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War der Brunnenbauer Georg Bausch ein Meisterfälscher ?
Der Fall der "Wetterauer Brandgräber wird neu aufgerollt.
Von Rolf Hohmann
Der in der Internet-Zeitschrift "archäologisch" im vergangenen Jahr veröffentlichte Beitrag "Die Wetterauer Brandgräber" hat bei dem an der Vorgeschichte des nördlichen Hanauer Raums interessierten Personenkreis die nie ganz verstummte Diskussion über diese "Fälscherstory" erneut entfacht. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen die vom gebürtigen Windecker Georg Bausch entdeckten bandkeramischen Brandgräber. Diese Bestattungsform war in diesem Kulturkreis unseres Raums bisher noch nicht bekanntgeworden. 

Vor allem die vom gelernten Brunnenbauer und seit 1906 für die Richslimeskommission tätigen Bausch geborgenen durchbohrten Kettenanhänger aus Main-Kieselsteinen, Schieferplättchen, Tonperlen etc. erregten bald nach seinem Tod im Jahr 1932 das Mißtrauen einiger Fachleute. So machte auch Müller-Karpe in seiner 1944 veröffentlichten Abhandlung "Zur Originalitätsfrage der Wetterauer Brandgräber" zwar einige Andeutungen in Richtung möglicher Manipulationen, gab aber nach dem Motto "In dubio pro reo" kein definitives Urteil ab. 

Wetterauer Brandgräber eine Massenfälschung ?

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So werden die erhalten gebliebenen Bausch-Steinketten im Magazin des Historischen Museums Hanau aufbewahrt. Foto: Rolf Hohmann
Anders Frau Gudrun Loewe (Neuß), die vor allem aufgrund eines Gutachtens der Materialprüfungsanstalt der Technischen Hochschule Darmstadt ein klares "Schuldig" aussprach. In ihrem in der "Germania" 1958 abgedruckten Beitrag "Zur Frage der Echtheit der jungsteinzeitlichen "Wetterauer Brandgräber" stellte sie in ihrem Resümee eindeutig fest: "Die in diesem Bericht vorgetragenen Bedenken haben mich zu der Überzeugung gebracht, daß die "Wetterauer Brandgräber" nebst ihren Beigaben von Bauschs Hand herrührten". Und an anderer Stelle: "Die Herstellung der Beigaben wäre mit den technischen Mitteln der Steinzeit undurchführbar; es bedarf dazu eines neuzeitlichen Metallbohrers." 

Dieses vernichtende Urteil empörte die Enkelkinder (Georg Bausch hatte acht Kinder), die in Folge bemüht war, ihren Großvater von diesem Makel zu befreien. Im nördlichen Hanauer Raum hatte Ende der sechziger und vor allem in den siebziger Jahren der in Windecken ansässige Amateurarchäologe und Freie Journalist Rolf Hohmann durch die Entdeckung zahlreicher vor-und frühgeschichtlicher Fundstätten auf sich aufmerksam gemacht. Als er im August 1972 aufgrund der vom Nidderauer Stadtparlament beschlossenen Ausweisung von Neubaugebieten "der Not gehorchend" vom damaligen Hessischen Landesarchäologen offiziell mit Ausgrabungen auf dem Areal des ehemaligen römischen Erdkastells Heldenbergen beauftragt worden war, wurde im Regionalfernsehen und Rundfunk sowie in vielen Zeitungen des Rhein-Main-Gebietes über diese ebenso außergewöhnliche wie "fundträchtige" Aktion von Laien, ausführlich berichtet. 

Dadurch erhielt auch eine in Gießen wohnende Bausch-Enkelin, Kenntnis von den Aktivitäten Hohmanns im nördlichen Hanauer Raum. In ihrem vom Kulturamt Hanau an ihn weitergeleitetes Schreiben vom 24. August 1972 gibt sie ihrer Empörung über das von Gudrun Loewe über ihren Großvater gefällte Fälscher-Urteil unverblümt Ausdruck. Sie äussert weiter die Hoffnung, daß Rolf Hohmann bei seinen Ausgrabungen "vielleicht auch eines dieser Brandgräber" finden könnte und meinte:"Wäre das schön." 

