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Pfarrer Carl Henß (1863-1938)
Repro: Rolf Hohmann
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Der Wartbaum bei Windecken wurde im Laufe der
Geschichte Zeuge mancher historischer Ereignisse. Die etwa 500 Jahre
alte Linde ist in jüngster Zeit durch das Projekt »Hohe
Straße« des Planungsverbands Ballungsraum Frankfurt
Rhein-Main wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses
gerückt, denn viele Radwanderer legen auf der Wartbaumhöhe
eine Rast ein und genießen die in den letzten Jahrzehnten durch
Wildwuchs in unmittelbarer Umgebung leider eingeschränkte
Weitsicht zu den Höhen des Taunus, Vogelsberges, Spessarts und
Odenwalds sowie in die Weiten der südlichen Wetterau. Eine kleine
Informationstafel gibt zwar in Stichworten Auskunft über die
wichtigsten Ereignisse, weckte aber bei vielen geschichtsinteressierten
Mitbürgern weitergehendes Interesse. Da den Geschichtsverein
Windecken immer öfter Anfragen erreichen, sollen alle bekannten
Quellen über den Wartbaum weitgehend im Wortlaut auf der Homepage
unseres Vereins als lose Beitragsfolge zusammen gefasst werden. Diese
Dokumentation dürfte für spätere Historiker ein
wertvolles Nachschlagewerk sein.
Neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit in der Evangelischen
Kirchengemeinde Windecken (1886 - 1938) befasste sich der
Metropolitan und Kreispfarrer Carl Henß intensiv mit der
Geschichte des Städtchens und des Heimatkreises. In verschiedenen
Publikationen veröffentlichte er eine große Zahl von
Abhandlungen und für sein Hauptwerk »Die Hanauer
Union« verlieh ihm die Philipps-Universität Marburg den
Titel eines Doktors der Theologie. Das 1909 von ihm herausgegebene Oktavbändchen »Ein
historischer Baum im Hanauer Land - Das Wartbäumchen bei
Windecken« war bald vergriffen. Das ermutigte Günter
Vollbrecht und Rolf Hohmann 1999 auf eigene Kosten 500 Exemplare als
Nachdruck heraus zu bringen. Auch sie sind längst vergriffen.
Aus diesem Bändchen entnehmen wir die nachfolgenden Auszüge im Wortlaut.
1636 - Zwei Kanonenschüsse künden Entsatz an
Ins Licht der Geschichte tritt das Wartbäumchen in den Tagen, die
durch langwierige, aber heldenhaft ertragene Belagerung schwer
geprüften Stradt Hanau Hilfe und Befreiung brachten: In der Nacht
vom 10. auf den 11. Juni 1636 ließ Landgraf Wilhelm V. von
Hessen, nachdem er in Windecken angekommen war, auf der Höhe des
Wartbäumchens ein Geschütz aufführen und den Belagerten
durch zwei Kanonenschüsse sowie durch ein weithin leuchtendes
Fanal seine Ankunft und die Nähe seines Heeres melden. Hanaus
Kommandant Ramsay hatte schon von dem Anmarsch der Hessen und Schweden
Kenntnis erhalten und ließ sofort in Erwiderung der
wahrgenommenen Zeichen auf dem Turme des Schlosses Fackeln
anzünden und aus einer in der Nähe des Frankfurter Tores
befindlichen Bastion die Schüsse der Hessen lebhaft erwidern. Mit
welcher Freude werden die Armen, schon fast Verzagten, die Kunde von
der endlich nahenden Errettung aufgenommen haben!
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Auch in unseren Tagen wird fast auf jeder Ansichts-Postkarte von Windecken der Wartbaum abgebildet. Diese Aufnahmen entstanden in den 60er Jahren.
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Trotz der nahenden Errettung und Befreiung in Aussicht stellenden
Feuerzeichen vom Wartbaum mußten die armen Hanauer sich noch
gedulden: Dem die Schweden zur Unterstützung herbeiführenden
Feldmarschall Leslie gelang es, aufgehalten durch schlechte Wege, erst
am 12. Juni sich mit der Macht des Landgrafen bei Windecken zu
vereinigen. Der Angriff auf Lamboys Heer wurde für den folgenden
Tag festgesetzt. Bald nach Sonnenaufgang ließ der Landgraf das
Morgengebet verrichten und hielt an die versammelten Truppen eine von
furchtloser Zuversicht und freudigem Gottvertrauen zeugende Ansprache:
»Ihr gewinnt gewißlich; ihr gewinnet und werdet bald im
Lager des Feindes Siegeszeichen aufrichten; denn Gott wird uns nach
Wunsch den Sieg glücklich verleihen, und unsere Feinde
erschrecken, daß sie vor uns nicht stehen bleiben.«Als der
Landgraf seine Rede beendigt hatte, befahl er den Aufbruch. Nach einer
Erzählung soll, als er gerade im Begriff war, sein Pferd zu
besteigen, neben ihm ein Blitzstrahl in die Erde gefahren sein, ohne
ihn jedoch zu beschädigen. Bei den Soldaten habe dieses
große Bestürzung hervorgerufen; der Landgraf aber habe die
diesem Ereignis beigelegte üble Vorbedeutung mit großer
Geistesgegenwart durch die Erklärung verscheucht, daß man
hierin nur ein gutes Vorzeichen zu suchen habe: Der Allmächtige
habe ihn vor dem Blitzstrahl sichtbar beschützt; er werde mit ihm
und dem Heere sein, daß sie den Feind zu Boden schmettern
würden. Es kann unsere Aufgabe nicht sein, den Entsatz Hanaus zu
schildern; erwähnt möge hier nur werden, daß nach drei
Tagen, am 16. Juni, der Wartbaum die siegreich heimkehrenden hessischen
Truppen auf dem Wege nach der Heimat sah, an ihrer Spitze den Befreier
Hanaus, Wilhelm V. Das zur Erinnerung an die Errettung der Stadt
gefeierte Fest und der Wartbaum bei Windecken gehören zusammen: er
ist der einzige noch lebende Zeuge aus jenen Tagen der Not und der den
Hanauern durch den tapferen Hessenfürsten gebrachten Hilfe.
