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Geschichtsverein Windecken 2000

 

 
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Vom Ratssilber der Stadt Windecken
Historische Raritäten wurde 1884 regelrecht verscherbelt
Auf der Suche nach den beiden verschollenen Ratsbechern

Das 1959 im Erdgeschoß des 1520 erbauten Windecker Rathauses vom Verkehrs-und Verschönerungs-Verein eingerichtete Heimatmuseum war bei allen Festen und den beiden Jahrmärkten geöffnet. Von 1969 bis 1971 zeichnete Lokalhistoriker Rolf Hohmann als Museumsleiter verantwortlich, der auch einige Sonderausstellungen durchführte. Hauptattraktion am Herbstmarktsonntag 1970 war, neben den bei archäologishen Ausgrabungen des Museumsleiters geborgenen Fundstücken aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit, der etwa 20 Zentimeter hohe Silberbecher aus dem ehemaligen Ratssilber der Stadt Windecken.

Rolf Hohmann war es dank seiner guten Verbindungen zum Hanauer Kulturamtsleiter und Kreisarchäologen, Dr. Karl Dielmann, gelungen, diese Kostbarkeit aus dem Jahr 1585 für einen Tag als Leihgabe des Historischen Museums im Schloß Philippssruhe zu erhalten. Getroffen werden mußten einige Sicherheitsvorkehrungen und fällig war auch eine recht ansehnliche Versicherungssumme für das wertvolle Ausstellungsstück. Dr. Dielmann war auch Vorsitzender des Hanauer Geschichtsvereins und er hatte sich bereits früher in einer Abhandlung ausführlich mit dem Windecker Ratsbecher und seinem Stifter befaßt. Wir werden seine Ausführungen, ergänzt durch neuere Forschungsergebnisse, nachfolgend weitgehend im Wortlaut wiedergeben.

20.000 Goldmark für Hanauer Ratsbecher

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Fast ein wenig ehrfürchtig betrachtet Bürgermeister Willi Salzmann den Ratsbecher, aus dem viele seiner Vorgänger einen kräftigen Schluck nahmen. Auch Erster Stadtrat Bernd Reuter kann sich der Faszination der silbernen Kostbarkeit nicht entziehen. Photo: Rolf Hohmann 1970
"Im Spätmittelalter und in der Renaissancezeit besaßen nicht nur die großen, sondern auch  viele kleine Städte ihren Ratsschatz, vor allem einen entsprechenden Bestand an Ratssilber. In diesem Besitz, der zumeist auch einen hohen materiellen Wert darstellte, spiegelte sich zugleich die Bedeutung und das Selbstbewußtsein der betreffenden bürgerlichen Gemeinwesen wider.

Doch während man im 18. Jahrhundert das Ratssilber noch vielfach als Objekt städtischer Reputation begriff, ging im 19 Jahrhundert diese Einstellung mehr und mehr verloren. Das Ratssilber wurde nicht mehr verwendet, sondern verpackt und zur Seite gestellt, soweit man es nicht in Kriegs-und Notzeiten so "gut" verwahrt hatte, daß es selbst von den Berechtigten nicht wieder aufgefunden wurde. Seine Wiederentdeckung blieb dem Zufall überlassen. Trat aber solcher Umstand ein, dann freute man sich nicht über den gehobenen Schatz, vielmehr sah man darin ein willkommenes Verkaufsobjekt zur Aufbesserung der oft sehr mageren Stadtkassen.

Bekannt ist die Geschichte des Hanauer Ratsbechers, der 1879 in einer Eisenkiste im Neustädter Rathaus "wiederentdeckt" und wenige Monate später von den damaligen Stadtvätern kurzsichtigerweise für 20 000 Goldmark über einen Frankfurter Antiquitätenhändler an den Baron Karl von Rothschild verkauft wurde.  Seit der Auktionierung der Sammlung Rothschild im Jahre 1911 in Paris ist das kostbare Stück verschollen, jedoch bleibt den Hanauern der Trost, daß es damals in ihrer Stadt den außergewöhnlich talentierten Silberschmied August Schleißner gab, der zuvor eine dem Original sicherlich kaum nachstehende Kopie angefertigt hat (heute im Historischen Museum im Schloß Philippsruhe zu sehen).

