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Geschichtsverein Windecken 2000

 
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Fast flehentliche Bitte wurde nicht erhört
Zur Geschichte der öffentlichen Brunnen in Windecken
Aus Archiven schöpfte Rolf Hohmann

Der Dichter Johann Ludwig Wilhelm Müller (1794 -1827), den man auch "Griechen-Müller" nannte, ist im Volke weitgehend unbekannt, obwohl seine zahreichen Gedichte wie "Das Wandern ist des Müllers Lust", "Im Krug zum grünen Kranze" oder sein Zyklus "Die Winterreise" von fast 250 Komponisten vertont wurden. Der Poet war aber auch politisch engagiert und als Student trat er im Februar 1813 als Freiwilliger in das preußische Heer ein, mit dem er in den Schlachten bei Lützen, Bautzen und Hanau gegen Napoleon kämpfte. Es gibt wohl keinen Volkschor, in dessen Repertoire eines seiner bekanntesten Gedichte fehlt, das Franz Schubert 1827 vertonte:  

"Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum.
Ich träumt in seinem Schatten so manchen süßen Traum."
Ich schnitt in seine Rinde so manches liebe Wort
es zog in Freud und Leide zu ihm mich immer fort."

Obwohl im Nidderstädtchen Windecken die "Brunnenzeit" bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein abruptes Ende fand, weckt dieses Lied auch heute noch bei vielen älteren Menschen nostalgische Sehnsüchte.Von Beginn ihrer Gründung an bis zur Installierung zentraler Wasserversorgungsanlagen waren in den Städten die "gemeinen", das heißt öffentlichen, Brunnen lebensnotwendige Einrichtungen. Sie bedurften der besonderen Pflege und Wartung durch Beauftragte der Verwaltung. Im Hinblick auf die enge Bebauung mit Fachwerkgebäuden kam den Brunnen auch als Löschwasserreservoire eine besondere Bedeutung zu. In den Feuerordnungen regelten viele Paragraphen Anlage und Unterhaltung der öffentlichen Brunnen. In den umfangreichen Archivalien des ehemaligen Residenzstädtchen der Herren von Hanau gibt es ungezählte Brunnen-Hinweise, die der Geschichtsverein Windecken 2000 akribisch zusammengetragen hat. Sie bilden zusammen mit anderen Quellen die Basis für die nachfolgende Abhandlung, die an ein jahrhundertelanges und sehr wichtiges Kapitel der Stadtgeschichte erinnern soll.

Auf dem Markplatz befand sich der Hauptbrunnen

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Alt-Windecken. Der Marktbrunen mit Rathaus, Stiftskirche, der ehemaligen Stadtschänke "Zum goldenen Löwen" und dem abgebrochenen Wachthäuschen Repro: Rolf Hohmann
Ohne Wasser kann kein Leben  existieren. Dies ist zwar eine Binsenwahrheit - doch vergißt man in unserer technisierten Welt allzuleicht, daß bei unseren Vorfahren das kostbare Naß nicht einfach "aus der Wand" sprudelte. Dieses Wunder ereignete sich in Windecken erst im Jahre 1910 bei der Inbetriebnahme des Wasserwerkes in der Plewenau. Zuvor waren die Bürger bei Wind und Wetter auf Brunnen angewiesen, aus denen nicht immer sauberes Grundwasser mühsam in Eimern nach oben gehievt werden mußte. Von der Existenz der Windecker Stadtbrunnen erhalten wir erstmals in der Mitte des 15. Jahrhunderts Kenntnis. In der Bürgermeisterrechnung von 1467/68 wird in der Rubrik "Ußgifft eyn und ander" (verschiedene Ausgaben) notiert: "Item 7 s 6 hlr hot man geben denjenigen die die borne in der Stadt gefeget han" und an anderer Stelle heißt es: "Item 15 hlr für 10 strenge als man die borne fegte." In der Rechnung von 1475/76 ist unter "Ußgifft dagelohnern (Ausgaben für Tagelöhner) vermerkt: "Item 7 s 6 hlr hait glypurg verdint mit bynden am borneeymer  und ycher und bolenczober czu bynden" (..mit Bindearbeiten am Brunneneimer, am Eichmaß und am Bohlenzuber). Aus den erhalten gebliebenen Archivalien geht nicht hervor, wieviel öffentliche Brunnen es im 15. Jahrhundert in Windecken gab. In der Rechnung von 1469/70 wird ein "reiterborn" erwähnt und ab 1485 ein "Ußborn". Im Jahre 1505 taucht erstmals ein Name auf, der bis zu Beginn des 20. Jahrunderts im Mittelpunkt stehen sollte: der Marktbrunnen. Der entsprechende Eintrag in der Bürgermeisterrechnung lautet: "Item....Contz Schmidden vor dye Ketten ring zu sweißen ane dem Markt born und die eymer ring zu beßern". Im Jahre 1509 forderte der Zimmermann Lindenß Georgen für "zu arbeiten drei Winther Tag ane dem Koche born" Entgelt aus der Stadtkasse. Auch der Kochbrunnen blieb bis zu seiner 1910 erfolgten Schließung unter diesem Namen bestehen. Die vielen Ausgaben-Vermerke in den verschiedenen Jahresrechnungen und zahlreichen Belege von Handwerkern über erhaltenen Lohn für Arbeiten geben wichtige Hinweise auf die Wartung und auch technische Einzelheiten der Brunnen im Laufe der Zeit Aus dem 17. Jahrhundert sollen nur einige zitiert werden. So heißt es in der Weinmeisterrechnung von 1613/14: "21/4 viertel Wein von den gemeinen Brunnen zu fegen geben", und in der Bürgermeisterrechnung  von 1630/31: "2fl 2 ß 4 h von den samtlichen Stadtbrunnen zum Theil zum zweiten Mahl reinigen lassen". Im Jahre 1659 wurden dem Steinmetz Georg Bomler acht Schillinge dafür gezahlt, "daß er den Ring am Marcktbrunnen eingehawen", und 1660 erhielt der Zimmermeister Georg Herrscher, der die heute noch zu bewundernden mächtigen Holzsäulen im Erdgeschoß des Rathauses anfertigte, "vor 4 stöcke am Marcktbrunnen zu machen" den geforderten Arbeitslohn.

