alterstumsverein schenkte und nicht dem Hanauer Geschichtsverein,
was doch eigentlich das nächstliegende gewesen wäre, ist möglicherweise
auf Unstimmigkeiten zwischen Bausch und dem Vorstand des Hanauer Geschichtsvereins
zurückzuführen, wie sie sich auch später noch öfters
wegen der Bezahlung der von Bausch nach Hanau gelieferten vorgeschichtlichen
Funde ergaben. Wenn Wolff erklärte, er persönlich zweifele durchaus
nicht an der Echtheit der Steinchen, so wird er doch gerade bei der am
22. Mai stattfindenden ersten Nachgrabung die Verhältnisse mit größter
Vorsicht, ja mit einer ernsten Skepsis geprüft haben und wird auch
in Zukunft den Aussagen Bauschs nicht bedenkenlos Glauben geschenkt haben.
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Aus: Probst, Ernst
Deutschland in der Steinzeit
C. Bertelsmann 1991
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Über die erste Grabung schreibt Wolff im einzelnen: "Nachdem
Herr Jung mit dankenswerter Bereitwilligkeit - und zwar ohne Entschädigung
- seine Zustimmung gegeben hatte, wurde die Grabung auf den 22. Mai festgesetzt.
Anwesend waren außer mir die Herren Prof. Dr. Küster als Vertreter
des Hanauer Geschichtsvereins und Herr Bernhard Schwarz vom Bayersröderhof,
sowie Bausch mit zwei Arbeitern. Wir fanden die Fundstellen völlig
unbetreten, die jetzt von grünender Saat bedeckt waren, und die Bausch
bei dem veränderten Aussehen des Ackers nur im allgemeinen bezeichnen
zu können erklärte. Um die Saat so viel wie möglich zu schonen,
wurde zunächst ein Versuchsgraben unmittelbar an der Grenzfurche entlang
gezogen. In einer Länge von 14 m ergab derselbe überall unter
einer 40 cm tiefen Ackerkrume nur reinen grüngelben Löss. In
der Ackerkrume und z.T. auf dem gewachsenen Boden kamen minimale Knochenstückchen
und wenige Scherbchen aus neolithischer Zeit vor, die vor Jahren beim Umpflügen
des Landes mit dem Dampfpflug von benachbarten Gräbern oder Wohnungen
zerstreut sein mochten. Ein von der Mitte des Versuchsgrabens in spitzem
Winkel nach N.O. gezogener Graben ergab zunächst dasselbe Bild. Bei
12 m Entfernung vom Ausgangspunkte stiessen wir aber 30 cm unter der Oberfläche
noch innerhalb der s. Zt. durch den Dampfpflug umgebrochenen weicheren
Bodenschicht, auf eine tiefdunkle Stelle, wo dicht beieinander zahlreich
durchbohrte Steinchen, Scherben, z. T. mit Ornamenten des Rössener
Typus, ein kleines Steinmeißelchen, ein zerbrochener Steinhammer,
ein Feuersteinsplitter und ein gleichfalls zerbrochenes Steininstrument
mit Loch zum Aufhängen, sowie Knochenstückchen lagen. Die dunkle
Erde erstreckte sich von 10-15 cm bis in eine Tiefe von 60 cm unter Terrchin.
Dann fand sich noch bis 70 cm Tiefe graue bröckelige Erde mit kleinen
Einschlüssen von Holzkohle, Scherben und Knochenstückchen, welche
eine Mulde von etwa 1,70-2,00 m Länge ausfüllten, deren Achse
mit einer Abweichung von 60 Grad von der Nordlinie nach N.W. gerichtet
war. Die flache Lage dieses Grabes, dessen obere Teile durch den Pflug
zerrissen waren, wodurch es sich auch erklärt, dass, wie die Zusammensetzung
der Steinchen zu einer Halskette ergab, trotz sorgfältigen Suchens
nicht alle Steinchen gefunden zu sein scheinen, macht es unmöglich,
mit voller Bestimmtheit zu sagen, ob alle Scherben zu dem eigentlichen
Grab gehört haben. Sicher lagen mit den Steinchen zusammen die gebrannten
Knochensplitter und die kleinen Steingeräte. Der Umstand, dass das
Grab in unmittelbarer Nähe der Hauptfundstelle der von Bausch nach
Hanau gelieferten Ziersteinchen lag, sowie der Umstand, dass der Befund
völlig den vorher gemachten Angaben Bauschs über seine eigenen
Beobachtungen entsprach, läßt es als denkbar erscheinen, dass
von den von ihm zuerst abgelieferten Steinchen einige zu unserem Grabe
gehört haben. Dass wir nicht, wie anfangs anzunehmen nahe lag, ein
von Bausch selbst teilweise ausgebeutetes Grab vor uns hatten, bewies der
Umstand, dass die neu gefundenen Steinchen sämtlich, abgesehen von
den Durchbohrungen, keine weitere Bearbeitung verrieten, während die
zuerst gefundenen zum größten Teil Ornamente zeigten."
