Weitverbreitet ist in der Bevölkerung die Auffassung, daß es
sich bei der Ahnenforschung (Genealogie) um eine "staubtrockene Angelegenheit"
handelt, die hauptsächlich darin besteht, in Archiven mühselig
alte Dokumente zu entziffern, sowie einen zähen Schriftverkehr mit
Behörden, Bibliotheken, Organisationen usw. zu führen.
Sicher sind immer noch Geduld und Durchhaltevermögen die wichtigsten
Tugenden für einen Familienforscher. Aber es ist schon frustierend,
wenn ein Genealoge viele Monate Zeit geopfert hat, sich auf dem richtigen
Weg zum angestrebten Ziel wähnt, um dann enttäuscht festzustellen,
daß dieser in einer Sackgasse endet.
Doch in jüngster Zeit ist durch das sich immer schneller verbreitende
Internet auch auf diesem Forschungsgebiet ein kaum vorhersehbarer Wandel
eingetreten. Die Websites, die sich mit Genealogie beschäftigen, potenzieren
sich innerhalb eines Jahres nahezu. Benötigte man früher viele
Monate und mitunter Jahre, um einer beispielsweise im 18. oder 19. Jahrhundert
nach Amerika ausgewanderten und dort "verschollenen" Familie auf die Spur
zu kommen, so kann heute ein geübter Surfer in einer der immer vollkommener
werdenden Suchmaschinen einige relevante Links anklicken, um "im Handumdrehen"
vielversprechende Quellen aufzuspüren.
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Im April 2001: Eine enttäuschte Margareta T.-Lind vor dem mit
Lindt-Erzeugnissen gefüllten Schaufenster eines Moskauer Cafes
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Die Schar der "Hobby-Genealogen" wächst infolge der ungeahnten
Möglichkeiten der Internetnutzung ziemlich rasant. Der Geschichtsverein
Windecken 2000 bearbeitet zur Zeit fünf Anfragen aus dem gesamten
Bundesgebiet und eine aus den USA. Bisher konnte einer Fragestellerin nach
intensiver Sichtung der in großer Zahl erhalten gebliebenen Archivalien
der alten Grafenstadt Windecken eine positive Antwort erteilt werden. Aufmerksam
gemacht auf diese Möglichkeit wurden die Hobbyforscher durch die inzwischen
etwa 400 Textseiten und ca. 900 Bilder umfassende Homepage des im August
2000 gegründeten Vereins, die zur Zeit monatlich zwischen 1300 und
1600 Besucher registriert, darunter viele aus Übersee.
Neben der Glockengießer-Familie Bach forscht Vorsitzender Rolf
Hohmann mit Unterstützung seines Sohnes Bernd weiterhin nach den "Roots"
der Familie Lindt, die er als "Lindens" erstmals in der Windecker Stadtrechnung
von 1498/99 aufspürte.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts siedelte der Apotheker Johann Martin
Lindt in die Schweiz über und wurde Stammvater der dort heute noch
weitverzweigten Sippe.
Berühmtester Vertreter des Namens ist sein Nachkomme Rudolf (Rodolphe)
Lindt, der 1879 ein Verfahren zur Herstellung der ersten zartschmelzenden
Schokolade entwickelte und dadurch weltberühmt wurde.
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Im Juli 2001: Eine glückselige Margareta T.-Lindt im bekannten
Moskauer Cafe "Ochotnyj Rjad"
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Um diese Köstlichkeit entspann sich nach 120 Jahren ein "süsser
Krimi", bei dem eine geborene Lindt die Hauptrolle spielte. In der über
100 000 Einwohner zählenden und 1200 Kilometer ostwärts von Moskau
gelegenen Stadt Glasow (Udmurtische Republik) wohnt Margareta Toutolmina
(Jahrgang 1954). Die Berufsmusikerin (Klavier) ist eine geborene Lindt,
betreut im Kulturhaus Kinder und leitet den deutschen Chor, der immerhin
25 Mitglieder zählt. Die Familie mußte während der Stalin-Ära
vielfältige Repressalien erdulden und wurde 1941 zusammen mit allen
Rußlanddeutschen aus dem Wolgagebiet nach Kasachstan deportiert.
Die jüngsten politischen Umwälzungen in der Sowjetunion erlaubten
in der nunmehrigen russischen Föderation wieder das Forschen nach
deutschstämmigen Vorfahren, ohne Nachteile befürchten zu müssen.
