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Geschichtsverein Windecken 2000
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Der Wartbaum bei Windecken (1)
Die Ereignisse der Jahre 1636 und 1759
Von Rolf Hohmann

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Pfarrer Carl Henß (1863-1938) Repro: Rolf Hohmann
Der Wartbaum bei Windecken wurde im Laufe der Geschichte Zeuge mancher historischer Ereignisse. Die etwa 500 Jahre alte Linde ist in jüngster Zeit durch das Projekt »Hohe Straße« des Planungsverbands Ballungsraum Frankfurt Rhein-Main wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, denn viele Radwanderer legen auf der Wartbaumhöhe eine Rast ein und genießen die in den letzten Jahrzehnten durch Wildwuchs in unmittelbarer Umgebung leider eingeschränkte Weitsicht zu den Höhen des Taunus, Vogelsberges, Spessarts und Odenwalds sowie in die Weiten der südlichen Wetterau. Eine kleine Informationstafel gibt zwar in Stichworten Auskunft über die wichtigsten Ereignisse, weckte aber bei vielen geschichtsinteressierten Mitbürgern weitergehendes Interesse. Da den Geschichtsverein Windecken immer öfter Anfragen erreichen, sollen alle bekannten Quellen über den Wartbaum weitgehend im Wortlaut auf der Homepage unseres Vereins als lose Beitragsfolge zusammen gefasst werden. Diese Dokumentation dürfte für spätere Historiker ein wertvolles Nachschlagewerk sein.

Neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit in der Evangelischen Kirchengemeinde Windecken (1886 - 1938) befasste sich der Metropolitan und Kreispfarrer Carl Henß intensiv mit der Geschichte des Städtchens und des Heimatkreises. In verschiedenen Publikationen veröffentlichte er eine große Zahl von Abhandlungen und für sein Hauptwerk »Die Hanauer Union« verlieh ihm die Philipps-Universität Marburg den Titel eines Doktors der Theologie. Das 1909 von ihm herausgegebene Oktavbändchen »Ein historischer Baum im Hanauer Land - Das Wartbäumchen bei Windecken« war bald vergriffen. Das ermutigte Günter Vollbrecht und Rolf Hohmann 1999 auf eigene Kosten 500 Exemplare als Nachdruck heraus zu bringen. Auch sie sind längst vergriffen.

Aus diesem Bändchen entnehmen wir die nachfolgenden Auszüge im Wortlaut.



1636 - Zwei Kanonenschüsse künden Entsatz an

Ins Licht der Geschichte tritt das Wartbäumchen in den Tagen, die durch langwierige, aber heldenhaft ertragene Belagerung schwer geprüften Stradt Hanau Hilfe und Befreiung brachten: In der Nacht vom 10. auf den 11. Juni 1636  ließ Landgraf Wilhelm V. von Hessen, nachdem er in Windecken angekommen war, auf der Höhe des Wartbäumchens ein Geschütz aufführen und den Belagerten durch zwei Kanonenschüsse sowie durch ein weithin leuchtendes Fanal seine Ankunft und die Nähe seines Heeres melden. Hanaus Kommandant Ramsay hatte schon von dem Anmarsch der Hessen und Schweden Kenntnis erhalten und ließ sofort in Erwiderung der wahrgenommenen Zeichen auf dem Turme des Schlosses Fackeln anzünden und aus einer in der Nähe des Frankfurter Tores befindlichen Bastion die Schüsse der Hessen lebhaft erwidern. Mit welcher Freude werden die Armen, schon fast Verzagten, die Kunde von der endlich nahenden Errettung aufgenommen haben!
 
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Auch in unseren Tagen wird fast auf jeder Ansichts-Postkarte von Windecken der Wartbaum abgebildet. Diese Aufnahmen entstanden in den 60er Jahren.
Trotz der nahenden Errettung und Befreiung in Aussicht stellenden Feuerzeichen vom Wartbaum mußten die armen Hanauer sich noch gedulden: Dem die Schweden zur Unterstützung herbeiführenden Feldmarschall Leslie gelang es, aufgehalten durch schlechte Wege, erst am 12. Juni sich mit der Macht des Landgrafen bei Windecken zu vereinigen. Der Angriff auf Lamboys Heer wurde für den folgenden Tag festgesetzt. Bald nach Sonnenaufgang ließ der Landgraf das Morgengebet verrichten und hielt an die versammelten Truppen eine von furchtloser Zuversicht und freudigem Gottvertrauen zeugende Ansprache: »Ihr gewinnt gewißlich; ihr gewinnet und werdet bald im Lager des Feindes Siegeszeichen aufrichten; denn Gott wird uns nach Wunsch den Sieg glücklich verleihen, und unsere Feinde erschrecken, daß sie vor uns nicht stehen bleiben.«Als der Landgraf seine Rede beendigt hatte, befahl er den Aufbruch. Nach einer Erzählung soll, als er gerade im Begriff war, sein Pferd zu besteigen, neben ihm ein Blitzstrahl in die Erde gefahren sein, ohne ihn jedoch zu beschädigen. Bei den Soldaten habe dieses große Bestürzung hervorgerufen; der Landgraf aber habe die diesem Ereignis beigelegte üble Vorbedeutung mit großer Geistesgegenwart durch die Erklärung verscheucht, daß man hierin nur ein gutes Vorzeichen zu suchen habe: Der Allmächtige habe ihn vor dem Blitzstrahl sichtbar beschützt; er werde mit ihm und dem Heere sein, daß sie den Feind zu Boden schmettern würden. Es kann unsere Aufgabe nicht sein, den Entsatz Hanaus zu schildern; erwähnt möge hier nur werden, daß nach drei Tagen, am 16. Juni, der Wartbaum die siegreich heimkehrenden hessischen Truppen auf dem Wege nach der Heimat sah, an ihrer Spitze den Befreier Hanaus, Wilhelm V. Das zur Erinnerung an die Errettung der Stadt gefeierte Fest und der Wartbaum bei Windecken gehören zusammen: er ist der einzige noch lebende Zeuge aus jenen Tagen der Not und der den Hanauern durch den tapferen Hessenfürsten gebrachten Hilfe.