Ein "tyroler Mäurer" besserte Brunnen aus

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Ausschnitt aus einer Ansichtskarte. Links der Marktbrunnen, hinten das älteste Haus Windeckens, heute Bäckerei und Konditorei Philippi Repro: Rolf Hohmann
Erstmals wird die Zahl der öffentlichen Brunnen in Windecken um die Mitte des 17. Jahrhunderts  in der Bürgermeisterrechnung von 1666 genannt: "16 schilling 4 pfennig vor Saltz, so bey reinigung der 4 Stattbrunnen in selbige geworffen worden".  Im Laufe des Jahres 1680 wurden für Arbeiten an den Stadtbrunnen folgende Beträge gezahlt: "Hanß Jacob Schnydern vor einen Kennel  zu machen an den Juden Brunnen 22 alb 4 Pfg. Weiter vor einen Grantz zu machen uf den gemeinen Brunnen beym stedter thor 2 fl 20 alb. Dem Zimmermann Georg Dietzen vor ein gestell umb den Juden brunnen sambt Waschbäncken daselbsten undt weitere arbeit 3 fl." Unter "Außgab Gelt von Baumaterialien" ist vermerkt: "Vor bley die Klammern an den brunnen in der Juden Gaßen einzugießen 15 alb." Um den Brunnen am Kilianstädter Tor auszubesseren "und meistentheils von Grund auf zu mauern" erhielt "ein tyroler Mäurer" im Jahre 1682 zwei Gulden. Wie aus den Handwerkerrechnungen hervorgeht, gab es in Windecken des 17. Jahrhunderts teils gemauerte, teils in Holz gefaßte offene Ziehbrunnen. Die hölzernen Eimer hingen an Seilen, die über einfache Rollen liefen. Neben den öffentlichen Brunnen für das "gemeine" Volk, verfügten die Bauern auf ihren Höfen und wohlhabende Familien auf ihren Grundstücken über eigene Brunnen. Im Jahre 1937 wurden in Windecken im Rahmen der Luftschutzvorbereitungen noch 60 solcher "Zivilbrunnen" registriert. Während die für die Brandbekämpfung unabdingbaren Brunnen in den Feuerordnungen von 1681, 1688 und 1699 erstaunlicherweise nicht erwähnt werden, heißt es in der "renovirten Ordnung" der Stadt Windecken von 1716: "Die Brunnen Meister sollen sich die Brunnen genauer Aufsicht laßen befohlen seyn, und zu dem jeder sich öffter insbesondere zu denen Zeiten wann Feuer außgehet zu denen selben sich verfügen, und zusehen, daß dieselbe in gutem Wesen erhalten und nichts an Eymern und Ketten ermangeln möge". Aus diesem Passus geht hervor, daß inzwischen eine Umrüstung der Brunnen von einfachen Seilrollen auf Kettenbalken erfolgt war.

