Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Bachforschung
Eine bunte Folge von heimatlichen Bildern aus vergangenen Tagen (Heinrich Karl Bach)
 
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Beim Glockengusse in Windecken
Aus den Erinnerungen von Heinrich Karl Bach
Windecken, Ende Juli 1881. Glocken sollen heute gegossen werden, ein größeres Geläute, draußen im Gießhaus vor dem Kilianstädter Tor. Kein Prachtbau, eine scheuerähnliche Halle, mit dem aus feuerfesten Backsteinen gemauerten Gießofen. Vor ihm befindet sich die Dammgrube, vier auf fünf Meter groß und zwei Meter tief. Vier Glockenformen sind gußbereit in ihr vergraben.  Nur Lehmröhren ragen aus der Erde hervor. Windpfeifen heißen sie, weil sie beim Guß die Luft aus der Form entweichen lassen. Ein Kanal aus Stein und Lehm verbindet die Formen mit dem Gußofen. Seit dem frühen Morgen wird er stark geheizt, um die aus 4/5 Kupfer und 1/5 Zinn bestehende, rund neunzig Zentner  schwere, Metallmasse zu schmelzen. 

Wir haben unterdessen genügend Zeit, uns über die vorausgegangenen Vorbereitungsarbeiten zu unterhalten, die vor etwa acht Wochen begannen. Das Entwerfen des Glockenprofils, Schablone oder auch Rippe genannt, ist die grundlegende und daher auch wichtigste Aufgabe. Von ihr hängt in erster Linie der reine Ton der zu gießenden Glocke ab. Damit aber auch das gesamte Geläute melodisch und harmonisch zuzsammenklingt, muß dieser Ton gleichzeitig mit dem Klang der Schwesterglocken in richtigem Verhältnis stehen. Eine schwere Aufgabe!

Für jede Glocke ist nun eine besondere Schablone zu entwerfen. Maßgebend dafür ist die Klanghöhe, die ihrerseits bedingt wird durch die Glockendichte am Schlagrand. Also an der Stelle, wo beim Läuten der Klöppel den Hauptton erzeugt. Die größte Schwierigkeit bereitet aber die Reinheit der Nebentöne. So muß beim ersten Drittel der Glockenhöhe die Terz, beim zweiten die Quinte und beim dritten Drittel die Oktave als Nebenton mitklingen.

Das Glockenprofil beruht also auf mathematisch genauer Berechnung. Jede Gießerei verwendet ihre eigene Rippe und die dadurch entstehende  Glockenform ist somit ein unverwechselbares Markenzeichen. Die Konturen der äußeren und inneren Glockenwand werden auf ein vier Zentimeter starkes Buchenbrett gezeichnet. Der Innenwand entsprechend wird das Brett ausgeschnitten und an einer Spindel drehbar befestigt. Die Glockenform besteht aus drei übereinander liegenden Teilen: dem Kern, dem Glockenhemd und dem Mantel. Die Krone wird separat geformt. 

Zuerst baut der Glockengießer den Kern der Glockenform aus Steinen auf, wobei mit schichtweise dünn aufgetragenem Lehm vorhandene Unebenheiten ausgeglichen werden.  Jeder Lehmschicht muß langsam an der Luft trocknen. Ein leichtes Braunkohlefeuer beschleunigt diesen Vorgang. Dabei muß aber streng darauf geachtet werden, daß in den aufgetragenen Lehmschichten keine Risse entstehen. Selbst kleinste Sprünge müssen sofort ausgebessert werden. Haben die jeweils durchgetrockneten Lehmschichten, die von der Schablone vorgegebene Stärke erreicht, wird die Oberfläche mit einer aus fein gesiebter Asche und Bier bestehenden Mischung überpinselt. Dieser Vorgang wird in der Glockengießersprache als "geäschert" bezeichnet.

Nunn beginnt das Formen der eigentlichen Lehmglocke, des sogenannten Glockenhemdes. Hierzu wird ein zarter, mit Pferdemist vermischter, Lehm verwandt. Das Auftragen dieser Mischung geschieht wieder schichtweise und zwar so lange, bis sie der auf der Schablone ausgeschnittenen äußeren Glockenwand entspricht. Den Abschluß des Formens bildet der Glockenmantel, eine etwa zehn Zentimeter dicke Lehmmasse. Senkrechte und waagerechte, der Glockenform angepasste Stäbe aus Bandeisen, umklammern ihn korsettartig und geben ihm den nötigen Halt sowie die erforderliche Festigkeit.

Ein Flaschenzug zieht den Mantel hoch, der infolge der isolierenden Fettschicht sich leicht von der in seinem Inneren befindlichen Lehmglocke löst. Da sich unter dieser Lehmglocke die durch das Äschern gebildete Trennschicht befindet, kann sie ohne Schwierigkeiten abgeschlagen werden. Ein schwaches Strohfeuer bringt das Wachs der Buchstaben und Bilder im Inneren des Mantels zum Schmelzen, die Negative bleiben zurück.  An einer zuvor genau markierten Stelle wird dann der am Flaschenzug hängende Mantel wieder heruntergelassen. Zwischen Mantel und Kern befindet sich nunmehr ein Hohlraum, der beim Guß das flüssige Metall aufnimmt. Nun gilt es noch, die geformte Krone aufzusetzen und sie mit Mantel sowie Kern mit kräftigen Drahtschlingen zu verbinden. Damit nun die Glockenform dem Druck der Metallschmelze standhalten kann, wird die Dammgrube mit trockener Erde ausgefüllt und schichtweise festgestampft.

