Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000
Archiv
Home
Gudrun Loewe fällte vernichtendes Urteil
Hat Laie Georg Bausch alle Koryphäen getäuscht ?
Von Rolf Hohmann

Als Professor Dr. Georg Wolff im Jahre 1929 verstarb, waren die "Wetterauer Brandgräber" längst in vielen Fachzeitschriften und Lehrbüchern fest verankert. Kein Prähistoriker zweifelte die Echtheit dieser außergewöhnlichen bandkeramischen Gräber und - trotz einiger Ungereimtheiten -, wurden auch nicht die Beigaben in Form von durchlochten Mainkieseln, Schieferplättchen, Gefäßbruchstücken usw. als unecht angesehen.

Grossansicht laden© GVW 2000
Aus dem Loewe-Verzeichnis aller "Wetterauer Brandgräber" mit den in ihnen anthaltenen Artefakten 1906-1910 Scan: Rolf Hohmann
Sollte es bei diesen Brandgräbern nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, so hat Georg Bausch das Geheimnis 1932 mit ins Grab genommen. Es war dann wohl der in Marburg lehrende Professor Dr. Gero von Merhart, der Ende der 30er Jahre zwar nicht die Echtheit der Brandgräber an sich in Frage stellte, wohl aber die vieldiskutierten Steinketten. Hier wird immer wieder sein Schüler Armin Stroh zitiert, der in seiner 1938 verfassten Dissertation "Die Rössener Kultur in Südwestdeutschland" das Thema kurz streift und ausführt: "Um die Erforschung der "Wetterauer Brandgräber" war besonders Wolff bemüht, aus dessen Feder eine umfangreiche Literatur zu dieser Frage herrührt. Schuchardt gibt folgende kurze Beschreibung: "Sie markieren sich als runde schwarze Flecken, nicht größer als eine gewöhnliche Schüssel. Umgrenzt ist das Rund von den verzierten flachen Steinchen einer Halskette. In der Mitte liegen, mit Holzkohle gemischt, die fast zu Asche verbrannten Knochen und einige Scherben, zur Hälfte von Spiral-, zur Hälfte von Rössener Keramik." In einer Fußnote merkt Stroh an: "Eine eingehende kritische Untersuchung der Kieselketten und vor allem der "Anhänger" wäre dringend geboten. Mindestens sollten sie, solange eine solche nicht stattgefunden hat, nicht zu irgendwelchen Schlüssen oder Beweisführungen herangezogen werden." Der Doktorant äußerte also einen vagen Verdacht, ohne jedoch einen direkten Fälschungsvorwurf zu erheben.

Wesentlich eingehender befasste sich 1943 Hermann Müller-Karpe in seiner Seminararbeit "Zur Originalitätsfrage der Wetterauer Brandgräber" mit der Materie. Er faßt in seinem Resümee zwar viele Verdachtsmomente zusammen, die für eine Fälschung sprechen könnten, fällte aber kein endgültiges Urteil über eine mögliche Manipulation der Gräber und Beigaben durch Georg Bausch.

Das blieb Gudrun Loewe vorbehalten, die in ihrer 1958 in der "Germania" veröffentlichten Abhandlung "Zur Frage der Echtheit der jungsteinzeitlichen "Wetterauer Brandgräber" den Stab über den Windecker Brunnenbauer brach. Da diese vielzitierte Arbeit vom Geschichtsverein Windecken 2000 aufgrund umfangreicher Quellenstudien und eines kürzlich aufgetauchten schriftlichen Augenzeugenberichts von Grabfreilegungen in der Gemarkung Butterstadt im Jahre 1907 nicht in allen Teilen widerspruchslos hingenommen werden soll, veröffentlichen wir nachfolgend den Loewe-Text im Wortlaut.



Im jungsteinzeitlichen Fundgut Hessens bilden die "Wetterauer Brandgräber" eine Sondergruppe; sie haben ihren Namen von G. Wolff erhalten auf Grund seiner Funde in der südlichen Wetterau, insbesondere dem Vorland von Frankfurt und Hanau. Meist werden sie der Bandkeramik, seltener der Rössener Kultur zugeschrieben, entweder wegen ihrer Lage in oder bei "Wohngruben" oder wegen eingestreuter oder beigegebener, ja sogar zu Schmuckanhängern verarbeiteter Scherben dieser oder jener Kultur. Zu Beginn unseres Jahrhunderts galt der "Rössen-Gartacher Stil" als eine Spielart der Bandkeramiker. Einen Beleg hierfür und auch ein Bindeglied für die Verschmelzung von Liniearbandkeramik mit Rössen zum "Wetterauer Stil" fand Wolff in Gestalt der Wetterauer Brandgräber.

Die Entdeckung der Gräber war eine Sensation. Wolff schreibt darüber: "Zum ersten Mal in ganz Westdeutschland fanden sich in Verbindung mit dieser Keramik neben und in den durch die Unregelmäßigkeit ihrer Profile und Grundrisse auffallenden Wohngruben (seit 1907) auch sehr unscheinbare Brandgräber. Der Umstand, daß diese leicht übersehen werden, erklärte es, daß dort und in anderen Gegenden mit derselben Keramik bis dahin überhaupt keine Gräber gefunden worden waren". Der mehrfach hinzugezogene Direktor der Römisch-Germanischen Kommission äußert: "Es wird von höchstem Interesse sein, durch fortgesetzte Beobachtungen festzustellen, wie weit sich diese offenbare Stammeseigentümlichkeit räumlich erstreckt und wann innerhalb der neolithischen Periode sie auftritt." K. Schumacher vermutet, daß "die in der Wetterau so häufigen Brandgräber, die in dem nicht minder dicht besiedelten Rheinhessen bis jetzt fehlen, mit der Zeit wohl auch auftauchen werden...." Allein, die Hoffnungen auf weitere Funde von Brandgräbern dieser Art in der Wetterau oder anderwärts gingen nicht in Erfüllung. Seit 1920 wird kein entsprechender Grabfund mehr verzeichnet.