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Die Hohe Straße zwischen den Wartbaum bei Windecken und Marköbel.
Grothus/Hessische Heimatkarten (1954)
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Im Sommer verkaufte Bausch den Inhalt von zwei weiteren Brandgräbern
nach Hanau, nämlich jene Halskette vom Schema A und wenige Knochen
und Scherben, die er unter ganz gleichen Umständen gefunden habe,
wie bei der Probegrabung am 22. Mai. Bausch gab ferner an, eine dritte
Grube gefunden und ausgegraben zu haben, die den übrigen völlig
gleich gewesen sei, aber außer wenigen Knochen und Scherben keine
Beigaben ergeben hätte (Also wohl ein Grab ohne Kette?). Im Spätsommer
lieferte Bausch zwei weitere Ketten, die er wiederum allein gefunden hatte
(Grab V und VI) bei Wolff ab, und weigerte sich, sie nach Hanau zu verkaufen,
da der Vorstand des dortigen Geschichtsvereins bei den letzten für
denselben durchgeführten Arbeiten - er hatte einen bei Neubauten angeschnittenen
Teil eines römischen Gräberfeldes ausgegraben - Abstriche an
der Rechnung gemacht habe. Vom 1. Oktober bis 25. November wurde dann in
Anwesenheit von Wolff und zahlreichen anderen Herren die seit dem Frühjahr
geplante große Grabung vorgenommen. Zunächst besichtigte Wolff
die noch teils offenen Gruben der vier von Bausch allein gefundenen Gräber
und nahm sie auf. Dann mußte Bausch in Gegenwart von Wolff und Steiner
von der noch offenen Grube von Grab V nach Westen graben. Nach 1,5 m stieß
man auf ein neues Grab, das Wolff sogleich genau prüfte und das dann
von Steiner ausgehoben wurde. Die genaue Umgrenzung der dunklen Graberde
festzustellen gelang wegen der unmittelbaren Nähe von Grab VI nicht.
Steiner bemerkt über die Auffindung dieses Grabes: "Oben, auf
halber Höhe des Feldes, wo Bausch seine letzten Halsketten fand, mußte
er graben. Er geriet dabei in immer größere Erregung und schließlich
hob sich wirklich in dem hell gelben und lederbraun durchsetzten (gefleckten)
Lehmboden ein eiförmig schwarzer Fleck ganz deutlich ab und es kamen
sofort Knochenreste und schwarze Scherben - und-gar nicht lange dauerte
es - auch wirklich wieder jene Kieselchen zum Vorschein; das ganze Grab
wurde dann von mir sorgfältig mit dem Messer ausgekratzt (Man übersieht
die Flachkiesel außerordentlich leicht) und ich hatte den Eindruck,
ein Brandgrab unter den Händen zu haben." Warum aber war Bausch
bei dieeser Grabung so erregt? Wußte er nicht, ob er das Grab richtig
und originalentsprechend zurechtgemacht hatte, und fürchtete er, dass
jetzt Wolff durch irgendeinen Regiefehler seinerseits entdeckt wurde? -
Andererseits aber kann man auch annehmen, daß Bausch, wenn er ein
gemeiner Betrüger gewesen wäre, sich auch in diesem Falle zusammengenommen
hätte, zumal es doch nicht das erstemal war, das er in Gegenwart zahlreicher
Fachgelehrter Ausgrabungen (auch neolithischer Brandgräber) vornahm;
und dann könnte man seine Erregtheit mit einem aufrichtigen Interesse
an der Sache, mit einer Spannung, ob hier wieder eines jener seltsamen
Gräber vorliege, erklären. Und dass Bausch an der praktischen
Vorgeschichte ein reges Interesse besaß, ist nicht zu bezweifeln.
Nach drei Tagen, in denen Bausch römische Gräber in Marköbel
ausgegraben hatte, wurde dann am 4. Oktober in Anwesenheit von Wolff, Steiner
und Küster der Raum zwischen den von Bausch allein ausgehobenen Gräbern
und dem am 22. Mai gefundenen, schichtenweise abgetragen "soweit er noch
unberührt war." Dabei fand sich ein weiteres Grab (Gr. VIII), das
also in unberührtem Boden (!) lag, und das ebenfalls von Wolff eingehend
geprüft und beobachtet wurde. In den nächsten Tagen hatte Bausch
mit zwei Schnitten eine Wohngrube festgestellt, in der Steiner, der von
da ab der Grabung ununterbrochen beiwohnte, ein Brandgrab entdeckte. Er
schreibt davon in seinem Grabungsjournal: "An einer Stelle des Schnittes,
die Bausch schon aufgegeben hatte, scheint mir etwas verdächtig und
ich gebe Bausch Anweisung, weiter zu graben. Nach 40 cm machte sich eine
helle, kreisförmige Einfüllung bemerkbar (ich sah sie zuerst,
während Bausch fühlte, dass in der Mitte der Boden lockerer war).