Im 18. Jahrhundert gab es sieben öffentliche Brunnen

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Gezeichnete und zumeist stilisierte Ansichts - Postkarten waren vor dem Ersten Weltkrieg sehr beliebt. Dieser Ausschnitt vermittelt einen guten Eindruck von der beherrschenden Lage des Marktbrunnens, auch wenn seine Säule wesentlich niedriger war als hier dargestellt. Repro: Rolf Hohmann
Erstmals werden 1716 alle öffentlichen Brunnen der Stadt Windecken aufgeführt: der Marktbrunnen, der Kochbrunnen, der kleine Brunnen, die Brunnen am Kilianstädter Tor, in der Judengasse, am Janischen Hof und an Werner Riglers Wohnhaus. Es gab also sieben von der Stadt Windecken unterhaltene Brunnen und an dieser Zahl sollte sich in den folgenden 100 Jahren nichts ändern. Offensichtlich wurden aber im Laufe der Zeit einige der kleineren Brunnen geschlossen und an einer günstigeren Stelle neu angelegt. Diesen Schluß läßt folgende Anmerkung im Inventar der Jahre 1723 bis 1728 zu: "An dem Brunnen bey Hl Hochstatts Hauß eine Kette mit 2 Eymer. Dießer Brunnen ist abgegangen und an Dietrich Frantzen Eck gemacht worden." Die erhalten gebliebenen Inventare mit penibler Auflistung des gesamten Eigentums der Stadt geben Hinweise auf den Zustand der öffentlichen Brunnen. Dazu einige Beispiele: "1730 ist an den Marcktbrunnen ein neu rollen gestell von eyßen angeschafft worden. 1733 sind 3 neue Steine angeschafft worden. Der Juden Brunnen ist zwar mit stein eingefaßt, braucht aber reparation." Im Inventar von 1757 wird ausgeführt: "Brunnen auf dem Marckt mit einem steinern gestell, 4 eisern stangen, 1 höltzern Welle mit einem eisern gestell, einer Kette daran, 2 Eymer mit eisen beschlagen und ein steinern Sarg." In der "Fürstlich Hessen-Hanauische Feuer-Ordnung" von 1773 bestimmt der § 63: "Die Brunnen selbst auch, zumahl wenn die Posten von Holtz sind, mit gemauerten Gehäußen (um sie eines Theils gegen das Einfrieren und anderen Theils bei einem in deren Nachbarschafft entstehenden Brande gegen das Feuer desto besser zu schützen können) einzufassen." Andere Paragraphen schreiben vor: "Aller Orten in keiner gar so weiten Entfernung, vornehmlich auf denen offenen Plätzen und wo sich die Straßen durchschneiden, gemeine Brunnen graben, solche mit 3 biß 4 Fuß hohen steinernen Geländern einzufaßen und, wann es Ziehe Brunnen sind, mit ebenfalß steinernen Gestellen, wie auch doppelten, an einer über die Rolle laufenden starcken Kette hangenden, mit Eisen wohl beschlagenen Eymern zu versehen, anbey zu einem jeden solcher Brunnen besondere Haken, oder sogenannte Wolffs Angelen und tüchtige Seiler in Bereitschaft zu halten, damit man die Zug Kette, wann sie von dem starcken Gebrauch springen sollte, schnell wieder auffangen und zusammen fügen könne." Der § 113 schreibt vor: "Die zum Wasserschöpfen an denen öffentlichen Wasserplätzen und Brunnen bestellte Leute füllen sogleich die dabey stehende Bütten und Kübel zur ohngesäumten Abfahrt derer letzteren, und erhalten die erstere mit Wasser ständige angefüllet. Wann es aber zu Wintherszeit nur in geringsten beorglich wäre, daß die Wasser Behälter und die darin beständig offen zu haltende Schöpflöcher zufrieren mögten, so soll ein jeder Wasserschöpffer zum Aufhauen des Eißes mit einem Beil versehen seyn." Vor 250 Jahren war das Löschen eines Brandes ein recht schwierige Angelegenheit. Daß mit den bescheidenen Mitteln überhaupt eine erfolgreiche Bekämpfung eines lokalen Feuers innerhalb der Stadtmauern möglich war, ist schon erstaunlich. Doch allzuoft fielen in den größeren Städten Häuser ganzer Straßenzeilen dem Roten Hahn zum Opfer. Die Chroniken sind voll mit Berichten über solche Feuersbrünste. Eindringlich Schillers Beschreibung in seinem Lied von der Glocke: "Alle rennet, rettet, flüchtet, taghell ist die Nacht gelichtet. Durch der Hände langer Kette um die Wette fliegt der Eimer, hoch im Bogen spritzen Quellen, Wasserwogen." Bis zur Einführung einer Pflicht - Brandversicherung im 18. Jahrhundert brachten solche Feuersbrünste viele Familien an den Bettelstab und sie waren auf Almosen angewiesen. "Einen Blick nach dem Grabe seiner Habe sendet noch der Mensch zurück - Greift fröhlich dann zum Wanderstabe. Was Feuers Wut ihm auch geraubt ein süßer Trost ist ihm geblieben, er zählt die Häupter seiner Lieben. Und sieh ! Ihm fehlt kein teures Haupt" (Das Lied von der Glocke). 

Brunnen am Ostheimer Tor war 16 Meter tief

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Der Brunnen am Ostheimer Tor. Daneben das Kaiserliche Postamt. Repro: Rolf Hohmann
Im Inventar von 1827 erfahren wir den Standort eines weiteren Brunnens in Windecken: "An den Brunnen beim Stiftspfarrhaus hat die Stadt einen Trog angeschafft". Im Nachtrag heißt es: "Die Pumpe dahir ist 1835 gemacht worden." Der Abbruch der Stadtmauer hatte eine Ausdehnung der Wohnbebauung vor allem im Westen und Osten zur Folge. Dies führte zum Niederbringen eines weiteren Brunnens vor dem Ostheimer Tor, für den 1840 ein Wassertrog angefertigt wurde. Im Jahre 1895 wurden dem Feldschützen Weider 6 Mark und 6 Pfennig "für Verwahrung der städtischen Pumpen gegen die Kälte" als Vergütung gezahlt, und 1897 erhielt er für das Einölen der Pumpen 22 Mark und 78 Pfennig. Wie die Archivalien belegen, wurden in Windecken die ersten aus Metall gefertigten Saugpumpen in den Brunnen zu Beginn des 19. Jahrhunderts installiert. Erhalten geblieben ist der Kostenvoranschlag des örtlichen Glockengießers, Feuerspritzen - und Pumpenfabrikanten Philipp Heinrich Bach (1798 -1871) vom Mai 1862, den wir im Wortlaut veröffentlichen: "Die Unterzeichneten sind erbötig, der Stadt Windecken, in dem Brunnen am Ostheimerthor eine Pumpe von Gußeisen zu machen welche von nachstehender Beschaffenheit sein soll. In den Brunnen wird auf die Sohle eine gußeiserne Seye gesetzt auf welche bis 15'' über den Wasserspiegel gußeiserne Röhren von 3'' Weite (im Lichten) gesetzt werden, über diesen steht ein Klappen Kasten und ein Kolben Kasten damit beide Kolben und Klappen beliebig auseinander genommen werden können. Die Klappe hat ein Untertheil von Messing, über dem Kolbenkasten steht ein gußeiserner ausgebohrter Cylinder. Auf diesem steht ein ebenfalls aus Gußeisen gefertigtes Steigrohr von 4'' Weite. Das Ganze soll bis auf den horizontalen Boden 46' lang werden. Hierauf steht ein einfacher Pumpenstock mit Ausguß. Die sämtlichen Kosten welche durch die Anfertigung dieser Pumpe entstehen nach dem von uns bereits früher übereichten Überschlag 126 Gulden." Als Preisvergleich: Im Jahre 1861 erhielt Stadtrentmeister Lind für Erstellung der Bürgermeisterrechnung mit allen Einnahmen und Ausgaben sowie für seine benötigten Schreibmaterialien eine Jahresvergütung von 135 Gulden. Aus der Längenangabe des Steigrohrs in  Fuß läßt sich errechnen, daß der Brunnen am Ostheimer Tor eine Tiefe von 16 Metern hatte. Die Glockengießerei Bach war in Windecken 150 Jahre lang das bedeutenste Unternehmen. Es wurde damals von Philipp Heinrich Bach I. und II. gemeinsam geführt. Philipp Heinrich Bach II. (1829 -1906) war der letzte Glockengießer des Hanauer Landes.

