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Der Prophet gilt  nichts im eigenen Land
Als Hanauer OB vom Kurfürsten abgelehnt - In Gotha sehr erfolgreich
Erinnerungen an Karl Heinrich Hünersdorf
In ihrer Ausgabe vom 15. Februar 2001 berichtete die "Thüringer Allgemeine" unter der Überschrift "Partnerschaft soll wieder belebt werden" eingangs: "Zu neuem Leben erwecken wollen die Landräte Siegfried Liebezeit (SPD) und Karl Eyerkaufer (CDU) die eingeschlafene Zusammenarbeit zwischen dem Landkreis Gotha und dem Main-Kinzig-Kreis in Hessen. Darüber habe man sich am vergangenen Freitag verständigt, als der Kreishauschef aus Hessen anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung mit Werken von Künstlern aus dem Main-Kinzig-Kreis in der Galerie 'club parterre' in Gotha weilte."  An anderer Stelle heißt es: "Im Oktober dieses Jahres solle die Partnerschaftsvereinbarung, die seit 1990 zwischen dem Main-Kinzig-Kreis und dem Kreis Gotha besteht, erneuert werden. Der Unterzeichnungs-Ort stehe noch nicht fest."

Festgelegt wurden zwischen beiden Partnern eine Anzahl von Projekten, jedoch noch keine festen Termine genannt. Unter anderem ist in diesem Sommer eine gemeinsame Jugendfahrt nach Ungarn geplant, an der je fünf Teilnehmer aus allen Partnerländern teilnehmen sollen. Bereits nach den ersten Partnerschafts-Kontakten zwischen den beiden Kreisen im Jahr 1990 beschäftigte sich Lokalhistoriker Rolf Hohmann näher mit der Geschichte der ehemaligen thüringischen Residenzstadt der Herzöge von Sachsen-Coburg-Gotha. Bei seiner Quellensuche entdeckte er eine Verbindung zwischen Gotha und Hanau, die so gut wie unbekannt war. Den von Hohmann im Hanauer Anzeiger (März 1991) veröffentlichten Beitrag geben wir nachfolgend ohne Änderung wieder.

Wer war Karl Heinrich Hünersdorf ?

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Das von 1643-55 auf einer Anhöhe erbaute, mächtige Barockschloß Friedenstein, Residenz der Herzöge von Sachsen-Gotha, beherrscht die Silhouette der heute etwa 50 000 Einwohner zählenden thüringischen Stadt Gotha
"Der Main-Kinzig-Kreis und der Kreis Gotha in Thüringen sind partnerschaftlich verbunden. Obwohl die Städte Gotha und Hanau keine offizielle Partnerschaft geschlossen haben, wird ein Kulturaustausch angestrebt. Zum Auftakt wurde im Oktober 1990 in Gotha vom Kulturdezernenten Klaus Remer die Ausstellung "Kunst in Hanau 1983-1985" eröffnet. Die Gäste aus der Goldschmiedestadt begrüßte Erster Stadtrat Peter Laskowski. Er betonte in seiner Ansprache, daß es zwischen Hanau und Gotha nicht nur Parallelen in der Struktur gebe, sondern auch geschichtliche Verbindungen. Dies werde durch das im Schloßmuseum befindliche Gemälde "Das Gothaer Liebespaar" dokumentiert.

Laskowski war damals offensichtlich nicht bekannt, daß im vorigen Jahrhundert in der ehemaligen Hauptstadt des Herzogtums Sachsen-Gotha mit Karl Heinrich Hünersdorf ein Bürgermeister erfolgreich tätig war, der zuvor auch in Hanau wirkte. Über ihn sind im Stadtarchiv Hanau nur einige Hinweise gefunden worden.

In der Ausgabe vom 25. April 1844 des Wochenblattes für die Provinz Hanau erschien unter der Rubrik "Ernennungen und Beförderungen" folgende Notiz: "Seine Hoheit der Kurprinz und Mitregent haben gnädigst geruhet, den Obergerichtsreferendar Karl Heinrich Hünersdorf dahier zum Assessor in dem Kriminalsenate des Obergerichts in Fulda zu ernennen." Im November 1846 geruhte Königliche Hoheit gnädigst, den Obergerichtsassessor von Fulda an den Kriminalsenat des Obergerichts Hanau zurückzuversetzen. 