1758 - Der Wartbaum sah ein geschlagenes deutsches Heer

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Die Schlacht bei Bergen als Diorama im Heimatmuseum Bergen-Enkheim. Mit etwa 2000 Figuren wird der Angriff der preußischen Truppen auf die befestigten Stellungen der Franzosen nachgestellt. Das Diorama kann sonntags von 15 - 18 Uhr besichtigt werden.
Der siebenjährige Krieg sah Hessen, dem 1736 die Grafschaft Hanau-Münzenberg nach dem Erlöschen ihres Grafenhauses zugfallen war, an der Seite Preußens, dem es im Kampfe gegen seine Feinde die größten Opfer gebracht. 1758 war das Land mit seiner Hauptstadt in der Gewalt der Franzosen, die jedoch Ende November durch den Herzog Ferdinand von Braunschweig gezwungen waren, Kassel zu räumen und sich aus Hessen zurückzuziehen, während Hanau bis zum Ende des Krieges in ihren Händen blieb. Am 2. Januar 1759 bemächtigte sich ihr Führer, der Prinz von Soubise, der freien Reichsstadt Frankfurt, deren Besitz für die Franzosen von bedeutendem Vorteil war. Denn sie gewannen dadurch einen der besten Waffenplätze und vor allem eine Verbindung mit ihrer eigenen Hauptarmee am Niederrhein und mit den Reichstruppen in Sachsen und Franken. Diesen wichtigen Stützpunkt suchte der Herzog Ferdinand ihnen zu entreißen. Am 12. April 1759 hatte er sein Hauptquartier in Windecken, woselbst die Bagage des französischen Regiments Roussillion genommen und einige sechzig Gefangene gemacht wurden. Die Armee des Herzogs, die am folgenden Tage, einen Karfreitag, nach Bergen marschierte, kam am 12. April in drei Kolonnen in und bei Windecken an; eine zweite über Marköbel, vermutlich über Ostheim, zum Teil wohl auch auf der hohen Straße sich bewegend; eine dritte über Langenselbold, möglicherweise dann über Rüdigheim, den Weg nach der hohen Straße zum Wartbaum einschlagend. Als Versammlungsplatz für den 13. April war die Höhe beim Wartbaum zwischen Roßdorf und Kilianstädten bestimmt. Von hier aus zog die vereinigte Armee zum Kampf gegen die vom Herzog von Broglio befehligten Franzosen. Am selben Tage noch griff Herzog Ferdinand die feste Stellung derselben bei Bergen mit großem Ungestüm an; aber die Position des überlegenen Feindes war so günstig, daß er ihn nicht daraus zu vertreiben vermochte, und in der Nacht vom 13. auf den 14. April sah der Wartbaum, wohin sich die von Bergen retirirende Armee wieder zurückgezogen hatte, auf das Lager der Hannoveraner, Braunschweiger, Bückeburger und Hessen, die sich wohl tapfer geschlagen hatten, aber der Übermacht den Sieg entreißen nicht im Stande gewesen waren. Wie manches tapfere deutsche Herz mag in dieser Nacht unter dem Wartbaum über den Sieg des Erbfeindes und die Niederlage der deutschen Waffen geweint haben! Wie mancher braver Hesse mag sich  insonderheit an dieser Stelle des Sieges seiner Ahnen am 13. Juni 1636 erinnert haben! Von hier aus waren sie zum Kampfe gezogen, um unvergänglichen Ruhm zu gewinnen; den Enkeln war gleiches Kriegsglück nicht beschieden; sie ziehen sich, kurze Zeit nachdem sie die Höhe bei dem Wartbaum verlassen, wieder dorthin zurück, und die alte Linde ist Zeuge vom Klagen und Trauern eines geschlagenen deutschen Heeres.



Im zweiten Teil der Beitragsreihe »Der Wartbaum bei Windecken« berichten wir von den Erlebnissen des damals elfjährigen Friedel Kurz während der Tage des Kaisermanövers von 1897, wie er sie in seinen Lebenserinnerungen niedergeschrieben hat.

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