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Wer war Dr. Ernst Schneider
Geschichtsverein Windecken will Andenken bewahren
Von Rolf Hohmann
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Musterungsjahrgang Heldenbergen 1918. Hinten Links Gymnasiast Ernst Schneider
Repro: Rolf Hohmann
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Im Rahmen einer feierlichen
Stadtverordnetensitzung wurde Professor Dr. rer. pol. Dr. med. h.c.
Ernst Schneider am 25. Oktober 1975 die erste
Ehrenbürgerwürde der am 1. Januar 1970 durch den
Zusammenschluß der selbständigen Kommunen Heldenbergen und
Windecken entstandenen neuen Stadt Nidderau verliehen.
Obwohl heute auf der durch die Bundesstraßen 45 und 521 in
Heldenbergen gebildeten Dreispitz am 20. Oktober 1983 eingeweihte
"Ernst-Schneider-Gedenkbrunnen" immer noch sprudelt, ist der erste
Nidderauer Ehrenbürger weitgehend in Vergessenheit geraten. Als
Freier Mitarbeiter einiger Lokalzeitungen habe ich in
Zeitungsbeiträger immer wieder an Dr. Schneider erinnert. Im
September/Oktober 1983 stellte ich im Foyer der Schloßberghalle
in einer Vitrine Erinnerungsstücke an den am 22. September 1977
verstorbenen Ehrenbürger aus. Der Geschichtsverein Windecken 2000
will nun durch Veröffentlichungen auf seiner Homepage und anderen
Inititativen verstärkt das Andenken an Dr. Schneider wachhalten.
Aus Anlaß seines 65. Geburtstages veröffentlichte die
Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Industrie
und Handelstages folgenden Lebenslauf:
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DIHT-Präsident Dr. Schneider mit Bundeskanzler Adenauer in Düsseldorf (1963)
Repro: Rolf Hohmann
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"Dr. rer. pol. Dr. med. h.c. Ernst Georg Schneider, einer der
vielseitigsten deutschen Unternehmer, seit 1963 Präsident des
Deutschen Industrie- und Handelstages, stammt aus Hessen. Er wurde am
6. Oktober 1900 im oberhessischen Heldenbergen als Sohn eines Landwirts
geboren. An kaufmännisches Denken im Elternhaus früh
gewöhnt studierte er nach dem Abitur (1918) Betriebswirtschaft,
Volkswirtschaft und Rechtswissenschaft an der Universität
Frankfurt/Main. Noch vor seiner Promotion (1922) trat der junge
Diplom-Kaufmann (Examen 1921), der in Frankfurt Assistent bei Professor
Fritz Schmidt war, im Jahre 1922 in die Dienste einer schweizerischen
Finanzgruppe, um als Direktionssekretär die Kontrolle der
deutschen Beteiligungen zu übernehmen. Drei Jahre später ging
er nach Berlin zu Dr. S. Arndt, der die Hauptbeteiligung der Odol-Werke
erworben hatte, und wurde schon im Alter von 25 Jahren dessen
Juniorpartner.
In seinen Berliner Jahren hat Dr. Schneider, nach seinen eigenen
Worten, die "höhere Mathematik" für seine späteren
Erfolge gelernt. Zusammen mit Dr. Arndt baute er eine Industriegruppe
auf, die sich von den üblichen Konzernen durch eine Mischung von
Vermögenswerten verschiedener Firmen unterschied. Diese Minderung
der geschäftlichen Risiken durch eine Gruppierung verschiedener
Interessen in einer gemeinsamen Dachgesellschaft ist auch heute noch
ein wesentliches Merkmal der unternehmerischen Betätigung Dr.
Schneiders.
Als Dr. Arndt unter der Herrschaft des Nationalsozialismus Deutschland
verlassen mußte, übernahm Schneider die gesamte Gruppe, um
seinem Freund und Partner dessen Anteile später
zurückzugeben, was nach dem Krieg geschehen konnte. Aus
Altersgründen schied Dr. Arndt 1955 aus. In dem Bankhaus C. G.
