Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Bachforschung
Eine bunte Folge von heimatlichen Bildern aus vergangenen Tagen (Heinrich Karl Bach)
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Im schönsten Wiesengrunde...
1879 rollte die letzte Postkutsche aus Windecken
Aus den Erinnerungen von Heinrich Karl Bach

Als im Jahre 1866 Kurhessen und mit ihm die ehemalige Grafschaft Hanau an Preußen fiel, übernahm der Siegerstaat auch das gesamte Postwesen unserer engeren und weiteren Heimat, das bisher ein Privileg der Fürsten von Thurn und Taxis war. Aus der nunmehr "Königlich Preußischen Post" entstanden in rascher Folge die "Post des Nordddeutschen Bundes" und daran anschließend 1871 die "Kaiserlich Deutsche Reichspost" sowie 1878 der "Weltpostverein", der, wie schon der Name sagt, die Post der ganzen zivilisierten Welt umfaßte.

Diese rapide Entwicklung wirkte sich nun für die Postkunden in der Hauptsache darin aus, daß der Preis für die Beförderung von Postsachen einheitlich geregelt wurde. So kostete beispielsweise nach der Einführung des neuen Reichsmünzsystems im Jahre 1874 ein einfacher, zwanzig Gramm schwerer Brief, innerhalb des gesamten Deutschen Reiches zehn Pfennig. Für einen gleichschweren Auslandsbrief mußte ab 1878 die doppelte Gebühr bezahlt werden. Auf die Entfernungen, die früher in den einzelnen Ländern herrschenden Geldwährungen, die bisher bei jedem Brief eine umständlich oft zeitraubende Portoberechnung erforderte, kam es nun nicht mehr an. Ein Erfolg, den wir Nachgeborenen als selbstverständlich hinnehmen und in seinem vollen Umfang gar nicht mehr ermessen und würdigen können.

Bis zur Eröffnung der ersten Teilstrecke der Hanau-Friedberger Eisenbahn im November 1879 und der zweiten im Oktober 1881 fiel der "Kaiserlich Deutschen Post" in unserer engeren Heimat unter anderem die Aufgabe zu, die bisher bestehenden Personenverbindungen der Städte Hanau, Windecken und Friedberg zu verbessern und die Routen Hanau-Langendiebach und Hanau-Marköbel neu zu eröffnen. An Stelle von Friedberg als Anfangs-und Endstation der Fahrpost trat deshalb sofort Nieder-Wöllstadt, die näher gelegene Station der Main-Weserbahn. Zweimal am Tage, morgens und nachmittags, fuhr ein gelber Postwagen in beide Richtungen. Sie waren je nach Beschaffenheit der Straßen sowie Jahreszeit und Wetterlage mit zwei oder drei Pferden bespannt. Vom erhöhten Kutscherbock aus lenkte der Postillion die Pferde, die in Windecken umgespannt wurden und mit dem entgegenkommenden Postwagen an ihren Standort zurückgingen.

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Bayerische Postkutsche auf dem Weg nach Brückenau. Aquarell von Emil Rumpf
Im vorderen Abteil der Postkutsche fanden drei und im hinteren sechs Personen Platz. Im kleineren sogenannten "Damencoupè" durfte nicht geraucht werden, im hinteren Abteil konnten mit Einverständnis aller Mitfahrenden Pfeifen oder Zigarren angesteckt werden. Stieg die Zahl der Fahrgäste, so mußte der zehnte oder elfte mit einem Platz auf der Kutscherbock vorlieb nehmen. Wollte gar eine zwölfte Person mitgenommen werden, so lag dies im Ermessen des Postillions. Gegen gute Worte und einem entsprechenden Trinkgeld überließ dieser dem Fahrgast seinen Platz auf dem Kutscherbock, während er sich auf das Sattelpferd setzte. Das Trinkgeld  begründete er schmunzelnd mit dem Hinweis, daß dafür das Sattelpferd für die aufgebürdete Mehrleistung eine Extraportion Hafer erhalte. Wollten gar noch mehr Personen befördert werden, wurde eine Privatchaise als Beiwagen eingesetzt. Diese zogen die beiden Ponys des Metzgermeisters Dächert, dessen Sohn Karl als Kutscher fungierte.

Bei schönem Wetter war das Sitzen auf dem Bock nicht unangenehm, bei schlechtem aber sehr. Die vorhandene Lederdecke und ihre Seitenteile schützten wohl die Beine gegen Wind und Regen, aber nicht den Oberkörper. Um sich einen Platz im Postwagen zu sichern, holte man vorsichtigerweise schon zwei bis drei  Stunden vorher auf dem Postamt einen Fahrschein. Der Postbeamte füllte ein Formular von der Größe der heutigen Postpaketadressen mit Tinte aus. Es enthielt die Anmeldenummer, den Namen des Ausgabeortes, weiter Reiseziel, den gezahlten Fahrpreis und den Poststempel des Ausgabeortes mit Datum. Also ein recht umständliches Dokument.

Kurz vor der Abfahrt erhielt der Postillion vom Postamt einen Gegenschein mit auf die Reise, auf dem die Zahl der Fahrgäste und der von ihnen gezahlte Betrag stand. Noch ein weithin schallendes Signal auf dem Posthorn und die Postkutsche setzte sich in Bewegung, die Reise begann. Kam unterwegs ein neuer Fahrgast dazu, so mußte der Postillion den Zugang und den kassierten Betrag sofort auf dem Begleitschein vermerken und diesen dem etwa des Weges kommenden Gendarmen vorzeigen. So wurde schon damals das Schwarzfahren unterbunden.

