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Geschichtsverein Windecken 2000
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Aufregende Wochen für Theodor Jung
Er verfolgte Freilegung der "Wetterauer Brandgräber"
Von Rolf Hohmann
Die beiden ersten jungsteinzeitlichen "Wetterauer Brandgräber" entdeckte der Windecker Brunnenbauer Georg Bausch 1906 in der Butterstädter Gemarkung "Tannenkopf" auf einem Acker des Gutsbesitzers Philipp Jung. In den beiden folgenden Jahren wurden hier auf einem engbegrenzten Areal weitere 32 dieser ominösen bandkeramischen Gräber freigelegt. Es waren vor allem die Beigaben in Form von Schmuckketten aus durchbohrten und teilweise verzierten Flußkieseln, die für Aufsehen in der Fachwelt sorgten. Für die von Prof. Dr. Georg Wolff geleiteten Ausgrabungskampagnen interessierten sich damals viele angesehene Prähistoriker, und auch Vertreter des öffentlichen Lebens aus dem Landkreis Hanau ließen sich auf dem "Tannenkopf" blicken. Gutsbesitzer Philipp Jung stellte damals seine Äcker für die Ausgrabungen kostenlos zur Verfügung. Für dieses großzügige Entgegenkommen schenkte ihm Georg Wolff die aus Grab II geborgene erste Steinkette.

Sein damals zwölfjähriger Sohn Theodor wurde von seinem Vater angewiesen, die 1907 durchgeführten Ausgrabungen vor Ort aufmerksam zu verfolgen. Nach dem Tod von Philipp Jung führte sein Sohn zunächst den Betrieb weiter. Er verpachtete ihn dann und wanderte 1925 in die USA aus. In hohem Alter schrieb Theodor Jung seine Eindrücke von den aufregenden Ausgrabungswochen nieder. Die Aufzeichnungen befinden sich im Besitz seiner Nichte Rita Janka (Hanau), die sie dem Geschichtsverein Windecken kürzlich durch Vermittlung von Erwin Toussaint (Butterstadt) zur Auswertung überließ. Die Steinkette aus Grab II schwamm 1925 mit über den großen Teich und in Amerika ist sie verschollen. Es existiert aber ein Foto.

Die Schilderung von Theodor Jung ist der einzige Augenzeugenbericht eines Laien über die damaligen Ausgrabungen auf dem "Tannenkopf" und sie gibt Einzelheiten wieder, die in der Bewertung der gegen Georg Bausch von Gudrun Loewe erhobenen Fälschervorwürfe von  Bedeutung sind. Von einigen redaktionellen Änderungen abgesehen wird der handgeschriebene Bericht nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben:



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Der Gutshof von Philipp Jung vor dem Ersten Weltkrieg Repro: Rolf Hohmann
"Im Jahr 1906 war ich 12 Jahre alt und ich erinnere mich noch gut an den nassen Sommer und Herbst. Zu damaliger Zeit gab es noch keine Erntemaschinen und es wurde alles mit der Hand geschnitten. Meine Eltern hatten Saisonarbeiter und die Schnitter, wie man diese Leute nannte, konnten oft tagelang nicht im Feld arbeiten, denn es war zu nass für die Ernte. Das Getreide stand lange im Feld und es mußte doch trocken sein, um es in die Scheune zu fahren. An Maria Himmelfahrt waren viele Butterstädter zur Wallfahrt in Sternbach. Ich war auch mit und da sah ich, dass auf dem Feld des Wickstädter Hofs all der Hafer und viel Getreide noch auf dem Halm standen. Selbst auf dem Halm war der Hafer bereits ausgewachsen. Sogar an Allerheiligen war es noch sehr nass im Feld. Auf den nassen Äckern am Ostheimer Weg hatte mein Vater Dickwurz, und um diese zu den Mieten zu bringen, wurden an jedem Wagen 4 Pferde gebraucht. Auch durfte der Wagen nicht zu schwer beladen werden, denn sonst gingen die Räder zu tief in die Erde. Obwohl die Dickwurz- und Kartoffelernte gut geraten war, wurden viele Kartoffeln und auch Dickwurz faul. Sie hielten sich nicht so gut, wie in normalen Jahren. Für die neue Aussaat mußte neues Saatgut gekauft werden und auch neue Steckkartoffeln. Daher blieben auch viele Stoppelfelder liegen und wurden nicht wie normal sofort nach der Ernte geackert. Auch nicht zu vergessen, dass es auch noch keine Dreschmaschinen gab und alle Frucht musste noch mit dem Dreschflegel mit der Hand gedroschen werden.