Nachdem nun mehr als ein Menschenalter seit der Auffindung der letzten "Wetterauer Brandgräber" in Windecken im Apil 1920 verstrichen sind, mag man sich, vor allem angesichts der vielen bandkeramischen und Rössener Funde, die in der Zwischenzeit gehoben wurden, und in Anbetracht der verfeinerten Grabungsmethoden die Frage vorlegen: Warum kamen diese Brandgräber nur zwischen 1907 und 1920 zu Tage? Zur besseren Übersicht des umfangreichen Fundstoffes soll die eingefügte Tabelle dienen, in der alle Brandgräber mit Beigaben der typischen Schmuckketten oder -anhänger in der Reihenfolge ihrer Auffindung und unter Berücksichtigung der Schmuckbeschaffenheit verzeichnet sind. Auch Einzel- oder Siedlungsfunde solcher Schmuckstücke fanden Aufnahme. Da Wolff kein systematisches Fundregister veröffentlicht hat, waren nicht alle Einzelangaben mit völliger Sicherheit zu gewinnen, zumal auch sein damals beispielhaftes Inventarwerk der südlichen Wetterau ungleichwertige, mitunter detaillierte, oft aber nur summarische Angaben über die Brandgräber enthält.

In einem grundlegenden Bericht von 1911 nennt Wolff für die erste große Gräbergruppe in der Gemarkung Butterstadt (nahe der Grenze gegen Marköbel) häufig auch Marköbel als Fundort; ähnlich verfährt er in einigen späteren Arbeiten. An der ungleichmäßigen Berichterstattung liegt es auch, daß nicht für alle Funde bekannt ist, wer sie geborgen hat. In mehr als der Hälfte der Fälle wird der Vorarbeiter G. Bausch erwähnt, der im Herbst 1906 die ersten Funde machte und als Brandgräber deutete, ohne daß ein Wissenschaftler den Befund im Gelände gesehen hatte. Die Beteiligung von Bausch ist, soweit ersichtlich, in die dritte Spalte der Fundliste aufgenommen. Anfangs fanden Bauschs neuartige Funde Mißtrauen bei Wolff, weil die Kiesel mit Tinte gefärbt waren und dem Mannheimer Museum angeboten wurden. Später als Bausch im April 1910 mit seinem Sohn nach Göttingen geschickt wurde, um als erfahrener Vorarbeiter bei der großen Bandkeramikgrabung in Diemarden zu helfen, "....erregten die besondere Aufmerksamkeit der gelehrten Welt die steinernen Schmuckanhänger, die 11 an der Zahl, zerstreut in verschiedenen Wohngruben gefunden wurden".

Weiter schreibt B. Crome: "Die völlige Aehnlichkeit mit den von Wolff in der Wetterau gefundenen Anhängern fiel sogleich ins Auge". Auch Wolff stellt "die auffallende Übereinstimmung der Diemardener Anhänger in Form, Größe und Ornamenten mit den am Rüdigheimer Judenberge und auf dem gegenüberliegenden Tannenkopf bei Butterstadt" fest; deshalb ist es notwendig, festzustellen, daß bei der Hebung der Diemardener Stücke nur Bausch und sein Sohn, in keinem Falle aber ein wissenschaftlicher Teilnehmer zugegen war (ein Stück fand Bausch schon am ersten Tage der Grabung). "Wohl aus dieser kritischen Bemerkung Cromes, wie auch aus seiner weiträumigen Materialkenntnis zieht W. Buttler den Schluß, "die dort (Diemarden) gleichfalls angegebenen 8 Wetterauer Kieselanhänger sind wahrscheinlich Wetterauer Herkunft und von dem Ausgräber Bausch in das Fundinventar hineingeschmuggelt." Bei Crome liest man weiterhin: "Auf einem ganz anderen Blatte steht natürlich, wenn einige Zeit nachher Bauschs Sohn den Verfasser durch Kiesel mit rezenter Durchbohrung und Verzierung, die er auf der "schwarzen Stelle" eines Ackers (wo im Jahre zuvor eine Dreschmaschine gestanden hatte) umherstreute, zu täuschen versucht hat; die Stücke der Grabung sind auf jeden Fall alte, echte Stücke."

Grossansicht laden© GVW 2000
Rekonstruktion eines bandkeramischen Hauses nach G. Lanz. Aus: Der bandkeramische Siedlungplatz Langweiler 8 Gemeinde Aldenhoven (Ulrich Boelicke u.a.) Scan: Rolf Hohmann
Hier steht eine erste Erkenntnis von Fälschungen neben dem Vertrauen auf die seit 1907 eingeführten gleichartigen Funde, denn diese waren bereits Gemeingut der Wissenschaft geworden. Namhafte Übersichtswerke berichteten über die "Wetterauer Brandgräber" als Lokalgruppe: G. Schwantes, Deutschlands Urgeschichte (1918, zuletzt 1952), C. Schuchardt, Alteuropa (1918, zuletzt 1944); W. Bremer in Ebert XIV (1929) und Buttler im Handbuch der Urgeschichte Deutschlands 2 (1938). Noch 1954 zieht H.D. Kahlke "die Brandgräberfelder mit Linearbandkeramik des Maintals" in Betracht trotz seiner eigenen Fußnote "Viele Prähistoriker stellen die Echtheit der Funde in Frage" und beschreibt sie mit Zitaten von Wolff und 0. Kunkel. Zweifel an der Echtheit der "Wetterauer Brandgräber" scheinen hauptsächlich von der Marburger Schule G. von Merharts auszugehen: A. Stroh hält 1940 die Gräber als solche für sicher, mißt ihnen aber "bei den wenig eindeutigen Fundverhältnissen" keine Bedeutung für das Verhältnis der Rössener zur Spiralbandkeramik bei. 1943 widmet H. Müller-Karpe eine leider schwer zugängliche Seminararbeit der Frage nach der Originalität der "Wetterauer Brandgräber".

Daß ihm ein klares Ergebnis versagt bleibt, hat wohl mehrere Gründe: Einmal faßt er den Bereich seiner Nachforschungen zu eng und behandelt nur die ins Museum Hanau gelangten Funde vor 1910, zweitens ist seine Fragestellung allzu stark an die Person Bauschs geknüpft, und schließlich fehlte es ihm wohl damals an Grabungserfahrung, um Wolff Tagebuch kritisch lesen und ausschöpfen zu können. Schon Stroh erwähnt, daß die Brandgräber lediglich in Wolffs Arbeitsgebiet zu Tage kamen. Tatsächlich gibt ihre Verbreitung weder das Bild einer geographischen noch einer kulturellen Einheit wieder, sondern eher eine Statistik, wo Wolff überall tätig war, beziehungsweise seinen Mitarbeiter Bausch eingesetzt hat. Die Auffindung der "Wetterauer Brandgräber" ist zeitlich und örtlich mit diesen beiden Männern verknüpft.

