Das 1959 im Erdgeschoß des 1520 erbauten Windecker Rathauses
vom Verkehrs-und Verschönerungs-Verein eingerichtete Heimatmuseum
war bei allen Festen und den beiden Jahrmärkten geöffnet. Von
1969 bis 1971 zeichnete Lokalhistoriker Rolf Hohmann als Museumsleiter
verantwortlich, der auch einige Sonderausstellungen durchführte. Hauptattraktion
am Herbstmarktsonntag 1970 war, neben den bei archäologishen Ausgrabungen
des Museumsleiters geborgenen Fundstücken aus vor- und frühgeschichtlicher
Zeit, der etwa 20 Zentimeter hohe Silberbecher aus dem ehemaligen Ratssilber
der Stadt Windecken. Rolf Hohmann war es dank seiner guten Verbindungen
zum Hanauer Kulturamtsleiter und Kreisarchäologen, Dr. Karl Dielmann,
gelungen, diese Kostbarkeit aus dem Jahr 1585 für einen Tag als Leihgabe des Historischen Museums im Schloß Philippssruhe zu erhalten. Getroffen
werden mußten einige Sicherheitsvorkehrungen und fällig war
auch eine recht ansehnliche Versicherungssumme für das wertvolle Ausstellungsstück.
Dr. Dielmann war auch Vorsitzender des Hanauer Geschichtsvereins und er
hatte sich bereits früher in einer Abhandlung ausführlich mit
dem Windecker Ratsbecher und seinem Stifter befaßt. Wir werden seine
Ausführungen, ergänzt durch neuere Forschungsergebnisse, nachfolgend
weitgehend im Wortlaut wiedergeben.
20.000 Goldmark für Hanauer Ratsbecher
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© GVW 2000 |
Fast ein wenig ehrfürchtig betrachtet Bürgermeister Willi Salzmann den Ratsbecher, aus dem viele seiner Vorgänger einen kräftigen Schluck nahmen. Auch Erster Stadtrat Bernd Reuter kann sich der Faszination der silbernen Kostbarkeit nicht entziehen. Photo: Rolf Hohmann 1970 |
"Im Spätmittelalter und in der Renaissancezeit besaßen nicht
nur die großen, sondern auch viele kleine Städte ihren
Ratsschatz, vor allem einen entsprechenden Bestand an Ratssilber. In diesem
Besitz, der zumeist auch einen hohen materiellen Wert darstellte, spiegelte
sich zugleich die Bedeutung und das Selbstbewußtsein der betreffenden
bürgerlichen Gemeinwesen wider. Doch während man im 18. Jahrhundert
das Ratssilber noch vielfach als Objekt städtischer Reputation begriff,
ging im 19 Jahrhundert diese Einstellung mehr und mehr verloren. Das Ratssilber
wurde nicht mehr verwendet, sondern verpackt und zur Seite gestellt, soweit
man es nicht in Kriegs-und Notzeiten so "gut" verwahrt hatte, daß
es selbst von den Berechtigten nicht wieder aufgefunden wurde. Seine Wiederentdeckung
blieb dem Zufall überlassen. Trat aber solcher Umstand ein, dann freute
man sich nicht über den gehobenen Schatz, vielmehr sah man darin ein
willkommenes Verkaufsobjekt zur Aufbesserung der oft sehr mageren Stadtkassen.
Bekannt ist die Geschichte des Hanauer Ratsbechers, der 1879 in einer Eisenkiste
im Neustädter Rathaus "wiederentdeckt" und wenige Monate später
von den damaligen Stadtvätern kurzsichtigerweise für 20 000 Goldmark
über einen Frankfurter Antiquitätenhändler an den Baron
Karl von Rothschild verkauft wurde. Seit der Auktionierung der Sammlung
Rothschild im Jahre 1911 in Paris ist das kostbare Stück verschollen,
jedoch bleibt den Hanauern der Trost, daß es damals in ihrer Stadt
den außergewöhnlich talentierten Silberschmied August Schleißner
gab, der zuvor eine dem Original sicherlich kaum nachstehende Kopie angefertigt
hat (heute im Historischen Museum im Schloß Philippsruhe zu sehen).