Um was würfelten die Windecker Ratsherren ?
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Im Mittelpunkt der gutbesuchten Ausstellung am Herbstmarkt-Sonntag 1970 stand der durch eine verankerte Haube aus schlagfestem Degalan geschützte Windecker Ratsbecher, den Amtskeller Pals Ludwig 1585 einem "erbarn Rath" stiftete Foto: Rolf Hohmann 1970
Ein ähnliches Schicksal hatten drei um die gleiche Zeit aufgefundene Pokale aus dem Ratssilber der Stadt Windecken, wovon im folgenden die Rede sein soll. Über ihre Entdeckung berichtet der "Hanauer Anzeiger" am 15. Mai 1880: "Auch unsere Nachbarstadt Windecken hat ihren Silberfund (drei alte silberne Becher) gemacht, ein Zeichen, daß die Stadtväter in früherer Zeit auf einen guten Trunk bei ihren Sitzungen etwas hielten. Die Becher können sich an Größe mit dem Hanauer Magistratsbecher nicht messen, deren Alter und Arbeit sind jedoch bemerkenswert. Der Kelch des einen ist in recht hüsch getriebener Arbeit ausgeführt, der zweite, einfachere hat figurale Verzierungen, der dritte ist schlicht gearbeitet und hat als Fuß merkwürdigerweise einen Würfel. Sämtliche drei Becher enthalten Inschriften, zwei davon tragen die Jahreszahl 1585 bzw. 1589, der dritte ohne Jahreszahl stammt aber sicher aus derselben Zeit. Soviel wir hören, sind die Becher verkäuflich und wollen wir den Windeckern wünschen, daß sie  einen ebenso schönen Preis wie wir für ihre Fundstücke erzielen." Ergänzt werden diese Mitteilungen in der Ausgabe vom Samstag, 22. Mai 1880: "Die in der Stadt Windceken gefundenen, aus dem 16. Jahrhundert stammenden drei Ratsbecher, deren einer am Fuß unter Glasverschluß einen Würfel enthält, mittels welchem aller Wahrscheinlichkeit nach die Stadtväter der damaligen Zeit während der Sitzungen ihr Spiel trieben, um den den Labetrunk spendenden Wohltäter herauszufinden, sind morgen vormittag in der Königl. Zeichenakademie ausgestellt."  Wann und an wen die Windecker die Pokale verkauft haben, wissen wir nicht. Darüber könnten womöglich die Windecker Stadtrechnungen Auskunft geben. Nur eines wissen wir, nämlich daß einer der Ratsbecher während des letzten Krieges von einem Berliner Kunsthändler für die Hanauer Kunstsammlungen erworben werden konnte und daß er sich heute, von der lokalhistorischen Forschung bisher völlig unbeachtet, ebenfalls unter dem Ausstellungsgut des Historischen Museums im Schloß Philippsruhe befindet."

