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Der Fall Bausch 6
Es bleiben viele Fragen offen
Von Rolf Hohmann

Das intensive Sichten der inzwischen sechs breite Aktenordner umfassenden Kopien aus der Fach- und Populärliteratur zum Thema "Bandkeramische Kultur in Mitteleuropa", insbesondere der Bestattungssitten, sowie die Recheren im Internet nehmen viel Zeit in Anspruch. Es tauchen immer wieder Fakten auf, die den "Fälscherkrimi" um den Windecker Brunnenbauer Georg Bausch in neuem Licht erscheinen lassen. Ich werde mich auf Wunsch der Bausch-Nachkommen weiter darum bemühen, die interessierte Öffentlichkeit auf unserer Homepage über die Resultate meiner Nachforschungen allgemeinverständlich zu informieren.

An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, daß ich meine Beiträge zum "Fall Bausch" als Laie verfasse und diese deshalb keinen Anspruch auf irgendwie geartete "wissenschaftliche Abhandlungen" erheben. Ich verfüge jedoch über einen gesunden Menschenverstand und befasse mich seit 1969 intensiv mit der Prähistorie unseres Heimatkreises.

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Völlig ungeklärt ist die Frage, wie diese Ritzverzierungen auf den Kieselsteinen hergestellt wurden. Normale Metallwerkzeuge können keinesfalls verwendet worden sein.
Repro: Rolf Hohmann
Es sollte außerdem nochmals daran erinnert werden, daß Gudrun Loewe bei Beantwortung der Frage, ob die "Wetterauer Brandgräber" als solche echt oder gefälscht waren, ausschließlich auf die Veröffentlichungen der damals handelnden Personen als Zeitzeugen angewiesen war. Diese Feststellung gilt in gleichem Maße natürlich auch für meine Nachforschungen. Es handelt sich im "Fall Bausch", soweit es die Originalität der Brandgräber betrifft, also um einen reinen "Indizienprozeß", in dem verschiedene Interpretionsmöglichkeiten möglich sind. Ich glaube allerdings als "Verteidiger" gegenüber der "Chefanklägerin" Gudrun Loewe im Vorteil zu sein, denn bei mir ist die bei Fachleuten oft zu beobachtende "Betriebsblindheit" nicht zu befürchten. Außerdem vertieft sich immer mehr der Eindruck, daß Gudrun Loewe in ihrem Drang, den biederen Brunnenbauer Georg Bausch "auf Biegen und Brechen" als Fälscher mit erstaunlichen Fähigkeiten zu entlarven, in ihrer Beweisführung oft den Pfad der wissenschaftlichen Tugend verlassen hat. Beispiele dafür habe ich bereits früher angeführt.

Als die bis zu diesem Zeitpunkt in der bandkeramischen Kultur Mitteleuropas nur ganz vereinzelt aufgefundenen Brandgräber vor dem Ersten Weltkrieg an der Hohen Straße im nördlichen Hanauer Kreisgebiet gleich zu Dutzenden auf engem Raum entdeckt wurden, glich dies einer wissenschaftlichen Sensation. Darüberhinaus entfachten die mit feinen Bohrungen versehenen Artefakte in Form von Ketten aus Kieselsteinen und Schieferplättchen, aber auch Anhängern aus Tonscherben, Knochen und Tierzähnen, rege Diskussionen unter den etablierten Prähistorikern. Solche "Kunstwerke" von außerordentlicher Vielfalt und solider Fertigungstechnik waren aus den Gräbern des von neolithischen Bauern besiedelten Lößbodens Mitteleuropas noch nie geborgen worden.