Um was würfelten die Windecker Ratsherren ?
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Im Mittelpunkt der gutbesuchten Ausstellung
am Herbstmarkt-Sonntag 1970 stand der durch eine verankerte Haube aus schlagfestem
Degalan geschützte Windecker Ratsbecher, den Amtskeller Pals Ludwig
1585 einem "erbarn Rath" stiftete Foto: Rolf Hohmann 1970
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Ein ähnliches Schicksal hatten drei um die gleiche Zeit aufgefundene
Pokale aus dem Ratssilber der Stadt Windecken, wovon im folgenden die Rede
sein soll. Über ihre Entdeckung berichtet der "Hanauer Anzeiger" am
15. Mai 1880: "Auch unsere Nachbarstadt Windecken hat ihren Silberfund
(drei alte silberne Becher) gemacht, ein Zeichen, daß die Stadtväter
in früherer Zeit auf einen guten Trunk bei ihren Sitzungen etwas hielten.
Die Becher können sich an Größe mit dem Hanauer Magistratsbecher
nicht messen, deren Alter und Arbeit sind jedoch bemerkenswert. Der Kelch
des einen ist in recht hüsch getriebener Arbeit ausgeführt, der
zweite, einfachere hat figurale Verzierungen, der dritte ist schlicht gearbeitet
und hat als Fuß merkwürdigerweise einen Würfel. Sämtliche
drei Becher enthalten Inschriften, zwei davon tragen die Jahreszahl 1585
bzw. 1589, der dritte ohne Jahreszahl stammt aber sicher aus derselben
Zeit. Soviel wir hören, sind die Becher verkäuflich und wollen
wir den Windeckern wünschen, daß sie einen ebenso schönen
Preis wie wir für ihre Fundstücke erzielen." Ergänzt werden
diese Mitteilungen in der Ausgabe vom Samstag, 22. Mai 1880: "Die in der
Stadt Windceken gefundenen, aus dem 16. Jahrhundert stammenden drei Ratsbecher,
deren einer am Fuß unter Glasverschluß einen Würfel enthält,
mittels welchem aller Wahrscheinlichkeit nach die Stadtväter der damaligen
Zeit während der Sitzungen ihr Spiel trieben, um den den Labetrunk
spendenden Wohltäter herauszufinden, sind morgen vormittag in der
Königl. Zeichenakademie ausgestellt." Wann und an wen die Windecker
die Pokale verkauft haben, wissen wir nicht. Darüber könnten
womöglich die Windecker Stadtrechnungen Auskunft geben. Nur eines
wissen wir, nämlich daß einer der Ratsbecher während des
letzten Krieges von einem Berliner Kunsthändler für die Hanauer
Kunstsammlungen erworben werden konnte und daß er sich heute, von
der lokalhistorischen Forschung bisher völlig unbeachtet, ebenfalls
unter dem Ausstellungsgut des Historischen Museums im Schloß Philippsruhe
befindet."
Keller Paul Ludwig: ein großzügiger Stifter
Der Ratsbecher der Stadt Windecken ist nur 19,6 cm hoch. Die in Treibarbeit
hergestellte Kuppa des Kelches besitzt eine konisch aufsteigende Wand und
und ist bis auf einen oberen und einen unteren Randstreifen in ganzer Fläche
im Stil der Spätrenaissancezeit verziert. Unterhalb der leicht ausladenden
Mündung ist in eingravierten Versalien zu lesen:
PAUL - LUDWIG - KELLER - ZU - WINDECKEN - HAT - DISSEN - BECHER - VEREHRT - EINEM - ERBARN -RATH,
womit wir zugleich über den Stifter informiert werden. Den Zeitpunkt
der Stiftung erfahren wir durch die auf der Kuppa eingestochene Jahreszahl
1585. Sie befindet sich auf einem im Rankenwerk der Kelchverzierung ausgesparten
Schmuckfeld (Kartusche), das im übrigen mit einem affenartigen Tier
und einem von diesen gehaltenen Wappenschild verziert ist. Wappenschild
ist ein Schaf, oder sollten wir besser jetzt schon sagen: ein Lämmchen.