Die "Verbreitung" geht nur in einigen Punkten über Wolffs eigentliches Arbeitsgebiet, die südliche Wetterau, hinaus, nämlich in Muschenheim. Kr. Gießen und Beltershausen (Frauenberg), Kr. Marburg. Und beide Male ist Wolff der Ausgräber und berichtet für die Frauenberggrabung auch von Bauschs wertvoller Mitarbeit. Darüber hinaus ließen sich die von Wolff 1917 aufgezählten "neolithischen Scherben und mehrere der für die bandkeramische Kultur der Wetterau charakteristischen Anhänger und rohen Perlen aus Beltershausen-Frauenberg, Ebsdorf, Ronhausen, Bortshausen im Ebsdorfer Grund und aus Schröck, Kr. Marburg, 1929 nicht mehr nachweisen, und Buttler schreibt dazu: "Die übrigen von Wolff als Bandkeramik bezeichneten Fudstellen im Ebsdorfer Grund....weisen nur rohe, unverzierte Scherben auf, die jeder Zeitstufe angehören können." Tonperlen und Scherbenanhänger gelten Buttler eben nicht wie Wolff als Charakteristika der Bandkeramik. Der ganz abseits liegende, in der Fundliste nicht genannte Fundort Diemarden, Kr. Göttingen, wurde oben schon als mit Bausch zusammenhängend erwähnt.

Grossansicht laden© GVW 2000
Beigaben aus Bausch-Gräbern. Links oben Kette aus Schieferanhängern (Windecken), rechts oben Kette aus Kieselsteinen (Marköbel) sowie Einzelanhänger aus den Gemarkungen Ostheim, Rüdigheim und Windecken. Bearbeitet von Dr. Ferdinand Kutsch 1926 Scan: Rolf Hohmann
Aufschlußreich will es scheinen, daß die Gräberfunde der ersten Fundjahre mehr in der Hanauer Gegend - Bausch war in Windecken zu Hause und arbeitete je nach Bedarf für die Römisch-Germanische Kommission und den Hanauer Geschichtsverein in der südlichen Wetterau - häufen und späterhin, als Bausch Vorarbeiter des Historischen Museums Frankfurt war, auch öfter im Frankfurter Raum auftreten. Zudem fällt auf, daß den anfangs sehr reich mit Schmuck ausgestatteten Gräbern später recht ärmliche folgen, und daneben Einzelfunde von entsprechenden Stein- und Knochenschmuckstücken sowie Tonperlen in Siedlungen die Fundorte vermehren. Das Aufsehen, das die "Wetterauer Brandgräber" in der Wissenschaft erregten, galt ebensosehr der bis dahin für das Neolithikum kaum bekannten Brandbestattung wie den völlig neuartigen Grabbeigaben von Hängeschmuck. Letztere zeigen in der Reihenfolge der Auffindung eine merkwürdige Entwicklung von Kieseln zu Schieferplättchen und diesen ähnlich zugeschnittenen verzierten Gefäßscherben und schließlich zu Perlen aus gebranntem Ton und Knochenanhängern verschiedenster Form.

Kiesel- und Schieferanhänger müssen 1910/11 aus der Mode gekomen sein und tauchen nur gegen Ende der "Fundperiode" nochmals vereinzelt auf. Ungeahnte technische Fähigkeiten der Steinzeitmenschen schienen sich in den feinen Durchbohrungen und Verzierungen anzudeuten. Wolff setzt ohne Bedenken voraus, daß die oft weniger als 1 mm und bis zu 5 mm langen zylindrischen, anscheinend meist von beiden Seiten her geführten Bohrungen mit dem Silexbohrer ausgeführt worden seien; nur R. Welcker bewegt staunend "die Frage nach der Technik dieser geradezu minutiösen Bearbeitung des Steines". Die Vermutung, daß die feinen Bohrungen und Punktverzierungen, wie auch die bei einigen Kieseln umlaufenden Halsrillen, nur mit einem neuzeitlichen Stahlbohrer hergestellt sein können, bewog mich, eine Anzahl Kiesel- und Schieferanhänger der Materialprüfungsanstalt der Technischen Hochschule Darmstadt vorzulegen.

Das Gutachten vom 2.11.1954 lautet: "Zur Beurteilung von Bohrlöchern wurden verschiedene Kiesel und Schieferplättchen vorgelegt. Die Steine wurden zerschnitten und der Kanal durch Abschleifen vorsichtig freigelegt. Die Bohrungen sind auffallend fein und besonders bei einem Kiesel zylindrisch durchgehend. Die Enden des Bohrkanals sind an diesem Kiesel, im Gegensatz zu anderen Stücken, nicht konisch erweitert. Das Erscheinungsbild ist an diesem Kiesel entsprechend einer heutigen Bohrstelle. Auch mit dem Mikroskop ließen sich keine abgesetzten Rillen in der Wandung beobachten, die auf ein etappenweises Arbeiten schließen ließen. Die Dicke der Bohrung betrug 0,95 mm, die Breite des Kieselsteines an der Bohrstelle 2,67 mm. Es kann gesagt werden, daß die Bohrung besonders an diesem Stück durchaus den mit neuzeitlichen Geräten hergestellten Bohrlöchern entspricht und sich stark von den abgesetzten und an den Enden konisch ausgeweiteten Bohrungen der Steinzeit unterscheiden. Gez. Gerhard Schultz Diplom-Chemiker"