Bald kamen die Kettensteinchen zu Tage, deren Lage nun genau beobachtet
wurde. Das Grab wurde wieder zugeworfen und in Anwesenheit Wolffs und Kropatschecks
ausgegraben." Die Entdeckung dieses Grabes (Gr. IX) ist interessant:
Steiner bemerkt in einer von Bausch freigelegten Wohngrube eine Stelle,
die ihm "verdächtig" ist. Wie soll man das auffassen? Verdächtig
in dem Sinne, dass hier eine nachträgliche, das würde heißen,
von Bauschs Hand stammende Veränderung des alten Grubenpofils vorgenommen
zu sein schien? Wäre das gemeint, so wäre es sicher deutlicher
ausgesprochen worden, und Steiner wäre diesem "Verdacht" höchst
wahrscheinlich weiter nachgegangen. Oder ist ihm diese Stelle der Wohngrube
nur insofern verdächtig, als er hier wieder eines jener neuartigen
Brandgräber vermutet? Die Bemerkung "verdächtig" ist also durchaus
nicht eindeutig beweisend, sondern in zweifacher Hinsicht auszulegen.
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Der Vorstand des Hanauer Geschichtsvereins im Jahre 1905 in seinem
Vorstandslokal im ehemaligen Altstädter Rathaus.
Stehend von links: Ernst. J. Zimmermann, Heinrich Heuson, Dr. Küster
Sitzend von links: Stadtbaurat Thyriot, Landgerichts-Präsident
Koppen, Prof. Dr. Suchier, Pfarrer Neßler und Wilhelm Brückmann
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In dem Wolff'schen Protokoll heißt es über dieses Grab: "An
der südlichsten der beiden Stellen hatte Dr. Steiner eine der bereits
bekannten dunklen Flecken inmitten einer ausgedehnten Vertiefung gefunden,
die er richtig als Wohngrube erklärte, in welcher später, nach
ihrer Ausfüllung ein Brandgrab angebracht sei. Wir beschlossen, die
Fundstelle (Gr. IX) zu begrenzen. Dies geschah durch zwei, sich rechtwinkelig
kreuzende Versuchsgräben, in deren einem das noch zugedeckte Grab
nördlich von der Kreuzung beider lag. Die Untersuchung wurde dadurch
erschwert, dass in die mit Hüttenlehm und grauer durch Asche und Kohlenreste
durchsetzter Erde angefüllte rechteckige Grube später - offenbar
bei den Kaisermanövern vor 10 Jahren - eine 55 cm tiefe kleinere Grube
hineingeschnitten war, deren Füllung sich als weichere und dunkelgefärbte
Erde von der grauen und braunen Füllung der Wohngrube abhob. Der Hüttenlehm
der Wohngrube bildete, soweit die jüngere Grube reichte, nur noch
eine 35 cm tiefe Schicht, während sie neben der jüngeren Grube
50 cm stark war. Die oberen Teile beider Anlagen aber waren bis 45 cm unter
der Oberfläche im Jahr 1898 vom Dampfpflug durchwühlt worden
und zeigten daher unterhalb der heutigen Humusschicht eine aus humusartiger
Erde, Hüttenlehm, einzelnen Scherben und Kohlestückchen, gemischte
wieder ziemlich hart gewordene Masse. Die in der Wohngrube gefundenen Scherben
gehörten, soweit sie ornamentiert waren, sämtlich dem jüngeren
bandkeramischen Typus an (nach Köhl). Nachdem diese Tatsachen festgestellt
waren, wurde das im nördlichen Teil der Grube nahe ihrer Mitte beiderseits
angeschnittene Grab aufgedeckt. Es scheint zweifellos, dass der dunkle
Fleck auf dem Acker, welcher Bausch verlanlasst hatte, hier zu schürfen,
von der jüngeren (modernen) Grube herrührte, über die hinweg
der Versuchsgraben in die graue Füllung der älteren (neolithischen)
Wohngrube geführt hatte. Die erste Anregung zum Suchen ist also bei
diesem Grabe einem glücklichen Zufall zu verdanken, die Auffindung
des Grabes aber in erster Linie der Achtsamkeit Dr. Steiners. In der durch
den ersten Versuchsgraben durchschnittenen graubraunen Füllung der
Wohngrube hatte, wie oben erwähnt, Dr. Steiner in einer Tiefe von
50 cm unter der Oberfläche den bekannten dunklen Fleck und in der
obersten noch erkennbaren Lage 2 durchbohrte Steinchen erkannt, die nach
Abdeckung der Erde und der schützenden Papierlage sich wieder fanden.
Bis 65 cm zeigten sich noch zahlreiche Steinchen an der Peripherie fast
kreisförmig nebeneinander liegend, neben und zwischen ihnen verbrannte
Knochenstückchen und Holzkohle."