An dieser Stelle sei Müller-Karpe zitiert, der Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ebenfalls Bohrversuche an Kieselsteinen durchführte, und bemerkte: "Der gleichen Art der Durchbohrung begegnet man schliesslich auch bei Hunde- oder Schweinezähnen, die nicht nur in den Wetterauer Brandgräbern, sondern zahlreich auch sonstwo in steinzeitlichem Zusammenhang gefunden werden und ebenfalls als Anhänger zu Halsketten getragen wurden. Rein theoretisch gesehen steht eigentlich nichts im Wege anzunehmen, dass die Wetterauer Bandkeramik-Leute als Halsschmuck flache durchbohrte Flußkiesel verwendeten, zumal es die Leute in den westalpinen Pfahlbauten ebenso taten, wie beispielsweise ein Anhänger vom Bielersee beweist." Am Ausheben der "Wetterauer Brandgräber" beteiligten sich viele anerkannte Vor- und Frühgeschichtsforscher, die darüber in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen berichteten. Keiner von ihnen äußerte irgendeinen ernsthaften Zweifel an der Originalität der Gräber und den außergewöhnlichen Beigaben. Es herrschte unter den Prähistorikern jahrzehntelang Konsens in der Auffassung, daß es sich hier um eine räumlich eng begrenzte "Wetterauer Sondergruppe" innerhalb des bandkeramischen Kulturkreises handelte. Solche "Kulturinseln" waren damals durchaus bekannt. Erste vorsichtige Zweifel an der Echtheit der Steinketten, nicht an den Brandgräbern "als solche", kamen vereinzelt Mitte der 30er Jahre auf.

Wie kamen nun die durchgehend 1 mm-Löcher in die zahlreichen, aus den rund 100 Wetterauer Brandgräbern, geborgenen Artefakte? Gudrun Loewe hat sich die Antwort auf diese eminent wichtige Frage in diesem "Fälscherkrimi" aufgrund des in meinen Augen "dubiosen" Gutachtens der Materialprüfungsanstalt Darmstadt vom 2. November 1954 leicht gemacht. Ich meine, angesichts der Schwere des von ihr erhobenen Fälschervorwurfs, allzuleicht! Sollte es sich bei den durchbohrten Artefakten tatsächlich um neuzeitliche Fälschungen handeln - was ich nach dem jetzigen Stand meiner Nachforschungen a priori nicht ausschließen kann -, so könnten diese unmöglich von einer Person allein ausgeführt worden sein. Dies aber hat Gudrun Loewe behauptet und ich zitiere aus ihrem Germania-Beitrag : "Die in diesem Bericht vorgetragenen Bedenken haben mich zu der Überzeugung gebracht, daß die "Wetterauer Brandgräber" nebst ihren Beigaben von Bauschs Hand herrührten." Durch meine Untersuchungen der 32 Steinketten, die 1907/08 aus Brandgräbern auf dem "Tannenkopf" bei Butterstadt geborgen wurden, habe ich diese "Einmann-Fälschertheorie" wohl überzeugend ad absurdum geführt. Nachzulesen in unserem im Juli 2003 veröffentlichten Beitrag "Der Fall Bausch IV - Hatte Georg Bausch Heinzelmännchen unter Vertrag?", in dem meine aufwendigen Bohrversuche detailliert geschildert sind.

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Auf Äckern der Büdesheimer Gemarkung "Am Fuchsrain" wurden diese durchbohrten Anhänger aus Schiefer und Tierzähnen gefunden.
Repro: Rolf Hohmann
Alle Zweifler sind aufgefordert, meine Ergebnisse durch eigene Versuche zu widerlegen. Ich stelle gerne meine Unterlagen zur Verfügung. In erwähntem Beitrag habe ich dargelegt, daß die Bearbeitung der harten Kieselsteine mit einem leicht zerbrechlichen 1 mm-Stahlbohrer sehr problematisch ist. Wesentlich leichter lassen sich die Löcher und vor allem die zahlreichen "Napfverzierungen" mit weitaus stabileren 2 oder 3 mm-Bohrern herstellen. Warum sollte der "Fälscher" Georg Bausch ausgerechnet den schwierigsten Weg gewählt haben? Da es keine "Vorbilder" gab, hätte Bausch den "studierten Prähistorikern" ohne Argwohn zu wecken, auch wesentlich leichter herzustellende 3-mm Bohrlöcher "unterjubeln" können. Es bleibt weiter unerklärlich, weshalb Bausch ausgerechnet so kleinformatige Kieselsteine für "seine" Ketten ausgewählt haben sollte, die an den Verschlußseiten durchschnittlich nur 13x11x3 mm messen. Aufgrund meiner Bohrversuche weiß ich weiter wie schwierig es ist, in diese "Winzlinge" von beiden Seiten her 1 mm-Löcher so zu bohren, daß ihre "Seelenachsen" möglich exakt aufeinander stoßen. Kieselsteine mit größeren Abmessungen wären wesentlich leichter zu bearbeiten gewesen und keine irgendwie geartetete "Vorgabe" hätten den "Meisterfälscher" daran gehindert, solche Steine auszuwählen. Warum hat er es nicht getan? Diesen Fragen hat sich Gudrun Loewe nie gestellt; und auch nicht die etablierten archäologischen Wissenschaftler, die in ihren Veröffentlichungen die Fälschervorwürfe ihrer Kollegin ungeprüft übernahmen.