Die mit einem Russen verheiratete Margareta Toutolmina-Lindt begann
unverzüglich die schwierige Suche nach ihren deutschen Ahnen, die
sie aufgrund verschiedener Hinweise in Mittelhessen vermutete. Bekannt
ist nur, daß ihr Großvater Johann-Peter Lindt 1886 in einem
nicht bekannten Ort des Zarenreichs geboren wurde. Anfragen an die Archive
in Saratow und Wolgograd (Stalingrad) blieben bisher ohne Erfolg.
Wohl rein intuitiv wandte sich Margareta T.-Lindt, wie sie ihren Familienamen
gerne abkürzt, an die schweizer Schokoladenfirma Lindt & Sprüngli,
die auch in Rußland einen hohen Bekanntheitsgrad besitzt. Diese verwies
sie an den pensionierten Pfarrer Thomas Lindt in Sigriswil, dem besten
Kenner der schweizer Lindt-Familien. Mit ihm korrespondiert Heimatforscher
Rolf Hohmann seit Beginn des neuen Jahrtausends und er profitierte von
den Nachforschungen, die in den 80er Jahren im Auftrag des "Lindt-Clans"
in Windecken und im Büdinger Raum durchgeführt wurden. Als er
Anfang dieses Jahres von seinem Briefpartner in der Schweiz Kenntnis von
den Bemühungen der Margareta T.-Lindt in Glasow um Aufhellung ihrer
Herkunft erhielt, setzte er sich unverzüglich mit ihr in Verbindung.
Innerhalb kürzester Zeit hat sich eine herzliche Brieffreundschaft
entwickelt und beide Parter erwarten mit Ungeduld jeweils die nächste
Nachricht, die aufgrund der langen Brief-Laufzeiten von rund drei Wochen
inzwischen per Luftpost befördert wird. Da Margareta T.-Lindt die
deutsche Schriftsprache fast perfekt beherrscht und ihre Kenntnisse laufend
verbessert, gibt es keinerlei Verständigungsschwierigkeiten.
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Product Manager Marina Kratasük berreichte den "Schokoladenkoffer"
mit besten Grüßen der Firma Lindt & Sprüngli aus der fernen Schweiz
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Anfang April wurde sie von ihren beiden in Moskau studierenden Söhnen
zu einem Besuch eingeladen und dieser war Auslöser des "süssen
Krimis", der Dank der Zusammenarbeit einer "Dreinationen Schoko-Soko" ein
fast rührendes Happyend fand. Die Söhne hatten für ihre
Mutter einen Theaterbesuch arrangiert, zeigten ihr die Sehenswürdigkeiten
der russischen Hauptstadt und führten sie schließlich als Überraschung
zu einer neben dem bekannten Hotel "Intourist" gelegenen kleinen Konditorei,
in deren Schaufenster der Name "Lindt" unübersehbar prangte.
In ihrem Brief vom 2. Mai berichtet Margareta T.-Lindt nach Windecken:
"Wir traten ein, aber leider wird die Lindt-Schokolade nicht verkauft.
Die Schokoladenfirma Lindt & Sprüngli hat nur ein Schaufenster
mit ihrer Produktion geschmückt. Die Söhne fotografierten mich
vor diesem Schaufenster". Obwohl das in ihren wenigen Zeilen nicht zum
Ausdruck kommt, muß die Enttäuschung für Margareta T.-Lindt,
die sich selbst als "Naschkätzchen" bezeichnet, riesengroß gewesen
sein. Sie reist aus der fernen Provinz am Ural in die glitzernde Hauptstadt,
sieht dort in einem Schaufenster die köstlichsten Leckereien mit ihrem
auf die Verpackungen gedruckten deutschen Familienamen-und kann sich nicht
einmal ein kleines Täfelchen Schokolade kaufen !
Rolf Hohmann reagierte unverzüglich. Durch seine Lindt-Forschung
steht er in ständigem Kontakt mit Sylvia Kälin, die im schweizer
Stammwerk von Lindt & Sprüngli für den Kommunikationsbereich
verantwortlich zeichnet. Seine Anregung, Margareta T.-Lindt als kleine
Aufmerksamkeit für ihre Enttäuschung ein Päckchen Lindt-Erzeugnisse
nach Glasow zu schicken, fiel sofort auf fruchtbaren Boden.