Die Feststellungen Wolffs bei diesem Grab sind für unsere Frage
nicht unwichtig: In eine neolithische Wohngrube ist eine kleinere
Grube "hineingeschnitten", die Wolff als einwandfrei später, d.h.
modern, ansieht, und die doch wohl - denn sonst wäre es Wolff bestimmt
aufgefallen und er wäre stutzig geworden - keine Ähnlichkeit
mit den Vertiefungen der Brandgräber besass. Am selben Tag wie Grab
IX wurde in Anwesenheit obiger Herren ein weiteres von Bausch gefundenes
Grab (Gr.X) aufgedeckt. Auf dem Boden einer annähernd rechteckigen
Grube, die nach Wolff "nach mehreren Regentagen mehr an die moderne
Ausschachtung bei Grab IX erinnerte, als an die übrigen gefundenen
Gräber" hob sich der bekannte dunkle Fleck ab, der das Brandgrab
ankündigte. Die Kettensteinchen, die sich in guter Ordnung befanden,
wurden von Steiner eigenhändig ausgehoben. Im Januar 1908 erfuhr Wolff,
dass ein Büdinger Antiquitätenhändler dem dortigen neu einzurichtenden
Lokalmuseum eine Kieselkette ganz derselben Art wie die im Vorjahr in Butterstadt
und dem Baiersröderhof gefundenen für RM 30,-- verkauft habe.
Wolff zweifelte nicht daran, dass auch diese Kette irgendwie mit Bausch
in Verbindung zu bringen sei, und so forderte er ihn auf, sich über
diese Angelegenheit zu äussern. Einige Tage später erschien Bausch
in Wolffs Wohnung und gab sogleich zu, dass er jenes Grab und zwei weitere,
deren Inhalt er mitbrachte (Gr. XI und XII), an einer genau bezeichneten
Stelle gefunden habe und ersteres für 20,-- RM dem genannten Antiquitätenhändler
verkauft habe. Wolff notierte im Fundprotokoll: "Dem Hanauer Geschichtsverein
gegenüber fühlt er keinerlei Verpflichtungen mehr und wollte
überhaupt nicht mehr für diesen arbeiten; denn der Vertreter
desselben habe ihm, als er im Dezember zahlreiche römische Grabfunde
von Marköbel überbracht habe, an dem billig berechneten Tagelohn
Abzüge gemacht. Auch habe sich der Verein weitere Lieferungen verbeten,
da er für solche Sachen in diesem Rechnungsjahr kein Geld mehr habe.
Meinen Vorhalt, dass er dann uns (Kommission) von seinen neuen Funden hätte
Mitteilung machen müssen, gab er als berechtigt zu; er entschuldigte
seine Handlungsweise mit seiner Not und dadurch, dass er geglaubt habe,
die Kommission kaufe keine Fundstücke, wozu er ja allerdings durch
unser bisheriges Verhalten eine gewisse Berechtigung hatte."
Um zu verhindern, dass Bausch ganz auf den Weg des Handels mit Altertümern
gedrängt wurde, kaufte Wolff ihm die mitgebrachten Ketten ab und beauftragte
ihn, für die Kommission die Felder der Hohen Straße nach Fundorten
abzusuchen, "diese aber, wenn möglich, nicht auszubeuten, sondern
nur für eine Ausgrabung vorzubereiten." Die drei neuen Ketten
stimmten mit den früher gefundenen vollkommen überein; der noch
in Klumpen anhaftende Lehm allerdings war, im Gegensatz zu den in reinem
Löss gefundenen früheren Gräbern, stark mit Sand durchsetzt,
was für die von Bausch angegebene Fundstelle charakteristisch ist.
Hierin darf man einen Beweis für die Richtigkeit der Bausch'schen
Fundortangaben, wenigstens in der ersten Zeit erblicken. Am 4.II.08 überbrachte
Bausch drei weitere Kieselketten sowie verbrannte Knochen, die als Menschenknochen
bestimmt wurden und die mit anderen Beigaben drei verschiedene Brandgräber
gebildet haben (Gr. XIII-XV).
Wolff vermerkt im Protokoll: "In der Umgebung der Gräber behauptet
Bausch ca. 25 Wohngruben an der dunklen Erde und den ausgepflügten
Scherben erkannt zu haben. Die mitgebrachten Scherben gehören dem
Spiral-Mäander Typus an." Vier Wochen später lieferte Bausch
den Inhalt von vier weiteren Gräbern ab (Gr. XVIùXIX), die
er allein gefunden hatte. Darunter befand sich der erste Vertreter eines
zweiten Kettentypus, der nur aus Anhängern besteht. Dieses Exemplar
war von Bausch selbst gesäubert und auf Karton montiert worden. Außer
diesen ausgehobenen Gräbern hat Bausch mehrere Gräber und Wohngruben
für eine im April geplante systematische Grabung "vorbereitet", wie
Wolff sagt. Am 29.III. 08 (Sonntag) begibt sich Wolff in Begleitung von
Steiner in das Fundgebiet. Vormittags wurden eine Anzahl von Bausch in
der letzten Zeit gefundener und aufgedeckter neolithischer, latènezeitlicher
und römischer Gräber, sowie einige neolithische Wohngruben besichtigt
und aufgenommen. Am Nachmittag widmete man sich ganz einer Gruppe von Bausch
gefundener neolithischer Brandgräber.
