Als im Jahre 1866 Kurhessen und mit ihm die ehemalige Grafschaft Hanau
an Preußen fiel, übernahm der Siegerstaat auch das gesamte Postwesen
unserer engeren und weiteren Heimat, das bisher ein Privileg der Fürsten
von Thurn und Taxis war. Aus der nunmehr "Königlich Preußischen
Post" entstanden in rascher Folge die "Post des Nordddeutschen Bundes"
und daran anschließend 1871 die "Kaiserlich Deutsche Reichspost"
sowie 1878 der "Weltpostverein", der, wie schon der Name sagt, die Post
der ganzen zivilisierten Welt umfaßte.
Diese rapide Entwicklung wirkte sich nun für die Postkunden in
der Hauptsache darin aus, daß der Preis für die Beförderung
von Postsachen einheitlich geregelt wurde. So kostete beispielsweise nach
der Einführung des neuen Reichsmünzsystems im Jahre 1874 ein
einfacher, zwanzig Gramm schwerer Brief, innerhalb des gesamten Deutschen
Reiches zehn Pfennig. Für einen gleichschweren Auslandsbrief mußte
ab 1878 die doppelte Gebühr bezahlt werden. Auf die Entfernungen,
die früher in den einzelnen Ländern herrschenden Geldwährungen,
die bisher bei jedem Brief eine umständlich oft zeitraubende Portoberechnung
erforderte, kam es nun nicht mehr an. Ein Erfolg, den wir Nachgeborenen
als selbstverständlich hinnehmen und in seinem vollen Umfang gar nicht
mehr ermessen und würdigen können.
Bis zur Eröffnung der ersten Teilstrecke der Hanau-Friedberger
Eisenbahn im November 1879 und der zweiten im Oktober 1881 fiel der "Kaiserlich
Deutschen Post" in unserer engeren Heimat unter anderem die Aufgabe zu,
die bisher bestehenden Personenverbindungen der Städte Hanau, Windecken
und Friedberg zu verbessern und die Routen Hanau-Langendiebach und Hanau-Marköbel
neu zu eröffnen. An Stelle von Friedberg als Anfangs-und Endstation
der Fahrpost trat deshalb sofort Nieder-Wöllstadt, die näher
gelegene Station der Main-Weserbahn. Zweimal am Tage, morgens und nachmittags,
fuhr ein gelber Postwagen in beide Richtungen. Sie waren je nach Beschaffenheit
der Straßen sowie Jahreszeit und Wetterlage mit zwei oder drei Pferden
bespannt. Vom erhöhten Kutscherbock aus lenkte der Postillion die
Pferde, die in Windecken umgespannt wurden und mit dem entgegenkommenden
Postwagen an ihren Standort zurückgingen.
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Bayerische Postkutsche auf dem Weg nach Brückenau. Aquarell von Emil Rumpf
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Im vorderen Abteil der Postkutsche fanden drei und im hinteren sechs
Personen Platz. Im kleineren sogenannten "Damencoupè" durfte nicht
geraucht werden, im hinteren Abteil konnten mit Einverständnis aller
Mitfahrenden Pfeifen oder Zigarren angesteckt werden. Stieg die Zahl der
Fahrgäste, so mußte der zehnte oder elfte mit einem Platz auf
der Kutscherbock vorlieb nehmen. Wollte gar eine zwölfte Person mitgenommen
werden, so lag dies im Ermessen des Postillions. Gegen gute Worte und einem
entsprechenden Trinkgeld überließ dieser dem Fahrgast seinen
Platz auf dem Kutscherbock, während er sich auf das Sattelpferd setzte.
Das Trinkgeld begründete er schmunzelnd mit dem Hinweis, daß
dafür das Sattelpferd für die aufgebürdete Mehrleistung
eine Extraportion Hafer erhalte. Wollten gar noch mehr Personen befördert
werden, wurde eine Privatchaise als Beiwagen eingesetzt. Diese zogen die
beiden Ponys des Metzgermeisters Dächert, dessen Sohn Karl als Kutscher
fungierte.
Bei schönem Wetter war das Sitzen auf dem Bock nicht unangenehm,
bei schlechtem aber sehr. Die vorhandene Lederdecke und ihre Seitenteile
schützten wohl die Beine gegen Wind und Regen, aber nicht den Oberkörper.
Um sich einen Platz im Postwagen zu sichern, holte man vorsichtigerweise
schon zwei bis drei Stunden vorher auf dem Postamt einen Fahrschein.
Der Postbeamte füllte ein Formular von der Größe der heutigen
Postpaketadressen mit Tinte aus. Es enthielt die Anmeldenummer, den Namen
des Ausgabeortes, weiter Reiseziel, den gezahlten Fahrpreis und den Poststempel
des Ausgabeortes mit Datum. Also ein recht umständliches Dokument.
Kurz vor der Abfahrt erhielt der Postillion vom Postamt einen Gegenschein
mit auf die Reise, auf dem die Zahl der Fahrgäste und der von ihnen
gezahlte Betrag stand. Noch ein weithin schallendes Signal auf dem Posthorn
und die Postkutsche setzte sich in Bewegung, die Reise begann. Kam unterwegs
ein neuer Fahrgast dazu, so mußte der Postillion den Zugang und den
kassierten Betrag sofort auf dem Begleitschein vermerken und diesen dem
etwa des Weges kommenden Gendarmen vorzeigen. So wurde schon damals das
Schwarzfahren unterbunden.