Der Stiel des Pokals weist eine vasenförmige Verdickung (nodus) auf.
Der Fuß ist balustartig gegliedert und besitzt zonal angeordnete
Schmuckbänder, von denen das untere ebenso wie der Stiel und der äußere
Mündungssaum der Kuppa zusätzlich feuervergoldet sind. Im Gegensatz
zur Kuppa ist der Standfuß des Bechers in Silber gegossen, seine
Verzierungen sind mit dem Gravierstichel nachgearbeitet. Abweichende
Herstellungstechnik und der Unterschied im Dekor machen deutlich, daß
Kuppa und Fuß nicht aus der gleichen Zeit stammen, und diese Feststellung
findet ihre Bestätigung in der Beobachtung, daß auf dem Fuß
Beschauzeichen eingepunzt sind, wie man sie in dieser Form im allgemeinen
erst seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert kennt. Im einen Falle
handelt es sich um eine noch näher zu bestimmende Meistermarke, im
anderen ganz zweifelsfrei um den Adler der Reichsstadt Frankfurt, so daß
mit Sicherheit gefolgert werden kann, daß der Fuß in einer
Frankfurter Werkstatt hergestellt wurde. Vielleicht hatte der Becher im
Dreißigjährigen Krieg, der ja bekanntlich dem Städtchen
besonders hart zusetzte, Schaden gelitten, der dann die Reparatur in einer
Frankfurter Werkstatt erforderlich machte.
Woher das "Lämmchen" seinen Namen hat
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© GVW 2000 |
Das "Lämmchen-Wappen" ber der Toreinfahrt des ehemaligen Windecker Amtshauses nach einer Zeichnung von A. Siebert aus dem Jahre 1979 Repro: Bernd Hohmann 2000 |
Es bleibt noch die Frage zu klären, wer war dieser Paul Ludwig Keller?
Die Antwort darauf geben das sogenannte "Dienerbuch" des hessen-hanauischen
Archivars und Historiographen Johann Adam Bernhard (Handschrift 1757/58
im Archiv des Hanauer Geschichtsvereins) und andere, z.Z. sehr entlegene
Quellen. Wir fassen hier zusammen: Bei dem Stifter handelt es sich um den
gräflich hanau-münzenbergischen Beamten Paul Ludwig der bis zum
Jahre 1583 hanauischer Keller, d.h. Einzugsbeamter für
die herrschaftlichen Gefälle, in Assenheim war; Keller ist also seine
Amtsbezeichnung und nicht sein Familienname! Im genannten Jahr wurde Ludwig
in gleicher Eigenschaft nach Windecken versetzt, wo er das herrschaftliche
Amtshaus offenbar als persönliches Eigentum erwarb. Denn anders wäre
es kaum zu erklären, daß er über der Toreinfahrt dieses
stattlichen Gebäudes, zu dem in alter Zeit eine nicht minder ausgedehnte
Hof-und Gartenfläche gehörte, sein Wappen hätte anbringen
lassen können. Als Wappentier erscheint hier in völliger Übereinstimmung
mit dem Ratsbecher ebenfalls ein Lämmchen, so daß an der Identität
zwischen Hofeigentümer und dem Stifter des Ratsbechers kein Zweifel
besteht, wie ja auch die Anfangsbuchstaben seines Namens auf dem Wappenstein
(PLA=Paul Ludwig Assenheimensis) die Personengleichheit beweisen. Der alte
Amtshof heißt heute noch "Das Lämmchen." Ob Paul Ludwig
von Hause aus ein begüterter Mann war oder ob er sein Vermögen
erst durch Heirat mit einer Elisabeth erwarb, in der der verstorbene, zuletzt
in Offenbach wohnhaft gewesene Konrektor Heinrich Bach, ein Nachfahre der
bekannten Windecker Glockengießerfamilie gleichen Namens, eine geborene
Schenk (zu Schweinsberg) vermutete, mag dahingestellt bleiben. Vom Wohlstand
des Ehepaares zeugt es auch, daß es 1594 von dem hanau-münzenbergischen
Oberamtmann Hans Engelbert von Lauter Güter und Gefälle, darunter
den gesamten Weinzehnten aus dem Vilbeler Weinberg "Der Lenhardtswald",
zum Preis von 825 Gulden Frankfurter Währung - damals eine enorme
Summe Geldes ûerwerben konnte. Ab 1600 treffen wir Paul Ludwig als
Keller in Bergen an, wo er 1612 noch als lebend bezeugt wird. Seine Witwe
wurde daselbst am 25. Juni 1621, als die "alte Kellerin" bezeichnet, beerdigt.