Der Kurfürst hielt nichts von demokratischen Spielregeln 

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Der Hanauer Chronist Wilhelm Ziegler. Aus "Hanau Stadt und Land" von Ernst. J. Zimmermann
Repro: Rolf Hohmann 2001
Obwohl Hünersdorf dann aus dem öffentlichen Dienst ausschied und in die "freie Wirtschaft" überwechselte, hatte man in Hanau seine offensichtlichen Fähigkeiten nicht vergessen. In der Zieglerischen Chronik findet sich unter dem 21. Oktober 1852 folgende Eintragung: "Fand abermahls eine Wahl des hiesigen Oberbürgermeisters statt. Dieselbe fiel mit 34 Stimmen auf den Herrn Obergerichtsrath a.D. Karl Heinrich Hünersdorf, welcher im Jahre 1850 seinen Abschied nahm und d. Z. in Marburg als Scribend in Diensten H. Grimm arbeitet. Herr Procurator Kuhl hatte 10 Stimmen, Herr Amtmann Schneider in Rinteln 4, Herr Jean Reul 3 St." Daß der Obergerichtsrat außer Diensten auch nach zweijähriger Abwesenheit mit so überwältigender Mehrheit zum Hanauer Oberbürgermeister gewählt wurde, läßt auf eine außergewöhnliche Persönlichkeit schließen.

Doch auch in der Provinz Hanau waren damals unruhige Zeiten, denn die Turbulenzen der Revolutionsjahre von 1848/49 wirkten immer noch nach. Nach dem Tod des Kurfürsten Wilhelm II. am 20. November 1847, der am 18. Dezember des gleichen Jahren in der Gruft der Hanauer Marienkirche beigesetzt wurde, trat der Kurprinz-Mitregent (seit 1831)  als Friedrich Wilhelm I. in Kassel seine Nachfolge an. Er konnte Hünerdorf trotz des überwältigenden Votums wohl nicht verzeihen, daß er den öffentlichen Dienst quittiert hatte.

Wilhelm Ziegler notierte am 26. Februar 1853 in seiner Chronik: "Herr Obergerichtsrath a.D. Hünersdorf, welcher am 21. Oktober 1852 zum Oberbürgermeister hiesiger Stadt gewählt wurde, hatte die Bestätigung des Kurfürsten nicht erhalten. Eine Neu-Wahl eines Oberbürgermeisters soll solange verschoben werden, bis der jetzige Stadtrath aus der Untersuchung ist. Herr Hünersdorf wurde 1853 i. Novbr. vom Stadtrathe zu Kassel zum Stadtsecretair gewählt."

Oberbürgermeister-Roulett in Hanau 

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Kurfürst Friedrich Wilhem I. von Hessen-Cassel (1847-1866). Aus "Hanau Stadt und Land" von Ernst J. Zimmermann
Repro: Rolf Hohmann 2001
Nun muß man wissen, daß damals in Hanau ein regelrechtes "Oberbürgermeister-Roulett" gespielt wurde. Erster Inhaber dieses 1832 eingeführten Titels war Bernhard Eberhard, der im März 1848 zum Kurhessischen Minister (bis Februar 1850) avancierte. Im März 1850 wurde der Tabakfabrikant August Rühl Hanauer Oberbürgermeister. Er war am 18. August 1848 als Nationalvertreter des 10. Kurhessischen Bezirks in das erste freie deutsche Paralament gewählt worden, das in Frankfurt tagte. Doch die sich abzeichnende glanzvolle Karriere des wortgewaltigen Tabakfabrikanten und Oberbürgermeisters endete jäh am 21. Juli 1850, als sich August Rühl in Arolsen vom Pferd zu Tode stürzte. 

