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Der Wartbaum bei Windecken (4)
Am 4. September 1897 wurde der Kriegszustand ausgerufen
Von Rolf Hohmann

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(Hanauer Anzeiger 2. September 1897)

»In der Gegend, wo ungefähr die Grenzen Preußens, Bayerns und Hessens aneinanderstoßen, wird in diesem Jahre eine ansehnliche Truppenmenge zu großen Manövern, genannt Kaisermanöver, vereinigt sein. Ein derartiges Aufgebot von Truppen hat bisher in dieser Stärke in Deutschland noch nicht stattgefunden. Bei den zwei großen Armeen, die unter Befehl des Prinzen Leopold von Bayern und des Generals der Kavallerie, Grafen v. Häseler, kommandirender General des sechzehnten Armeekorps gebildet werden, handelt es sich um 143 Bataillone, 115 Eskadrons, 111 Feldbatterien, 21 technische Kompagnien und 3 Luftschifferabtheilungen.

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Anzeige im Hanauer Anzeiger (Ende August 1897)
Repro: Rolf Hohmann
Die beiden Armeen werden weit auseinandergehalten werden, damit beim Anmarsch die aufklärende Thätigkeit der Kavallerie Divisionen sich entwickeln kann, und damit die Führer, falls sie infolge eingehender Meldungen andere Entschlüsse wie die meist kundgegebenen fassen wollen, auch noch den nöthigen Spielraum haben. Ein Tag ist für die Thätigkeit der Kavallarie-Divisionen beim Anmarsch zu rechnen. Am zweiten Tage werden die Spitzen der Massen zu Avantgardengefechten aufeinanderstoßen; der dritte Tag bringt die große arrangirte Schlacht. In dieser werden die Massenentfaltungen und Massenangriffe in einheitlicher Leitung zur Geltung und Anschauung gebracht werden, wie wir sie, falls wir eine einheitliche Leitung überhaupt in Zukunft haben wollen, üben müssen. Dann wird noch zwei Tage gekämpft werden und darauf Frieden sein.

Ein besonderes Interesse bringt man in Fachkreisen den strategischen Aufklärungsübungen der Kavallerie entgegen, und man darf gespannt sein, wie sie sich derselben gewachsen zeigen wird; denn in letzter Zeit haben sich gewichtige Stimmen erhoben, die meinen, daß die Ausbildung im taktischen, namentlich aber im strategischen Aufklärungsdienst unserer Reiter auf Kosten der Detailabrichtung von Mann und Roß vernachlässigt werde. Berufene Fachleute werden nun Gelegenheit haben, die Thätigkeit der Kavallerie zu beobachten und zu beurtheilen, ob und wie diese Ansicht begründet ist.«

Die Bayern beginnen die aktive Phase
(Hanauer Anzeiger, 3. September 1897)

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König Umberto I. von Italien (geb. 1844) wurde am 28. Juli 1900 in Monza von einem Anarchisten ermordet.
Repro: Rolf Hohmann
»Die Operationen für das Kaisermanöver haben auf bayerischer Seite bereits begonnen. Durch den Spessart werden die Bayern mit der Eisenbahn befördert, das zweite bayerische Korps auf Aschaffenburg zu, das erste auf Babenhausen. Von gestern Mittag ab haben die Eisenbahnlinien im Spessart für zwei Tage den Güterverkehr für das Publikum eingestellt, da sie die Militärzüge befördern müssen. Die Eisenbahnen haben eine riesige Aufgabe zu bewältigen. Bis Sonnabend muß der Aufmarsch der Bayern vollendet sein. Sonntag beginnt ihr Vormarsch. Trotzdem die strategischen Details nicht veröffentlicht sind, kann man annehmen, daß die Bayern bei ihrem Vorstoß gegen die preußischen Korps bis nördlich über Hanau kommen werden. Das zweite bayerische Korps versucht anscheinend einen Flankenmarsch auf Gelnhausen, und dort dürfte es zur Entscheidungsschlacht kommen.

