Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Bachforschung
Eine bunte Folge von heimatlichen Bildern aus vergangenen Tagen (Heinrich Karl Bach)
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Es braust ein Ruf wie Donnerhall
Sieg von Sedan wurde mit großer Begeisterung gefeiert
Aus den Erinnerungen von Heinrich Karl Bach

Wenn ich das Wartbäumchen in Natura oder im Bilde und die alte Linde vor dem Schloßtore auf der aus dem Jahre 1828 stammenden Zeichnung von Dr. Usener sehe, freue ich mich, rufen sie doch in mir manche Jugenderinnerung wach. Dem Herrn Kreispfarrer Dr. Henß sei darum an dieser Stelle herzlichst gedankt, daß er die Bilder der Bäume in der Festschrift veröffentlicht hat. Ich bedauere aber, daß dabei zwei andere alte Windecker Lindenbäume unerwähnt bleiben. Ich halte es deshalb für meine Pflicht, bei dieser Gelegenheit auf sie besonders hinzuweisen.

Am Kilianstädter Tor am Bleichberg, wo der Fußpfad in die Gärten abzweigt, die man das "Füllchen" nennt, wo später der Arzt Dr. Walther sein Wohnhaus erstehen ließ, stand bis Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts (vor 1880) ein alter, schöner Lindenbaum. Sein Stamm war rundum von einem sitzhohen Mäuerchen umgeben. Hier trafen sich an schönen Sommerabenden, angelockt durch den süßlichen Duft der Lindenblüte, die vom Alter gebeugten Männer und Frauen, um sich von der Tagesarbeit auszuruhen und ein unschuldiges Schwätzchen zu halten, in der Erinnerung an längst vergangene Tage und ihrem Erleben. In der Nähe stand eine Bretterhütte, in der die Chausseearbeiter ihre Arbeitsgeräte für den nächsten Tag aufbewahrten. Die alten Leute, die alte Linde und die alte Bretterhütte sind nicht mehr. Wer denkt noch an sie! "Auch ich bin manche Stunde entfernt von jenem Ort, Und immer hör' ich's rauschen: Du fändest Ruhe dort!"

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Noch bis in unsere Tage fanden in Windecken alle größeren Feste auf den Bleichwiesen statt. Im Hintergrund die fast fertiggestellte Trasse der Ungehungstraße im Zuge der B45.
Dia: Rolf Hohmann 1970
Der andere vergessene Lindenbaum stand auf der Bleiche, unweit des Steges, der über die Nidder führt. Er war ebenso groß, und sein Stamm ebenso dick, wie die der drei anderen, wie der des Wartbäumchens, des Lindenbaumes am Kilianstädter Tor und der vor dem Schloßtore. Vielleicht prüft der Magistrat einmal, ob es nicht geraten wäre, neue Linden an geeigneten Plätzen für die kommenden Geschlechter anzupflanzen, damit in in vier oder fünf Hundert Jahren ein alter Windecker von ihnen mehr berichten kann.

Der Bericht über die Windecker Lindenbäume wäre unvollständig, wenn bei der auf der Bleiche stehenden Linde unerwähnt bliebe, daß in ihrer unmittelbaren Nähe, sozusagen unter ihrem Schatten, bis in die Mitte der neunziger Jahre alljährlich am zweiten September der Sieg von Sedan mit großer Begeisterung gefeiert wurde,

An diesem herrliche Siege hatte auch das XI. Armeecorps, zu dem damals die Provinz Hessen-Nassau zählte und mit ihr die Windecker Krieger, hervorragenden Anteil. Denn ihm, dem XI. Armeecorps,  fiel nämlich die schwierige Aufgabe zu, mit dem V. Armeecorps,  den Posenern, in einem weit nach Westen ausholendm Bogen den Umklammerungsring um die Festung Sedan von Norden her zu schließen und den Feind bei den Ortschaften St. Menges und Floing anzugreifen und in die Festung Sedan zurückzuwerfen. Es gelang. Die Kesselschlacht von Sedan wurde gewonnen und Napoleon dabei gefangen genommen. Darob große Freude in ganz Deutschland!

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Der Niddersteg an der Bleiche wurde beim Bau der Umgehungsstraße nach Fertigstellung der Brücke abgebrochen.
Dia: Rolf Hohmann 1970
Der Tag von Sedan wurde in der Folgezeit zum Feiertag erhoben. Am Morgen Dankesgottesdienst in der Kirchge, am Nachmittag eine volksfestmäßige Feier auf der Bleiche, wobei nach einem von der Kapelle gespielten Musikstücke ein Redner eine Ansprache hielt, in der er den Hergang der Schlacht und ihren glänzenden Erolg schilderte und dabei besonders der Taten der Windecker Krieger gedachte. Mit dem Gesang der  Vaterlandslieder "Heil dir im Siegerkranz" und "Es braust ein Ruf Donnerhall" schloß der offizielle Teil der Feier. Die jungen Leute lustierten sich nun auf dem Tanzboden, die Schulkinder vergnügten sich mit Wetturnen und Wettspielen und Vorführungen von Reigen. Zu rasch vergingen die Feierstunden für alle Teilnehmer.

Bei anbrechender Dunkelheit wurde ein Fackelzug für den Heimmarsch aufgestellt, vornweg die Musikkapelle und die Krieger, denen nächst Gott der Dank galt für den errungenen Sieg, der Ursache zu der heutigen Feier. Vor der Kirche hielt der Zug. Herr Metropolitan Ullrich hielt eine kurze Ansprache. Die Musikkapelle intonierte den Choral "Nun danket alle Gott" und alle sangen freudig und bewegten Herzens mit. Am Marktplatz löste sich der Festzug auf. Alle Festteilnehmer konnten nun in dem erhebenden Bewußtsein nach Hause gehen, ein geeintes Vaterland zu besitzen, auf das sie stolz sein konnten.

Um gerecht zu sein, muß ich darauf hinweisen und betonen, daß man bei der Feier des Sedantages nicht versäumt hat, neben den Teilnehmern des letzten Krieges (1870/81) auch den einzigen, noch lebenden Freiheitskämpfer von 1813, den alten Herrn Fehr in den Mittelpunkt des Tages zu stellen. Für ihn schmückte man einen Wagen mit Fahnen und Girlanden aus Eichenlaub und ermöglichte auf diese Weise dem alten, gebrechlichen Manne, am Festzuge teilzunehmen, von mehreren weißgekleideten Jungfrauen mit schwarz-weiß-roten Schärpen betreut. Freude strahlte dem alten Herrn über das ganze Gesicht. Beglückt dankte er für alle Ehrungen und Ovationen, die ihm während des ganzen Tages zuteil wurden.

Sicherlich ein erhebendes Gefühl für ihn vor nahezu siebzig Jahren als junger Mann zu dem Aufbau Deutschlands sein Teil beigetragen zu haben. Wenn auch noch große Hindernisse zu überwältigen waren, so hatte er doch die Genugtuung, daß sein Anteil am Aufbau Deutschlands von dem späteren Geschlecht anerkannt wurde. Vielleicht war der Sedantag der schönste Tag seines Lebens! Wenn ich mich nicht sehr irre, wohnte Herr Fehr in der Neugasse, der Apotheke schräg gegenüber.

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