Der hier eingehend besprochene Kiesel stammt aus Butterstadt, Grab 34 (Museum Hanau). Zur Erprobung des Arbeitsvorganges habe ich selbst mit der biegsamen Welle eines Elektromotors zwei Löcher beiderseits der "Originalbohrung" eines Schieferanhängers von Büdesheim gebohrt und den Rand des Stückes bis zu diesen drei Löchern weggeschliffen. Das Ergebnis zeigt Abb.1: Die linke Bohrung ist in einem Zuge von unten her durchgeführt; beim Durchstoßen des Bohrers sprang oben ein kleines rundes Plättchen weg. Die mittlere Bohrung ist "original" und noch etwas verschmutzt. Die rechte Bohrung war meine erster Versuch; sie wurde von oben begonnen, dabei kam mein Bohrer ins Schleudern, weil ich nicht rechtzeitig das feine Bohrmehl des Tonschiefers ausblies; dann vollendete ich die Bohrung von der Gegenseite. Wenn Wolff schreibt, "Diese Durchbohrungen sind....von beiden Seiten ausgeführt, da sie von einem engen Teil in der Mitte sich nach beiden Außenseiten ein wenig verbreitern," so hat er sicherlich Bohrungen wie Abb. 1, rechts beobachtet. Doch ist eine so geringe Abweichung von der Zylinderform etwas grundsätzlich Anderes als die für neolithische Kleinbohrungen in Stein und Knochen bezeichnende doppelkonische (=sanduhrförmige) Form des Bohrkanals, dessen schmalste Stelle nahe der Mitte des Stückes in der Regel wenigstens 2 mm mißt, während die Öffnungen an den Oberflächen etwa doppelt so weit sind.

Ebenso fein und zylindrisch wie bei den Steinanhängern sind häufig die Durchbohrungen der seit 1910 hin und wieder auftretenden aus verzierten Scherben geschnittenen und der Knochenanhänger, sowie bei Tierzähnen aus "Wetterauer Brandgräbern". Die harten Umrisse, insbesondere die konkave Oberseite und die scharfen Kanten der 1908-1910 gefundenen Schieferanhänger weichen von der neolithischen Gestaltungsweise ab und verraten viel geringeres Formgefühl als die werkgerechten neolithischen Steingeräte. Gewiß war der weiche Heldenbergener Schiefer leichter zu bearbeiten, doch würde ein Steinzeitmensch die Aufgabe sicherlich anders, harmonischer gelöst haben. Die Beobachtung, daß zwei Kilianstädter und ein Büdesheimer Anhänger "aus dem platten blauschwarzen Schiefer unserer Kinderschreibtafeln" bestehen, hat Wolff keinesfalls beunruhigt.

Wir müssen heute aber fragen: Wo konnten die Steinzeitler in der Wettau solchen Schiefer finden? Oder wann mag das Material für die drei Stücke ins Land gelangt und hier verarbeitet worden sein? Zu den weniger häufigen Beigaben zählen neben den aus verzierten Tonscherben geschnittenen seit 1911 solche aus Knochen. Ihre Form wechselt von zugespitzten Tierzahnimitationen über Rund- und Dreieckscheibchen zu länglichen Zungen mit Schnittverzierung und einmal in einem in groben Zügen modellierten Fisch. Im Gegensatz zu allen anderen Beigabentypen, die keinerlei Brandspuren aufweisen, sind die Knochenanhänger dem Leichenbrand sehr ähnlich und haben großenteils zweifelslos Hitzeeinwirkung erlitten. Sie haben, abweichend von den scharfkantigen Formen der Schiefer, weiche Konturen, dazu mitunter feine Risse in ihrer weißlichen, mehligen Oberfläche. Eine besonders häufig in der Frankfurter Gegend vorkommende Beigaben-Gattung der "Wetterauer Brandgräber" besteht aus Tonperlen verschiedener Art und Größe.

In Frankfurt-Berkersheim sind es rundliche Tonscheiben in der Stärke von Gefäßscherben, deren Peripherie viermal eingekerbt ist, so daß der Gesamtumriß einem Vierklee nahekommt; eine ähnliche Vierteilug entsteht durch flache Rillen auf doppelkonischen und rundlichen Perlen von demselben Fundort. Viele andere Tonperlen werden "spinnwirtelförmig" genannt und gleichen in der Tat plumpen Spinnwirteln bis auf die Öffnung; diese reicht bei den "Perlen" stets nur für die Aufnahme eines Fadens aus, nicht aber für eine Spindel aus Holz oder Knochen. Nachdem mehrmals solche Tonperlen in "Wetterauer Brandgräbern" und in bandkeramischen oder Rössener Siedlungsgruben gefunden worden waren, genügte Wolff ihr Vorkommen als Leitfossil für Bandkeramik (oder Rössen). Anderwärts sucht man vergebens nach Vorkommen derartiger Tonperlen bei Bandkeramik, und Buttler berichtet von ihnen ausdrücklich nur für Oberhessen. Die Tonperlen sind also durch die "Wetterauer Brandgräber" aufgekommen und ausschließlich in den Jahren 1911-1920 gefunden worden. Sie gehören zusammen mit den Beigaben von Kiesel-, Schiefer-, Scherben- und Knochenanhängern zu dem fragwürdigen Komplex der "Wetterauer Brandgräber".

Grossansicht laden© GVW 2000
Schema zur formalen Klassifikation der Profile bandkeramischer Gruben. Aus: Der bandkeramische Siedlungsplatz Langweiler 8 Gemeinde Aldenhoven (Ulriche Boelicke u.a.) Scan: Rolf Hohmann
Etwa hundert Brandgräber sind insgeamt gefunden worden. Für eine Anzahl von ihnen liegen Beschreibungen der Ausgrabung vor. Viele Wissenschaftler sind Zeugen solcher Ausgrabungen geworden, weil die bis dahin unbekannte Grabform größtes Interesse weckte, und die relativ kleinen Objekte sich gut, auch mehrere an einem Tag, in einer Schaugrabung vorführen ließen. Die Beschreibungen gleichen sich weitgehend. Lediglich die Tiefe ist sehr unterschiedlich, weil die Gräber stets, ob in ungestörtem oder Siedlungsboden, um etwa 10 cm in den gewachsenen Boden eingetieft waren. Ganz zu unterst, gerade noch in der dunklen Einfüllung, zeigten sich, stets mit Sorgfalt deponiert, die bis auf die Knochenanhänger ungebrannten Beigaben. Im Kranz der Beigaben und locker in der Füllerde fand sich der Lei- chenbrand, gewöhnlich nur soviel, wie auf einen Löffel geht. In einigen Fällen lagen datierte Scherben um die Beigaben gruppiert oder in der Füllerde. In vorgeschichtlicher Zeit dominierte die Sitte, die Beigaben auf den in größerer Menge beigesetzten Leichenbrand zu legen.