Eine erschreckende Schweinerei ist in demselben

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Einer der typischen gußeisernen Schwengel-Privatbrunnen. Er hat längst ausgedient und schmückt heute einen Vorgarten in der Höhenstraße Foto: Rolf Hohmann
Aus hygienischer Sicht gesehen war das Windecker Brunnenwasser von höchst unterschiedlicher Qualität und während langer Trockenperioden bildeten sich darin viele Krankheitskeime. Ein Schlaglicht auf die teilweisen katastrophalen Zustände wirft das "Protokoll die Beschwerde des Bürgers und Bierbrauers Philipp Schmalz zu Windecken wegen unterlassener Reinigung der Brunnen im Brunnenhaus und in der Judengasse" aus dem Jahre 1859:  "Der Brunnen im Brauhaus ist seit 10 bis 12 Jahren nicht gereinigt worden; Ratten, Mäuse usw. haben schon darin gelegen; das Wasser stinkt und hat einen gräulichen Geschmack. Der Bürgermeister ist schon zum wiederholten Malen angegangen worden, den Brunnen reinigen zu lassen; es geschieht aber nichts. Im Interesse des Publikums, welches das Bier trinkt, bitte ich einzuschreiten. Ebenso ist der Brunnen in der Judengasse in schlechtem Zustand; eine erschreckende Schweinerei ist in demselben. Auch dieser Brunnen muß gereinigt und wie früher hergerichtet werden." Die massive Beschwerde des Bierbrauers konterte Bürgermeister Menger in seinem Schreiben vom 22. Oktober 1859 an die inzwischen aufmerksam gewordene Hanauer Polizei-Direktion: "Der Brunnen im Brauhaus ist im vorigen Jahr erst gereinigt worden. Den Brunnen  in der Judengasse anlangend bemerke ich: Dieser Brunnen welcher in einer Vertiefung lag und zum Schöpfen des Wassers eingerichtet war, ist im Jahre 1836 zur Verhinderung der Verunreinigung durch die Juden zugedeckt, mit einer Pumpe versehen und die Vertiefung ausgefüllt, auch die ganze Umgebung dem übrigen Straßenpflaster gleichgepflastert worden. Dieser Brunnen  ist jetzt ganz rein. Indessen habe ich früher auch schon gehört, daß das Wasser zeitweilig schlecht schmeckt. Die Ursache hierfür möchte darin zu finden sein, daß der Jauchebehälter des Johann Peter Reul zu nahe an dem städtischen Brunnenplatz angebracht und es nicht unwahrscheinlich ist, daß sich die Jauche einen Kanal in den Brunnen gesucht hat." Die Kurfürstliche Regierung in Hanau schenkte dem "Persilschein in eigener Sache" offenbar keinen Glauben. Sie wollte der Sache im wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund gehen und ließ einen Sachverständigen das Brunnenwasser überprüfen. Am 16. November 1859 traf folgendes Schreiben auf dem Windecker Rathaus ein: "Da nach dem Gutachten des Physikers das Wasser des Brunnens in dem Brauhaus einen widrigen ekelhaften Geschmack und üblen Geruch hat, so wird der Herr Bürgermeister angewiesen, die Einfassung des Brunnens sofort ihrem Zweck entsprechend herstellen zu lassen. Damit aber das ekelhafte Wasser nicht zum Brauen verwendet werde, ist bis zur vollständigen Herstellung des Brunnens die Pumpe in einen solchen Zustand zu versetzen, daß sie nicht gebraucht werden kann." Am 23. April 1516 ordnete der Bayernherzog Wilhelm IV. in seinem kurz als "Reinheitsgebot" bezeichneten Dekret an "...daß  forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten, und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gerste, Hopfen und Wasser verwendet verwendet und gebraucht werden solle." Über die Reinheit des zum Bierbrauen verwendeten Wassers hat der bayerische Herzog kein Wort verloren. In Windecken befand sich das Brauhaus von alters her bis zum Standortwechsel in die Judengasse im 19. Jahrhunderts unmittelbar vor dem Heldenberger Tor. Das Wasser zum Brauen wurde der vorbeifließenden Nidder entnommen.

Die Brunnen-Ära geht zu Ende

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Dieses Foto entstand zu Beginn der 20er Jahre Repro: Rolf Hohmann
Nachdem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge neuer Untersuchungsmethoden Brunnenwasser als Überträger von Krankheiten erkannt worden war, fanden auch in Windecken regelmäßige Inspektionen statt. In einem Protokoll vom 19. April 1902 wird ausgeführt: "Die Wasserversorgung der Stadt erfolgt durch öffentliche und Hausbrunnen; centrale Leitung ist nicht vorhanden. Alle neun öffentlichen und und ein erheblicher Theil der Privatbrunnen sind Kesselbrunnen, vielfach oberflächliche. Die meisten Privatbrunnen, namentlich fast alle in der neuesten Zeit angelegten, sind Rohrbrunnen, in den letzten Jahren haben Wasseruntersuchungen stattgefunden, aber es ist nur das Wasser eines Brunnens beanstandet worden. Heute sind zwei Brunnen untersucht worden. Der Judenbrunnen ist drei Meter tief, die Wände sind dicht, gut cementiert ohne schadhafte Stellen. Ein steinerner Brunnentrog mit Ablaßrohr ist vorhanden. Der Privatbrunnen  ist ein 19 Meter tiefer Rohrbrunnen, in 5 - 6 Meter Entfernung eine undichte Jauche- und Abortgrube. Grundwasseruntersuchungen wurden nicht gemacht." Obwohl die Förderung des Wassers aus den Brunnen mittels Saugpumpen einen wesentlichen Fortschrit bedeutete, ging die "Brunnen-Ära" auch im alten Grafenstädtchen unaufhaltsam zu Ende. Noch 1907 mußten 252 Mark für die Unterhaltung der öffentlichen Brunnen im Etat bereitgestellt werden Ein Jahr später, am 9. Dezember 1908, berichtete die noch nicht allzulange existierende "Windecker Zeitung" auf ihrer Titelseite: "Schließung eines Brunnens. Vor einigen Tagen weilte eine Kommission verschiedenmer Herren aus Cassel in unserer Stadt. Dieselben besichtigten verschiedene Hofraiten um sich von den sanitären Verhältnissen zu überzeugen. Besonders wurde die Anlage einer Wasserleitung empfohlen. In einem Haus der Ostheimer Straße wurde die Schließung eines Brunnens angeordnet, da das Wasser für den menschlichen Genuß unbrauchbar ist. Wie noch in Erinnerung sein dürfte, ist seinerzeit dort auch ein Typhusfall vorgekommen, der nur auf die schlechte Beschaffenheit des Wassers zurückzuführen ist.

