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Geschichtsverein Windecken 2000

 

 
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Im Mittelalter wurde in Windecken nur Wein getrunken
Der "Hohenastheimer" ist erst seit 1739 aktenkundig

Wenn die Temperaturen unter den Nullpunkt sinken, werden wieder viele Hessen "vorbeugend" gegen Erkältungen heissen Apfelwein als bewährtes Hausrezept genießen. Doch den zahlreichen Freunden des "Stöffche" ist zumeist unbekannt, daß dieses Getränk,  vom Volksmund in unserer Gegend auch als "Hohenastheimer" bezeichnet, nicht allzulang in den Wirtshäusern ausgeschenkt und oft nach individuellen Hausrezepten selbst gekeltert wird.

Der Apfelwein hat seinen Ursprung wohl in Flandern und Karl der Große (788-814)  bemühte sich in seinem Herrschaftsbereich erstmalig um dessen sachgerechte Herstellung. In seiner Anweisung "capitular des villis...." wird der "Hohenastheimer" als "berauschendes Getränk" bezeichnet. Durch Wilhelm den Eroberer wurde nach der Schlacht bei Hastings (1066) die Apfelweinkelterei auch in England schnell heimisch. Normannische Mönche haben das Getränk beispielsweise durch Verwendung von Speierling geschmacklich verbessert und für seine Verbreitung gesorgt.

Es ist jedoch erstaunlich, daß es einige hundert Jahre dauerte, bis der "Äppelwoi" auch in unsere Gefilde vorgedrungen war und schließlich zum "Nationalgetränk der Hessen" wurde.  Die Römer hatten die Weinrebe aus dem sonnigen Italien an Rhein und Main gebracht und sie dem etwas rauheren Klima angepaßt. Nach dem Zusammenbruch des römischen Imperiums waren es wieder Mönche, die nach dem Niedergang des Weinanbaus die Reben zu neuer Blüte brachten. Im Mittelalter gab es in unseren Breiten nur Traubenwein als alkoholisches Getränk. Es spielte bei Kaufabschlüssen und anderen Anlässen sowie als Bestandteil von "Zehrungen" eine große Rolle. Zeitgenössischen Berichten zufolge wuchs auch auf einigen Hanglagen des Nidderstädtchen Windecken ein recht passabler Wein, der allerdings den Eigenbedarf nicht decken konnte. Die letzte im Archiv erhalten gebliebene Weinmeister-Rechnung stammt aus dem Jahr 1767 und ein nennenswerter Rebenanbau erfolgte bis etwa 1830.

Obwohl bereits  800 in Kulmbach das erste Bier auf deutschem Boden gebraut wurde und um 1300 in Nordeutschland Hanse-Biere erwähnt werden, spielte der Gerstensaft in der Grafschaft Hanau bis etwa zum Beginn des 17. Jahrhunderts nur eine unbedeutende Rolle. "Bier wird kaum erwähnt, zwar kommt 1437 in den Hanauer Stadtgerichts=Protokollen ein Bierbrauer vor, wir hören aber jahrhundertslang nichts weiter von dem heute unentbehrlichen Getränk, welches damals gewöhnlich im eigenen Hause bereitet wurde. In den Hanauer Spitalrechnungen von 1454 bis 1536 wird das Wort Bier nur einmal genannt " (Zimmermann, 1903). Der Hanauer Weinmeister verzeichnete in seiner Rechnung von 1556 an "Wein=Ungeld von gemeinen Wirten 93 Gulden", das eingenommene Bier-Ungeld betrug aber nur kaum erwähnenswerte 17 Schillinge und 7 Pfennige. In Winddecken befand sich das städtische Brauhaus  bis 1835 vor dem Heldenberger Tor unmittelbar an der Nidder, aus der man auch das zum Bierbrauen benötigte Wasser entnahm. Es ist nicht bekannt, seit wann im Grafenstädtchen Gerstensaft gebraut wurde. Aus alten Rechnungen  geht hervor, daß geringe Mengen Bier auch in umliegende Ortschaften geliefert wurde, wie beispielsweise 1599 nach Hochstadt.

Wann freundete man sich in der Maingegend mit dem Apfelwein an? Anno 1733 erließ der Senat der Stadt Frankfurt eine Verordnung, wonach nicht mehr Apfelwein ausgeschenkt werden durfte, als "abgelöst und angezeigt" worden war. In seinem 1907 in der "Nassovia" veröffentlichten Beitrag "Über den Ursprung des Apfelweins am Main" schreibt Karl Wolff: "Der erste Apfelwein wurde in Sachsenhausen nach Schrotzenbergs Frankfortensien von in einem Kuhtrog gestampften Äpfeln gemacht, und zwar im ausgezeichneten Obstjahr 1754." Die Behörde hatte nach erfolgter chemischer Untersuchung dem Gärtner J. K. Werner die Genehmigung erteilt, den Apfelwein auszuschenken und an seinem Haus einen grünen Kranz anzubringen. Die Maß kostete zwei Weißpfennige, und es mußte zur Herstellung der Ordnung eine Konstabler "requiriert" werden. In Frankfurt bildete sich offensichtlich auch zuerst die Zunft der "Apfelwein-Geschworenen" aus. Die ständig wachsende Zahl der Zunftgenossen brachte im Laufe der Jahre die Sachsenhäuser Apfelweinkelterei so zur Blüte, daß sie Weltruf erlangte. Sie breitete sich langsam über die Mainebene in die angrenzenden Gebiete aus und bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte das aus heimischen Äpfeln gekelterte, etwas säuerlich schmeckende und durstlöschende Getränk, viele Freunde gewonnen. In den Wirtschaften wurde und wird das "Stöffche" nur in den bekannten gerippten Gläsern ausgeschenkt, deren Herkunft unbekannt ist.  Auf dem Bild eines Kölner Malers aus dem Jahr 1464 ist eine Person abgebildet, die ein Glas mit deutlichem Rippenmuster in der Hand hält. Man nimmt an, daß der Gebrauch dieser Gläser auf die damaligen Essensitten zurückzuführen ist, bei denen es oft fettige Hände gab und ein geripptes Glas besser festzuhalten war.