Es ist eine Sache, in einen Kieselstein aus dem Rhein-Main-Gebiet mit einem Stahlbohrer aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts, wenn auch unter relativ großem Zeitaufwand, 1 mm-Löcher zu bohren. Nun weisen aber drei der im Historischen Museum Hanau aufbewahrten Steinketten auch tief eingekerbte "Strichverzierungen" auf. Gudrun Loewe setzt als selbstverständlich voraus, daß der "Fälscher" Bausch diese ebenfalls mit einem Stahlbohrer herstellte. Obwohl ich über einiges handwerkliches Geschick verfüge, ist mir dies auch nicht ansatzweise gelungen. Auch durch Verwendung von Metallfeilen und- Sägen konnten keine entsprechenden Verzierungen hergestellt werden. Alle konsultierten Fachleute aus der metallbearbeitenden Branche, denen ich entsprechende Beschreibungen und Fotos zur Verfügung stellte, hielten die Herstellung dieser Verzierungen auf Kieselsteinen mittels der vor dem Ersten Weltkrieg handelsüblichen Metallwerkzeuge für ausgeschlossen. Solche tief eingekerbten Rillen könnten bei den harten Kieselsteinen nur unter Anwendung von Diamantwerkzeugen entstehen. Dazu später mehr.

Die Frage: "Wie kamen die Löcher in die Kieselsteine?" hat natürlich auch die Prähistoriker der "Entdeckerzeit" beschäftigt und in ihrem Gefolge die Populär-Literaten. Gudrun Loewe schreibt auf Seite 426 ihrer bereits oft erwähnten Abhandlung: "Ungeahnte technische Fähigkeiten der Steinzeitmenschen schienen sich in den feinen Durchbohrungen und Verzierungen anzudeuten. Wolff setzt ohne Bedenken voraus, daß die oft weniger als 1 mm feinen und bis zu 5 mm langen zylindrischen, anscheinend meist von beiden Seiten her geführten Bohrungen mit dem Silexbohrer ausgeführt worden seien." Gudrun Loewe spricht hier definitiv von "zylindrischen" Bohrungen, was aber dem von ihr im Wortlaut veröffentlichten Gutachten der Materialprüfungsanstalt Darmstadt widerspricht. Darüber ist ausführlich in einem vorangegangenen Beitrag berichtet worden.

Prof. Wolff widmet der "Bohrerfrage" in seiner Abhandlung "Neolithische Brandgräber in der Umgebung von Hanau" lediglich zwei Sätze: "Diese Durchbohrungen sind, wie sich an Exemplaren, welche an diesen wenig widerstandsfähigen Stellen zersprungen waren, erkennen liess, von beiden Seiten ausgeführt, da sie von einem engeren Teil in der Mitte sich nach beiden Aussenseiten ein wenig verbreiterten. Ihre Herstellung durch Silexbohrer bedeutet, wenn man die Härte des Materials und die geringe Grösse vieler Steinchen, sowie den dadurch bedingten geringen Durchmesser der Löcher bedenkt, - er beträgt in manchen Fällen noch keinen Millimeter - eine anerkennungswerte Leistung".

Zitiert werden soll Adolf Rieth aus seinem Buch "Vorzeit gefälscht", in dem der Autor bezüglich der Wetterauer Brandgräber im Kapitel "Gefälschte Jungsteinzeit" hahnebüchenen Unsinn verzapft: "Die genauere Untersuchung an den Bohrungen der Kiesel ergab, daß die Bohrkanäle bei einem erstaunlich engen Durchmesser von kaum einem Millimeter durchgehend zylindrisch waren, während man eigentlich hätte erwarten können, daß sie sich von beiden Öffnungen her leicht konisch verengt hätten. Silexbohrer, mit denen man so feine Kanäle hätte bohren können, gab es nicht. Diese Löcher mußten vielmehr mit einem Stahlbohrer, wie ihn die Zahnärzte verwenden, hergestellt worden sein. (Für seine Anhänger hatte Bausch gelegentlich auch Schiefer von Schultafeln verwendet)."