Typhusfälle beunruhigte die Bevölkerung

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Anstelle des einstigen Marktbrunnens bot sich dem Betrachter Anfang der 70er Jahre dieses Sammelsurium. Repro: Rolf Hohmann
Nach der Empfehlung der Kommission war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch im Nidderstädtchen Windecken der Fortschritt mit dem Bau einer zentralen Wsaserversorgungsanlage Einzug hielt. In ihrer Ausgabe vom 3. März 1908 befaßte sich die "Windecker Zeitung" mit dem Thema, das seinerzeit die Gemüter erhitzte; "Wie wir erfahren, sind gegenwärtig wiederum zwei Erkrankungsfälle eingetreten, die nach den Merkmalen zu urteilen, auf Typhus schließen lassen. Dieses zeigt wieder von Neuem, wie es dringend notwendig ist, durch Bau einer Wasserleitung die hiesige Stadt mit einwandfreiem Wasser zu versorgen. Wir haben schon mehrfach erwähnt, daß nach Ansicht der Sachverständigen das Grundwasser verseucht ist und zwar einmal durch die schlechte Beschaffenheit des Untergrunds und dadurch, daß der Wasserstand der Nidder öfterem Wechsel unterworfen ist und hierdurch Nidderwasser mit dem Grundwasser in Verbindung tritt und letzteres verunreinigt."  Zentrale Wasserversorgungsanlagen gab es Ende des 19. Jahrhunderts bereits in den meisten Städten des Rhein-Main-Gebiets. Als 1909 in allen preußischen Feuerwehren die einheitliche Schlauchkupplung nach dem Storz-System eingeführt und dadurch die nachbarliche Löschhilfe bedeutend erleichtert wurde, bekam die im Gang befindliche Entwickung einen weiteren Schub. Zentrale Wasserversorgung und technische Neuerungen waren hauptsächlich die Auslöser für die Bildung von Freiwilligen Feuerwehren; auch in der ehemaligen Grafschaft Hanau. Der Windecker Bürgermeister Wilhelm Schlegel erwarb sich hierbei im gesamten nördlichen Kreisgebiet große Verdienste. Am Abend des 3. März 1909 fand eine Stadtverordnetensitzung statt, in der Ingenieur Heil vor etwa 150 Zuhörern den großen Wert einer Wasserleitung hervorhob. Der Vertreter der Berlin-Anhaltischen Maschinenbau-Aktiengesellschaft nannte einen Preis von 22 Pfennig für einen Kubikmeter Wasser und diese Menge bedeute 125 Eimer. Der Referent führte aus: "Hieraus kann sich jede Hausfrau ohne Mühe ausrechnen, was sie pro Tag an Wassergeld zu zahlen hat. Hierzu tritt noch die Bequemlichkeit und Zeitersparnis. Denjenigen, die nicht im Besitz von eigenen Brunnen  sind, und das Wasser von städtischen Brunnen holen müssen, kommt die Wasserleitung ganz besonders zugute. Sie haben für einige Pfennig pro Tag das Wasser, was sie sonst mühsam auf der Straße holen müssen, zu Hause." Doch es bedurfte gar nicht der zusätzlichen Werbung eines Interessenvertreters für die Vorteile einer zentralen Wasserversorgungsanlage, denn die Zeit war einfach reif dafür.

