Das Kaisermanöver von 1897 war das
größte Kriegsspiel das je auf deutschem Boden stattfand.
Hauptschauplatz war am 8. und 9. September die südliche Wetterau.
Die Ereignisse wurden von Journalisten des »Hanauer
Anzeiger« vor Ort aufmerksam verfolgt und die Berichterstattung
in diesem Blatt nahm breiten Raum ein. Um dem Anspruch einer
Dokumentation über den Wartbaum gerecht zu werden sollen in den
folgenden Beiträgen die unseren Raum betreffenden Beiträge im
Wortlaut wiedergegeben werden. Nur so können sich nach über
100 Jahren interessierte Leser ein unverfälschtes Bild vom
damaligen Manövergeschehen machen.
Ausblick auf ein großes Miliärspektakel
(Hanauer Anzeiger 31. August 1897)
»Die diesjährigen Kaisermanöver sind nach der Ziffer
der dabei auftretenden Truppen die größten in
Deutschland, und überhaupt wurden sie nur von den russischen
Manövern des Jahres 1890 in Wolhynien übertroffen. Die
Manöveranlage sieht eine Ostarmee und eine Westarmee vor; erstere
steht unter dem Befehl des Prinzen Leopold von Bayern, letztere wird
vom General der Kavallerie Grafen Haeseler kommandirt. Die Stäbe
beider Oberbefehlshaber sind mit hinreichenden Organen für die
Leitung versehen. Beide Parteien sind ungefähr gleich stark;
daraus kann man schließen, daß die Entscheidung
voraussichtlich durch supponirte Truppen herbeigeführt wird.
Die Ostarmee besteht aus dem 1. und 2. bayerischen Armeekorps; eine aus
Regimentern beider Armeekorps zusammengestellte Kavalleriedivision ist
ihr zugetheilt. Die Ostarmee zählt in ungleichen Verbänden 72
Bataillone, 50 Eskadrons und 54 Batterien und 8 Kampagnien technischer
Truppen. Bei der Ostarmee ist eine Luftschifferabtheilung, bei der
Westarmee sind deren zwei. Außerdem haben die Ostarmee und die
Westarmee ein Radfahrerdetachment (2. Korps und 11. Korps) formirt, und
ferner gehört zur Ostarmee das Detachment Jäger zu Pferde.
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Blick vom Haus Neumeyer in der Eicher Straße ber Windecken zur Wartbaumhöhe
Foto: Bernd Hohmann
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Die Westarmee ist aus dem 8. und 11. Armeekorps zusammengestellt und
hat ebenfalls eine Kavalleriedivision. Ob der Kaiser selbst an einem
Tage führen wird, ist unbekannt, aber wahrscheinlich. Die
sämmtlichen Armeekorps sind nicht gleichmäßig formirt.
Das 2. bayerische und 11. Korps zählen je 3 Divisonen. Beim 2.
bayerischen Korps hat die 5. Division (Landau) überdies noch 3
Brigaden; beim 1. bayerischen die 2. Division deren ebenfalls 3. Auf
Seite der Westarmee gehört zum 11. Armeekorps die 25.
(großherzoglich-hessische) Division, welche 5
Infanterieregimenter zählt, und ferner die 4. Bataillone starke
83. Infanterienbrigade, die jedoch während der Kaisermanöver
zum 8. Armeekorps übertritt. Das 8. Armeekorps hat wieder die
überschießende 80. Infanteriebrigade. Zur Kavalleriedivision
der Westarmee hat das 14. Armeekorps die 28. Kavallerie abgegeben, zur
Kavalleriedivision der Ostarmee sind die 3. und 5. Chevauxlegers aus
Dieuze und Saargemünd herangezogen (wie ja auch die bayerische
Besatzungsbrigade von Metz 4. und 8. Infanterieregiment, im Verband des
2. bayerischen Armeekorps auftritt); außerdem werden dieser
Kavalleriedivision die 1. und 2. schweren Reiter des 1. bayerischen
Armeekorps zugetheilt. Jede Kavalleriedivision erhält zwei
reitende Batterien und 1. Radfahrerdetachment von 1. Offizier und 60
Pionieren.