Keller Paul Ludwig: ein großzügiger Stifter

Der Ratsbecher der Stadt Windecken ist nur 19,6 cm hoch. Die in Treibarbeit hergestellte Kuppa des Kelches besitzt eine konisch aufsteigende Wand und und ist bis auf einen oberen und einen unteren Randstreifen in ganzer Fläche im Stil der Spätrenaissancezeit verziert. Unterhalb der leicht ausladenden Mündung ist in eingravierten Versalien zu lesen: PAUL - LUDWIG - KELLER - ZU - WINDECKEN - HAT - DISSEN - BECHER - VEREHRT - EINEM - ERBARN -RATH, womit wir zugleich über den Stifter informiert werden. Den Zeitpunkt der Stiftung erfahren wir durch die auf der Kuppa eingestochene Jahreszahl 1585. Sie befindet sich auf einem im Rankenwerk der Kelchverzierung ausgesparten Schmuckfeld (Kartusche), das im übrigen mit einem affenartigen Tier und einem von diesen gehaltenen Wappenschild verziert ist. Wappenschild ist ein Schaf, oder sollten wir besser jetzt schon sagen: ein Lämmchen. Der Stiel des Pokals weist eine vasenförmige Verdickung (nodus) auf. Der Fuß ist balustartig gegliedert und besitzt zonal angeordnete Schmuckbänder, von denen das untere ebenso wie der Stiel und der äußere Mündungssaum der Kuppa zusätzlich feuervergoldet sind. Im Gegensatz zur Kuppa ist der Standfuß des Bechers in Silber gegossen, seine Verzierungen sind mit dem Gravierstichel nachgearbeitet.  Abweichende Herstellungstechnik und der Unterschied im Dekor machen deutlich, daß Kuppa und Fuß nicht aus der gleichen Zeit stammen, und diese Feststellung findet ihre Bestätigung in der Beobachtung, daß auf dem Fuß Beschauzeichen eingepunzt sind, wie man sie in dieser Form im allgemeinen erst seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert kennt. Im einen Falle handelt es sich um eine noch näher zu bestimmende Meistermarke, im anderen ganz zweifelsfrei um den Adler der Reichsstadt Frankfurt, so daß mit Sicherheit gefolgert werden kann, daß der Fuß in einer Frankfurter Werkstatt hergestellt wurde. Vielleicht hatte der Becher im Dreißigjährigen Krieg, der ja bekanntlich dem Städtchen besonders hart zusetzte, Schaden gelitten, der dann die Reparatur in einer Frankfurter Werkstatt erforderlich machte.

Woher das "Lämmchen" seinen Namen hat

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Das "Lämmchen-Wappen" ber der Toreinfahrt des ehemaligen Windecker Amtshauses nach einer Zeichnung von A. Siebert aus dem Jahre 1979 Repro: Bernd Hohmann 2000
Es bleibt noch die Frage zu klären, wer war dieser Paul Ludwig Keller? Die Antwort darauf geben das sogenannte "Dienerbuch" des hessen-hanauischen Archivars und Historiographen Johann Adam Bernhard (Handschrift 1757/58 im Archiv des Hanauer Geschichtsvereins) und andere, z.Z. sehr entlegene Quellen.
Wir fassen hier zusammen: Bei dem Stifter handelt es sich um den gräflich hanau-münzenbergischen Beamten Paul Ludwig der bis zum Jahre 1583 hanauischer Keller, d.h.  Einzugsbeamter  für die herrschaftlichen Gefälle, in Assenheim war; Keller ist also seine Amtsbezeichnung und nicht sein Familienname! Im genannten Jahr wurde Ludwig in gleicher Eigenschaft nach Windecken versetzt, wo er das herrschaftliche Amtshaus offenbar als persönliches Eigentum erwarb. Denn anders wäre es kaum zu erklären, daß er über der Toreinfahrt dieses stattlichen Gebäudes, zu dem in alter Zeit eine nicht minder ausgedehnte Hof-und Gartenfläche gehörte, sein Wappen hätte anbringen lassen können. Als Wappentier erscheint hier in völliger Übereinstimmung mit dem Ratsbecher ebenfalls ein Lämmchen, so daß an der Identität zwischen Hofeigentümer und dem Stifter des Ratsbechers kein Zweifel besteht, wie ja auch die Anfangsbuchstaben seines Namens auf dem Wappenstein (PLA=Paul Ludwig Assenheimensis) die Personengleichheit beweisen. Der alte Amtshof heißt  heute noch "Das Lämmchen."