Damit wurde das erwähnte "Oberbürgermeister-Roulett" in Gang gesetzt, das nicht nur den Hanauern jahrelang Gesprächsstoff bot. Sowohl dem im September 1850 gewählten Obergerichts-Prokurator Alexander Michael als auch Stadtsekretär Cäsar Blum (September) versagte der störrische Kurfürst seinen erforderlichen Segen. Es folgten im Reigen Staatsprokurator Emil Schüler, der dankend auf die ihm angetragene Ehre verzichtete, der bereits erwähnte Karl Heinrich Hünersdorf, Assessor Cassian (Oktober 1854), der das Amt zunächst ebenfalls ablehnte, und Obergerichtsrat Wille aus Marburg.

Dann hatte man sich auf den Regierungsrat Edwin von Bischofshausen geeinigt, doch dieser Herr winkte ebenfalls dankend ab. Schließlich machte am 10. Mai 1855 im achten Wahlgang der Landrats-Assessor Karl Cassian, geboren 1817 als Sohn des Kantors an  der Hanauer Johanniskirche, dem Drama ein Ende. Obwohl er das an ihn herangetragene Amt zunächst wieder abehnte, nahm er die Wahl schließlich doch an und er fand auch Gnade vor den strengen  Augen  des hessischen Kurfürsten.

Der Hesse Hünersdorf bewährte sich in Thüringen

Bei Karl Heinrich Hünersdorf bewahrheite sich dann wieder einmal das Sprichwort, wonach der Prophet im eigenen Land nichts gilt. In Zieglers Chronik liest sich dies unterm 12. September 1854 so: "Herr Hünersdorf, Obergerichtsrath a.D., ist von den Stadtverordneten zu Gotha als Candidat für das dortige Bürgermeisteramt vorgeschlagen und von dem Herzog von Sachsen Coburg-Gotha für diese Stelle bestätigt worden. Dieses Ereignis hat die hiesige Bewohner mit großer Freude erfüllt. Am 26. September machte die hiesige Polizeidirektion seinen Überzug nach Gotha bekannt. 1855 6. Juli hörte ich, daß die Gothaer Bürgerschaft mit ihm nicht zufrieden ist."
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An den erfolgreichen Bürgermeister Karl Heinrich Hünersdorf erinnert im Zentrum Gothas eine gegenüber dem Rathaus auf den Hauptmarkt einmündende Straße 
Wie lange Karl Heinrich Hünersdorf Bürgermeister von Gotha war, geht aus den bisher zur Verfügung stehenden Quellen nicht hervor. In seine Amtszeit fielen jedoch der "Deutsche Krieg" von 1866 mit der für Gotha wichtigen Schlacht bei Langensalza ganz in der Nähe und der Krieg von 1870/71. Nach den Kriegen wurde Gotha von der Cholera und den Blattern heimgesucht. Bürgermeister Hünersdorf zeigte bei der Bekämpfung dieser Seuchen als Mann der Tat. Gotha erhielt eine Wasserleitung und Kanalisation, ein Krankenhaus und eine Feuerbestattungsanlage. Die großen Verdienste Karl Heinrich Hünerdorfs für die thüringische Stadt wurden mit Verleihung der Ehrenbürgerschaft gewürdigt, ein Zeichen dafür, daß die Bevölkerung später mit ihrem aus Hessen gekommenen Bürgermeister mehr als zufrieden waren. Nach Karl Heinrich Hünersdorf benannten die Gothaer dann auch noch eine Straße, die im Zentrum vom Hauptmarkt zur Querstraße führte. Heute heißt sie Josef-Ries-Straße. Recherchen in Gotha führten bislang noch zu keinem Ergebnis, da entsprechende Schreiben an Ersten Stadtrat Peter Laskowski, ehemals Unterbezirksgeschäftsführer der SPD im Main-Kinzig-Kreis, unbeantwortet blieben." Soweit der Orginalbericht von 1991.

Das Zwischenspiel im "real existierenden Sozialsmus" ist beendet und die Straße erinnert wieder an den "frühen Wessi" Hünersdorf, der in der Entwicklung der Residenzstadt Gotha einige Meilensteine setzte. Das sollte bei künftigen Treffen von Vertretern aus den beiden Partnerschaftskreisen nicht vergessen werden.

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