In
jüngster Zeit hat unser Finanzminister Eichel wieder einmal an der
Tabak-Steuerschraube gedreht und dadurch die Zahl seiner ohnehin
wenigen Freunde weiter verringert. Obwohl das Jammern immer weiter
anschwillt, wollen die meisten "Tabaktrinker" nicht auf ihren
liebgewonnenen Genuss verzichten und greifen lieber seufzend etwas
tiefer in ihren (auch aufgrund anderer Belastungen) immer schmaler
werdenden Geldbeutel. Wie wäre es deshalb, wenn vor allem die ganz
starken Raucher ihre Tabakpflanzen selbst biologisch anbauen
würden und die so gewonnene Marke Eigenbau (Bahndamm erster
Schnitt) mit einem Grinsen in Richtung Finanzminister geniessen
würden? Rechtlich gesehen stünden dem Selbsterzeuger keine
Bestimmungen im Wege. So sind nach der aktuellen Fassung
des einschlägigen Gesetzes "Tabakwaren, die
außerhalb eines zugelassenen Herstellungsbetriebes aus
Kleinpflanzertabak hergestellt und weder zum Handel noch zur
gewerblichen Verwendung bestimmt sind" vom Steuer- und Verpackungszwang
befreit.
Hanauer Tabak in ganz Europa bekannt und berühmt
Es soll in einem geschichtlichen Rückblick daran erinnert werden,
daß der Hanauer Raum einst ein Zentrum des Tabakanbaues und der
Weiterverarbeitung war, wovon erstmals der Archivar Bernhard 1609 in
seiner Chronik berichtet. Wie aus den erhalten gebliebenen
Ratsprotokollen hervorgeht, muß er um 1634, also mitten im
Dreißigjährigen Krieg, in Hanau größere Bedeutung
erlangt haben. Im Jahre 1640 wurde eine Tabakzunft gebildet und
geichzeitig eine "Tabak-Ordnung" erstellt. Auch die Damen fanden damals
schon Geschmack am "Tabaktrinken" und dagegen zog der Jesuitenpater
Balde schwer vom Leder. In seiner mit "Die trunkene Trunkenheit"
überschriebenen Rede wetterte er Anno 1658: "Wan dieser Rauch bei
den Weibern eingehet, ziehet die Zucht aus."
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Das Städtchen Windecken umschloß bis Anfang des 19. Jahrhunderts eine teilweise bis zu 12 Meter hohe Mauer mit gedecktem Wehrgang. An ihr wurden die Tabakblätter zum Trocknen aufgehängt. In der Ostheimer Straße befindet sich ein erhalten gebliebener Rest.
Aufnahme Helmut Roßbach 1959
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Doch der Siegeszug des "Knasters" war trotz zahlreicher Auflagen durch
die Obrigkeit nicht aufzuhalten. Am 11. Januar 1689 hielt der Student
der Hohen Landesschule, G. L. Handwerk, eine Rede über "Lob und
Ursprung deren von Anno 1600 als von Anfang dieses Seculi erbauten
Neu-Stadt Hanau", in der er auch ausführlich auf die Hanauer
Tabakindustrie einging: "So ist auch in gantz Europa der allhiesige
Hanauische Taback/so bekannt und berühmt/daß fast auch kein
Königreich oder Provinz darinnen ist/wohin er nicht in
großen Quantitaeten theils auf allerhand weiß
fabricirt/theils aber in schönen Blättern/woraus wie man
sagt/hernach das Virginische Guth zum Teil praeparirt/und was unter
solchem Namen mit großem Werth wiederumb zurück
kombt/überschickt und transportirt wird; Und weilen dessen des
Jahrs in sehr verschiedenen Officinen viel tausend Centner allhier mit
großer Müh und Sorgfallt/und auf allerhand Manier gesponnen
und verfertiget werden/so ist wohl allen Frembden/die dergleichen nie
gesehen/eine rechte Lust/wann sie mit großer Verwunderung bey
etlichen hundert Personen/die öfters in einer Officin arbeiten/so
viele Actiones/wozu einen jeden die Ordnung antreibet/sehen und
betrachten müssen."
Die Stadt Windecken sahnte beim Tabakhandel mächtig ab
Der Hanauer Tabak soll von besonderer Güte gewesen sein und hatte
Absatzmärkte vor allem in Holland sowie in den Handelsstädten
Hamburg, Bremen und Leipzig. Im "Wetterauer Geographus" von 1747 wird
bemerkt: "Nicht minder ist der starcke Taback-Bau mit Stillschweigen
vorbey zu gehen, der vornehmlich in den Fabriquen zu Hanau, wie denn
auch in Franckfurth, Gelnhausen, Offenbach und Schlüchtern
verarbeitet, und in verschiedenen Sorten durch ein weit und breit
berühmtes Commercium in ferne Lande versendet. Hierdurch aber
ansehnliche Summen Geldes ins Land gebracht werden." Für die
alte Grafenstadt Windecken war der Tabakanbau und -handel von noch
größerer wirtschaftlicher Bedeutung als für Hanau. Die
Anbaufläche betrug mit 40 Morgen fast ebensoviel wie die des
Hauptortes der Grafschaft. Da immer mehr Weinberge gerodet und wegen
des wesentlich besseren Verdienstes mit Tabak bepflanzt wurden,
erließ die Regierung 1654 ein entsprechendes Anbauverbot. Es
hatte jedoch nicht lange Bestand, weil "die Nahrung der Weinbauern fast ganz auf dem Taback beruhe."