Trinkhaus und in der Berliner Handelsgesellschaft fand Dr. Schneider
neue Partner für seine Holding, zu der die Lingner-Werke GmbH
("Odol"), früher Dresden jetzt Düsseldorf, und unter anderem
die Stahl- und Apparatebaufirmen Hein, Lehmann & Co. AG,
Düsseldorf, und Hilgers AG, Rheinbrohl, gehören. Die
Interessen Schneiders reichen heute von der Kohle über Chemie und
Eisenverarbeitung bis zur Herstellung von Konsumwaren. Als Vorsitzender
der Dachgesellschaft Kohlensäure-Industrie AG und deren
Organtochter sowie als Vorsitzer oder Mitglied des Aufsichtsrats bei
den verschiedenen Beteiligungen nimmt er bei allen entscheidenden
Fragen persönlichen Einfluß auf die Gesellschaftspolitik der
Unternehmen.
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Dr. Schneider mit Bundeskanzler Erhard im Gespräch (1964)
Repro: Rolf Hohmann
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Dr. Schneider, der seit 1949 Präsident der Industrie- und
Handelskammer zu Düsseldorf ist und daneben eine Reihe anderer
Ehrenämter bekleidet, hat sich, besonders durch die Schaffung der
C. Rudolf Poensgen Stiftung e.V. im Jahre 1956, um die Ausbildung des
unternehmerischen Nachwuchses verdient gemacht. Als Präsident des
Rates für Formgebung und Gestaltkreises im Bundesverband der
Deutschen Industrie setzt er sich für die moderne und
funktionsgerechte Gestaltung von Industrieerzeugnissen ein. Dr.
Schneider ist ein leidenschaftlicher Freund und Förderer der
Kunst. Seine Vorliebe gehört den künstlerischen Leistungen
des 18. Jahrhunderts und der modernen Malerei; berühmt ist seine
kostbare und einzigartige Sammlung von Alt-Meißener Porzellan."
In "Neue Männer an der Ruhr" (Düsseldorf 1958) zeichnete Karl
Heinrich Herchenröder folgendes Porträt von Dr. Ernst
Schneider:
"Ein Unternehmer darf nicht nur immer seine Geschäfte im Kopf
haben, wenn er auf Dauer wirklich Erfolg haben will. Nach diesem Rezept
verfährt auch Dr. rer. pol. Ernst Schneider, Düsseldorf, der
sich vor allem dadurch von anderen Unternehmerpersönlichkeiten an
Rhein und Ruhr unterscheidet, daß er es versteht, entweder als
Geschäftsführer oder als Aufsichtsrat eine ganze Anzahl
unterschiedlicher Industriegesellschaften zu leiten, deren Produktion
von der Kohle über die Eisenverarbeitung bis zur Chemie und die
Herstellung von Konsumwaren reicht. An allen Unternehmungen, denen er
vorsteht oder deren Aufsichtsrat er angehört, ist er auch
kapitalmäßig beteiligt. Dr. Schneider vereinigt also in sich
die Tätigkeit eines Managers und selbständigen Unternehmers.
Das gibt ihm die innere Sicherheit und Souveränität, mit der
er allen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Fragen
entgegenzutreten pflegt.
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Zusammen mit der Lokaljournalistin Emmy Hohmann besichtigt
Bürgermeister Willi Salzmann Mitte September 1983 die
Ausstellungsvitrine mit Erinnerungsstücken an Dr. Ernst Schneider im
Foyer der Schloßberghalle.
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Seit 1949 ist Dr. Ernst Schneider Präsident der Industrie- und
Handelskammer Düsseldorf. In dieser Eigenschaft ist er alles
andere als eine Repräsentationsfigur. Durch die Erweiterung des
Vorstandes und der Vollversammlung der Kammer, hat er dafür
gesorgt, daß alle wichtigen Wirtschaftszweige des vielseitigen
Kammerbezirks in diesen Führungsgremien vertreten sind. Mit der
routinemäßigen Betreuung der Firmen des Kammerbezirks
begnügte er sich jedoch keineswegs. Er hat sich vielmehr besonders
der Förderung aller Außenhandelsfragen angenommen und die
Steuer- und Finanzpolitik - nicht nur von Bund und Ländern,
sondern auch der Kommunen - wiederholt kritisch durchleuchtet. Es
wäre gut, wenn die Steuerbehörden, insbesondere das
Bundesfinanzministerium in Bonn, dieser berechtigten Kritik
stärkere Aufmerksamkeit schenken würden. Die besondere Sorge
Dr. Schneiders gilt der Heranbildung eines guten
Unternehmernachwuchses. Zu dessen Förderung ist unter der
Führung Dr. Schneiders und des Haptgeschäftsführers der
Düsseldorfer Kammer, Dr. Albrecht, im Jahre 1956
anläßlich des 125jährigen Kamerjubiläums, die C.