"Genau am Kreuzungspunkt beider Wege lag die Stelle, an der Bausch
ein Grab eingekreist, aber nicht ausgenommen zu haben erklärte. Es
wurde als Probe auf die Sicherheit seiner Prognose von uns aufgegraben,"
notierte Wolff. Die Fundumstände waren wie bei den früheren Gräbern.
Die 32 unverzierten Steinchen lagen ohne erkennbare Ordnung nahe dem Boden.
Als Grabbeigaben wurden erhoben ein äußerst kleiner Feuersteinsplitter
und acht atypische Scherben (Gr. XX). Die Gräber XXI und XXII wurden
von Bausch allein gefunden, ausgehoben und auf Karton montiert abgeliefert.
Nahe Grab XXII hatte Bausch eine viereckige Wohngrube schon teilweise
ausgegraben, dann aber, bevor sie Wolff besichtigen konnte, wegen der beginnenden
Feldbestellung wieder zuschütten müssen. Bausch hatte Anfang
April außer den am 29.III.08 von Wolff bereits besichtigten und vermessenen
Fundstellen weitere gefunden, an denen mit Sicherheit Brandgräber
der bekannten Art vermutet werden konnten. Am 14.IV.08 fand dann eine Grabung
in Anwesenheit von Sanitätsrat Köhl, Dr. Manger, Welcker, Steiner
und zeitweise auch Dr. Helmke, Apotheker Köhl (Langenselbolf) und
Domänenpächter Schwarz (Baiersröderhof) statt. "Bausch
war von mir schriftlich beauftragt worden, am Morgen an den festgelegten
Gräberstellen, soweit die Zeit reichte, mit einem zweiten Arbeiter,
der sich bei den im vorigen Herbst unternommenen Untersuchungen bewährt
hatte, die Humusschicht etwa 20 cm abzutragen. Er war dabei während
der letzten Stunden von den genannten Herren (außer Köhl, Wolff
und Helmke) beaufsichtigt worden"(Wolff).
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Bandkeramische Gefäßbruckstücke
Oberste Reihe aus der Gemarkung Rüdigheim - Der Rest wurde auf
Butterstädter Äckern gefunden
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Es wurden damals sechs der üblichen Brandgräber ausgehoben:
Grab XXIII enthielt Knochenreste und drei Kettensteinchen ohne erkennbare
Ordnung. Bei Grab XXIV fand sich bis 40 cm unter der Oberfläche eine
viereckige Grube (1,60 x 1,30 m) unterhalb des Humus mit dunkler Erde angefüllt.
Auf ihrem Boden macht sich ungefähr in der Mitte der typische schwarze
Fleck bemerkbar. Bei 65 cm Tiefe erschienen die ersten Knochen, bei 70
cm die ersten Steinchen. Die Mulde reichte bis 80 cm Tiefe. "Unmittelbar
neben dem Nordende der Mulde steht, auf dem Boden der größeren
Grube ein zerdrückter und oben wohl auch durch die Feldbestellung
verletzter Topf von 14 cm Höhe und Breite" (Wolff). Beim vorsichtigen
Herausnehmen zerfiel er teilweise und löste sich in minimale Bruchstückchen
auf. Die Scherben zeigten teilweise deutliche Spuren von weißer Inkrustitation.
Steiner bemerkt zu diesem Grab: " .....die Füllung ist wie gute Gartenerde".
Die Steinchen lagen ohne erkennbare Kreislage. Grab XXV, das zur Hälfte
im Schutt einer alten Wohngrube angelegt war, hatte Bausch bis zu einer
Tiefe von 73 cm aufgedeckt. Bei 98 cm Tiefe kamen die Knochenreste und
zugleich die Steinchen zutage. Die Gräber XXVI, XXVII und XXVIII wurden
ebenfalls in Anwesenheit obengenannter Herren ausgehoben; sie waren alle
von Bausch vorher entdeckt worden. Dicht östlich von Grab XXVIII fand
sich eine Grube von Größe und Form der üblichen Brandgräber,
die aber teilweise mit Latène-Scherben angefüllt war! Von kalzinierten
Knochen und Kettensteinchen ist bei dieser Grube keine Rede, sodaß
wir sie noch lange nicht als verunglückte Fälschung eines neolithischen
Brandgrabes betrachten dürfen. Einige Wochen später meldete Bausch,
er habe nahe der Fundstelle von Grab XXI zwei weitere gefunden und ausgegraben,
deren Inhalt Frau Bausch nach einigen Tagen überbrachte.
