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(Hanauer Anzeiger 2. September 1897)
»In der Gegend, wo ungefähr die Grenzen Preußens,
Bayerns und Hessens aneinanderstoßen, wird in diesem Jahre eine
ansehnliche Truppenmenge zu großen Manövern, genannt
Kaisermanöver, vereinigt sein. Ein derartiges Aufgebot von Truppen
hat bisher in dieser Stärke in Deutschland noch nicht
stattgefunden. Bei den zwei großen Armeen, die unter Befehl des
Prinzen Leopold von Bayern und des Generals der Kavallerie, Grafen v.
Häseler, kommandirender General des sechzehnten Armeekorps
gebildet werden, handelt es sich um 143 Bataillone, 115 Eskadrons, 111
Feldbatterien, 21 technische Kompagnien und 3 Luftschifferabtheilungen.
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Anzeige im Hanauer Anzeiger (Ende August 1897)
Repro: Rolf Hohmann
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Die beiden Armeen werden weit auseinandergehalten werden, damit beim
Anmarsch die aufklärende Thätigkeit der Kavallerie Divisionen
sich entwickeln kann, und damit die Führer, falls sie infolge
eingehender Meldungen andere Entschlüsse wie die meist
kundgegebenen fassen wollen, auch noch den nöthigen Spielraum
haben. Ein Tag ist für die Thätigkeit der
Kavallarie-Divisionen beim Anmarsch zu rechnen. Am zweiten Tage werden
die Spitzen der Massen zu Avantgardengefechten aufeinanderstoßen;
der dritte Tag bringt die große arrangirte Schlacht. In dieser
werden die Massenentfaltungen und Massenangriffe in einheitlicher
Leitung zur Geltung und Anschauung gebracht werden, wie wir sie, falls
wir eine einheitliche Leitung überhaupt in Zukunft haben wollen,
üben müssen. Dann wird noch zwei Tage gekämpft werden
und darauf Frieden sein.
Ein besonderes Interesse bringt man in Fachkreisen den strategischen
Aufklärungsübungen der Kavallerie entgegen, und man darf
gespannt sein, wie sie sich derselben gewachsen zeigen wird; denn in
letzter Zeit haben sich gewichtige Stimmen erhoben, die meinen,
daß die Ausbildung im taktischen, namentlich aber im
strategischen Aufklärungsdienst unserer Reiter auf Kosten der
Detailabrichtung von Mann und Roß vernachlässigt werde.
Berufene Fachleute werden nun Gelegenheit haben, die Thätigkeit
der Kavallerie zu beobachten und zu beurtheilen, ob und wie diese
Ansicht begründet ist.«
Die Bayern beginnen die aktive Phase
(Hanauer Anzeiger, 3. September 1897)
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König Umberto I. von Italien (geb. 1844) wurde am 28. Juli 1900 in Monza von einem Anarchisten ermordet.
Repro: Rolf Hohmann
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»Die Operationen für das Kaisermanöver haben auf
bayerischer Seite bereits begonnen. Durch den Spessart werden die
Bayern mit der Eisenbahn befördert, das zweite bayerische Korps
auf Aschaffenburg zu, das erste auf Babenhausen. Von gestern Mittag ab
haben die Eisenbahnlinien im Spessart für zwei Tage den
Güterverkehr für das Publikum eingestellt, da sie die
Militärzüge befördern müssen. Die Eisenbahnen haben
eine riesige Aufgabe zu bewältigen. Bis Sonnabend muß der
Aufmarsch der Bayern vollendet sein. Sonntag beginnt ihr Vormarsch.
Trotzdem die strategischen Details nicht veröffentlicht sind, kann
man annehmen, daß die Bayern bei ihrem Vorstoß gegen die
preußischen Korps bis nördlich über Hanau kommen
werden. Das zweite bayerische Korps versucht anscheinend einen
Flankenmarsch auf Gelnhausen, und dort dürfte es zur
Entscheidungsschlacht kommen.