Die Menge des in Arnstadt unter einer umgestülpten bandkeramischen Schale beigesetzten Brandes benennt G. Neumann mit 295 g. Flüchtige Streuungen kleiner und kleinster Mengen von Leichenbrand sind mir nur aus römischen Brandgräbern bekannt. Wolff berichtet mehrfach, daß Bausch auch römische und laténezeitliche Brandgräber geborgen hat. Als Beispiel sei angeführt, daß Bausch vor Öffnung des Grabes 8 von Butterstadt drei Tage lang in der Nachbargemeinde Marköbel römische Brandgräber ausgegraben und auch vor den Gräbern 37 und 38 wiederum fünfundzwanzig solcher Gräber gefunden hat. Wolffs ausdrückliche Anweisung, gefundene Brandgräber in situ zu belassen, damit ein Wissenschaftler das Ausnehmen beaufsichtigen könne, hat Bausch wieder und wieder übertreten und Grabinhalte abgeliefert oder durch seine Frau überbringen lassen.

Offensichtlich wurde diese Praxis auch bei anderen Vorgeschichtsfunden geübt und war während Bauschs langjährige Mitarbeit zur Gewohnheit geworden. Bezeichnend für Bauschs Arbeitsverhältnis und Persönlichkeit sind folgende Worte Wolffs: "Die ersten Brandgräber wurden im Herbst 1906 von dem Brunnenbohrer Georg Bausch aus Windecken gefunden, der mir bei der Erforschung des römischen Straßensystems für die Reichs-Limeskommission durch seine Findigkeit und Lokalkenntnis gute Dienste geleistet hatte. Außerdem hatte ich in den drei Jahren (zu den Untersuchungen bei Marburg) den Vorarbeiter G. Bausch vom Frankfurter Museum mitgebracht, der mir während der letzten 15 Jahre vor dem Kriege im Aufsuchen von Spuren römischer und prähistorischer Siedelungen auf den weiten Lößflächen der Südwetterau gute Dienste geleistet und in der sorgfältigen Ausschälung neolithischer Wohngruben und Brandgräber sich eine seltene Sicherheit angeeignet hatte."

Bauschs Hilfe war begehrt; so schreibt Welcker vom Frankfurter Osthafen, "daß wir über den Vorarbeiter Bausch, einen besonders glücklichen Finder, verfügen konnten, war für unsere Untersuchungen schon aus dem Grunde von großem Vorteil, als dieser mit bemerkenswertem Spürsinn ausgestattete Mann bei den Arbeiten des Archäologischen Instituts an der Hohen Straße von Anfang an den Forschern die besten Dienste geleistet hat und mit den in Frage kommenden Funden und Fundumständen auf das Genaueste bekannt ist." Ja, selbst die Göttinger Wissenschaftler M. Verworn und F.K. Heiderich, die Bauschs Mitarbeit 1909 bei Butterstadt und Baierröder Hof schätzen gelernt hatten, wollten sich auch in der großen bandkeramischen Siedlung Diemarden bei Göttingen 1910 seine Findigkeit zu Nutze machen: "Zugleich wurde der Brunnenbohrer Bausch aus Windecken bei Hanau, der schon bei der Aufdeckung der Brandgräber in der Wetterau wertvolle Dienste geleistet hatte, für die Zeit von vier Wochen in Anspruch genommen."

Trotz Bauschs Anwesenheit wurden aber die erhofften Brandgräber nicht gefunden, sondern nur die oben behandelten 11 (oder 8) Kiesel- und Schieferanhänger verstreut in den Siedlungsgruben. Zur Kennzeichnung der Arbeitsweise bei der Bergung und der Beschaffenheit der Gruben ist Folgendes zu berichten: Im Herbst 1907 schreibt der Assistent der Römisch-Germanischen Kommission P. Steiner im Grabungstagebuch über Grab 7 von Butterstadt, das den ersten klaren Befund ergab: "Oben, auf halber Höhe des Feldes, wo Bausch seine letzten Halsketten fand,  mußte er graben. Er geriet dabei in immer größere Erregung und schließlich hob sich wirklich in dem hellgelben und lederbraun durchsetzten (gefleckten) Lehmboden ein eiförmiger schwarzer Fleck ganz deutlich ab und es kamen sofort Knochenreste und schwarze Scherben und - gar nicht lange dauerte es - auch wirklich wieder jene Kieselsteinchen zum Vorschein; das ganze Grab wurde dann von mir sorgfältig mit dem Messer ausgekratzt (Man übersieht die Flachkiesel außerordentlich leicht!) und ich hatte den Eindruck, ein Brandgrab unter den Händen zu haben." Zu Grab 9 schreibt Steiner: "An einer Stelle des Schnittes, die Bausch schon aufgegeben hatte, scheint mir etwas verdächtig, und ich gebe Bausch Anweisung, weiterzugraben." Dann machte sich die Einfüllung bemerkbar: "Ich sah sie zuerst, während Bausch fühlte, daß in der Mitte der Boden lockerer war." Bald darauf zeigten sich wiederum die Kettenkiesel.

Für Grab 20 gab Bausch im März eine Stelle an, an der "ein Grab eingekreist, aber nicht ausgenommen zu haben erklärte". Im April wurden Grab 23 bis 28 ausgegraben, die alle vorher von Bausch entdeckt worden waren. Zu Grab 24 bemerkt Steiner: "Die Füllung war wie gute Gartenerde". Heiderich berichtet zu Grab 35: "Der Vorarbeiter Bausch hatte bereits zwei Stellen für die Grabung vorbereitet und Versuchsgräben angelegt. Bei der Vertiefung des ersten Versuchsgrabens schon stießen wir auf ein Brandgrab". Die Gräber 37 und und 38 hatte Bausch bis 0,60 bzw. 0,52 cm Tiefe freigelegt, wo sich jeweils der tiefschwarze, kreisrunde Fleck abzeichnete. Im August 1910 ließ Wolff bei Rüdigheim die Wohngrube 1, "in der Bausch Spuren eines Brandgrabes erkannt zu haben glaubt in (seiner) Gegenwart vollständig ausgraben. Alle Gegenstände sind in meiner Anwesenheit z.T. von mir eigenhändig erhoben worden".