Während des vom 2. bis 7. August 1908 in Frankfurt tagenden Anthropologen-Kongresses
wurden in der Gemarkung Marköbel neue Brandgräber aufgedeckt.
Wolff schreibt darüber im einzelnen: "Am 20. Juli unternahm der
Berichterstatter und Professor Dragendorff eine Probefahrt zur Feststellung
der nötigen Zeit und zur Kontrolle der von Bausch für die Ausgrabungen
getroffenen Vorbereitungen." Am 20. VII. Und 24. VII. sucht Wolff in
Begleitung von Prof. Dragendorf, Prof. Flesch und Minion die für den
Anthropologenkongress bestimmten Gräber auf. Dazu bemerkt Wolff: "Bei
dieser Gelegenheit wurde zur Probe eine von Bausch angeschnittene Stelle
aufgedeckt und dabei Grab XXXI gefunden. Die Steinchen sind offenbar nicht
alle gefunden, da das Grab ziemlich flach lag und in seinen oberen Teilen
nicht mehr intakt zu sein schien." Während des Kongresses wurden
in Anwesenheit aller Teilnehmer die Gräber XXXII, XXXIII und XXXIV
ausgehoben, die vorher bis zur Sichtbarwerdung der ersten Knochenreste
von Bausch aufgedeckt waren. Auf einem vom Dampfpflug aufgerissenen Acker
in Butterstadt fand Bausch auf der Oberfläche drei ornamentierte Schieferanhänger,
die seine Frau an Wolff ablieferte. Außerdem hat Bausch ein intaktes
Grab entdeckt und unberührt gelassen. Vier Wochen später lieferte
Frau Bausch weitere drei Anhänger ab, die ihr Mann auf dem erwähnten
Butterstädter Acker auf der Oberfläche gefunden hatte. Die Löcher
und die vertieften Ornamente waren noch hart mit Lehm gefüllt. Wolff
meint, daß die Auffindung der letzten drei Anhänger durch einen
langen Regen begünstigt worden sei, der die Plättchen blank gewaschen
hätte! Daneben meldete Bausch die Auffindung eines zweiten Brandgrabes,
das er ebenfalls unberührt gelassen habe.
Am 17.III.09 begibt sich Wolff mit Prof. Schaub und Hauptmann v. Buttlar
(beide vom Hanauer Geschichtsverein) nach Butterstadt, um dort in ihrer
Gegenwart die beiden genannten, noch von Bausch unberührt gelassenen
neolithischen Brandgräber ausheben zu lassen, nachdem sie am Vormittag
in Marköbel 25 von Bausch gefundene römische Brandgräber
besichtigt und vermessen hatten. Dicht bei den beiden neolithischen Gräbern
hatte Bausch ein Latène-Brandgrab gefunden, das "in 0,60 m Tiefe
einen dunklen Fleck zeigte, von etwa gleicher Ausdehnung, aber unregelmäßiger
Form und viel matterer Farbe (grauschwarz gefleckt und gestreift) als es
bei den neolithischen Gräbern der Fall zu sein scheint" (Wolff).
Grab XXXV. In 60 cm Tiefe - soweit hatte Bausch bereits gegraben - ist
schon ein tiefschwarzer Fleck mit scharfer Abgrenzung des speckigen Inhalts
gegen den hellgelben Löss zu erkennen. Bei weiterem Ausheben finden
sich zunächst Kohlen, dann Knochenstückchen und endlich ein dreieckiger
Schieferanhänger, rechts und links von ihm je drei einmal durchbohrte
Kiesel. Wolff bemerkt im Fundprotokoll: "Die Ornamentpunkte sind unregelmäßiger
verteilt als gewöhnlich. Sorgfältiger in dieser Hinsicht, wie
auch in der Art der Einbohrung sind sie auf den Plättchen." Als
Wolff zu Hause die hart gewordene Erde von dem dreieckigen Schieferplättchen
abhob, zeigten sich ganz deutlich Reste einer weißen Inkrustation.