Wann haben nun die "Schlüsselrappler," so der Spitzname für die Windecker, die Vorzüge des "Hohenastheimer" schätzen gelernt?  In der Bürgermeister-Rechnung von 1739 ist in der Rubrik "Einnahm Geldt von Hecken-Würthen" folgende Eintragung zu lesen: "Jud Moses Hertz hat von verzapfften Apfelwein entrichtet 20 Albus." Ein Jahr später heißt es: "Von einer Ohm Apfelwein als Außfuhrgeld von den Juden von Heldenbergen 10 Albus ferner von Meister Conradt Widig von einer Ohm Apfelwein zu verzapffen."

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Das Stadtwirtshauses "Zum Löwen".
Foto: Helmut Roßbach um 1959
Die Menge des ausgeschenkten Apfelweins schwankte in den folgenden Jahren beträchtlich. So waren es 1743 beispielsweise 5 Ohm und 5 Viertel, 1751 eine Ohm, 1756 zwei Ohm und 1775 rannen 6 ¼ Ohm durch die Kehlen Windecker Bürger. Diese Schwankungen finden ihre Erklärung darin, daß die Heckenwirte nur selbstangebautes Obst keltern durften. Fiel der Segen reichlich aus, konnte der Apfelwein aus dem Nidderstädtchen sogar "exportiert" werden. In Windecken setzte sich das "neumodische Getränk" zunächst nur langsam durch. Dies mag folgendes Beispiel verdeutlichen: In den Gewöben des Stadtwirtshauses "Zum Löwen" lagerte von Alters her Traubenwein für die Stadtschänken.  Im Jahr 1744 wurden 36 Ohm an die beiden Stadtwirte zum "verzapffen" ausgegeben. Das waren rund 5150 Liter (eine Frankfurter Ohm=143 Liter), während in dem guten Obstjahr 1743 nur rund 200 Liter Apfelwein getrunken wurden. Das Städtchen Windecken zählte damals rund 800 Seelen. Der Pro-Kopf-Verbrauch betrug Anno 1744 also sechs Liter Traubenwein, aber nur einen Viertelliter Apfelwein.

In diesem Vergleich ist noch nicht der von den zahlreichen Heckenwirten ausgeschenkte Wein berücksichtigt. Nach einem alten Privileg war es den etwa zwanzig Weinanbauern gestattet, den jungen Rebensaft bis Martini (11. November) in ihren Häusern auszuschenken. Von jeder Ohm hatten sie acht Maß an Gebühr zu entrichten, wovon je die Hälfte der Stadt und "gnedigsten Herrschafft" zustand. In guten Weinjahren kamen da schon einige Ohm zusammen; doch zumeist fiel die Windecker Weinernte recht dürftig aus und es mußte Rebensaft aus den  großen Anbaugebieten an Rhein und Main  zugekauft werden.

Zurück zum Apfelwein, der den vorhandenen Archivalien zufolge in Windecken bereits schon vor 1739 regelmäßig gekeltert und getrunken wurde, aber erst von  jenem Jahr an regelmäßig in den Bürgermeister-Rechnungen erwähnt wird. Recht erstaunlich ist, daß der Hohenastheimer über einen langen Zeitraum hinweg nicht in den beiden Stadtwirtshäusern "Zum Löwen" und "Zum Mohren", sondern nur von den Heckenwirten ausgeschenkt wurde. Und diese durften, wie erwähnt, nur die eigene Ernte keltern. Einen "Import" scheint es bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht gegeben zu haben. Nachdem in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts der Rebenanbau in den oft Windecker "Wingerten" immer mehr zurückgegangen war, erlangte der Apfelwein größere Bedeutung. Damals muß es in den Windecker Gemarkungen  eine große Zahl von Apfelbäumen gegeben haben, denn im Jahre 1800 kamen immerhin 12 Gulden und 5 Albus Gebühr für 36 ½ Ohm Apfelwein "so verschiedene Bürger verzapfft" in die Stadtkasse. Das war soviel, wie 1744 den Stadtschänken Traubenwein zurVerfügung gestellt  wurde, bei etwa gleicher Einwohnerzahl.

Heute wird in allen Windecker Gaststätten Apfelwein ausgeschenkt, und das "Stöffche" erfreut sich gleichbleibender Beliebtheit; auch wenn "Eingeplackte" beim ersten Schluck des ihnen unbekannten Getränks "die Schnute" verziehen. Doch sie lernen zumeist schnell die Vorzüge des hessischen "Nationalgetränks" kennen; sei es an heißen Sommertagen als "sauer Gespritzten," zur kalten Winterszeit als "Heißen" mit etwas Zucker und anderen Zutaten versetzt oder einfach "pur" das ganze Jahr über. Zu den "Bekehrten" zählt längst auch der aus Thüringen stammende Verfassers dieses Beitrags.
 

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