Heute nun, wo wir dem Glockengusse zusehen, sind alle Vorbereitungsarbeiten bendet. Im Gießofen aber brodelt in weißlicher Glut das Metall. Zuletzt wird noch der weißliche Schaum entfernt, der sich auf der Oberfläche der Schmelze gebildet hat. Das nun in die Glut hineingeworfene Aschensalz macht die Glockenspeise flüssiger.

Und so ist die Zeit des Gusses gekommen. Mein Vater steht am Gießofen, noch einmal alles überschauend und seine Gesellen mahnend, ruhig Blut zu bewahren und den Verstand walten zu lassen. Eine feierliche Stille! Ein kurzes Gebet. Und mit den Worten "Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes" stößt er eine Kolbenstange dreimal anhebend den konisch zulaufenden Zapfen, der das Gußloch bisher verschlossen hatte, in den Ofen zurück, und heraus strömt nun das flüssige Metall. Einer glühenden Feuerschlange gleich, ergießt es sich in den Gußkanal der ersten Glockenform zu, um zischend, sprühend und dumpf grollend tief in ihrem Inneren zu verschwinden. Aus den Windpfeiden entweicht die Luft, zuletzt gemischt mit glühenden Metallspritzern. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Glockenform gefüllt ist. Wie bei der ersten, so verläuft nacheinander der Guß der anderen drei Glocken. Nach etwa vierundzwanzig Stunden hat sich das Metall in der Erde abgekühlt. Die Dammgrube wird geöffnet und die Glocken werden samt Mantel und Kern heraufgezogen. Nach dem stückweise Zerschlagen der Form kommen die Glocken gußgeschwärzt zum Vorschein. Grober Flußsand und Wasser reinigen, Sandstein und Bimsstein polieren sie. 

Anderthalb Jahrhunderte haben meine Vorfahren durch vier Generationen in Windecken Glocken gegossen und dadurch ihren Namen und den ihrer Vaterstadt in die weiteste Umgebung getragen  und ihren Ruhm verkündet. Hierbei soll nicht unerwähnt bleien, daß die Glockengießerfamilie Bach in besonderer Gunst ihres Landesfürsten stand. Einmal wegen  ihrer besonderen Kunst und zum anderen, weil sie die einzige Firma im ganzen Hanauerlande war, die sie ausübte. So sandte der damals regierende Erbprinz Wilhelm, der spätere Landgraf Wilhelm IX. (1764-1806), meinem Urgroßvater Johann Georg Bach in dessen jungen Jahren zur Weiterbildung im Beruf auf Staatskosten in die größeren Gießereien der Nachbarländer. Außérdem versäumte er auch nicht, so oft ihn sein Weg nach Windecken führte, die Bach'sche Gießerei zu besuchen, um sich eingehend nach dem Geschäftsgang zu erkundigen. Wie schon gesagt, vererbte sich die Kunst des Glockengießens in der Bach'schen Familie vom Vater auf den Sohn durch vier Generationen fort. Dabei wurden die gemachten Erfahrungen und Verbesserungen als Familien-und Geschäftsgeheimnis streng gehütet.

Da aber der Glockenguß allein nicht den Mann ernährte, wurden in der Bach'schen Gießerei auch andere Metallgegenstände wie Taufbecken, Kronleuchter, Mörser, Bügeleisen etc. etc. gefertigt. Ebenso wurden Feuerspritzen von vorzüglicher Beschaffenheit hergestellt, die noch in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in vielen Orten unserer Gegend im Gebrauch waren. Noch heute können einige Bach-Feuerspritzen in den Museen zu Marburg, Darmstadt, Fulda und Laubach bewundert werden.

Aber die wachsende Konkurrenz der Großbetriebe und die leichteren Transportmöglichkeiten der modernen Zeit (Eisenbahnen) sowie schwere Schicksalsschläge familiärer Art (zwei Geschäftsführer starben innerhalb eines Jahres) zwagen uns, das Unternehmen aufzugeben, das in hundertfünfzigjähriger Tradition ein beredtes Zeugnis des Bach'schen Kunstsinnes abgelegt hatte. Mit Stolz kann ich unter Abänderung des Städtenamens auf meine Ahnherren das Dichterwort anwenden:

"Sie waren einst Glockengießer zu Windecken in der Stadt,
gar ehrenwerte Meister, gewandt in Rat und Tat.
Sie haben einst gegossen viele Glocken, gelb und weiß, 
für Kirchen und Kapellen zu Gottes Lob und Preis.
Und ihre Glocken klangen so voll, so hell und rein!
Sie gossen auch Lieb' und Glauben mit in ihre Form hinein!"
 

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