Auch in Windecken kam nun Wasser aus der Wand

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Der neue "Jubiläums-Marktbrunnen" ist fr seinen Standort eine Nummer zu groß. Weniger Masse wäre mehr gewesen. Foto: Rolf Hohmann
Die endgültige Entscheidung über den Bau eines Gas- und Wasserwerks fiel in der Stadtverordnetensitzung vom 13. Mai 1909 und im Gemarkungsteil "Am Mühlberg" an der Straße nach Ostheim begann die beauftragte Firma unverzüglich mit Probebohrungen für die benötigten Tiefbrunnen. Ende August 1910 geschah dann das "Wunder", denn in allen Hauhalten sprudelte nunmehr je nach Bedarf Wasser aus der Wand. Wieder war nach Jahrhunderten eine Ära unspektakulär zu Ende gegangen, doch ihr trauerte kaum jemand nach. Da sich ohne Ausnahme alle Haushalte der zentralen Wasserversorgung angeschlossen hatten, waren die städtischen Brunnen überflüssig geworden. Aus nicht ganz verständlichen Gründen hatte es der Stadtrat mit ihrer Schließung sehr eilig. Die überstürzten Maßnahmen wurden von den Stadtverordneten in ihrer Sitzung vom 15. Oktober 1910 gerügt, worüber die "Windecker Zeitung" berichtete: "Eine kurze Debatte entspann sich noch über die allzurasche Entfernung des Marktbrunnens. Es wurde angeführt, daß man den alten Brunnen mit der Wasserleitung hätte verbinden können, auch hätte wohl die Gasampel einen guten Standort oben auf dem Marktbrunnen gehabt." Mitte Dezember wurde im Saal der Gaststätte "Zum Goldenen Löwen" eine Hausbesitzer-Vereingung ins Leben gerufen und in der Gründungsversammlung bemängelt man, daß die Frist zwischen Erlaß der Bekanntmachung und Schließung der städtischen Brunnen zu kurz gewesen sei. Doch alles Lamentieren half nichts, nach dem Motto "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen" wurden  die gemeinen Brunnen der Stadt Windeken als Relikte einer vergangenen Zeit umgehend geschlossen und abgebrochen. Dabei gab es für die örtlichen Handwerker etwas zu verdienen. Schmiedemeister Heinrich Clarius erhielt "für die Pumpenschwengel von den geschlossenen städtischen Brunnen abzumachen" 12 Reichmark, Julius Reichenberg "für Eisen zum  Zumachen der Öffnungen" 1,50 Mark und Karl Heinrich Gebhardt "für einen Brunnenschacht zugemacht" 5 Mark. Schließlich stellte noch Wilhelm Klosterbecker der Stadt "für Arbeiten an den Öffnungen geschlossener städtischer Brunnen" 15,55 Mark in Rechnung.

Am Brunnen vor dem Tore

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Das "Börnje" ist in schlichter, aber ansprechender Form, in der Brunnenstraße wiedererstanden. Foto: Rolf Hohmann
Obwohl sich in Windecken nach Inbetriebnahme des Wasserwerks in der Plewenau niemand mehr danach sehnte, das kostbare Naß wieder mit einem Pumpenschwengel mühsam aus der Tiefe heraufzuholen, kam besonders bei vielen älteren Bürgern so etwa wie Wehmut auf. Unsere kurze Geschichte der "gemeinen Brunnen" des Nidderstädtchens soll deshalb mit einem nostlalgischen Rückblick des Verlegers Wilhelm Scheer abgeschlossen werden.

In der von ihm herausgegebenen "Windecker Zeitung" veröffentlichte er am 10. September 1910 unter der Überschrift "Am Brunnen vor dem Tore--!" folgenden Beitrag:

"Die Dämmerung senkt sich auf die Stadt hernieder. Vom hohen Kirchturm klingen die Abendglocken; sie hallen weit über den Ort, der so freundlich zwischen Baumstücken und Obstgärten sich an den Schloßberg anlehnt. Von Wiese und Feld ruft ihr Schall die Fleißigen, vom Nidderfeld, der Aue, Hohen Straße, Läusbügel und die wie die Feldmarken alle heißen, wo die Bürger ihr schaffendes Tagewerk vollbracht. Und ziehen dann Mensch und Vieh wieder zu Hof und Stall, so öffnen sich hier und dort und überall die Tore, die Haustüren. Und nun kommen sie heran die Frauen und Mädchen, die oft getragenen Wassereimer in der Hand; überall sieht man sie an den Pumpen stehen, die grün, grau und verwittert fast bei keinem Gehöft des Städtchens fehlen. Die Pumpenschwengel kreischen, das Wasserbrünnlein sprudelt, bald voll, bald spärlich füllt es die harrenden Eimer, je nach Beschaffenheit und Güte des Borns, je nach Kraft und Gewandtheit der schwingenden Arme. Manche eilt gar fleißig und behende, die vielen Wassergänge für Haus und Stall zu besorgen; manche Nachbarin aber hat ihre Nachbarin gefunden; da müssen dann freilich die Eimer noch lange leer bleiben, denn, wo Frauen beieinanderstehen, da bleiben sie lange stehn. Schließlich aber eilen auch die letzten dahin, hinter den Fensten in den Gassen blitzen die Lichter, still wird es auf Markt und Straße; nur tief unten aus dem dunklen, verborgenen Brunnenschacht klingt es heraus wie ein Glucksen und Murmeln. Das sind die scheuen Wassertunken mit dem goldenen Krönlein auf dem Haupt, die geheimnisvoll sich von manch' verborgenem Schatz erzählen, den sie tief unten in den finsteren Gängen und Wasseradern hüten. Panta rei - alles fließt.-

Und das soll nun alles anders werden ! Wo das tiefe Gewölbe unter dem Bahndamm herführt, da liegt jenseits einsam und von der Stadt getrennt das neue moderne Wasserwerk. Gurgelnd und stöhnend arbeiten dort bei Tag und Nacht die kurbelnden Pumpen; sie müssen das Wasser aus den sammelnden Quellen des Wiesengrundes saugen und auf die Höhe des "Wingerts" pressen, wo aus hochragendem Behälter in verzweigten Leitungen die Wasser wieder zur Stadt zurückeilen. Vom Herd zum blitzenden Wasserhahn ist es jetzt nur ein kurzer Weg; die Hausfrau freut sich des Gewinns. Schnell kocht ihr Gasherd den vielbegehrten Kaffee. Und auch der Hausherr begrüßt den Vorteil; denn nicht mehr treibt ihn vom behaglichen Sorgensitz der mahnende Ruf: "Ach, Heinrich - Christian - Gottlieb" - oder wie er sonst heißen mag - "hole mir doch einen Eimer Wasser !" Panta rei - alles fließt im vergänglichen Strom der Zeit dahin, sagten schon die Denker im alten Griechenland; alles fließt, so auch, oft bezweifelt und oft mißtraut, sie fließt  nun doch, die vielersehnte Windecker Wasserleitung. So möge sie jetzt und und fernerhin noch weiter fließen, den planenden und schaffenden Förderern des Werkes zur Ehr - zum Segen und Wohlfahrt für Städte und Bürger den fernsten Geschlechtern. Aber trotz allem Lob und Dank, um eine freundliches Bild wird das Städtchen nun ärmer. Die alten Pumpen unter dem grünen Baum im Garten, in der stillen Ecke des Hofes, an Gasse und Markt; eine Zeit lang werden sie noch unbenutzt und vergessen dastehen, dann werden sie, die uns so freundlich und sorgend so manchen Trank gegeben, eines Tages in dem Fortschreiten der neuen Zeit eine nach der anderen verfallen, verschwinden.