Unter anderen Sanitätsmaßregeln ist auch die Errichtung von
Avakuations-Kommissionen, wie diese ähnlich im Kriege fungiren,
vorgesehen. Bei jedem Armeekorps liegt der Krankentransport in die
heimathlichen Distrikte der betreffenden Kommission ob, welche aus
einem Oberstabsarzt, einem Stabsarzt und einem Assistenzarzt besteht,
denen die entsprechende Anzahl von Lazarethgehilfen und
Krankenwärtern unterstellt ist. Diese Transportkommission des 1.
bayerischen Armeekorps wird am Bahnhof Hanau, diejenige für das
II. Bayerische Armeekorps am Bahnhof Gelnhausen Standquartier nehmen.
Zur Ausführung des Rücktransportes wird jeder Kommission ein
vollkommen kriegsmäßig eingerichter Krankenwagen eines
Lazarethzuges überwiesen; ebenso wird für die sofortige
Uebernahme der Kranken an den betreffenden Bahnhöfen und für
schonende Ueberführung an die Lazarethe auf Räderbahren Sorge
getragen.«
Die Gerüchteküche kocht
(Hanauer Anzeiger, 4. September 1897)
»Von Main und Koblenz aus wurden gestern Früh 40 Pontons mit
den dazu erforderlichen Pioniermannschaften durch einen Schleppdampfer
bis nach der Frankfurter Schleuse gebracht und von da aus mit einem
Kettenschlepper nach Groß-Krotzenburg befördert, wo für
Manöverzwecke eine Brücke über den Main zu schlagen ist.
.....Auswärtige Blätter melden aus Apolda, daß bei
einem Marsch der zweiten Kompagnie und der Regimentsmusik des 94.
Infanterie-Regiments über eine von den Pionieren geschlagene
Brücke diese zusammenbrach. Eine gehörige Anzahl von Soldaten
sei dabei ertrunken, der Kapellmeister Drehmann von den herabfallenden
Balken erschlagen worden. Daß diese Notiz unzutreffend ist, geht
schon daraus hervor, daß das 94. Regiment sich in unserer
Nähe befindet. Bereits am Donnerstag wurde von Berlin aus hier
telegraphish angefragt, ob dem 94. Regiment ein größeres
Unglück zugestoßen sei.«
Am 5. September Kriegszustand ausgerufen
Aus Hanau kommende Reisende sollen Gerücht verbreitet haben
(Hanauer Anzeiger, 6. September 1897)
»Dem »Rh.K.« geht folgende Nachricht zu, auf welche
Weise die falsche Nachricht von dem Unglück der 94er entstanden
ist: Das Apoldaer »Tageblatt« brachte am 3. d. Mts. mittels
Extrablatt die Nachricht, da während des Manövers Truppen des
Infanterie-Regiments 94 (Garnison Weimar) in Hanau beim Passiren einer
von Pionieren über den Main geschlagenen Brücke
verunglückt seien. Das Unglück solle dadurch entstanden sein,
daß die Brücke eingestürtzt wäre und die Soldaten
theils durch Ertrinken, theils durch die auf sie gefallenen Pfosten und
Balken ums Leben gekommen wären. Der Kapellmeister Drehmann sollte
sich unter den Verunglückten befinden. Selbstverständlich
rief diese Nachricht, die von den meisten Thüringer Blättern
aufgenommen wurde, in Thüringen lebhafte Beunruhigung hervor, da
bei dem 94. Regiment fast nur Thüringer dienen. Endlich fragte die
Redaktion der Weimarischen Zeitung »Deutschland« bei dem
Regimentsstabe in Frankfurt a. M. an, ob das Gerücht auf Wahrheit
beruhe, worauf die Antwort einging, daß überhaupt nichts
Wahres an der ganzen Sache sei. Die Zeitungen haben dann durch
Extrablätter die Bevölkerung beruhigt. Natürlich ist man
sehr aufgebracht; es heißt, daß die Behörden schon
nach den Urhebern des groben Unfugs fahnden. Aus Hanau kommende
Reisende sollen übrigens das Gerücht verbreitet haben.«
»Der Kriegszustand begann gestern Nachmittag 1 Uhr. Sofort
entwickelte sich in unserer Umgegend ein buntbewegtes
kriegsmäßiges Leben und Treiben. Kavallerie, Patrouillen,
von den beiderseitigen Armeeabtheilungen abgesand, erschienen und
drangen kühn vor, dazwischen sah man auch Mannschaften der
Radfahrabtheilungen, die ebenfalls in die Vorposten-Scharmützel
eingriffen. Das Hauptquartier der bayerischen Kavallerie-Division war
gestern bei Wächtersbach und namentlich zwischen Gelnhausen und
Langenselbold war nachm. von 2 Uhr ab ein lebhafter Vorpostendienst.