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Eine freudestrahlende Margareta T.-Lindt vor einem Schaufenster des
Cafes "Ochotneyj Rjad"
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Nun begann der "süsse Krimi", denn das Vorhaben, so einfach ein
mit Schokolade gefülltes Päckchen auf dem normalen Postweg von
Zürich nach Glasow zu befördern, erwies sich aus vielerlei Gründen
als nicht durchführbar. Nach dieser "zartbitteren" Erkenntnis schaltete
Sylvia Kälin Mitte Juni zunächst die polnische Tochtergesellschaft
mit der Bitte um Unterstützung ein. Diese wurde zwar zugesagt, aber
zugleich auf die Schwierigkeiten des Vorhabens hingewiesen. Nur wenige
Tage später gab es überraschend die entscheidende Wende. Syliva
Kälin erhielt Kennnis davon, daß sich der russische Distributor
aus Moskau im Firmen-Hauptsitz Kilchberg aufhielt. Ihm überreichte
sie einen "Schokoladenkoffer" mit der Bitte dafür Sorge zu tragen,
daß er Margareta T.-Lindt in Glasow zugestellt wird. Das sicherte
der Gast aus Moskau zu und damit schien diese "Story" ein glückliches
Ende gefunden zu haben.
Dann erfuhr Rolf Hohmann von seiner Brieffreundin, daß sie eine
Einladung von der Moskauer Handelsvertretung der schweizer Schokoladenfabrik
für Rußland erhalten habe. Näheres wurde nicht mitgeteilt
und es schien zunächst etwas seltsam, daß man Margareta T.-Lindt
nur für die Überreichung des Präsents die lange Reise zumutete.
Mit Spannung erwartete Rolf Hohmann deshalb die nächste Luftpost aus
Glasow, die am 9. August in Windecken eintraf.
Es sind schon ergreifende Zeilen, mit der die Schreiberin voller Dankbarkeit
von einem sie aufwühlendes Erlebnis berichtet. "Ich kam am vorigen
Freitag aus Moskau nach Hause zurück, aber immer noch schlägt
mein Herz vor Entzücken. Ich war drei Tage in der Märchenwelt.
Das ist die Wahrheit !," mit diesen Worten leitet Margareta T.-Lindt
ihren Erlebnisbericht ein. Die Handelsvertretung "VASCO International"
der Firma Lindt & Sprüngli hatte dafür gesorgt, daß
ihre Besucherin die Tage in der russischen Hauptstadt wohl nie vergessen
wird. Sie wurde vom Generaldirektor Guido Marini, Marketingleiter Alexander
Gurow und Product-ManagerMarina Kratasük herzlich willkommen geheißen.
Dann bezog sie ihr Zimmer im "Rossija", einem der besten Hotels der russischen
Hauptstadt und Margareta T.-Lindt schwärmt: "Ein prächtiges
Panorama bot sich beim Blick aus dem Fenster: der Kreml, der Rote Platz
und die goldenen Kuppeln der Kathedrale."
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Obligatorisch war der Rundgang über den roten Platz. Managing Director
Guido Marini und Marina Kratasük freuten sich mit ihrem Gast aus Glasow.
Das Foto entstand vor der weltbekannten Basilika.
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Beindruckt war die Besucherin auch vom exklusiven Cafe "Ochotnyj Rjad",
in dem die gesamte in Rußland vertriebene Produktpalette der Firma
Lindt & Sprüngli dekorativ ausgestellt ist. Mit herzlicher Dankbarkeit
nahm Margareta T.-Lindt das großzügige, süsse Geschenk
aus der Schweiz entgegen und sie drückt ihre Gefühle im Brief
an Rolf Hohmann mit folgenden Worten aus: "Das waren Minuten des Glücks!
Wie viel Kummer und Erniedrigung erlebten meine Großeltern und mein
Vater für unseren Namen Lindt, und wie viel Herzensgüte und Aufmerksamkeit
erlebte ich dafür von der Schokoladenfabrik Lindt & Sprüngli
und von ihrem Präsidenten, Herrn Ernst Tanner ! " Der "süsse
Krimi" mit dem "Moskauer Märchen" als krönendem Abschluß
dürfte wohl seinen Platz in der Chronik der schweizer Firma finden,
deren langjähriges Motto lautet: "LINDT, die feine Art Freude zu
bereiten."
Am Schluß ihres Schreibens bedankt sich Margareta Toutolmina-Lindt
herzlich bei ihrem Windecker Briefpartner dafür, daß er den
Anstoß zu diesem wunderbaren Erlebnis gegeben hat. Ein Dankesschreiben
ging auch an Sylvia Kälin in Kilchberg für ihr ungewöhnliches
Engagement.
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