Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Bachforschung
Eine bunte Folge von heimatlichen Bildern aus vergangenen Tagen (Heinrich Karl Bach)
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Wie sich die kurhessische reaktionäre Ära Hassenpflug 
noch nach dreißig Jahren in Windecken auswirkte
Aus den Erinnerungen von Heinrich Karl Bach

Zum besseren Verständnis dieser Geschichte: Hans Daniel Ludwig Friedrich Hassenpflug (geboren 26. Februar 1794 in Hanau) wurde 1832 Justiz und Innenminister von Hessen-Kassel. Obwohl er mit Marie Grimm, der Schwester von Jakob und Wilhelm Grimm, verheiratet war, teilte er nicht deren "modernen" politischen Horizont. Stattdessen begann er, die gerade begonnene Demokratisierung des reaktionären Regimes von Kurfürst Wilhelm dem Ersten wieder rückgängig zu machen. Trotzdem überwarf sich Hassenpflug 1837 mit dem Hof und verliess das Kurfürstentum - um 1850 dort wieder die Amtsgeschäfte 'in gewohnter Manier' zu übernehmen. Zensur und Verhaftungen warem am der Tagesordnung, was ihm den Schimpfnamen "Hessenfluch" und das Sprichwort "Haß und Fluch gibt schlechtes Tuch" einbrachte. Er löste das "Märzparlament" auf und rief 1852 mitten im Frieden sogar den Kriegszustand aus. Ab hier verweigerten Gerichte und Behörden den Gehorsam, es ging weiter bis zur Steuerverweigerung der Stände und zum Rücktritt fast des gesamten hessischen Offizierskorps. Auch die herbeigerufenen Truppen der "Strafbayern" konnten da nicht helfen - Hassenpflug nahm 1855 seinen Hut und starb am 10. Oktober 1892 in Marburg. Bernd Hohmann
 
Auf die freiheitliche, demokratische Verwaltung des Ministers Eberhard folgte im Jahre 1850 in Kurhessen die vom Volke verhaßte reaktionäre  Zeit des Ministers Hassenpflug. Wie sich dessen rückschrittliche Verwaltung noch nach dreißig Jahre in Windecken auswirkte, zeigen folgende zwei Begebenheiten:

An einem Vormittag Ende der achtziger Jahre saß ein Windecker Bürger während des Gottesdienstes friedlich vor seiner Haustür und las Zeitung. Der Gendarm nahm daran Anstoß und zeigte ihm beim Amtsgericht an. Der Richter mußte den Angeklagten auf Grund eines kurhessischen Gesetzes aus der Ära Hassenpflug verurteilen, obwohl Kurhessen schon seit 20 Jahren in Preußen aufgegangen war, wo das Verbot nicht bestand. Am Schluß gab der Richter dem Gendarmen die Weisung, ihn fürderhin mit solchen Bagatellsachen zu verschonen.
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Der Bahnhofswartesaal 2ter Klasse 1933/34. An der Wand sind die Bilder von Adolf Hitler und Hindenburg zu erkennen.Repro: Rolf Hohmann
Nach einem Erlaß des gleichen Ministers und aus derselben Zeit und Atmosphäre (1854) war den kurhessischen Beamten und Lehrern das Kartenspielen verboten. Nun verbrachten im Jahre 1887 drei Frankfurter Lehrer die Herbstferien in ihrer Heimatstadt Windecken. An einem schönen Nachmittage machten sie mit einem befreundeten Windecker Lehrer einen längeren Sapziergang und kehrten am Schlusse im Windecker Bahnhof ein, mit dem eine Gastwirtschaft verbunden war und heute noch ist, und tranken ein Glas Bier. Außer ihnen war niemand im Wartesaal zweiter Klasse. Zur weiteren Unterhaltung spielten sie Karten. Nach kurzer Zeit betrat ein Reisender den Wartesaal. Infolgedessen brachen sie das Spiel bei der ersten passenden Gelegenheit ab. Der eintretende Reisende war der Hanauer Kreissekretär, ein tüchtiger Beamter, der eifrigst bestrebt war, seinem Chef, dem Herrn Landrat Graf v. Bismarck, die Verwaltung des Kreises möglichst zu erleichtern.

Wenige Tage später erhielt der Windecker Lehrer,  dessen Name der Kreissekretär wahrscheinlich aus der Unterhaltung entnommen hatte, wegen Kartenspielens eine Vorladung vom Landratsamt. Die Frankfurter Lehrer waren für den Herrn Kreissekretär nicht erreichbar, da sie nicht zu seinem Verwaltungsbezirk gehörten. Am Schlusse der mündlichen Verhandlung, schickte sich der vernehmende Beamte an, ein Potokoll darüber aufzunehmen. Da erklärte der Lehrer, ihm diese Arbeit abnehmen und das Schriftstück zu Hause in Ruhe und Muse selbst aufsetzen zu wollen.  Nach langem Hin und Her willigte der Beamte unter der Bedingung ein, daß es zu einem festgesetzten Termin in seinen Händen sei.

Die Angelegenheit wurde ruchbar. Den Zeitungen bot sie willkommenen Stoff. Kleine Lokalblätter und große Weltzeitungen des In- und Auslandes, unpolitische und politische in allen Schattierungen berichteten darüber und machten ihre Glossen, Witzblätter brachten die Illustrationen dazu. Kurzum es gab einen großen Kladderadatsch, der keinem der beteiligten Parteien angenehm war, am wenigsten dem Hanauer Landratsamt. Die Folge war, es ließ die Sache im Sande verlaufen.

Der Landrat Graf v. Bismarck avancierte bald darauf und wurde Regierungspräsident in Hannover, anschließend Oberpräsident in Ostpreußen. Sein Nachfolger in Hanau übernahm die Verwaltung in eigene Regie. Dem an selbständiges, eigenmächtiges Handeln gewohnten Kreissekretär fiel es schwer, sich der neuen Ordnung anzupassen. Es überstieg seine Nervenkraft. Er wurde krank und starb in den Weihnachtstagen  1889, ein Opfer der Ära Hassenpflug und ihrer Erlasse. 

Aus der gleichen Zeit und vom gleichen kurhessischen Minister stammt auch das Verbot, wonach Beamten und Lehrern nicht gestattet war, einen Bart zu tragen. Man sah darin den Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Regierung und den bestehenden Verhältnisen. Es ist aber nicht bekannt geworden, ob ein Bart tragender Beamter oder Lehrer deshalb zur Rechenschaft gezogen worden ist. 

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