Die allgemeine strategische Lage und die aus dieser herzuleitende
Generalidee für die großen Manöver, ist die: Eine
westliche Armee-Abtheilung in der Stärke des 11. Armee-Korps ist
hinter der Nidda versammelt, um die Belagerung von Mainz zu decken und
die großen Magazine sowie sonstigen reichen Hilfsquellen
Frankfurts zu sichern. Eine Ostarmee - die Bayern - in beinahe
doppelter Stärke ist im Anrücken von Würzburg her, um
Frankfurt einzunehmen und Mainz zu entsetzen und hat bereits
Aschaffenburg erreicht und die Kinzigübergänge in ihren
Händen, da die Westarmee-Abtheilung bisher zu schwach war, dem
Gegner bei seiner Entwicklung aus dem Spessart entgegenzutreten. Am
Abend des 4. September ist indeß die Armee-Abtheilung um ein
volles Korps (das achte) verstärkt worden und die nunmehrige
Westarmee jetzt stark genug, den vorrückenden Gegner anzugreifen
und in die Engpässe des Spessarts zurückzuwerfen.«
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Der Kampf in der Hanauer Vorstadt am 31. Oktober 1813. Kolorierter Kupferstich nach einer Zeichnung von J. L. Rugendas.
Repro: Rolf Hohmann
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»Heute Morgen 6 Uhr 40 Min. trafen unerwartet Se. Maj. der
König von Italien mit großem Gefolge am Ostbahnhof an und
nahmen den Weg durch die Stadt nach dem Manövergelände, von
allen Seiten lebhaft und freudig mit Hurrahrufen begrüßt.
Dicht bei der historischen Kinzigbrücke, wo die Bayern 1813 unter
Wrede Napoleon entgegen traten kam es zum erstmaligen Gefecht. In der
Nähe vom Teichweg war die kaiserliche Standarte sichtbar. Truppen
der Westarmee-Abtheilung waren bis Wilhelmsbad vorgerückt und
dicht bei Hanau entwickelte sich nun ein äußerst lebhaftes
Feuergefecht. Die bayerische Infanterie erhielt sofort
Unterstützung durch eine reitende Batterie, der sich später
noch eine zweite anschloß; beide Batterien eröffneten ein
heftiges Feuer gegen die Stellung der Gegner, infolge dessen diese
zurückweichen mußten. Das Gefecht entwickelte sich weiter
über Wilhelmsbad nach Hochstadt zu und wurde gegen 11 Uhr
abgebrochen. Um diese Zeit kehrten Se. Majestät der Kaiser, Se.
Majestät der König von Italien aus dem Manöverfelde
zurück und fuhren vom Ostbahnhofe retour nach Homburg v. d. H. Das
Hautquartier der bayerischen Armee befindet sich hier. Der Befehlshaber
der Ostarmee Prinz Leopold von Bayern hat im Hotel Adler
Absteigquartier genommen. Die Truppen beziehen Nothquartiere, da es
während des ganzen Vormittags regnete, also kein Kaiserwetter
herrschte.«
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Der ursprüngliche Hanauer Ostbahnhof wurde später in Hauptbahnhof umbenannt.
Repro: Rolf Hohmann
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»Windecken. Sicherem Vernehmen nach trifft Se. Königl.
Hoheit der Prinz-Regent Luitpold von Bayern nebst Gefolge erst
nächsten Mittwoch und Donnerstag mittelst Sonderzug von
Aschaffenburg über Hanau Ost in Station Heldenbergen-Windecken
ein, jedesmal früh zwischen 7 und 8 Uhr. Der Königliche
Marstall - etwa 40 Pferde nebst Equipagen und Dienerschaft - sind
bereits heute früh 9,39 gleichfalls mit Sonderzug auf genannter
Station angekommen und haben in Heldenbergen die bereits vorgesehenen
Quartiere bezogen.«
»Einstellung des Güterverkehrs. Ein großer Theil der
bayerischen Staatsbahnen hat den gesammten Güterverkehr infolge
der Truppenbeförderungen vom 1. bis 4. September einstellen
müssen. Im Frankfurter und Casseler Direktionsbezirk wird am 10.
September der Güterverkehr theilweise eingestellt, desgleichen auf
der Main-Weserbahn und einem Theil des Mainzer Bezirks; an diesem Tage
sind gegen 85 000 Mann, ferner Pferde, Fahrzeuge etc. in 3 500 Wagen
unterzubringen. Eine solche gewaltige Aufgabe, wie sie der Direktion
bevorsteht, ist noch keiner Eisenbahn-Direktion zutheil geworden. In
Breslau waren 1896 nur etwa 35 000 Mann zu befördern und da
mußte schon der Güterverkehr zum Theil ruhen bleiben; die
Maßregel wird umso mehr weniger bemerkbar werden, als am
darauffolgenden Sonntag, den 12. September, alle Güterzüge
wie an Werktagen gefahren werden sollen.«
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