Der Tabakhandel brachte für die Windecker Stadtkasse erkleckliche
Einnahmen, denn das "amtliche" Verwiegen der begehrten Ware erfolgte
gegen Gebühr auf der unter dem Rathaus aufgehängten
Stadtwaage durch den vereidigten Waagenmeister. Der erste Vermerk ist
unter der Rubrik "Innahm Außfurgeldt von Frucht, Wein und Tabac" in der Bürgermeister-Rechnung von 1658 erhalten geblieben: "4 Gulden zahlt Marx Hochstatt von 96 Centner Tabac."
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Tabak-Anbaufläche in der
Gemarkung Windecken erheblich vergrößert. Daraufhin
beschloß der Stadtrat im Juni 1714 "die tabac Preße
unterm Rathhauß so bald wie möglich uffstellen zu
laßen, zu malen da anjetzo das Rathhauß zu und die
tabackhändler sich deßen füglich bedienen." Der
gestiegene Tabakumschlag war offensichtlich der Grund für das
Zumauern der zuvor offenen Markthallen im Erdgeschoß des 1520
erbauten Rathauses. Der nunmehr geschlossene Raum beherbergte dann
mehrere Jahrzehnte lang eine "Tabakbörse" mit zum Teil
beträchtlichem Umsatz.
Im I. Quartal 1716 wurden über 1000 Zentner Tabak verwogen
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Das vom Verkehrs- und Verschönerungsverein eingerichetet Heimatmuseum befand sich im Erdgeschoss des Rathauses, lange Zeit ein Umschlagplatz für den in der Region angeauten Tabak. Oben rechts die alte Stadtwaage.
Aufnahme Helmut Roßbach 1960
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Im Jahr 1720 war der über Windecken hinaus bekannte Zimmermeister
Johann Jörg Baron Oberbürgermeister. Im Juli brachte er im
Rat zur Sprache, "daß wegen des taback Handels unter der Wagen
es allerhand Unordnungen zu geben pflege, indem die hießige
Juden, denen frembden Fuhrleuthen allerhand bösen taback
verhandelten, wodurch die Fuhrleuthe abgeschrecket und die
Handelschafft einen bösen Nahmen bekomme." Daraufhin beschloß der Rat Maßnahmen zur besseren Kontrolle des Tabakhandels. So unter anderem: "Wegen
Einführung des frembden Tabacks wurde inzwischen den Wagenmeistern
befohlen, daß wann die Juden an frembde Fuhrleuthe dergleichen
böß Guth so allhier nicht gewachsen, verhandeln sollten, er
in den Wagenzettel jederzeit schreiben solle, daß der Taback kein
Windecker Guth sey." Offensichtlich besaß damals der auf dem
schweren Lößboden der Windecker Gemarkung gewachsene und an
der Stadtmauer in luftiger Höhe getrocknete Tabak einen guten Ruf,
den sich die Stadtväter nicht durch dunkle Machenschaften
verderben lassen wollten. Genauen Aufschluß über die
Mengenbewegungen der "Tabakbörse" im Amtsort geben die in
großer Zahl erhalten gebliebenen Bürgermeister-Rechnungen;
aber vor allem das 1715 begonnene und 1778 geschlossene "Wagenbuch bei
der Statt Wagen", auf dessen Titelblatt folgende Anordnung zu lesen
ist: "Dem Wagen Meister dienet zur Nachricht, daß er allen
taback, Sandblätter und Gretz, so in hiesiger Wagen gewogen wird,
in dieses Buch eintragen und quartaliter deswegen dem Bürger
Meister Rechnung thun soll." Im I. Quartal 1716 wurden 853 Zentner
Tabak und 108 Zentner Halbgut "so Frembde wiegen lasen", sowie 264
Zentner Tabak und 52 Zentner Halbgut "so im Land bleiben" registriert."
Anfang des 19. Jahrhunderts ging es mit dem Tabakanbau bergab
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeichnete sich bereits das Ende des
"Tabak-Zeitalters" für das alte Grafenstädtchen ab. Im Jahre
1786 betrug das Ausfuhrgeld für 475 Zentner Tabak und 83 Zentner
Halbgut noch 23 Gulden, 1805 waren die Einnahmen auf ganze sieben
Gulden geschrumpft. Einen kurzen Aufschwung nahm der Tabakanbau
nochmals während der napoleonischen Besetzung. Anno 1811 kassierte
der städtische Wagenmeister für Tabak und Halbgut 39 Gulden
und an Ausfuhrgeld flossen 32 Gulden in den von französischen
Dauer-Kontributionen gebeutelten Stadtsäckel. Aber nach Abzug der
Besatzungstruppen ging es endgültig bergab. Im Jahre 1825 betrug
das Tabak-Ausfuhrgeld nur noch einen Gulden 18 Albus 6 Schillinge. Ab
1826 erfolgten keine Eintragungen mehr unter dieser Rubrik der
Bürgermeister-Rechnungen. Nachdem bereits Ende des 18.
Jahrhunderts der früher florierende Weinanbau fast gänzlich
zum Erliegen gekommen war, gab es nun auch nichts mehr am
Tabakgeschäft zu verdienen. Vielleicht blühen angesichts der
modernen "Dauer-Kontributionen" unserer Finanzminister in Windecker
Gemarkungen bald wieder Tabakpflanzen, und die Sorte
"Wartbäumchen" findet Freunde unter den Kettenrauchern.
Anleitungen zum Anbau von Tabak und zur Fermentierung der Blätter
bietet das Internet zuhauf.
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