Unter anderen Sanitätsmaßregeln ist auch die Errichtung von Avakuations-Kommissionen, wie diese ähnlich im Kriege fungiren, vorgesehen. Bei jedem Armeekorps liegt der Krankentransport in die heimathlichen Distrikte der betreffenden Kommission ob, welche aus einem Oberstabsarzt, einem Stabsarzt und einem Assistenzarzt besteht, denen die entsprechende Anzahl von Lazarethgehilfen und Krankenwärtern unterstellt ist. Diese Transportkommission des 1. bayerischen Armeekorps wird am Bahnhof Hanau, diejenige für das II. Bayerische Armeekorps am Bahnhof Gelnhausen Standquartier nehmen. Zur Ausführung des Rücktransportes wird jeder Kommission ein vollkommen kriegsmäßig eingerichter Krankenwagen eines Lazarethzuges überwiesen; ebenso wird für die sofortige Uebernahme der Kranken an den betreffenden Bahnhöfen und für schonende Ueberführung an die Lazarethe auf Räderbahren Sorge getragen.«

Die Gerüchteküche kocht
(Hanauer Anzeiger, 4. September 1897)

»Von Main und Koblenz aus wurden gestern Früh 40 Pontons mit den dazu erforderlichen Pioniermannschaften durch einen Schleppdampfer bis nach der Frankfurter Schleuse gebracht und von da aus mit einem Kettenschlepper nach Groß-Krotzenburg befördert, wo für Manöverzwecke eine Brücke über den Main zu schlagen ist.

.....Auswärtige Blätter melden aus Apolda, daß bei einem Marsch der zweiten Kompagnie und der Regimentsmusik des 94. Infanterie-Regiments über eine von den Pionieren geschlagene Brücke diese zusammenbrach. Eine gehörige Anzahl von Soldaten sei dabei ertrunken, der Kapellmeister Drehmann von den herabfallenden Balken erschlagen worden. Daß diese Notiz unzutreffend ist, geht schon daraus hervor, daß das 94. Regiment sich in unserer Nähe befindet. Bereits am Donnerstag wurde von Berlin aus hier telegraphish angefragt, ob dem 94. Regiment ein größeres Unglück zugestoßen sei.«

Am 5. September Kriegszustand ausgerufen
Aus Hanau kommende Reisende sollen Gerücht verbreitet haben
(Hanauer Anzeiger, 6. September 1897)

»Dem »Rh.K.« geht folgende Nachricht zu, auf welche Weise die falsche Nachricht von dem Unglück der 94er entstanden ist: Das Apoldaer »Tageblatt« brachte am 3. d. Mts. mittels Extrablatt die Nachricht, da während des Manövers Truppen des Infanterie-Regiments 94 (Garnison Weimar) in Hanau beim Passiren einer von Pionieren über den Main geschlagenen Brücke verunglückt seien. Das Unglück solle dadurch entstanden sein, daß die Brücke eingestürtzt wäre und die Soldaten theils durch Ertrinken, theils durch die auf sie gefallenen Pfosten und Balken ums Leben gekommen wären. Der Kapellmeister Drehmann sollte sich unter den Verunglückten befinden. Selbstverständlich rief diese Nachricht, die von den meisten Thüringer Blättern aufgenommen wurde, in Thüringen lebhafte Beunruhigung hervor, da bei dem 94. Regiment fast nur Thüringer dienen. Endlich fragte die Redaktion der Weimarischen Zeitung »Deutschland« bei dem Regimentsstabe in Frankfurt a. M. an, ob das Gerücht auf Wahrheit beruhe, worauf die Antwort einging, daß überhaupt nichts Wahres an der ganzen Sache sei. Die Zeitungen haben dann durch Extrablätter die Bevölkerung beruhigt. Natürlich ist man sehr aufgebracht; es heißt, daß die Behörden schon nach den Urhebern des groben Unfugs fahnden. Aus Hanau kommende Reisende sollen übrigens das Gerücht verbreitet haben.«

»Der Kriegszustand begann gestern Nachmittag 1 Uhr. Sofort entwickelte sich in unserer Umgegend ein buntbewegtes kriegsmäßiges Leben und Treiben. Kavallerie, Patrouillen, von den beiderseitigen Armeeabtheilungen abgesand, erschienen und drangen kühn vor, dazwischen sah man auch Mannschaften der Radfahrabtheilungen, die ebenfalls in die Vorposten-Scharmützel eingriffen. Das Hauptquartier der bayerischen Kavallerie-Division war gestern bei Wächtersbach und namentlich zwischen Gelnhausen und Langenselbold war nachm. von 2 Uhr ab ein lebhafter Vorpostendienst. Die allgemeine strategische Lage und die aus dieser herzuleitende Generalidee für die großen Manöver, ist die: Eine westliche Armee-Abtheilung in der Stärke des 11. Armee-Korps ist hinter der Nidda versammelt, um die Belagerung von Mainz zu decken und die großen Magazine sowie sonstigen reichen Hilfsquellen Frankfurts zu sichern. Eine Ostarmee - die Bayern - in beinahe doppelter Stärke ist im Anrücken von Würzburg her, um Frankfurt einzunehmen und Mainz zu entsetzen und hat bereits Aschaffenburg erreicht und die Kinzigübergänge in ihren Händen, da die Westarmee-Abtheilung bisher zu schwach war, dem Gegner bei seiner Entwicklung aus dem Spessart entgegenzutreten. Am Abend des 4. September ist indeß die Armee-Abtheilung um ein volles Korps (das achte) verstärkt worden und die nunmehrige Westarmee jetzt stark genug, den vorrückenden Gegner anzugreifen und in die Engpässe des Spessarts zurückzuwerfen.«