Es sei hier zum wiederholten Mal angemerkt, daß sich Gudrun Loewe in der "Löcherfrage" auf das in meinen Augen dubiose Gutachten der Materialprüfungsanstalt Darmstadt vom 2. 11. 1954 bezieht - von einer "genaueren Untersuchung kann überhaupt keine Rede sein -, das in früheren Beiträgen bereits zitiert wird. Dort ist aber nur von einem (!) Kiesel die Rede, bei dem die Bohrung "zylindrisch durchgehend" ist, während alle anderen an den Enden konisch erweitert sind. Von "durchgehend zylindrisch" kann also gar keine Rede sein. Die Behauptung Rieths, daß Bausch die Löcher in den Kieselsteinen mit Bohrern hergestellt habe, "wie ihn die Zahnärzte verwenden", ist eine freie Erfindung des Autors. Nirgendwo in der einschlägigen Literatur ist davon die Rede. Und doch haben diese Behauptung andere ohne jede Nachprüfung übernommen.

Wir sind aber auch dieser Spur nachgegangen. Nachzulesen im Beitrag "Die "Zahnarztbohrer-Theorie" dürfte widerlegt sein" (März 2003). Schließlich behauptet Adolf Rieth auch noch: "Für seine Anhänger hat Bausch gelegentlich auch Schiefer von Schultafeln verwendet." Hier unterstellt Adolf Rieth dem Windecker Brunnenbauer mit einer Leichtigkeit sondersgleichen, daß er zur Herstellung von Schieferanhänger "zeitgenössische" Schultafeln verwendete. Und diese Dreistigkeit sollten die damaligen studierten Vor- und Frühgeschichtler nicht bemerkt haben? Dann wären sie tatsächlich "Deppen" gewesen und man hätte die von ihnen unterrichteten Studenten bedauern können. Daß in einem oft zitierten Buch ein solcher Unsinn "verzapft" werden konnte, ist letztlich dem früher bereits beschriebenen besonderen "Zitaten-Auswahlsystem" von Gudrun Loewe zuzuschreiben. Sie bemerkt auf Seite 427 ihrer Abhandlung: "Die Beobachtung, daß zwei Kilianstädter und ein Büdesheimer Anhänger "aus dem platten blauschwarzen Schiefer unserer Kinderschreibtafeln" bestehen, hat Wolff keineswegs beunruhigt." Obwohl hier wieder ein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen wurde und sich Prof. Wolff etwas mißverständlich ausgedrückt hat, ist doch klar zu erkennen, daß die Anhänger nicht aus einer Schul-Schiefertafel gefertigt wurden, sondern aus dem gleichen Material, das zur Herstellung derselben Verwendung fand.

Auch hier soll das Original-Zitat aus der Wolff-Abhandlung "Neolithische Brandgräber in der Umgebung von Hanau" wiedergegeben werden, veröffentlicht in der "Praehistorischen Zeitschrift" III. Band 1911: "Diese Übereinstimmung bezog sich auch auf das Material, und zwar in gleicher Weise im Kilianstädter Walde wie auf dem Büdesheimer Felde. Dort bestanden zwei Anhänger, hier einer aus dem platten blauschwarzen Schiefer unserer Kinderschreibtafeln, alle anderen aus einem weichen, silberglimmerhaltigen, rauhbrüchigen und im Zustande halber Verwitterung leicht zerbröckelnden Schiefer von grauer Farbe, der im Bundsandstein des Niddertales verkommt und, wie nachgewiesen werden konnte, bei dem benachbarten Heldenbergen am Abhange zwischen der Nidder und dem römischen Erdlager zutage tritt." Was mag Georg Bausch veranlasst haben, nur drei Anhänger aus "Schultafel-Schiefer" zu fälschen? Einen einleuchtenden Grund dafür mag ich nicht zu erkennen. Gudrun Loewe schreibt weiter: "Wir müssen heute aber fragen: Wo konnten die Steinzeitler in der Wetterau solchen Schiefer finden? Oder wann mag das Material für die drei Stücke ins Land gelangt und hier verarbeitet worden sein?"