Ob Paul Ludwig von Hause aus ein begüterter Mann war oder ob er sein Vermögen erst durch Heirat mit einer Elisabeth erwarb, in der der verstorbene, zuletzt in Offenbach wohnhaft gewesene Konrektor Heinrich Bach, ein Nachfahre der bekannten Windecker Glockengießerfamilie gleichen Namens, eine geborene Schenk (zu Schweinsberg) vermutete, mag dahingestellt bleiben. Vom Wohlstand des Ehepaares zeugt es auch, daß es 1594 von dem hanau-münzenbergischen Oberamtmann Hans Engelbert von Lauter Güter und Gefälle, darunter den gesamten Weinzehnten aus dem Vilbeler Weinberg "Der Lenhardtswald", zum Preis von 825 Gulden Frankfurter Währung - damals eine enorme Summe Geldes ûerwerben konnte. Ab 1600 treffen wir Paul Ludwig als Keller in Bergen an, wo er 1612 noch als lebend bezeugt wird. Seine Witwe wurde daselbst am 25. Juni 1621, als die "alte Kellerin" bezeichnet, beerdigt. In der Zwischenzeit muß unser Paul Ludwig demzufolge ebenfalls versorben sein."

Kein Geschichtsbewußtsein bei den Stadtvätern

Soweit also die Abhandlung des leider allzufrüh verstorbenen Hanauer Kulturamtsleiters Dr. Karl Dielmann. Er hatte recht mit seiner Vermutung, daß die Windecker Stadtrechnungen mögicherweise Auskunft darüber geben könnten, welchen Preis das Windecker Ratssilber Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts erzielten. Der Verfasser dieses Beitrags hat in jahrelanger Arbeit alle im Archiv erhalten gebliebenen Bürgermeister- Rechnungen von 1465 bis zum Jahr 1923 gesichtet und von jeder auf DIN A - Blättern die wichtigsten Daten handschriftlich vermerkt. Diese Sammlung bildet eine wichtige Quelle bei seinen lokalhistorischen Forschungen. In der Rubrik "Einnahmen" der Rechnung von 1884 findet sich folgende Eintragung: "Heute, den 27. Juni 1884, gingen 3 silberne Pokale der Stadt Windecken gehörig, in den Besitz der Hof-Antiquitäten-Handlung B. Seligmann in Frankfurt a/M., Zeil 1, über, für den Kaufpreis von Fünfzehnhundert Mark. Der Stadtkämmerer Reul, dahier, wird hiermit ermächtigt, diesen Betrag zu vereinnahmen und in der 1884ten Stadt-Kämmerei-Rechnung in Einnahme zu stellen. Windecken, am 27. Juni 1884. Der Stadtrath."

Neben Bürgermeister Dietz haben diese Anweisung noch die Magistratsmitglieder Hochstadt, Dächert, Lapp und Spielmann unterzeichnet. Es scheint, daß die Windecker Ratsherren keinen sehr ansehnlichen Preis für ihre alten Ratsbecher erzielten. Auch wenn sie aus der Sicht des Händlers von geringem materiellen Wert gewesen sein sollten; ihr historischer Wert hätte für die Stadtväter damals unbezahlbar sein müssen.

Doch auch in jüngster Zeit hatten die politisch Verantwortlichen unserer Stadt zumeist nicht das richtige Gespür für die Bedeutung historischer Gebäude oder anderer Hinterlassenschaften aus der Vegangenheit. Lokalhistoriker Rolf Hohmann forscht bereits seit Jahren vegeblich nach dem Verbleib der beiden anderen Ratsbecher, die 1884 ebenfalls "verscherbelt" wurden. Obwohl die Möglichkeit besteht, daß diese beiden historischen Kostbarkeiten verloren gegangen  sind, hat er bis heute die Hoffnung nicht aufgegeben.

Der zweite Vorsitzende des Geschichtsvereins Windecken 2000, Bernd Hohmann, wird nunmehr die Suche nach den beiden verschollenen Silberbechern im Internet fortsetzen.

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