Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
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 Windecker Tabak war von guter Qualität
Geschichtsverein erinnert an ein längst vergessenes Kapitel
Erhalten gebliebene Stadtwaage verstaubt auf  Dachboden

Kaum bekannt ist heutzutage, daß im Hanauer Land früher auf größeren Flächen Tabak angebaut wurde und ein wichtiges Handelsgut darstellte. In der als Handschrift vorliegenden "Historische Chronik der beyden Stätten Alt=und Neu-Hanau" bemerkt der bekannte Hanauische Geschichtsschreiber Joh. Adam Bernhard (1688-1771) über die "Tabakindustrie" der Hanauer Neustadt im Jahre 1609: "Hier sollte man auch wol von der ersten bauung des Tobacs reden, welche plantage in vorigen Zeiten so viel eingetragen und durch gantz Teutschland bekannt gemacht. Allein die Nachrichten gehen mir ab." Wie in den Ratsprotokollen nachzulesen ist, muß der Tabakanbau um 1634, also mitten im Dreißigjährigen Krieg, in Hanau bereits größere Bedeutung erlangt haben. Im Jahre 1640 wurde eine Tabakzunft gebildet und gleichzeitig eine "Tabak Ordnung" erlassen.

Wan dieser Rauch eingehet ziehet die Zucht aus

Auch die Damen fanden damals schon Gefallen am "Tabaktrinken", und dagegen wetterte 1658 in seiner mit "Die trunkene Trunkenheit" überschriebenen Predigt der Jesuitenpater Balde: "Wan dieser Rauch bei den Weibern eingehet, ziehet die Zucht aus." Doch der Siegeszug des "Knasters" war trotz zahlreicher behördlicher Anordnungen nicht aufzuhalten. Am 11. Januar 1689 hielt der Student der Hohen Landesschule Hanau, G.L. Handwerk, einen Vortrag über "Lob und Ursprung deren von Anno 1600 als von Anfang dieses Seculi erbauten Neu-Stadt Hanau," in dem er auch ausführlich auf die Hanauer Tabakindustrie einging. "So ist auch in gantz Europa der allhiesige Hanauische Taback/so bekannt und berühmt/daß auch fast kein Königreich oder Provinz darinnen ist/wohin er nicht in großen Quantitaeten theils auf allerhand weiß fabricirt/theils aber in schönen Blättern/woraus/wie man sagt/hernach das Virginische Guth zum Theil praeparirt/und was unter solchem Namen mit großem Werth wiederumb zurück kombt/überschickt und transportirt wird; Und weilen dessen deß Jahrs in sehr verschiedenen Officinen viel tausend Centner allhir mit großer Müh und Sorgfallt/und auf allerhand Manier gesponnen und verfertiget werden/so ist wohl allen Frembden/die dergleichen nie gesehen/eine rechte Lust/wann sie mit großer Verwunderung bey etliche hundert Personen/die öfter in einer Officin arbeiten/so vielerley Actiones/wozu einen jeden die Ordnung antreibet/sehen und betrachten müssen."

Auch in Windecken florierte der Tabakanbau

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Die einst von den Besuchern des Heimatmuseums im Erdgeschoß des Windecker Rathauses bewunderte alte Windecker Stadtwaage führt auf dem Dachboden des ehemaligen Hospitals ein ebenso unbeachtetes wie unverdientes Dasein Foto: Rolf Hohmann
Der Hanauer Tabak soll von besonderer Güte gewesen sein und hatte Absatzmärkte vor allem in Holland sowie in den Handelsstädten Hamburg Bremen und Leipzig. Im "Wetterauer Geographus" von 1747 wird dazu bemerkt: "Nicht minder ist der starcke Taback-Bau mit Stillschweigen vorbey zu gehen, der vornehmlich in denen Farbriquen zu Hanau, wie denn auch zu Franckfurth, Gelnhausen, Offenbach und Schlüchtern verarbeitet, und in verschiedenen Sorten durch ein weit und breit berühmtes Commercium in ferne Lande versendet. Hierdurch aber ansehnliche Summen Geldes ins Land gebracht werden." Für das Grafenstädtchen Windecken war der Tabakanbau und-handel von noch größerer Bedeutung als für Hanau. Die Anbaufläche betrug 1653 mit 40 Morgen fest ebensoviel wie im Hauptort der Grafschaft. Da immer mehr Weinberge gerodet und wegen des wesentlich besseren Ver- dienstes mit Tabak bepflanzt wurde, erließ die Regierung 1654 ein Anbauverbot. Es hatte jedoch nicht lange Bestand, weil "die Nahrung der Weinbauern fast nur auf dem Taback beruhe." Der Tabakhandel brachte für die Windecker Stadtkasse erkleckliche Einnahmen, denn das "amtliche" Verwiegen der begehrten Ware erfolgte gegen Gebühr auf der unter dem Rathaus aufgehängten Stadtwaage durch den vereidigten Waagenmeister. Die erste Eintragung findet sich unter der Rubrik "Innahme und Außfuhrgeldt von Frucht, Wein und Tabac" in der Bürgermeister-Rechnung von 1658: "4 Gulden zahlt Marx Hochstatt von 96 Centner Tabac." Zu Beginn des 18. Jahrhunderts muß die Tabak-Anbaufläche in der Gemarkung Windecken erheblich vergrößert worden sein. Im Juni 1714 beschloß der Stadtrat, "die tabac Preße unterm Rathhauß so bald möglich uffstellen zu laßen, zu mahlen da anjetzo das Rathhauß zu und die tabackhändler sich deßen füglich bedienen." Der gestiegene Tabakumschlag war offensichtlich der Grund für das Zumauern der zuvor offenen Markthalle im Erdgeschoß des 1520 erbauten Rathauses. Der nunmehr geschlossene Raum war dann mehrere Jahrzehnte lang eine "Tabakbörse" mit zum Teil beträchtlichem Umsatz.