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Der Kampf in der Hanauer Vorstadt am 31. Oktober 1813. Kolorierter Kupferstich nach einer Zeichnung von J. L. Rugendas.
Repro: Rolf Hohmann
»Heute Morgen 6 Uhr 40 Min. trafen unerwartet Se. Maj. der König von Italien mit großem Gefolge am Ostbahnhof an und nahmen den Weg durch die Stadt nach dem Manövergelände, von allen Seiten lebhaft und freudig mit Hurrahrufen begrüßt. Dicht bei der historischen Kinzigbrücke, wo die Bayern 1813 unter Wrede Napoleon entgegen traten kam es zum erstmaligen Gefecht. In der Nähe vom Teichweg war die kaiserliche Standarte sichtbar. Truppen der Westarmee-Abtheilung waren bis Wilhelmsbad vorgerückt und dicht bei Hanau entwickelte sich nun ein äußerst lebhaftes Feuergefecht. Die bayerische Infanterie erhielt sofort Unterstützung durch eine reitende Batterie, der sich später noch eine zweite anschloß; beide Batterien eröffneten ein heftiges Feuer gegen die Stellung der Gegner, infolge dessen diese zurückweichen mußten. Das Gefecht entwickelte sich weiter über Wilhelmsbad nach Hochstadt zu und wurde gegen 11 Uhr abgebrochen. Um diese Zeit kehrten Se. Majestät der Kaiser, Se. Majestät der König von Italien aus dem Manöverfelde zurück und fuhren vom Ostbahnhofe retour nach Homburg v. d. H. Das Hautquartier der bayerischen Armee befindet sich hier. Der Befehlshaber der Ostarmee Prinz Leopold von Bayern hat im Hotel Adler Absteigquartier genommen. Die Truppen beziehen Nothquartiere, da es während des ganzen Vormittags regnete, also kein Kaiserwetter herrschte.«

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Der ursprüngliche Hanauer Ostbahnhof wurde später in Hauptbahnhof umbenannt.
Repro: Rolf Hohmann
»Windecken. Sicherem Vernehmen nach trifft Se. Königl. Hoheit der Prinz-Regent Luitpold von Bayern nebst Gefolge erst nächsten Mittwoch und Donnerstag mittelst Sonderzug von Aschaffenburg über Hanau Ost in Station Heldenbergen-Windecken ein, jedesmal früh zwischen 7 und 8 Uhr. Der Königliche Marstall - etwa 40 Pferde nebst Equipagen und Dienerschaft - sind bereits heute früh 9,39 gleichfalls mit Sonderzug auf genannter Station angekommen und haben in Heldenbergen die bereits vorgesehenen Quartiere bezogen.«

»Einstellung des Güterverkehrs. Ein großer Theil der bayerischen Staatsbahnen hat den gesammten Güterverkehr infolge der Truppenbeförderungen vom 1. bis 4. September einstellen müssen. Im Frankfurter und Casseler Direktionsbezirk wird am 10. September der Güterverkehr theilweise eingestellt, desgleichen auf der Main-Weserbahn und einem Theil des Mainzer Bezirks; an diesem Tage sind gegen 85 000 Mann, ferner Pferde, Fahrzeuge etc. in 3 500 Wagen unterzubringen. Eine solche gewaltige Aufgabe, wie sie der Direktion bevorsteht, ist noch keiner Eisenbahn-Direktion zutheil geworden. In Breslau waren 1896 nur etwa 35 000 Mann zu befördern und da mußte schon der Güterverkehr zum Theil ruhen bleiben; die Maßregel wird umso mehr weniger bemerkbar werden, als am darauffolgenden Sonntag, den 12. September, alle Güterzüge wie an Werktagen gefahren werden sollen.« 

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