Eine Fahrt mit der Postkutsche war, gemessen am Wert des Geldes jener Zeit, nicht gerade billig zu nennen. Man zahlte für die etwa zehn Kilometer lange Strecke Hanau-Windecken achtzig Pfennig. Dafür verlangte die Eisenbahn später kaum die Hälfte. Verbilligte Rückfahrscheine gab es bei der Post nicht. Auch Arbeiter-und Schülerkarten mit Preisermäßigungen waren unbekannt. Gerechterweise müssen wir aber festhalten, daß der erhobene Preise die Unkosten der Personenbeförderung kaum deckte, da die Post auf die natürliche Pferdekraft angewiesen war. Die Eisenbahn verfügte dagegen über die viel billigere maschinelle Antriebskraft, die ihr gestattete, ihren Betrieb auf Massenverkehr und auf große Entfernungen einzustellen.

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Großherzogliche Mecklenbug- Strelitzsche Postilione. Aquarell von Gustav Müller
Der Postillion trug eine dunkelblaue Uniform mit gelben  Messingknöpfen am Rock, dessen linken Ärmel ein aus gelbem Stoff ausgeschnittenes Posthorn zierte. Ein schwarzer Lederhut, geschmückt mit einem fingerlagen, aufrecht stehenden Büschel aus Pferdeschwanzhaaren, bildete die Kopfbedeckung. Das goldglänzende Posthorn hing an der linken Seite des Postillions. Die dazu benötigte schwarz-weiß-rote Tragekordel endete in zwei Quasten, die als Schmuck der Uniform vor seiner Brust baumelten. Ein Postillion, der das Posthorn besonders gut meistern konnte, war der aus Windecken stammende August Lang. Soviel mir bekannt, hatte er als Soldat bei einem Kavallerieregiment gedient und war dabei als Hornist ausgebildet worden. Die dort erworbene Fertigkeit konnte er nun im Dienste der "Kaiserlichen Post" gut verwerten. 

Hatte Postillion Lang, am Nachmittag von Hanau kommend, die Höhe des Wartbäumchens erreicht, so setzte er fast regelmäßig das Horn an und begrüßte sein im Tale liegendes Heimatstädtchen mit der Melodie "Im schönsten Wiesengrunde ist meiner Heimat Haus". Die auf dem Felde arbeitenden Bauern unterbrachen dann ihre Tätigkeit und winktem ihm freudig zu. Seine Pferde aber spitzten stolz die Ohren und trabten unter den Klängen des Posthorns leichter mit ihrer Last dahin auf der ihnen bestens vertrauten Straße. Ein Signal vor dem Postamt, das in der Zeh'schen Wirtschaft "Zum Goldenen Löwen" sein Dienstzimmer hatte, verkündete, laut über dem Marktplatz schallend, seine Ankunft, und nach einem kurzen Aufenthalt ein zweites Signal die Abfahrt nach Hanau.

Wie schon erwähnt, bestanden außer der Windecker Postlinie noch zwei weitere Routen nach Langendiebach und Marköbel. Diese wurden von der Eröffnung der Eisenbahnlinie Hanau - Friedberg nicht berührt und sie bestanden zunächst weiter. 
Nachdem der erste Teilabschnitt am 22. November 1879 eingeweiht und das  Bahnpersonal eingewiesen worden war, ging die Postkutschenzeit kurze Zeit später am 30. November für Windecken zu Ende. 

Eine "offizielle" Abschiedsfeier stand nicht auf dem Programm der Windecker Postverwaltung. Damit wollte sich der Postillion August Lang aber nicht abfinden. Kurz entschlossen improvisierte er eine solche, die wegen ihrer ungezwungenen Natürlichkeit einen tieferen Eindruck hinterließ als eine von der Behörde lang vorbereitete Zeremonie. August Lang stellte sich zu seinen Pferden, setzte sein geliebtes Posthorn an und ließ die Melodie des alten Voilksliedes "Nun ade, du mein lieb Heimatland, lieb Heimatland ade" über den Marktplatz erklingen. Die Giebel der den Marktplatz umsäumenden alten Fachwerkhäuser gaben ihm den wehmütigen Abschiedsgruß, im Echo verstärkt, vielfach zurück. 

Die Türen und Fenster öffneten sich, und klein und groß winkten dem Abschiednehmenden bewegten Herzens zu und bedankten sich damit für den letzten Gruß. Er aber kletterte auf seinen Kutschbock, die Pferde zogen an und gingen langsam Schritt für Schritt den Weg, den sie sonst immer im scharfen Trab zurückgelegt hatten, als hätte sie auch diese Wehmutsstimmung erfaßt. August Lang aber blies ununterbrochen die ganze Straße entlang das Lied "Nun leb wohl, du kleine Gasse! Nun ade, du stilles Haus." Wir Kinder aber begleiteten ihn bis zum  Kilianstädter Tor und nahmen hier von ihm und seinem Gefährt winkend Abschied.

Vom Wartbäumchen her aber erscholl nach einer Weile die Melodie:

"So  leb den wohl, du stilles Haus, wir ziehn betrübt von dir hinaus.
Wir ziehn betrübt und traurig fort, noch unbestimmt, an welchen Ort."

Das war die Postromantik, die ein Chamisso, ein Rückert, ein Lenau und ein Viktor von Scheffel in ihren Liedern besangen, und ein Schwind, ein Richter und ein Spitzweg in ihren Bildern und kostbaren Gemälden wiedergegeben haben, sodaß es uns trotz beseren Wissens scheinen muß, als hätten sie die Motive zu ihren Werken in unserer Gegend gesammelt. -

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