Grossansicht laden© GVW 2000
Die zwischen Marköbel und Butterstadt entlang der "Hohen Straße" bis 1912 entdeckten vorgeschichtlichen und römischen Gräber. Aus der von Georg Wolff bearbeiteten archäologischen Fundkarte. Scan: Rolf Hohmann
Mit dieser Bemerkung will Wolff die einwandfreie Bergung bekräfigen; er gibt aber damit auch beiläufig zu, daß beides, seine ständige Anwesenheit und eigenhändige Betätigung (er war damals 65 Jahre alt), nicht die Regel waren. In der zusammenfassenden Beschreibung betont Wolff die "vollkommene Gleichheit der Gräber in Form und Größe" und die große Übereinstimmung der Art wie sie zuerst in Erscheinung treten. Der "fettig weiche" Inhalt der Grabmulden hob sich "speckartig tiefschwarz" ab und war "so lettenartig zusammenhängend, daß man ihn mit einer großen Schippe unterstechen und herausnehmen konnte, ohne daß er zerbröckelte". Dieses kann man sich ohne weiteres vorstellen, wenn man das Situationsfoto von Ostheim betrachtet (Taf.55), das in voller Deutlichkeit den Unterschied zwischen der dunklen, lockeren Grabfüllung und dem helleren, homogenen, mit dem Spaten säuberlich abgestochenen Löß der Umgebung zeigt. Der Übergang zeichnet sich am besten an der rechten oberen Begrenzung ab als eine gebrochene Linie zwischen zwei verschiedenen Strukturen, während der Farbunterschied nur wenig zur Geltung kommt.

Hier besteht offensichtlich keine durch Jahrtausende dauernde Lagerung gefestigte Verbindung zwischen dem anstehenden Löß und der humosen Einfüllung, die ein Ausheben der Grabfüllung nach Wolffs Beschreibung unmöglich gemacht hätte. Alte Kulturschichten pflegen sich durch besondere Festigkeit auszuzeichnen, die durch eingeschlossene Brandreste nur noch gesteigert wird, und sind mit dem sie umgebenden Boden fest verbunden. Die Abbildung des Brandgrabes von Ostheim gibt das typische Bild einer neuzeitlichen Störung, die wahrscheinlich ebenso jung ist, wie die etwa 1 mm feinen Durchbohrungen der Kieselbeigaben dieses Grabes. Bei der Freilegung des Butterstädter Grabes 9 beobachtete Wolff eine junge Störung, die er den vor der Jahrhundertwende hier abgehaltenen Kaisermanövern zuschrieb; ihre Einfüllung war weicher und dunkler gefärbt als die der Wohngrube.

Andere rechteckige Gruben gleicher Größe zeigten sich mehrmals kurz vor Entdeckung von "Brandgräbern", die in deren Boden eingetieft erschienen. "Die Hersteller des Grabes hatten, sei es, um bequemer arbeiten zu können, oder sei es unter dem Einflusse einer auf die ehemalige Sitte der Körperbestattung zurückgehende Traditon, zunächst eine für eine unverbrannte Leiche, wenigstens für einen Hocker genügende Gruft mit fast senkrechten Wänden gegraben und dann das Brandgrab in sie hineingebettet". Mag man die rechteckigen Gruben so oder so deuten, im Falle Windecken 1908/09 hielt die Anschauung von dem Bestattungsgrab, aus dem Bausch einen reichen Schieferschmuck unter einem ausgehöhlten Stein meldete, nicht stand, denn das "Bestattungsgrab" entpuppte sich als Wildfanggrube, die ihrer Form nach ebenfalls nicht neolithisch sondern sehr viel jünger sein muß. In derselben Bandkeramiksiedlung von Windecken legte P. Helmke 1920 jenes bedeutsame Grab 2 frei, das Kunkel abbildet, und in dem nach langjährigem Ausbleiben von Kiesel- und Schieferfunden eine Tonperle in Gemeinschaft mit einer Kieselkette und eines Schieferanhängers begegnet; auch Grab 1 enthielt Tonperlen zusammen mit einer Kieselkette.

Einmalig ist der Befund von Grab 2 in bezug auf die Pfostenstellungen nach Art der Siedlungsgruben am Frauenberg bei Beltershausen. Allein die Forderung Helmkes "Die weitere Beobachtung derartiger Grabanlagen ist unbedingt nötig" blieb ohne Widerhall; die beiden Windecker Gräber waren die letzten überhaupt. Die Situation der "Wetterauer Brandgräber" erscheint uns heute in einem anderen Licht als den Forschern zur Zeit ihrer Auffindung, weil sich die Vorgeschichtsforschung seit etwa 15 Jahren zu der Erkenntnis durchgerungen hat, daß alle früher als "Wohngruben" bezeichneten unregelmäßigen Gruben niemals zum Wohnen gedient haben, sondern durch Lehmentnahme zum Bestreichen der Wände benachbarter, rechteckiger Großhäuser entstanden und in der Folge allmählich mit Abfällen zugefüllt worden sind.

Bestattungen in Abfallgruben aber sind seltene Ausnahmen, und die sorgfältige Ausstattung der "Wetterauer Brandgräber" mit oft reichem Steinschmuck sticht auffällig von der banalen Umgebung ab. Als Regel für die bandkeramische und Rössener Kultur hat Körperbestattung in Hockerlage zu gelten, die zu Wolffs Zeit schon mit drei Gräbern in Leihgestern, Kr. Gießen, belegt war und seither in noch mehreren Beispielen für unsere Gegend Bestätigung fand.