Aus dieser Uebersicht erhellt, daß auf jeder Seite etwa die
Truppenverbände für 3 normale Armeekorps vorhanden sind. Wenn
man sich nicht entschließt, aus den überschießenden
Theilen besondere Verbände zusammenzusetzen, so wird die
Dreitheilung der Divisonen der Armeekorps (2., 5. bayerische, 16. und
21.) und Brigaden (49.) namentlich bei den Marschmanövern (durch
den Spessart) und der Gefechtsentwicklung zu lehrreichen Vergleichen
mit der Zweitheilung Anhalt bieten. An Divisionskavallerie ist die
Ostarmee wesentlich schwächer als die Westarmee (4 zu 7
Regimentern), während das Verhältnis der Kavallerie zur
Infanterie das kriegsmäßige bei der Ostarmee nur
unwesentlich, bei der Westarmee bedeutend übersteigend; dort um 2,
hier um 17 Eskadrons. Dies ist kein unwesentlicher Vortheil für
die Westarmee.
Die Ausgangspunkte der Armeekorps sind folgende: Ostarmee: 2.
bayerisches Korps Würzburg, 1. bayerisches Korps Nürnberg;
Westarmee: 8. Korps Coblenz, 11. Korps Homburg. Die Parade des 8. Korps
ist am 30. September bei Coblenz, des 11. am 4. September bei
Nürnberg.
Aus diesen Standpunkten rücken die Korps mit Kriegsmärschen
in das eigentliche Manövergelände ab. Das Gelände stellt
an Führer und Truppen keine gewöhnlichen Anforderungen, ist
aber für die Westarmee wesentliche günstiger als für die
Ostarmee, auch hinsichtlich der Unterkunft und Verpflegung der Truppen.
Es trägt im Allgemeinen einen hügelartigen Charakter mit
stark gewölbten Hängen und ist durch viele Längs und-
und Querthäler durchsetzt.
Von Hanau aus verästeln sich die Eisenbahnen radienartig nach
allen Richtungen in den Raum der Westarmee, von Würzburg aus in
den Raum (Basis) der Ostarmee. Sobald die Ostarmee aber auf das
nördliche Mainufer übergetreten ist, werden ihre
rückwärtigen Verbindungen wesentlich schlechter als die der
Westarmee. Sie hat alsdann nur die eine doppelgeleisige Bahn
Aschaffenburg-Gmünd-Würzburg und die eingeleisige
Gmünd-Schweinfurt. Die Bahnen und rückwärtigen
Verbindungen geben den Verlauf der Uebungen an die Hand. Sie werden
sich in dem Raum Hanau, Aschaffenburg, Gelnhausen abspielen. Gelnhausen
ist der wichtige Spessartpaß. Durch ihn führen die
Kommunikationen und die doppelgeleisige Bahn von Hanau nach Bebra
(Cassel).
In der Gegend von Gelnhausen wird das Gelände besonders schwierig.
Die Höhen sind bedeutend, große Waldflächen behindern
die Uebersicht und Bewegung. Die andere Operationslinie führt
durch das Mainthal. Dadurch erhält Aschaffenburg Bedeutung als
Mainübergangspunkt. Bekanntlich spielten sich in dem Raume die
Operationen der Mainarmee 1866 gegen das 8. deutsche Bundeskorps ab.
Die Ostarmee (Bayern) wird demgemäß auf preußischem
Gebiet (Hessen-Nassau) auftreten, ein Fall, der noch nie dagewesen ist,
und sie wird voraussichtlich eine analoge Aufgabe lösen sollen wie
die Mainarmee 1866. Viel wird hier auf die Marschleistungen ankommen.
Und wie verlautet hat General Graf Haeseler deshalb schon im Sommer die
ihm für die Manöver unterstellten Armeekorps (8. und 11.)
darauf hingewiesen.
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Beim Kaisermanöver 1897 auf der Wartbaumhöhe
Repro: Rolf Hohmann
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Die Ostarmee wird der Westarmee nördlich des Mains und am Main
entgegentreten, zuerst voraussichtlich siegreich sein und zum
Schluß zurückgeworfen werden. Aschaffenburg würde ihr
Einschiffungspunkt zum Rücktransport der Truppen sein, Hanau
hingegen für die Westarmee. An die Leistungsfähigkeit der
Bahnen werden hohe Anforderungen gestellt. Für die Ostarmee ist
sämmtliches entbehrliches Betriebsmaterial nach Unterfranken
geschafft, für die Westarmee in den Raum Frankfurt-Hanau. Auf
beiden Seiten sind die Bahn, Post- und Telegraphenbeamten vermehrt. Die
Bedingungen für eine schnelle Berichterstattung liegen aber auf
Seiten der Ostarmee wesentlich ungünstiger als bei der Westarmee.