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Die erste aus einem "Wetterauer Brandgrab" geborgene Steinkette erhielt der Gutsbesitzer Jung von Professor Wolff als Geschenk. Sie ist in Amerika verschollen. Repro: Rolf Hohmann
Um nun die Felder zu pflügen, die noch ungepflügt lagen, ließ mein Vater etwa 80 Morgen mit dem Dampfpflug tief ackern. Es war Neujahr 1907. Der Dampfpflug-Besitzer pflügte auch auf dem Baiersröder Hof sowie auf dem Rüdigheimer Hof. Im März lief ein Herr Bausch, er arbeitete für den Hanauer Geschichts-Verein, über die mit dem Dampfpflug geackerten Felder und fand ein paar dunkle Stellen, er suchte, ob er Dinge aus der Römer-Zeit finden könnte. In Marköbel war in der Römer-Zeit ein Kastell und im "Bösen Feld" ein Wachtposten der Römer oder Vorposten. Er fand Teile von bronzenen Armreifen. An dem Tag, an dem Herr Bausch über das Feld ging, war ich auch auf den langen Äckern. Ich wollte die Grenzsteine freilegen, es war ein schöner heller Tag, das Feld war am Abtrocknen, es war Anfang März. Herr Bausch zeigte mir, wie die frühere Hohe Straße durch die Röder Hohl lief. Er zeigte mir die Richtungen der früheren Straße, die über die Langen Äcker von Marköbel in Richtung Ostheim, Heldenbergen lief. Man konnte sehen, daß in den gepflügten Äckern das Feld trocken war. Er sagte mir, daß durch die frühere Hohe Straße der Untergrund härter sei und dadurch nicht so viel Wasser aufsauge, so daß man heute noch sehen könnte, wie die frühere Hohe Straße von Mainz über die Wetterau nach Fulda lief. Dabei fand Herr Bausch ein paar dunkle Stellen im Feld der langen Äcker. Er fragte mich: "Hat dein Vater eine eingegangene Kuh oder Pferd hier begraben?" Ich gab ihm die Antwort, daß ich das nicht wisse. Herr Bausch ging zu meinem Vater und fragte, was das sein könnte. Auch mein Vater konnte keine Antwort geben. So erbat Herr Bausch um Erlaubnis, dorten graben zu dürfen.

Der Fürst von Ysenburg-Büdingen kam für die Unkosten der Ausgrabungen auf. Prof. Wolff von der Universität Marburg und Prof. Verworn von der Universität Göttingen leiteten die Ausgrabungen. So viel ich mich erinnere, wurde 2 oder 3 Tage in der Woche daran gearbeitet und mein Vater sandte mich jeden Tag, an dem daran gearbeitet wurde, zu der Stelle und sagte: "Höre, was gesprochen wird, du wirst dabei viel lernen und es wird dir in Erinnerung bleiben." Die Arbeit verlief sehr langsam. Erst wurde die Erde bis zur Pflugsohle abgehoben, dann nur mit dem Löffel sehr vorsichtig die Erde abgehoben. So kam die erste Brandkette zu Tag. Es wurde festgestellt, daß dieses Brandgräber aus der jüngeren Steinzeit waren (Bandkeramik). Jeden Abend wurden die Stellen mit Decken abgedeckt bis zum nächsten Arbeitstag. Viele Herren waren dorten, um es zu besichtigen. Eine Liste werde ich aufstellen, ein Teil aus der Erinnerung und einen Teil laut Bericht von Prof. Wolff.