1758 - Der Wartbaum sah ein geschlagenes deutsches Heer
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Die Schlacht bei Bergen als Diorama im Heimatmuseum Bergen-Enkheim. Mit etwa 2000 Figuren wird der Angriff der preußischen Truppen auf die befestigten Stellungen der Franzosen nachgestellt.
Das Diorama kann sonntags von 15 - 18 Uhr besichtigt werden.
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Der siebenjährige Krieg sah Hessen, dem 1736 die Grafschaft
Hanau-Münzenberg nach dem Erlöschen ihres Grafenhauses
zugfallen war, an der Seite Preußens, dem es im Kampfe gegen
seine Feinde die größten Opfer gebracht. 1758 war das Land
mit seiner Hauptstadt in der Gewalt der Franzosen, die jedoch Ende
November durch den Herzog Ferdinand von Braunschweig gezwungen waren,
Kassel zu räumen und sich aus Hessen zurückzuziehen,
während Hanau bis zum Ende des Krieges in ihren Händen blieb.
Am 2. Januar 1759 bemächtigte sich ihr Führer, der Prinz von
Soubise, der freien Reichsstadt Frankfurt, deren Besitz für die
Franzosen von bedeutendem Vorteil war. Denn sie gewannen dadurch einen
der besten Waffenplätze und vor allem eine Verbindung mit ihrer
eigenen Hauptarmee am Niederrhein und mit den Reichstruppen in Sachsen
und Franken. Diesen wichtigen Stützpunkt suchte der Herzog
Ferdinand ihnen zu entreißen. Am 12. April 1759 hatte er sein
Hauptquartier in Windecken, woselbst die Bagage des französischen
Regiments Roussillion genommen und einige sechzig Gefangene gemacht
wurden. Die Armee des Herzogs, die am folgenden Tage, einen Karfreitag,
nach Bergen marschierte, kam am 12. April in drei Kolonnen in und bei
Windecken an; eine zweite über Marköbel, vermutlich über
Ostheim, zum Teil wohl auch auf der hohen Straße sich bewegend;
eine dritte über Langenselbold, möglicherweise dann über
Rüdigheim, den Weg nach der hohen Straße zum Wartbaum
einschlagend. Als Versammlungsplatz für den 13. April war die
Höhe beim Wartbaum zwischen Roßdorf und Kilianstädten
bestimmt. Von hier aus zog die vereinigte Armee zum Kampf gegen die vom
Herzog von Broglio befehligten Franzosen. Am selben Tage noch griff
Herzog Ferdinand die feste Stellung derselben bei Bergen mit
großem Ungestüm an; aber die Position des überlegenen
Feindes war so günstig, daß er ihn nicht daraus zu
vertreiben vermochte, und in der Nacht vom 13. auf den 14. April sah
der Wartbaum, wohin sich die von Bergen retirirende Armee wieder
zurückgezogen hatte, auf das Lager der Hannoveraner,
Braunschweiger, Bückeburger und Hessen, die sich wohl tapfer
geschlagen hatten, aber der Übermacht den Sieg entreißen
nicht im Stande gewesen waren. Wie manches tapfere deutsche Herz mag in
dieser Nacht unter dem Wartbaum über den Sieg des Erbfeindes und
die Niederlage der deutschen Waffen geweint haben! Wie mancher braver
Hesse mag sich insonderheit an dieser Stelle des Sieges seiner
Ahnen am 13. Juni 1636 erinnert haben! Von hier aus waren sie zum
Kampfe gezogen, um unvergänglichen Ruhm zu gewinnen; den Enkeln
war gleiches Kriegsglück nicht beschieden; sie ziehen sich, kurze
Zeit nachdem sie die Höhe bei dem Wartbaum verlassen, wieder
dorthin zurück, und die alte Linde ist Zeuge vom Klagen und
Trauern eines geschlagenen deutschen Heeres.
Im zweiten Teil der Beitragsreihe »Der Wartbaum bei
Windecken« berichten wir von den Erlebnissen des damals
elfjährigen Friedel Kurz während der Tage des
Kaisermanövers von 1897, wie er sie in seinen Lebenserinnerungen
niedergeschrieben hat.
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