Diese Frage einer "gelernten" Archäologin ist schon etwas kurios. Bei allen Ausgrabungen bandkeramischer Siedlungsplätze in der Wetterau werden "massenweise" Werkzeuge aus Feuerstein geborgen, den es hier nicht gibt. Die nächsten Flintvorkommen befinden sich bei Krefeld und Duisburg. Die Frage: Wie kommt Feuerstein in die Wetterau, stellt sich nicht. Man weiß, daß bereits in der Jungsteinzeit ein reger Handel stattfand. Warum sollten also leicht zu bearbeitende Schieferplatten nicht auch als Handelsgut aus den relativ nahegelegenen rheinischen Lagerstätten in die Wetterau gekommen sein? Gudrun Loewe setzt sich aber auch hier dem Verdacht aus, durch ihre Zitatauswahl und subjektive Fragen ein weiteres Verdachtsmoment gegen Georg Bausch zu konstruieren. Die Frage, ob die Wetterauer Brandgräber "als solche echt sind oder von Georg Bausch "durch die Bank" gefälscht wurden, wird in jüngster Zeit immer mehr zugunsten der Echtheits-Befürworter beantwortet.

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Diese zum Teil durchbohrten Artefakte wurden aus bandkeramischen Fundstellen im Kilianstädter Wald geborgen. Repro: Rolf Hohmann
Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß die über 40 in Elsloo in den 60er Jahren ausgegrabenen bandkeramischen Brandgräber von der Anlage und den "normalen" Beigaben her gesehen, denen ein halbes Jahrhundert zuvor an der Hohen Straße im Landkreis Hanau entdeckten auffallend gleichen. Darüber wird noch ausführlich zu berichten sein. Diese Fundumstände haben Edith Hoffmann in ihrer 1973 veröffentlichten Abhandlung "Zur Problematik der bandkeramischen Brandbestattungen in Mitteleuropa" zu der Frage veranlasst, "ob wirklich alle in der Wetterau gefundenen Brandgräber - was den Leichenbrand anbetrifft - Fälschungen sind." Sie schränkt aber ein: "Um nicht mißverstanden zu werden: Die "Wetterauer Brandgräber" als Sondergruppe mit den für sie spezifischen Beigaben wurden von G. Loewe gewiß zu Recht als Fälschungen entlarvt." Die Autorin geht aber nicht so weit, Georg Bausch als alleinigen Fälscher der Gräber und deren Beigaben zu bezeichnen. Ich glaube zum jetzigen Zeitpunkt bereits genügend Beweise dafür gefunden zu haben, daß diese Loewe-Behauptung nicht länger aufrecht erhalten werden kann. Edith Zimmermann schreibt weiter: "Erwogen sollte lediglich - was heute leider nicht mehr nachzuprüfen und deshalb im Grunde rein spekulativ ist -, ob sich unter den etwa 100 nicht doch einige "echte" bandkeramische Leichenbrände befinden, die dann in Ermangelung repräsentativer Ausstattungen durch Mithilfe von G. Wolffs Mitarbeiter G. Bausch erst ins rechte Licht gesetzt wurden."

Es darf also über die Echtheit der Wetterauer Brandgräber "spekuliert" werden. Während Gudrun Loewe aufgrund ihrer Literatur-Recherchen zu der "Überzeugung" gelangt ist, daß alle Gräber von Georg Bausch gefälscht wurden, behaupte ich nach dem Studium der gleichen Unterlagen und den Erkenntnissen von Ausgrabungen nach 1958, daß sie echt waren. Die Antwort auf die Frage nach der Originalität der Kieselsteinketten bleibt - wie bereits mehrfach betont - vorerst ausgeklammert.