Allerdings wurde nie und nirgendwo eine so überwältigende Zahl von Funden erreicht, wie sie die südliche Wetterau an Brandgräbern in den Jahren 1907-1910 (70 Gräber) und noch weiter bis 1920 hervorgebracht hat. Die große Zahl der Brandgräber gab den aus ihren Befunden gezogenen Schlüssen besonders Gewicht und verschaffte ihnen auf sensationelle Weise Geltung, obwohl sie weder mit sonstigen neolithischen Funden noch mit den Ergebnissen der Nachbarlandschaften harmonieren. Wie stark die Grabfunde zu überzeugen vermochten, ersehen wir aus dem Rückschluß, den Verworn zieht, nachdem er nur drei Gräber bei Butterstadt und Baiersröder Hof geöffnet hat. Zwei der Gräber fanden sich in je einer Siedlungsgrube mit Bandkeramik und eines in einer solchen mit Rössener Keramik; alle drei enthielten Kiesel- und Schieferanhänger. Verworn findet die darauf erstellte Gleichung Bandkeramik = Steinschmuck = Rössen, also Bandkeramik gleichzeitig mit Rössen bestätigt duch den Fund einer Rössener Scherbe neben fünf bandkeramischen in Grab 1 (=Butterstadt Grab 35).

Nicht nur in bandkeramischen oder Rössener Siedlungen fanden sich "Wetterauer Brandgräber" oder ihre Leitfossilien sondern auch in Anlagen der Megalithkultur. Die Steingruppen von Eichen und Windecken geben zwar keinerlei Anhalt für ihre Zuordnung zu einem bekannten Megalithtyp, doch zeigt Wolff sich in zahlreichen Erwähnungen von ihrem Grabcharakter überzeugt. Seine Nachgrabungen ergaben keine datierenden Funde der Megalithik; am Einsiedler bei Windecken kam eine bandkeramische Scherbe vor und einige metallzeitliche, im Herrenwald bei einer ähnlichen Anlage nur rohe, nicht näher zu bestimmende, vorgeschichtliche Scherben.

Eine Gruppe großer Quarzitblöcke im benachbarten Eichener Wald, die gleichfalls von Wolff als Megalithanlage angesprochen wurde, barg in gewissen Nischen, die durch kleine Steine begrenzt waren, muldenförmige Brandgräber, zwei davon mit Knochenanhängern ausgestattet. Von bemerkenswerter Einmaligkeit dürften auch die allerdings sehr flachen Grabhügel mit "Wetterauer Brandgräbern" sein, die Wolff im Eichener Wald zwischen Hallstatthügelgräbern fand.

Hochbetagt äußert Wolff in einer seine Erfahrungen zusammenfassenden methodischen Publikation: "So ist die erste Entdeckung von Brandgräbern und Wohngruben der bandkeramischen Kultur der jüngeren Steinzeit in dem Gebiete zwischen dem Untermain und der Weser dem Scharfblick und der Lokalkenntnis unseres Vorarbeiters Bausch aus Windecken zu verdanken."

Dabei übersieht Wolff folgende Siedlungsgrabungen seiner Zeit in eben diesem Gebiet: 1899/1901 Niederurff, Kr. Fritzlar-Homberg (Ausgräber: Von Gilsa, Eisentraut); 1900 Ostheim, Kr. Friedberg (Gundermann, Kornemann, Kramer); 1902/03 Friedberg, Pfingstweide (Helmke); 1903 Friedberg, Schwalheimer Hohl (Helmke), 1908 Leihgestern, Kr. Gießen (Kramer); 1911 Niedervellmar, Kr. Kassel (Hofmeister); 1911/12 Eberstadt, Kr. Gießen (Bremer); Emsdorf, Kr. Marburg (Bremer), und die Tatsache, daß sie nicht ein einziges Brandgrab erbracht haben. Völlig klar aber wird durch Wolff hier abschließend Bauschs Schlüsselstellung zu den Funden bestätigt.

Die in diesem Bericht vorgetragenen Bedenken haben mich zu der Überzeugung gebracht, daß die "Wetterauer  Brandgräber" nebst ihren Beigaben von Bauschs Hand herrühren. Folgende Hauptargumente gaben dafür den Ausschlag:

1. Die kulturelle Zugehörigkeit - Bandkeramik-Rössen-Megalith - ist dem damaligen Stand der Kenntnis angepaßt und hält den neueren Erkenntnissen nicht stand.

2. Die Auffindung ist persönlich und zeitlich gebunden; mithin kann der Verbreitung keinerlei Wert beigemessen werden.

3. Die Herstellung der Beigaben wäre mit den technischen Mitteln der Steinzeit undurchführbar; es bedarf dazu eines neuzeitlichen Metallbohrers.

4. Die relativ wenigen Grabungsbefunde und- berichte lassen die stereotypen Grabmulden als neuzeitliche Störungen erkennen."



Soweit die nur unwesentlich gekürzte Abhandlung von Gudrun Loewe.

Nach der 1958 in der "Germania" (Korrespondenzblatt der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts) erfolgten Veröffentlichung protestierten die Bausch-Enkel heftig gegen den erhobenen Vorwurf, ihr Großvater sei ein Fälscher gewesen. Sie kritisierten, daß die Verfasserin des Beitrags es, im Gegensatz zu Müller-Karpe, unterlassen habe, Zeitzeugen zu befragen.

So lebte damals noch Johannes Kurz (Windecken), der oft als Bausch-Gehilfe bei den Ausgrabungen im nördlichen Hanauer Kreisgebiet tätig war. Welches Motiv hätte weiter den Brunnenbauer Georg Bausch dazu veranlassen können, in ebenso zeitraubender wie mühevoller Arbeit hunderte von Kieselsteinen, wahrscheinlich am Mainufer zusammenzuklauben, zu durchbohren und mit Verzierungen zu versehen? Waren es materielle Gründe oder reine Geltungssucht? Diese wichtige Frage stellt Gudrun Loewe nicht.

Der Geschichtsverein Windecken 2000 kann sie nach so langer Zeit wohl auch nicht beantworten. Er wird sich aber mit der Arbeit von Gudrun Loewe und viele ihrer, nur auf Indizien gestützten Behauptungen, in mehreren Beiträgen auf seiner Website intensiv auseinandersetzen. Vielleicht erscheint dann der "Meisterfälscher" Georg Bausch in einem anderen Licht.

