Wenn die Temperaturen unter den Nullpunkt sinken, werden wieder viele
Hessen "vorbeugend" gegen Erkältungen heissen Apfelwein als bewährtes
Hausrezept genießen. Doch den zahlreichen Freunden des "Stöffche"
ist zumeist unbekannt, daß dieses Getränk, vom Volksmund
in unserer Gegend auch als "Hohenastheimer" bezeichnet, nicht allzulang
in den Wirtshäusern ausgeschenkt und oft nach individuellen Hausrezepten
selbst gekeltert wird.
Der Apfelwein hat seinen Ursprung wohl in Flandern und Karl der Große
(788-814) bemühte sich in seinem Herrschaftsbereich erstmalig
um dessen sachgerechte Herstellung. In seiner Anweisung "capitular des
villis...." wird der "Hohenastheimer" als "berauschendes Getränk"
bezeichnet. Durch Wilhelm den Eroberer wurde nach der Schlacht bei Hastings
(1066) die Apfelweinkelterei auch in England schnell heimisch. Normannische
Mönche haben das Getränk beispielsweise durch Verwendung von
Speierling geschmacklich verbessert und für seine Verbreitung gesorgt.
Es ist jedoch erstaunlich, daß es einige hundert Jahre dauerte,
bis der "Äppelwoi" auch in unsere Gefilde vorgedrungen war und schließlich
zum "Nationalgetränk der Hessen" wurde. Die Römer hatten
die Weinrebe aus dem sonnigen Italien an Rhein und Main gebracht und sie
dem etwas rauheren Klima angepaßt. Nach dem Zusammenbruch des römischen
Imperiums waren es wieder Mönche, die nach dem Niedergang des Weinanbaus
die Reben zu neuer Blüte brachten. Im Mittelalter gab es in unseren
Breiten nur Traubenwein als alkoholisches Getränk. Es spielte bei
Kaufabschlüssen und anderen Anlässen sowie als Bestandteil von
"Zehrungen" eine große Rolle. Zeitgenössischen Berichten zufolge
wuchs auch auf einigen Hanglagen des Nidderstädtchen Windecken ein
recht passabler Wein, der allerdings den Eigenbedarf nicht decken konnte.
Die letzte im Archiv erhalten gebliebene Weinmeister-Rechnung stammt aus
dem Jahr 1767 und ein nennenswerter Rebenanbau erfolgte bis etwa 1830.
Obwohl bereits 800 in Kulmbach das erste Bier auf deutschem Boden
gebraut wurde und um 1300 in Nordeutschland Hanse-Biere erwähnt werden,
spielte der Gerstensaft in der Grafschaft Hanau bis etwa zum Beginn des
17. Jahrhunderts nur eine unbedeutende Rolle. "Bier wird kaum erwähnt,
zwar kommt 1437 in den Hanauer Stadtgerichts=Protokollen ein Bierbrauer
vor, wir hören aber jahrhundertslang nichts weiter von dem heute unentbehrlichen
Getränk, welches damals gewöhnlich im eigenen Hause bereitet
wurde. In den Hanauer Spitalrechnungen von 1454 bis 1536 wird das Wort
Bier nur einmal genannt " (Zimmermann, 1903). Der Hanauer Weinmeister verzeichnete
in seiner Rechnung von 1556 an "Wein=Ungeld von gemeinen Wirten 93 Gulden",
das eingenommene Bier-Ungeld betrug aber nur kaum erwähnenswerte 17
Schillinge und 7 Pfennige. In Winddecken befand sich das städtische
Brauhaus bis 1835 vor dem Heldenberger Tor unmittelbar an der Nidder,
aus der man auch das zum Bierbrauen benötigte Wasser entnahm. Es ist
nicht bekannt, seit wann im Grafenstädtchen Gerstensaft gebraut wurde.
Aus alten Rechnungen geht hervor, daß geringe Mengen Bier auch
in umliegende Ortschaften geliefert wurde, wie beispielsweise 1599 nach
Hochstadt.
Wann freundete man sich in der Maingegend mit dem Apfelwein an? Anno
1733 erließ der Senat der Stadt Frankfurt eine Verordnung, wonach
nicht mehr Apfelwein ausgeschenkt werden durfte, als "abgelöst und
angezeigt" worden war. In seinem 1907 in der "Nassovia" veröffentlichten
Beitrag "Über den Ursprung des Apfelweins am Main" schreibt Karl Wolff:
"Der erste Apfelwein wurde in Sachsenhausen nach Schrotzenbergs Frankfortensien
von in einem Kuhtrog gestampften Äpfeln gemacht, und zwar im ausgezeichneten
Obstjahr 1754." Die Behörde hatte nach erfolgter chemischer Untersuchung
dem Gärtner J. K. Werner die Genehmigung erteilt, den Apfelwein auszuschenken
und an seinem Haus einen grünen Kranz anzubringen. Die Maß kostete
zwei Weißpfennige, und es mußte zur Herstellung der Ordnung
eine Konstabler "requiriert" werden. In Frankfurt bildete sich offensichtlich
auch zuerst die Zunft der "Apfelwein-Geschworenen" aus. Die ständig
wachsende Zahl der Zunftgenossen brachte im Laufe der Jahre die Sachsenhäuser
Apfelweinkelterei so zur Blüte, daß sie Weltruf erlangte. Sie
breitete sich langsam über die Mainebene in die angrenzenden Gebiete
aus und bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte das aus heimischen Äpfeln
gekelterte, etwas säuerlich schmeckende und durstlöschende Getränk,
viele Freunde gewonnen. In den Wirtschaften wurde und wird das "Stöffche"
nur in den bekannten gerippten Gläsern ausgeschenkt, deren Herkunft
unbekannt ist. Auf dem Bild eines Kölner Malers aus dem Jahr
1464 ist eine Person abgebildet, die ein Glas mit deutlichem Rippenmuster
in der Hand hält. Man nimmt an, daß der Gebrauch dieser Gläser
auf die damaligen Essensitten zurückzuführen ist, bei denen es
oft fettige Hände gab und ein geripptes Glas besser festzuhalten war.