In der Zwischenzeit muß unser Paul Ludwig demzufolge ebenfalls versorben
sein."
Kein Geschichtsbewußtsein bei den Stadtvätern
Soweit also die Abhandlung des leider allzufrüh verstorbenen Hanauer
Kulturamtsleiters Dr. Karl Dielmann. Er hatte recht mit seiner Vermutung,
daß die Windecker Stadtrechnungen mögicherweise Auskunft darüber
geben könnten, welchen Preis das Windecker Ratssilber Anfang der 80er
Jahre des 19. Jahrhunderts erzielten. Der Verfasser dieses Beitrags hat
in jahrelanger Arbeit alle im Archiv erhalten gebliebenen Bürgermeister-
Rechnungen von 1465 bis zum Jahr 1923 gesichtet und von jeder auf DIN A
- Blättern die wichtigsten Daten handschriftlich vermerkt. Diese Sammlung
bildet eine wichtige Quelle bei seinen lokalhistorischen Forschungen. In
der Rubrik "Einnahmen" der Rechnung von 1884 findet sich folgende Eintragung:
"Heute, den 27. Juni 1884, gingen 3 silberne Pokale der Stadt Windecken
gehörig, in den Besitz der Hof-Antiquitäten-Handlung B. Seligmann
in Frankfurt a/M., Zeil 1, über, für den Kaufpreis von Fünfzehnhundert
Mark. Der Stadtkämmerer Reul, dahier, wird hiermit ermächtigt,
diesen Betrag zu vereinnahmen und in der 1884ten Stadt-Kämmerei-Rechnung
in Einnahme zu stellen. Windecken, am 27. Juni 1884. Der Stadtrath." Neben
Bürgermeister Dietz haben diese Anweisung noch die Magistratsmitglieder
Hochstadt, Dächert, Lapp und Spielmann unterzeichnet. Es scheint,
daß die Windecker Ratsherren keinen sehr ansehnlichen Preis für
ihre alten Ratsbecher erzielten. Auch wenn sie aus der Sicht des Händlers
von geringem materiellen Wert gewesen sein sollten; ihr historischer Wert
hätte für die Stadtväter damals unbezahlbar sein müssen.
Doch auch in jüngster Zeit hatten die politisch Verantwortlichen unserer
Stadt zumeist nicht das richtige Gespür für die Bedeutung historischer
Gebäude oder anderer Hinterlassenschaften aus der Vegangenheit. Lokalhistoriker
Rolf Hohmann forscht bereits seit Jahren vegeblich nach dem Verbleib der
beiden anderen Ratsbecher, die 1884 ebenfalls "verscherbelt" wurden. Obwohl
die Möglichkeit besteht, daß diese beiden historischen Kostbarkeiten
verloren gegangen sind, hat er bis heute die Hoffnung nicht aufgegeben.
Der zweite Vorsitzende des Geschichtsvereins Windecken 2000, Bernd Hohmann,
wird nunmehr die Suche nach den beiden verschollenen Silberbechern im Internet
fortsetzen.
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