Gudrun Loewe zählt am Schluß ihres Germania-Beitrags "Zur Frage der Echtheit der jungsteinzeitlichen "Wetterauer Brandgräber" ihre "Hauptargumente" auf, die den Ausschlag für ihren Fälschervorwurf gegen Georg Bausch gaben. Unter 2 heißt es: "Die Auffindung ist persönlich und zeitlich gebunden, mithin kann der Verbreitung keinerlei Wert beigemessen werden." Sie bezieht sich dabei auf die Tatsache, daß Georg Bausch die meisten (nicht alle!) Wetterauer Brandgräber entdeckt hatte und nach seiner Pensionierung als Vorarbeiter des Historischen Museums Frankfurt am Main keine weiteren mehr aufgefunden wurden. Was Gudrun Loewe als weiterer Beweis für ihre "Fälschertheorie" diente, ist keiner, denn seit 1920 fanden in "Wolff's Revier" an der Hohen Straße zwischen Windecken und Marköbel keine Ausgrabungen bandkeramischer Siedlungsreste mehr statt.

Ergo: Wo nicht gegraben wird, kann auch nichts gefunden werden! Nach Gudrun Loewe (S. 432) wurden zwischen 1907 und 1910 im nördlichen Hanauer Kreisgebiet 70 der etwa 100 neolithischen Brandgräber ausgehoben. Ihre Entdeckung war der Tatsache zu verdanken, daß auf einem großflächigen Acker des Gutsbesitzers Philipp Jung aus Butterstadt auf dem "Tannenkopf" Anfang des Jahres 1907 beim erstmaligen Einsatz eines Dampffluges neolithische Kulturschichten angeschnitten wurden. Darüber berichtet Professor F. K. Heiderich, der drei Brandgräber freilegen durfte, in einem Vortrag vor dem Anthropologischen Verein Göttingen: "Die Wohnstellen waren an der Erdoberfläche als große dunkle Fläche zu erkennen. Als ich am ersten Morgen über die Felder ging, war ich erstaunt, wie stark an Wohnstellen besetzt jene Gegend war." Später einigten sich die Wissenschaftler darauf, die Wohnstellen als Abfallgruben zu bezeichnen.

Prof. Georg Wolff hat die zwischen 1907 und 1910 im nördlichen Hanauer Kreisgebiet unter seiner Aufsicht durchgeführten Ausgrabungen in seinem erwähnten Beitrag "Neolithische Brandgräber in der Umgebung von Hanau" ausführlich beschrieben. Auf Seite 10 erwähnt er: "Ein außergewöhnlich grosser Prozentsatz der Gräber ist an Feldwegen aufgedeckt, weil dort am leichtesten Erlaubnis zum Graben zu erhalten war." Er fährt dann fort: "Es ist kein Zweifel, dass auf den durch diese Gewannwege, die sämtlich neueren Ursprungs sind, begrenzten Äckern noch viele Hunderte von Gräbern liegen, und dass solche auch in den übrigen Gemarkungen an der hohen Strasse und höchstwahrscheinlich in den übrigen Teilen der Wetterau, wo gleiche Bodenverhältnisse betehen und dieselbe neolithische Kultur nachgewiesen ist, sich bei zielbewusstem Suchen finden werden."

Müller-Karpe hat am Schluss seines Beitrags "Zur Originalitätsfrage der Wetterauer Brandgräber" (1944) bemerkt: "Ein endgültiges unangreifbares Urteil, ob restlos echt oder völlig geschwindelt, ist nach alledem nicht möglich. Entscheiden wird hier, wie so oft in prähistorischen Fragen, einzig der Spaten, wenn er wieder einmal auf den südlichen Lösshöhen der Wetterau angesetzt wird".

Der seit zwei Jahren im "Fall Bausch" aktive Geschichtsverein Windecken 2000 sitzt in den Startlöchern, um nach gezielten Feldbegehungen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß auf dem "Tannenkopf" von Fachleuten der Spaten angesetzt wird, um eventuell Licht in die "Fälscheraffäre" um die Wetterauer Brandgräber zu bringen. Leider ist das Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden seit einem Jahr außer Stande, die für eine gezielte Suche nach Siedlungsspuren an der Hohen Straße dringend benötigten archäologischen Luftaufnahmen zur Verfügung zu stellen.

Der Geschichtsverein Windecken sieht in diesem Unvermögen ein Armutszeugnis und will sich nun nicht länger hinhalten lassen. Es könne nicht angehen, so Vorsitzender Rolf Hohmann, daß auf der einen Seite immer wieder ehrenamtliches Engagement gefordert, auf der anderen aber gerade dieses durch bürokratische Hemmnisse konterkariert werde. 

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