Es wurde allerhand böser Tabak angeboten

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Auf diesem, wahrscheinlich Ende der 50er Jahre entstandenen Foto, sind auf der Südseite des Windecker Rathauses deutlich die wahrscheinlich Anfang des 18. Jahrhunderts zugemauerten einst offenen Bogen zu erkennen. Repro: Rolf Hohmann
Im Juli 1720 brachte der Bürgermeister im Rat zur Spache, "daß wegen des tabacks Handels unter der Wagen es allerhand Unordnungen zu geben pflege, indem die hießige Juden den frembden Fuhrleuthen allerhand bösen taback verhandelten, wodurch die Fuhrleuthe abgeschrecket und die Handelsschafft einen bösen Nahmen bekomme." Daraufhin wurden Maßnahmen zur besseren Kontrolle des Tabakhandels beschlossen. So unter anderem: "Wegen Einführung des frembden Tabacks wurde inzwischen befohlen, daß wann die Juden an frembde Fuhrleuthe dergleichen böß Guth so allhier nicht gewachsen, verhandeln sollten, er in den Wagenzettel jederzeit schreiben solle, daß der Taback kein Windecker Guth sey." Offensichtlich besaß der auf dem schweren Lößboden der Windecker Gemarkung gewachsene und an der Stadtmauer getrocknete Tabak einen guten Ruf, den sich die Stadtväter nicht durch dunkle Machenschaften verderben lassen wollten. Die einstige Bedeutung des Tabakanbaus und-handels für das Nidderstädtchen soll an einigen Zahlen verdeutlicht werden. Genauen Aufschluß über die Mengenbewegungen geben die Bürgermeister-Rechnungen, aber vor allem das 1715 begonnene und 1778 geschlossene "Wagenbuch bei der Statt Windecken," auf dessen Titelblatt folgende Anordnung zu lesen ist: "Dem Wagenmeister dienet zur Nachricht, daß er allen taback, Sandblätter und Gretz, so in hiesiger Wagen gewogen wird, in dieses Buch eingetragen und quartaliter deswegen dem Bürger Meister Rechnung thun soll." Im I. Quartal 1716 wurden 853 Zentner Tabak und 108 Zentner Halbgut "so Frembde wiegen lasen," sowie 264 Zentner Tabak und 52 Zentner Halbgut "so im Land bleiben" registriert." Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeichnete sich für den Amtsort Windecken das Ende des "Tabak-Zeitalters" ab.  Im Jahre 1786 betrug das Ausfuhrgeld für 475 Zentner Tabak und 83 Zentner Halbgut noch 23 Gulden, 1805 waren die Einahmen auf ganze sieben Gulden geschrumpft. Einen Aufschwung nahm der Tabakanbau nochmals während der napoleonischen Besetzung. Anno 1811 kassierte der städtische Wagenmeister für Tabak und Halbgut 39 Gulden und an Ausfuhrgeld flossen 32 Gulden in den durch die Dauer-Kontributionen und Einquartierungen stets leeren Stadtsäckel. Aber nach dem Abzug der französischen Besatzungstruppen ging es endgültig bergab. Im Jahre 1825 betrug das Tabak-Ausfuhrgeld nur noch einen Gulden 18 Albus 6 Schillinge. Ab 1826 erfolgten in der entsprechenden Einnahme-Rubrik der Bürgermeister-Rechnungen überhaupt keine Eintragungen mehr. Da es auch sonst in Windecken nicht mehr allzuviel zum Verwiegen gab, verfiel die schwergewichtige Stadtwaage unter dem Rathaus in einen Dornröschenschlaf.
 

Kein  Plätzchen für die historische Stadtwaage frei?


Daraus wurde sie 1959 erweckt, als das historisch wertvolle Stück als ständiges Exponat des vom Verkehrs-und Verschönerungs-Verein im Erdgeschoß des Rathauses geschaffenen Heimatmuseums, also in "vertrauter" Umgebung, zur Schau gestellt wurde. Seit Auflösung des Museums "gammelt" die alte Stadtwaage, die gute und schlechte Zeiten miterlebt hat, auf dem Dachboden des alten Hospitals unbeachtet still vor sich hin und teilt damit das Schicksal vieler anderer von der Bevölkerung ab 1959 gestifteten  Erinnerungsstücke an frühere Zeiten. Es stünde der "Lebendigen Stadt mit Geschichte" gut zu Gesicht, wenn sie der historischen Windecker Stadtwaage an ihrer alten "Wirkungsstätte" einen gebührenden Platz einräumen würde. Zwischen herzzerreißenden Liebesromanen und sonstiger Literatur der jetzt im Rathaus untergebrachten Nidderauer Stadtbibliothek sollte sich wohl noch ein angemessenes Plätzchen für sie finden lassen. Für eine Erläuterungstafel dürften in der Stadtkasse auch noch ein paar Gulden zu finden sein. 


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