Eine Fahrt mit der Postkutsche war, gemessen am Wert des Geldes jener
Zeit, nicht gerade billig zu nennen. Man zahlte für die etwa zehn
Kilometer lange Strecke Hanau-Windecken achtzig Pfennig. Dafür verlangte
die Eisenbahn später kaum die Hälfte. Verbilligte Rückfahrscheine
gab es bei der Post nicht. Auch Arbeiter-und Schülerkarten mit Preisermäßigungen
waren unbekannt. Gerechterweise müssen wir aber festhalten, daß
der erhobene Preise die Unkosten der Personenbeförderung kaum deckte,
da die Post auf die natürliche Pferdekraft angewiesen war. Die Eisenbahn
verfügte dagegen über die viel billigere maschinelle Antriebskraft,
die ihr gestattete, ihren Betrieb auf Massenverkehr und auf große
Entfernungen einzustellen.
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Großherzogliche Mecklenbug- Strelitzsche Postilione. Aquarell von Gustav Müller
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Der Postillion trug eine dunkelblaue Uniform mit gelben Messingknöpfen
am Rock, dessen linken Ärmel ein aus gelbem Stoff ausgeschnittenes
Posthorn zierte. Ein schwarzer Lederhut, geschmückt mit einem fingerlagen,
aufrecht stehenden Büschel aus Pferdeschwanzhaaren, bildete die Kopfbedeckung.
Das goldglänzende Posthorn hing an der linken Seite des Postillions.
Die dazu benötigte schwarz-weiß-rote Tragekordel endete in zwei
Quasten, die als Schmuck der Uniform vor seiner Brust baumelten. Ein Postillion,
der das Posthorn besonders gut meistern konnte, war der aus Windecken stammende
August Lang. Soviel mir bekannt, hatte er als Soldat bei einem Kavallerieregiment
gedient und war dabei als Hornist ausgebildet worden. Die dort erworbene
Fertigkeit konnte er nun im Dienste der "Kaiserlichen Post" gut verwerten.
Hatte Postillion Lang, am Nachmittag von Hanau kommend, die Höhe
des Wartbäumchens erreicht, so setzte er fast regelmäßig
das Horn an und begrüßte sein im Tale liegendes Heimatstädtchen
mit der Melodie "Im schönsten Wiesengrunde ist meiner Heimat Haus".
Die auf dem Felde arbeitenden Bauern unterbrachen dann ihre Tätigkeit
und winktem ihm freudig zu. Seine Pferde aber spitzten stolz die Ohren
und trabten unter den Klängen des Posthorns leichter mit ihrer Last
dahin auf der ihnen bestens vertrauten Straße. Ein Signal vor dem
Postamt, das in der Zeh'schen Wirtschaft "Zum Goldenen Löwen" sein
Dienstzimmer hatte, verkündete, laut über dem Marktplatz schallend,
seine Ankunft, und nach einem kurzen Aufenthalt ein zweites Signal die
Abfahrt nach Hanau.
Wie schon erwähnt, bestanden außer der Windecker Postlinie
noch zwei weitere Routen nach Langendiebach und Marköbel. Diese wurden
von der Eröffnung der Eisenbahnlinie Hanau - Friedberg nicht berührt
und sie bestanden zunächst weiter.
Nachdem der erste Teilabschnitt am 22. November 1879 eingeweiht und
das Bahnpersonal eingewiesen worden war, ging die Postkutschenzeit
kurze Zeit später am 30. November für Windecken zu Ende.
Eine "offizielle" Abschiedsfeier stand nicht auf dem Programm der Windecker
Postverwaltung. Damit wollte sich der Postillion August Lang aber nicht
abfinden. Kurz entschlossen improvisierte er eine solche, die wegen ihrer
ungezwungenen Natürlichkeit einen tieferen Eindruck hinterließ
als eine von der Behörde lang vorbereitete Zeremonie. August Lang
stellte sich zu seinen Pferden, setzte sein geliebtes Posthorn an und ließ
die Melodie des alten Voilksliedes "Nun ade, du mein lieb Heimatland, lieb
Heimatland ade" über den Marktplatz erklingen. Die Giebel der den
Marktplatz umsäumenden alten Fachwerkhäuser gaben ihm den wehmütigen
Abschiedsgruß, im Echo verstärkt, vielfach zurück.
Die Türen und Fenster öffneten sich, und klein und groß
winkten dem Abschiednehmenden bewegten Herzens zu und bedankten sich damit
für den letzten Gruß. Er aber kletterte auf seinen Kutschbock,
die Pferde zogen an und gingen langsam Schritt für Schritt den Weg,
den sie sonst immer im scharfen Trab zurückgelegt hatten, als hätte
sie auch diese Wehmutsstimmung erfaßt. August Lang aber blies ununterbrochen
die ganze Straße entlang das Lied "Nun leb wohl, du kleine Gasse!
Nun ade, du stilles Haus." Wir Kinder aber begleiteten ihn bis zum
Kilianstädter Tor und nahmen hier von ihm und seinem Gefährt
winkend Abschied.
Vom Wartbäumchen her aber erscholl nach einer Weile die Melodie:
"So leb den wohl, du stilles Haus, wir ziehn betrübt von
dir hinaus.
Wir ziehn betrübt und traurig fort, noch unbestimmt, an welchen
Ort."
Das war die Postromantik, die ein Chamisso, ein Rückert, ein Lenau
und ein Viktor von Scheffel in ihren Liedern besangen, und ein Schwind,
ein Richter und ein Spitzweg in ihren Bildern und kostbaren Gemälden
wiedergegeben haben, sodaß es uns trotz beseren Wissens scheinen
muß, als hätten sie die Motive zu ihren Werken in unserer Gegend
gesammelt. - |