Rudolf Poensgen-Stiftung e.V. errichtet worden, die durch ihre gut
durchdachten und durchgeführten Kurse für den
Unternehmernachwuchs schon viel von sich reden gemacht hat. Dr.
Schneider ist auch im Hauptausschuß des Deutschen Industrie- und
Handelstages sowie in den Gremien einiger Auslandskammern und in der
Internationalen Handelskammer tätig, wo man seinen klugen Rat zu
schätzen weiß.
Besonders verdienstvoll ist das ständige Eintreten von Dr.
Schneider für eine verstärkte Publizität der deutschen
Unternehmungen. Er ist der Meinung, daß es nur auf diesem Wege
gelingen wird, die Millionenzahl der deutschen Sparer für die
Aktie als Anlegepapier zu interessieren. Er glaubt jedenfalls nicht,
daß die geringe Zahl der Unternehmer ausreichen wird, um den
Kapitalmarkt zu befruchten und die für den weiteren Ausbau
der deutschen Industrie erforderlichen beträchtlichen
Kapitalmittel zu beschaffen. Ernst Schneider hat daher auch lebhaft im
Fördererkreis für das Aktienpapier mitgewirkt. Die bekannten
Publikationen des Kreises über eine bessere Gliederung der
Bilanzen auf der Erfolgsrechnung sowie über den
wünschenswerten Mindestinhalt der Geschäftsberichte von
Aktiengesellschaften gehen auf seine Entwürfe zurück. Er
setzt sich auch vorbehaltlos für eine Beantwortung aller
Aktionärsfragen in den Hauptversammlungen ein. Das begründete
er mit den bei den heutigen Verhältnissen im deutschen Aktienwesen
leider beinahe doch revolutionär anmutenden Satz: "Die Fälle,
in denen die Verwaltung eine Auskunft verweigern muß, kann man
wie eine Stecknadel suchen."
Ernst Schneider ist alles andere als ein einseitiger Wirtschaftler.
Seine besondere Liebe gilt der bildenden Kunst, als Sammler hat er sich
einen angesehenen Namen gemacht. Seine kostbare Sammlung von
Alt-Meißner Porzellan hat er der Stadt Düsseldorf als
Leihgabe zusammen mit Möbeln und Gemälden aus dem 18.
Jahrhundert zur Verfügung gestellt. Diese Sammlung bildet heute
den Anziehungspunkt und den Schmuck des wieder hergestellten Schlosses
Jägerhof.
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Das Grab Dr. Scheiders auf dem Oberschleißheimer Friedhof.
Repro: Rolf Hohmann
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Aber auch die moderne Malerei und Graphik findet in Dr. Schneider einen
eifrigen Förderer. Das Treppenhaus des neuen Odol-Hauses in
Düsseldorf hat er zu einer höchst sehenswerten Bildergalerie
mit Werken von Picasso, Chagall, Dufy und Toulouse-Latrec ausgestaltet.
Da ihm der Umgang mit Bilden soviel Freude bereitet, hat er selbst die
Werke dort aufgehängt. In seinem Büro hängen ein
Jublensky und ein Miro einträchtig nebeneinander. In seinen
Privaträumen vertragen sich moderne Bilder und schöne alte
Möbel bemerkenswert gut miteinander, und der beondere Clou ist
hier ein abstraktes Gemälde von Nay, das an der Decke befestigt
ist. Dr. Schneider ist davon überzeugt, daß der Umgang mit
Kunstwerken sich auch günstig auf die Atmosphäre im
Betrieb auswirken muß; deshalb hängen auch in einigen
Sitzungsräumen des Odol-Hauses wertvolle Bilder aus der Zeit des
deutschen Expressionismus.
Bei der Aufgeschlossenheit für die alte und moderne Kunst ist es
nicht verwunderlich, daß Dr. Schneider auch im Kulturkreis des
Bundesverbandes der Deutschen Industrie aktiv mitwirkt. Dort hat er die
Leitung des Ausschusses für das Kunsthandwerk übernommen.
Seitdem er den Vorsitz des Düsseldorfer Industrieclubs innehat,
bemüht er sich auch um die Belebung des Interesses der Mitglieder
für wirtschaftspolitische und außenpolitische Fragen. Er hat
schon manchen Redner von internationalem Rang für Vorträge
vor den Clubmitgliedern gewonnen."
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Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Vereins.
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