Was Großmütterchen den Enkeln erzählte

Dann wird in fernen Tagen zu Windecken das alte Großmütterchen den horchenden Enkeln erzählen, wie sie voreinst als flinkes, blondlockiges Gretchen so oft zu dem alten Brunnen gegangen, mit schwachen Armen und doch so gern der Mutter den schweren Eimer Wasser zu holen - wie sie dann auch mit ihrem Eimern herzu gekommen waren, die lieben Freundinnen, die Gespielinnen der Jugend. Wie man so fröhlich am Born gestanden, gescherzt und erzählt von Freud und Leid, was alles das kleine Mädchenherz im Frohsinn der Jugendtage bewegt. Und dann werden die alten Bilder wieder wach in dem Herzen des Mütterchens. Sie wird erzählen aus halbvergessener Zeit, von alten Häusern und Gäßchen, von jungen Burschen und Mädchen. Sie ist nicht mehr in  dem großen Frankfurter Vorort, wo die himmelhohen Backsteinhäuser ragen und die Essen rauchen und die sausende Elektrische nach Zeil und Römerberg eilt - sie ist wieder mit ihrem Herzen in dem Traum ihrer Kindheit, dem wiesenumgebenen, gärtengeschmückten Heimatstädtchen von einst, ihrem lieben alten Windecken. Und glänzenden Auges werden die Enkel um das Großmütterchen herumstehen und oft noch werden die kleinen rotbäckigen Buben und Mädchen wiederkommen und bitten und betteln: "Heute, liebes Großmütterchen, erzählst Du uns aber wieder von Deinem lieben schönen Windecken !" Eine junge Sklavin erzählte einem alten Sultan Märchen; sie erzählte Tausend und eine Nacht. Da durfte sie eine Bitte aussprechen und erbat sich und erlangte die Freiheit. So sollen auch diese Zeilen eine Bitte aussprechen ! Auf dem Markt zu Windecken steht ein alter Brunnen. Mit hoher, steinerner Brunnensäule und weitausladendem Muscheltrog steht er viel stolzer und fester mitten auf dem Platz vor dem altertümlichen Rathaus, als wie seine Brüder und Schwestern im Städtchen. Er ist auch von viel vornehmerer Herkunft als sie, man sagt, daß er einst auf dem Schloßhofe eines Edelmannes gestanden habe. Aber auch seine Stunde hat geschlagen; auch er soll Abschied nehmen. In einer alten Rumpelkammer des Rathauses oder einem abgelegenen Winkel der Stadt soll er einsam und unbeachtet von vergangenen Zeiten träumen. Nun  sind  gerade zur rechten Zeit einige Männer in Windecken zusammengetreten, um im Verein mit anderen Gleichgesinnten im Schaffen und Fördern kleiner und größerer Anlagen dem Gemeinwesen und der Heimatstadt zu dienen. Der Dank vieler Bürger würde diesen Heimatfreunden sicher sein, wenn sie die Vereinigung ihrer Kräfte in die Wagschale würfen, um der Stadt dieses kleine Wahrzeichen vergangener Tage zu erhalten. Denn gerade dort auf seinem Standpunkt vor dem Rathausbau und inmitten des von hochgiebeligen Häusern umsäumten Marktes würde der Brunnen auch für die kommenden Generationen ein bleibendes Denkmal aus der stillen, freundlichen Vergangenheit ihrer Heimatstadt bilden !"

Fast flehentliches Bitten wurde nicht erhört

Doch selbst dieses, fast flehentliche, Bitten eines Neubürgers stieß bei den Verantwortlichen auf taube Ohren. Auch der damals gegründete Verkehrs- und Verschönerungs - Verein konnte oder wollte die Stadtväter nicht davon überzeugen, daß der altehrwürdige Marktbrunnen als historisches Denkmal erhalten bleiben sollte, zumal ja keine Unterhaltungskosten zu erwarten waren. Dieses "Relikt" aus vergangenen Zeiten mußte im Eiltempo dem "Fortschritt" geopfert werden, ebenso wie noch in unseren Tagen das Wachthäuschen am Marktplatz. Trotz einiger Nachforschungen konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, wohin die steinernen Aufbauten des Marktbrunnen verbracht wurden. Als er nicht mehr vor sich hinplätscherte merkten auch die Mitglieder des Magistrats, daß dem Ortsmittelpunkt nach Jahrhunderten sozusagen "die Seele" genommen worden war. Auf alten Ansichtskarten kann nachvollzogen werden, was man im Lauf der Zeit mit dem verwaisten Brunnenplatz so alles anstellte. Nachdem er zunächst "platt gemacht" worden war, erfolgte eine kleine, runde Aufpflasterung. Hier fanden ein Hydrant und ein hochaufragender, gußeiserner Wegweiser mit einer Gaslaterne als Krönung Platz. Er wich dann einer etwas schlichterner Ausführung. Nachdem der Kraftfahrzeugverkehr auf der durch den mittelalterlichen Stadtkern des einstigen Amtsortes Windecken mit seinen engen Gäßchen und Straßen führenden Reichs-und späteren Bundesstraße 45 zunahm, wurde die Pflasterung in Form eines "abgerundeten Dreiecks" vergrößert. Der Hydrant verschwand und an seiner Stelle trug nun eine gedrungene Steinsäule  etwas modernere Hinweisschilder und eine elektrische Ampelleuchte. Während an dieser Stelle der Marktbrunnen jahrhundertelang den Windeckern Bürgern, lediglich dem jeweils neuesten Stand der Technik angepaßt, sonst aber unverändert, das kostbare Naß spendete, fand hier in immer kürzeren Abständen nun das muntere Spielchen "Bäumchen wechsle dich" statt. Die Steinsäule mußte zunächst einem Peitschenmasten weichen, der aufgrund massiver Proteste bald wieder abgebaut wurde. An dem dann senkrecht aufragenden Masten befand sich zunächst ein runder, später ein dreiarmiger Strahler-oder auch umgekehrt. An ihm wurden nunmehr die beleuchteten Wegweiser und ein Verkehrsspiegel befestigt, auf der Insel Verkehrszeichen einbetoniert und als Krönung eine Notrufsäule aufgestellt. Plakate jeder Art verschandelten den Marktmittelpunkt und dies besonders vor Wahlen.