Wir hätten Frau Dr. Gudrun Loewe gerne viele Fragen gestellt und haben versucht, ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Als von den angeschriebenen Stellen nur Negativbescheid kamen, haben wir die Abteilung für Archäologie und Paläontologie im Landesamt für Denkmalpflege Hessen um weitere Nachforschungen gebeten. Diese Aufgabe hat dankenswerter Weise Bezirksarchäologe Dr. Guntram Schwitalla übernommen. Nachdem zunächst auch seine Anfragen keinen Erfolg erbrachten, erhielt er auf sein Schreiben an das Einwohnermeldamt Bäk im Amt Ratzeburger-Land am 30. Juli 2002 die handschriftliche Kurzmitteilung: "Frau Loewe ist am 18.02.94 verstorben."

Der Versuch des Geschichtsvereins Windecken 2000 den Nachlaß der Verstorbenen einzusehen, blieb erfolglos. Auf eine entsprechende Anfrage teilte uns der Vorsteher des Amtes Ratzeburg-Land am 22. August 2002 mit, daß im Melderegister keine Daten gespeichert sind und es daher nicht möglich sei, "Ihnen von dieser Stelle eine Auskunft über einen evtl. Erben bzw. eine sonstige Kontaktperson der Erben von Frau Dr. Loewe mitzuteilen."

In den zahlreichen hinterlassenen Schriften des Windecker Mechanikermeisters Friedrich (Friedel) Kurz (1888-1971), ein angesehener und vielbelesener Windecker Bürger und Bruder des genannten Johannes, befindet sich ein undatierter handschriftlicher Entwurf, wahrscheinlich für einen Leserbrief, der offensichtlich nach Bekanntwerden des Fälscher-Vorwurfs von Gudrun Loewe verfasst wurde. Wir wollen den Besuchern unserer Homepage diese vehemente "Verteidigungsschrift" für Georg Bausch nicht vorenthalten:

Grossansicht laden© GVW 2000
Mechanikermeister Friedel Kurz im Jahr 1970 vor seinem Hochrad im Heimatmusem Windecken, das sich früher im Erdgeschoss des 1520 erbauten Rathauses befand. Scan: Rolf Hohmann
"Georg Bausch aus Windecken ist tot, der kann den Verleumdern nicht die rechte Antwort geben. Aber es leben noch Leute, die ihm bei den Ausgrabungen geholfen haben. Bausch war ein Mann der es verdient, von der Forschung als außergewöhnlicher Kopf bezeichnet zu werden. Zum Verständnis dafür, daß man ihm bitterstes Unrecht tut, muß man über die Arbeitsweise, wie er die vielen Gräber, Wohngruben usw. entdeckte, Bescheid wissen. Im Winter, wenn nach Regen oder nachdem der Schnee abgetaut war, die freien Landflächen begangen wurden, stellte Bausch mit unfehlbarer Sicherheit fest, wo zu graben war, um historische Funde zu bergen. Nie geschah es, daß er zu graben begann, ohne daß Professor Wolff oder Steinert dabei waren. Jedermann, der ihn kannte, weiß, daß er es nicht nötig hatte, die Gegenstände, die er in unzähligen Mengen aus der Erde holte, zu fälschen. Keiner freute sich mehr als er über den Erfolg seines Scharfsinnes, der ohnegleichen war. Was die Wissenschaftler, die mit ihm zu tun hatten, stets anerkennen mußten. Es wurden hier Brandgräber ausgegraben, die Jahrtausende unberührt geblieben waren und zwar unter persönlicher Aufsicht von Professor Wolff. Dafür sind Zeugen da, mehr als genug. Es darf doch kein vernünftiger Mensch glauben, daß die tausende Funde, die Bausch ans Tageslicht brachte, gefälscht sein könnten. Der Bausch war ein ehrlicher Kerl, der eine sehr zahlreiche Familie zu ernähren hatte und stets in sehr kleinen Wohnungen hauste. Zum Fälschen hatte er daheim wirklich keine Gelegenheit. Kein Mensch, der seine Verhältnisse und seine Art kannte, glaubt, daß er es fertig brachte, aus Gewinnsucht zum Fälscher zu werden. Er war ein Idealist und hatte die seltene Gabe, jede kleine Scherbe, jedes Kohlebröcklein im Gelände schon vom bloßesten Sehen auf sein Alter abzuschätzen. Daß die Brandgräber unter Aufsicht von Experten auf diesem Gebiet ausgehoben wurden, dafür sind noch Zeugen am Leben. Man macht sichs sehr leicht, von Fälschungen durch Bausch zu sprechen. Wie wäre es aber, wenn die Sachen, die Bausch ausgrub, echt wären und die heute im Museum befindlichen gefälscht sind? Daß man eben selten einen Menschen findet, der wie Georg Bausch überall im  Gelände etwas fand, was vorher kein Mensch ahnen konnte. Hatte Bausch eine Stelle gefunden, die ihm das Vorhandensein einer Wohngrube, eines Grabes oder einer historischen Stätte überhaupt anzeigte, so meldete er das Professor Wolff oder Steiner. Dann mußte der Besitzer des Grundstückes um Erlaubnis der Grabung gefragt werden. Es geschah nie ohne Einwilligung seiner Auftraggeber, daß gegraben wurde. Bausch hätte ja auch für seine Arbeit nichts bekommen. Wem sollte er die Scherben oder Knochenreste verkaufen? Und er brauchte den geringsten Lohn dringend, denn außer seiner Arbeitskraft besaß er jahrzehntelang nichts. Die Wissenschaftlerin, die frisierte Bodenschätze vor sich zu haben glaubte, soll sich einmal von denen belehren lassen, die dabei waren, wenn solche ausgegraben wurden, denn dann wird aus dem Saulus ein Paulus werden. Wie schon oben gesagt, Menschen wie Bausch sind selten."

Soweit also das offene Bekenntnis des Windecker Bürgers Friedel Kurz, das allerdings, nach dem genauen Studium aller verfügbaren Unterlagen, in einigen Punkten sicher korrekturbedürftig ist. Das ändert aber nichts an der feststehenden Tatsache, daß ausnahmslos alle Windecker, die Georg Bausch kannten, ihrem Mitbürger das Fälschen von prähistorischen Artefakten oder gar das komplette "Türken" von etwa 100 bandkeramischen Brandgräbern nicht zutrauten.


©  Geschichtsverein Windecken 2000
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Vereins.