Am 6. September werden die beiderseitigen Vortruppen in Berührung
treten, die eigentlichen Manöver nehmen den 7., 8. und 9.
September in Anspruch. Es kann aber auch vielleicht schon am 6. zu
Zusammenstößen vorgeschobener Truppen kommen, entweder bei
Gelnhausen oder Aschaffenburg oder an beiden Punkten. Hieraus ergeben
sich auch die Aufmarschräume der beisderseitigen Armeen: Ostarmee
bei und südlich Gelnhausen, Westarmee westlich Hanau. Das
Hauptquartier und die Manöverleitung sind in Homburg«.
König Humbert von Italien auf Freundschaftsbesuch
Dem Manöver wird mit Spannung entgegen gesehen
(Hanauer Anzeiger, 1. September 1897)
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Die "Patrouille" der Planungsgruppe "Hohe Straße"
Foto: Rolf Hohmann
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»Am Rhein und Main werden in diesen Tagen vor den Augen unseres
Kaisers die alljährlichen großen Herbstübungen der
deutschen Truppen vorgenommen werden. Der Reichskanzler Fürst zu
Hohenlohe, der mit und neben dem Fürsten Bismarck die
Mainbrücke geschlagen hat, kann es am Abend seines politischen
Lebens als Genugthuung empfinden, daß die ganze bayerische Armee
gegen preußische Waffenbrüder im friedlichen Kriegspiele
sich mißt, ganz nahe jenen Geländen, wo sie sich vor 30
Jahren als Feinde gegenüberstanden.
Seit den Jahren 1870/71 sind deutsche Truppen in solcher Zahl nicht
wieder zusammengekommen. Zwei große Heere werden zwischen Hanau
und Aschaffenburg gegeneinander operiren. Es ist wohl
selbstverständlich, daß Truppenübungen zu denen solche
gewaltigen Massen aufgeboten sind, das Bild einer Schlacht
eindrucksvoller und der Wirklichkeit näherkommend veranschaulichen
können, als dies bei kleineren der Fall ist. Darum sieht man
sowohl im militärischen als auch in Laienkreisen den am 6.
September be- ginnenden Kaisermanövern mit Spannung entgegen. Mit
lebhaften Interesse wird man bei den Berichten aus den
Manövergeländen folgen, wo unsere Truppen eine Probe davon
ablegen sollen, daß sie noch immer so wie vor 27 Jahren
gerüstet sind, dem Feinde die Wege zu weisen, wenn es die
Nothwendigkeit, das Wohl und die Ehre des Vaterlandes erfordern.
Als Gast wird im Kaiserlichen Hauptquartier der Freund und
Verbündete Deutschlands, König Humbert von Italien weilen,
der an diesem Donnerstage in Homburg v. d. H. eintrifft, um den Besuch
zu erwidern, dem ihn unser Kaiserpaar im März vorigen Jahres
abgestattet hat. Daß die Königin Margarethe ihren hohen
Gemahl begleitet, verleiht dem Ereigniß einen familiären
Charakter von wohlthuender Wärme. Wir haben einen
Freundschaftsbesuch vor uns, der abermals Zeugniß ablegt von dem
erfreulichen Verhältniß, das zwischen beiden Herrschern
besteht. Wie sehr dieses auch im deutschen Volksgemüth Widerhall
findet, wird die begeisterte Aufnahme zeigen, die das deutsche Volk dem
italienischen Königspaar bereitet. Der Besuch des Königs
Humbert bietet die Gelegenheit zu einer abermaligen Aussprache zwischen
den Verbündeten und ist ein neues Zeichen ihres treuen und festen
Zusammenstehens. Mehr darf man in dem Ereigniß nicht suchen;
besondere politische Zwecke sind mit der Reise nicht verbunden, wenn
auch die Anwesenheit des italienischen Ministers des Aueßeren,
Visconti Benosta, sowie des deutschen Reichskanzlers und des Herrn von
Bülow darauf hinzudeuten scheinen.«
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