Die Bedeutung dieses Grabes ist offensichtlich. Grab XXXVI. Bei 0,52 m
Tiefe - soweit hatte Bausch bereits das Grab freigelegt - war der kreisrunde
Grabfleck deutlich zu erkennen. Zahlreiche, guterhaltene Knochenstücke
fanden sich zuerst. An der Westseite des Grabes lagen drei einmal durchbohrte
ornamentierte Kiesel, von denen einer mit der Vorder-, d.h. mit der ornamentierten
Seite nach oben lag.-
Müller-Karpe zog nach Auswertung der Fundprotokolle und seiner
mit Windeckern geführten Gespräche, folgendes Resümee:
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Anhänger aus bandkeramischen Gräbern Gemarkung "Tannenkopf"
Butterstadt
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"Nach dem Wolff'schen Protokoll seien noch einige allgemeine Feststellungen
und Tatsachen über die Auffindung der Wetterauer Brandgräber
angeführt. Die Entdeckung der Gräber durch Bausch war nicht immer
eine geheimnisvolle Angelegenheit. So lag eine Gruppe von über einem
Dutzend dicht beeinanderliegender Brandgräber (und einer Wohngrube),
die von Bausch teils allein, teils in Gegenwart von Wolff und Steiner aufgedeckt
wurden, in und an einer Ackerfurche, die zu einem Grenzgraben vertieft
wurde, sodass die Gräber bei diesen Erdarbeiten angeschnitten wurden.
Steiner, der bis April 1908 (Grab XXVIII) den Grabungen beiwohnte, kam
oft ganz unerwartet oder zu ganz anderen Zeiten als vorgesehen an die Fundstelle,
und immer traf er Bausch (meistens auch seinen Kollegen Kurz) beim Graben,
ohne irgend etwas Auffallendes, was an ein Fälschen erinnern könnte,
zu bemerken. Dem Fundprotokoll zufolge bildeten die Brandgräber den
untersten, kreisrunden Teil einer quadratischen Vertiefung, oder sie machen
sich nur als flache Mulde bemerkbar, je nachdem wie weit das Erdreich über
dem Grab zerstört bzw. unberührt war. Die von Bausch gefundenen
Ketten lieferte er in den weitaus meisten Fällen ungereinigt mit dem
noch zu Klumpen anhaftenden Lehm ab. Ausser der Entdeckung der neolithischen
Brandgräber mit ihren eigenartigen Beigaben hat Bausch seit dem Ende
des vorigen Jahrhunderts dem Hanauer Geschichtsverein durch seine rege
Such- und Findertätigkeit wertvolle Dienste geleistet. Eine grosse
Anzahl von Hallstatt-Latène-und römischen Gräbern aus
den nördlichen Gemarkungen des Kreises Hanau verdanken wir der Achtsamkeit
Bauschs, der die Funde sorgfältig zu bergen und auseinander zu halten
pflegte und sogleich dem Hanauer Geschichtsverein eine Meldung machte (Zahlreiche
Briefe und Mitteilungen Bauschs werden im Museum Hanau aufbewahrt).
Eine Untersuchung der von Bausch in den Jahren vor 1906 nach Hanau gelieferten
vorgeschichtlichen Fundgegenstände ergab, dass es sich dabei ausnahmslos
um Originale handelt; darüber hinaus lässt sich weder eine verkehrte
Fundortangabe, noch eine wesentliche Änderung des Fundzusammenhanges
nachweisen. Später jedoch, in den Jahren lange nach Auffindung der
steinzeitlichen Brandgräber, soll Bausch gelegentlich bei seinen Fundangaben
nicht ganz so zuverlässig gewesen sein, wobei aber seinen Söhnen
nicht geringe Schuld zugesprochen werden muss. Einmal sogar wollte er dem
Vertrauensmann für Bodenaltertümer, Herrn H. Birkner, Hanau,
einen römischen Inschriftenstein anbieten, dem man aber auf den ersten
Blick ansah, daß er eine ganz plumpe und ungeschickte Fälschung
war. Das war aber auch das einzige Mal, dass Bausch derartige offensichtliche
Schwindelei beging. Einige heute noch lebende Windecker, mit denen ich
über die Angelegenheit Bausch sprach, versicherten übereinstimmend,
dass sie es für ausgeschlossen hielten, dass der alte Bausch die Schmuckbeigaben
der neolithischen Gräber gefälscht habe, einmal wegen seines
im Grunde ehrlichen Charakters, dann aber auch, weil sie ihm die geistige
sowohl wie die technische Fähigkeit nicht zutrauten, die doch zur
Herstellung der Fundgegenstände und ihre Unterbringung in "zurechtgemachten"
Gräber nötig gewesen wäre.
Es bliebe dann allerdings einen im Hintergrund arbeitenden raffinierten
Altertumshändler oder dergl. anzunehmen, der mit Bausch unter einer
Decke gesteckt habe. Von einem solchen Verkehr wußten aber die gefragten
Windecker Einwohner gar nichts. Was die Scherben, Steinbeile und Knochen
anbetrifft, die gelegentlich in den Brandgräbern lagen, so kann festgestellt
werden, dass bei ihnen eine Fälschung irgendwelcher Art nicht zu erweisen
ist. Um zu sehen, ob modern hergestellte Kieselanhänger den Bausch'schen
ähnlich seien, habe ich selbst einmal flache Mainkiesel gesammelt
- wobei man unschwer die bezeichnende ovale Form findet, die für unsere
Ketten typisch ist - und sie mit einem gewöhnlichen Stahlbohrer durchlocht.