Windecken erhält auf dem Markt einen Jubiläumsbrunnen

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Der Neustädter Markt in Hanau um 1885 mit dem Marktbrunnen. Repro: Rolf Hohmann
Doch die Rettung nahte in Form eines großen Jubiläumsfestes. Am 5. August Anno 1288 hatte König Rudolf von Habsburg der jungen Residenz des ihm treu ergebenen Herrn Ulrich I. von Hanau die Stadtrechte verliehen und aus der unbedeutenden Ansiedlung Tezelenheim wurde das mauerumwehrte Windecken. Bereits die 650. Wiederkehr dieses Tages hatten die Windecker 1938 mit einem großen Fest gefeiert. Obwohl das Nidderstädten bereits 1970 seine Selbständigkeit verloren hatte und als Stadtteil in Nidderau aufgegangen war, sollte die 700-Jahrfeier nach dem Willen der Stadtoberen alles Dagewesene übertreffen. Im Hinblick auf das Stadtjubläum war Windecken in das hessische Landesprogramm "Einfache Stadterneuerung" aufgenomen worden. Für Sanierungs-und Umgestaltungsmaßnahmen im historischen Ortskern hatte Wiesbaden Förderungsmittel in Höhe von 667 000 Mark zugesagt. Im März 1985 fand für die betroffenen Anlieger eine Informationsveranstaltung in der Schloßberghalle statt. Bürgermeister Willi Salzmann berichtete über den Stand der Planung und sagte: "Wir sind stolz auf unseren schönen Marktplatz, den wir erhalten und zu einem wahren Schmuckstück umgestalten wollen." Neu entstehen solle auch der 1910 abgebrochenen Marktbrunnen, "allerdings nicht in der historischen Form." Bevor die Pflasterarbeiten auf dem Marktplatz begannen, wurde im Juli 1987 der Sockel für den neuen Brunnen hergestellt. Schon in diesem Stadium regte sich Kritik, denn viele Bürger befürchteten, daß des geplante "Schmuckstück" angesichts der gewählten Dimension zu einem Verkehrshindernis werden würde. Die Befürchtungen der "ständigen Nörgler" bewahrheiteten sich, noch ehe der Brunnen vollendet war. Um weitere Beschädigungen durch Kraftfahrzeuge zu verhinden, wurden im September 1987 rund um den Brunnen Eisenpfosten angebracht. Die Fachleute hatten aber offensichtlich die kinetische Energie auch langsam fahrender Kraftfahrzeuge unterschätzt. Die  "Schwächlinge" wurden durch stärkere "Poller" ersetzt und diese mit einer wuchtigen Eisenkette verbunden. Zur Zeit wird der Marktbrunnen durch stabile Betonsäulen geschützt und er gleicht dadurch einem kleinen Fort.
Das "Börnje" ist in schlichter, aber ansprechender Form, in der
Brunnenstraße wiedererstanden

Nachbetrachtung

Leider ließen sowohl Planer als auch Kommunalpolitiker die einmalige Chance ungenutzt, in Anlehung an bestehende Vorbilder einen Brunnen auf dem Marktplatz zu errichten, der den historischen Gegebenheiten in etwa entsprach und der Umgebung angepaßt war. So einen "Schmuckbrunnen", wie er seit dem Jubiläumsjahr 1988 den Marktplatz "ziert," hätten sich die Windecker in früheren Jahrhunderten gar nicht leisten können. Vor allem  wäre er für den eigentlichen Zweck, nämlich die Bevölkerung mit dem lebensnotwendigen Naß zu versorgen und auch bei klirrender Kälte problemlos Löschwasser zu schöpfen, völlig unpraktisch gewesen. Man vergleiche dieses "Bauwerk" einmal mit den in ihren Ausmaßen weit bescheideneren Hochbrunnen in Orten unserer Umgebung. Deren Aufbauten sind zwar oft künstlerisch, aber eben zweckmäßig gestaltet. Sogenannte "Protzbrunnen" passen zu Schlössern oder auf große Plätze von Residenzstädten. Der "Trevi-Brunnen-Verschnitt" auf unserem Marktplatz ist nach Ansicht vieler Bürger und Gäste ziemlich deplaziert. Die "Experten" hätten auch wissen müssen, daß unser hartes Wasser beim Fließen unschöne Ablagerungen auf dem gewählten Sandstein hinterlassen würde. Aus dem "Schmuckstück" wird immer mehr ein unansehnliches Bauwerk. Das "Börnje" in der Brunnenstaße beweist, daß man es auch besser konnte. Hier trifft sicher der gängige Spruch zu: "Klein, aber fein."

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