Wann haben nun die "Schlüsselrappler," so der Spitzname für
die Windecker, die Vorzüge des "Hohenastheimer" schätzen gelernt?
In der Bürgermeister-Rechnung von 1739 ist in der Rubrik "Einnahm
Geldt von Hecken-Würthen" folgende Eintragung zu lesen: "Jud Moses
Hertz hat von verzapfften Apfelwein entrichtet 20 Albus." Ein Jahr später
heißt es: "Von einer Ohm Apfelwein als Außfuhrgeld von den
Juden von Heldenbergen 10 Albus ferner von Meister Conradt Widig von einer
Ohm Apfelwein zu verzapffen."
 |
Grossansicht laden | © GVW 2000 |
Das Stadtwirtshauses "Zum Löwen". Foto: Helmut Roßbach um 1959
|
Die Menge des ausgeschenkten Apfelweins schwankte in den folgenden Jahren
beträchtlich. So waren es 1743 beispielsweise 5 Ohm und 5 Viertel,
1751 eine Ohm, 1756 zwei Ohm und 1775 rannen 6 ¼ Ohm durch die Kehlen
Windecker Bürger. Diese Schwankungen finden ihre Erklärung darin,
daß die Heckenwirte nur selbstangebautes Obst keltern durften. Fiel
der Segen reichlich aus, konnte der Apfelwein aus dem Nidderstädtchen
sogar "exportiert" werden. In Windecken setzte sich das "neumodische Getränk"
zunächst nur langsam durch. Dies mag folgendes Beispiel verdeutlichen:
In den Gewöben des Stadtwirtshauses "Zum Löwen" lagerte von Alters her Traubenwein für die Stadtschänken.
Im Jahr 1744 wurden 36 Ohm an die beiden Stadtwirte zum "verzapffen" ausgegeben.
Das waren rund 5150 Liter (eine Frankfurter Ohm=143 Liter), während
in dem guten Obstjahr 1743 nur rund 200 Liter Apfelwein getrunken wurden.
Das Städtchen Windecken zählte damals rund 800 Seelen. Der Pro-Kopf-Verbrauch
betrug Anno 1744 also sechs Liter Traubenwein, aber nur einen Viertelliter
Apfelwein.
In diesem Vergleich ist noch nicht der von den zahlreichen Heckenwirten
ausgeschenkte Wein berücksichtigt. Nach einem alten Privileg war es
den etwa zwanzig Weinanbauern gestattet, den jungen Rebensaft bis Martini
(11. November) in ihren Häusern auszuschenken. Von jeder Ohm hatten
sie acht Maß an Gebühr zu entrichten, wovon je die Hälfte
der Stadt und "gnedigsten Herrschafft" zustand. In guten Weinjahren kamen
da schon einige Ohm zusammen; doch zumeist fiel die Windecker Weinernte
recht dürftig aus und es mußte Rebensaft aus den großen
Anbaugebieten an Rhein und Main zugekauft werden.
Zurück zum Apfelwein, der den vorhandenen Archivalien zufolge in
Windecken bereits schon vor 1739 regelmäßig gekeltert und getrunken
wurde, aber erst von jenem Jahr an regelmäßig in den Bürgermeister-Rechnungen
erwähnt wird. Recht erstaunlich ist, daß der Hohenastheimer
über einen langen Zeitraum hinweg nicht in den beiden Stadtwirtshäusern
"Zum Löwen" und "Zum Mohren", sondern nur von den Heckenwirten ausgeschenkt
wurde. Und diese durften, wie erwähnt, nur die eigene Ernte keltern.
Einen "Import" scheint es bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht gegeben
zu haben. Nachdem in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts der Rebenanbau
in den oft Windecker "Wingerten" immer mehr zurückgegangen war, erlangte
der Apfelwein größere Bedeutung. Damals muß es in den
Windecker Gemarkungen eine große Zahl von Apfelbäumen
gegeben haben, denn im Jahre 1800 kamen immerhin 12 Gulden und 5 Albus
Gebühr für 36 ½ Ohm Apfelwein "so verschiedene Bürger
verzapfft" in die Stadtkasse. Das war soviel, wie 1744 den Stadtschänken
Traubenwein zurVerfügung gestellt wurde, bei etwa gleicher Einwohnerzahl.
Heute wird in allen Windecker Gaststätten Apfelwein ausgeschenkt,
und das "Stöffche" erfreut sich gleichbleibender Beliebtheit; auch
wenn "Eingeplackte" beim ersten Schluck des ihnen unbekannten Getränks
"die Schnute" verziehen. Doch sie lernen zumeist schnell die Vorzüge
des hessischen "Nationalgetränks" kennen; sei es an heißen Sommertagen
als "sauer Gespritzten," zur kalten Winterszeit als "Heißen" mit
etwas Zucker und anderen Zutaten versetzt oder einfach "pur" das ganze
Jahr über. Zu den "Bekehrten" zählt längst auch der aus
Thüringen stammende Verfassers dieses Beitrags.
|