Selbst bei tüchtigem Wässern und Beschmieren mit Erde, was den
Zweck haben sollte, das Bohrloch archaistisch zu machen, war ein Unterschied
zu den Bausch'schen Ketten nicht zu verkennen. Allerdings weiss man
nicht, welche Mittel unter Umständen den modernen Charakter eines
Bohrlochs doch zum Verschwinden bringen können. Ein eigener Versuch,
Kiesel mit Holz- oder Knochenbohrern oder mit Silexsplittern zu durchbohren,
scheiterte leider an den technischen Voraussetzungen. Eine Beobachtung
jedoch verdient erwähnt zu werden: Während die mit dem Stahlbohrer
hergestellten Durchbohrungen sich nach der einen Seite verengten, also
leicht konisch waren, konnte man bei den Bausch'schen Kieseln beobachten,
wenn man sie in der Bohrungsstelle auseinanderbrach (was ich bei einer
Anzahl von Exemplaren tat), dass sie zweiseitig gebohrt waren und dass
die Seelenachsen in den meisten Fällen nicht mathematisch genau übereinstimmten.
Manchmal sogar glaubte man sicher feststellen zu können, dass die
beiden Hälften mit verschieden dicken Bohrern hergestellt seien. Der
gleichen Art der Durchbohrung begegnet man schließlich auch bei Hunde-
oder Schweinezähnen, die nicht nur in den Wetterauer Brandgräbern,
sondern zahlreich auch sonstwo in steinzeitlichem Zusammenhang gefunden
werden und ebenfalls als Anhänger zu Halsketten getragen wurden.
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Bronzebüste Georg Wolffs von August Bischoff, Frankfurt am Mainee
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Rein theoretisch gesehen steht eigentlich nichts im Wege anzunehmen,
dass die Wetterauer Bandkeramik-Leute als Halsschmuck flache durchbohrte
Flußkiesel verwendeten, zumal es die Leute in den westalpinen Pfahlbauten
ebenso taten, wie beispielsweise ein Anhänger vom Bielersee beweist.
Damit mag die Vorlage von sachlichen Mitteilungen, die für die Originalitätsfrage
der Wetterauer Brandgräber und ihrer merkwürdigen Beigaben von
Bedeutung sein können, abgeschlossen sein. Ein endgültiges unangreifbares
Urteil, ob restlos echt oder völlig geschwindelt, ist nach alledem
nicht möglich. Entscheiden wird hier, wie so oft in prähistorischen
Fragen, einzig der Spaten, wenn er wieder einmal auf den südlichen
Lößhöhen der Wetterau angesetzt wird. Nach den oben angegebenen
Hinweisen möchte man jedenfalls das eine behaupten, dass nämlich
die Sitte, Kieselketten zu tragen, damals bekannt war. Andererseits befällt
einem aber immer wieder das Gefühl vor einer zumindest eigenartigen
Angelegenheit zu stehen, besonders wenn man bedenkt, in welchem bewunderswürdigen
zeitlichen Nacheinander die verschiedenen Kettenanhänger von Bausch
gefunden wurden. Fragt man schließlich, welche Bedeutung die Wetterauer
Brandgräber für die grosse Linie der allgemeinen Prähistorie
haben, so muss man feststellen, dass sie vom lokal vorgeschichtlichen Standpunkt
die Zier unserer heimischen Steinzeit sind, zur rechten Beurteilung der
allgemeinen Verhältnisse innerhalb der Bandkeramik aber eigentlich
nur insofern wertvoll sind, als man hier ein klassisches Beispiel dafür
hätte, wie räumlich engbegrenzt manchmal bestimmte Schmucksitten
sind und dass man auch in der zunächst so uniform ausschauenden Linearbandkeramik
mit solch kleinen, in sich geschlossenen Verbreitungsgebieten von eigentlichen
Formen zu rechnen hat."
Epilog
Am 1. Februar 1995 feierte Professor Dr. Hermann Müller-Karpe,
Ordentlicher Professor Emeritus der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt am Main, pensionierter Erster Direktor der Kommission für
Allgemeine und Vergleichende Archäologie des Deutschen Archäologischen
Institutes, seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlaß gab Albrecht
Jockenhövel, der auch für die Auswahl der aufgnommenen Beiträge
verantwortlich zeichnete, eine Festschrift heraus. In seinem Vorwort führt
er aus, daß er vor der außerordentlich schwierigen Situation
gestanden habe, "einen der bekanntesten und profiliertesten deutschen Forscher
zu ehren." Entsprechend der weltumspannenden Arbeitsweise des Jubilars
wäre es möglich gewesen, "Beiträge aus der ganzen Welt in
hoher Anzahl zu versammeln." Doch dies hätte bei weitem die Möglichkeiten
eines Universitätsinstituts überstiegen. Prof. Dr. Hermann Müller-Karpe
lebt heute in Königswinter. |