Als Zeugen waren zur Besichtigung an den Fundstellen:
General-Direktor Braun Hanau
Prof. Schaub
Hanau
Baurat Thyriot
Hanau
Stadtschulinspektor Hahn
Hanau
Graf von Ysenburg
Büdingen
Hauptmann von Buttlar
Hanau
Ferdinand Schwarz
Bernhartd Schwarz
Gustav Schwarz
Domänenpächter
Baiersröder Hof
Gutsbesitzer Jung
Butterstadt
Sanitätsrat Koehl
Hanau
Dr. Steiner
Hanau
Dr. Kropatschek Frankfurt M.
Prof. Wolff
Marburg
Prof. Verworn
Göttingen
Prof. Heiderich
Frankfurt
Bürgermeister Stroh
Marköbel
Bürgermeister Kimmel
Nieder-Issigheim

Sogar ein Prof. Dragendorff aus Rom war dorten, er hatte in Frankfurt davon gehört, sowie, laut Bericht von Prof. Wolff, Landrat Freiherr von Laur Hanau/M.

Es wurden mehrere Steinketten gefunden, sowie eine Wohngrube. Der Boden ist dorten feiner Lehm, gelblich. Es wurde festgestellt, daß die Leichen auf einen Kieferholzhaufen gelegt und verbrannt wurden. Da der Boden sehr fein ist, ohne jede Steine, war es möglich, daß die Gräber erhalten blieben. Alle Ketten sind in verschiedenen Museen, nur 2 davon sind in Privat-Händen. Eine wurde dem Fürst von Ysenburg-Büdingen gegeben, der die Ausgrabungen und Unkosten bezahlte, und eine wurde meinem Vater gegeben, weil er das Feld zur Ausgrabung frei gab. Auch dies ist im Buch von Hanau beschrieben (Katalog West- und Südwestdeutscher Altertumssammlung in V. Hanau von Dr. Ferdinand Kutsch. Zweiter Teil der sechzehn Beilagen. Joseph Baer & Co. Frankfurt M. 1926).

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Verzierter Anhänger einer Kiesesteinkette aus einem Brandgrab in der Butterstädter Gemarkung "Tannenkopf". Repro: Rolf Hohmann
In der Praehistorischen Zeitschrift III. Band 1911 Verlag der Praehistorischen Zeitschrift Leipzig ist eine Abhandlung von Prof. G. Wolff über die Brandgräber in der Umgebung von Hanau mit Tafel 1-14 sowie über Forschungen von anderen Professoren wie neolithische Brandgräber, die nach Göttingen gekommen sind. Auf Tafel 3 ist ein Bild der Kette von Grab II. Nach Ansicht der Herren, die die Ausgrabung leiteten, waren die Löcher - die etwa einen m/m groß sind - , mit einem Seilerbohrer gemacht worden. Die Steinchen sind dunkelgrauer oder schwärzlicher Farbe. Auf Seite 27 des Katalogs West- und Süddeutscher Altertumssammlung von Dr. Ferdinand Kutsch steht, daß die Kette Grab II dem Landwirt Jung in Butterstadt übergeben wurde. In dem Grab waren außer der Kette kleine Knochenteile, die an der Universität Marburg als Rehknochen festgestellt wurden, sowie zwei kleine Feuersteinsplitter. In diesem Buch ist die Abbildung einer Kette, die in einem der Museen ist wie die Kette in Original im Boden gefunden wurde und noch auf der Original Erde liegt. Diese wurde ausgehoben an der Fundstelle.

Nicht nur auf den langen Äckern, sondern auch auf dem "bösen Feld", Acker Toussaint, wurde eine Wohngrube gefunden, sowie eine Spielzeug-Wiege aus Ton, schwarz und rotbemalt. Am Kirschberg wurden Scherben gefunden und am Tannenkopf. In Butterstadt, am Tannenberg oder Tannenkopf, ist eine Stelle, die schon vor dem I. Weltkrieg als die Stelle bezeichnet wurde, an der man bei klarem Wetter die beste Aussicht hatte, die im Kreis Hanau-Land liegt. Die Funde der Steinketten, das waren Einzelsiedlungen aus der jüngeren Steinzeit. Ich nehme an, daß in der damaligen Zeit nur Einzelsiedlungen bestanden haben, denn es wurden nur einzelne Wohnstellen gefunden."



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