Leider erfüllte sich dieser sehnliche Wunsch nicht. Doch die Enkel des Georg Bausch gaben nicht auf in ihrem Bemühen, den Namen ihres Großvaters reinzuwaschen. Eine in Erlensee wohnende Enkelin hat Rolf Hohmann jüngst darum gebeten, aufgrund seiner Erfahrungen und Verbindungen erneut Nachforschungen in dieser Angelegenheit anzustellen. Ihre 1913 geborene Mutter habe auch im hohen Alter immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass die ihrem Vater zur Last gelegten Fälschungen von steinzeitlichen Artefakten von ihm nicht begangen worden sind. 

Kann man hundertmal manipulieren ?

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Diese Steinkette aus Mainkieseln besteht aus je 34 Gliedern und Anhägern mit insgesamt 136 Bohrungen. Sie ist mit ungefähr 700 Punktverzierungen versehen. Repro: Rolf Hohmann
Rolf Hohmann sagte zu, den "Fall Bausch" von einer ganz anderen Seite zu beleuchten, als vor ihm die Fachwissenschaftler. Er wertete zunächst alle ihm verfügbaren Quellen aus und bestellte über den Auswärtigen Leihverkehr der Hanauer Stadtbibliothek, die in Fachzeitschriften und Büchern darüberhinaus veröffentlichten Abhandlungen über die Wetterauer Brandgräber. Ihm wurde sehr schnell klar, daß Gudrun Loewe und andere Autoren seiner Ansicht nach in ihren Betrachtungen über die Wetterauer Brandgräber den "Zeitfaktor" sträflich vernachlässigt haben. Rolf Hohmann konzentriert sich bei seinen Recherchen auf die Ausgrabungsperiode zwischen 1906 - 1910. 

Nach der von Gudrun Loewe aufgestellten Tabelle wurden in diesem Zeitraum von Georg Bausch, vor allem in den Gemarkungen von Butterstadt, Kilianstädten, Büdesheim und Windecken, 46 Brandgräber entdeckt, mit Kiesel-oder Schieferanhängern als Beigaben. Nun lebte Georg Bausch damals in Marköbel mit seiner großen Familie in sehr beengten Verhältnissen. Wie konnte er unbemerkt innerhalb von vier oder fünf Jahren neben seiner umfangreichen Tätigkeit als "Reichlimeshilfsforscher" Hunderte von Anhängern durchbohren und mit Ritz-oder Punktverzierungen versehen? Im Historischen Museum Hanau werden fünf von Georg Bausch geborgene Steinketten aufbewahrt. Bisher wurde eine davon etwas näher in Augenschein genommen. Sie besteht aus 34 Kettengliedern und Anhängern aus Mainkieseln. Die Glieder sind mit je drei Bohrungen versehen, die Anhänger weisen jeweils eine Bohrung auf. 

Wie lange dauerte es, allein diese 136 Bohrungen mit einem Gerät zu Beginn des 20. Jahrhunderts herzustellen? Und wo hatte der nicht mit Reichtümern gesegnete Brunnenbauer Bausch ein Bohrgerät her? Alle Kettenglieder und-Anhänger sind auf beiden Seiten mit durchschnittlich zehn Punktverzierungen versehen, also insgesamt etwa 700! Abgesehen davon, daß die Gräber so präpariert werden mußten, daß die Fachleute keinen Verdacht schöpfen konnten. Das alles hätte sehr viel Zeit in Anspruch genommen, ebenso das Beschaffen der ungezählten Mainkiesel, die es schließlich nicht in einem Baumarkt zu kaufen gab. Rolf Hohmann hat sich der Mühe unterzogen, in einem Kieswerk einige Dutzend passender Steine aus einer großen Aufschüttung herauszuklauben. Eine wahre Sisyphosarbeit! 
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Anzeige in der Windecker Zeitung vom 20. November 1909 Repro: Rolf Hohmann
Auch Walter Gerteis stellte in seinem 1960 herausgegebenen Buch "Das unbekannte Frankfurt" viele Fragen. Das Kapitel "Der Mann, der Frankfurt 2000 Jahre älter machte" befasst sich mit den Ausgrabungen von Georg Bausch und den gegen ihn lange nach seinem Tod erhobenen Verdacht des Fälschens von Artefakten. Der Autor schreibt: "Man fand im Laufe der Jahre fast hundert Brandgräber!" 

Dr. Loewe bemerkt dazu: "Viele Wissenschaftler sind Zeugen solcher Ausgrabungen geworden, weil die bis dahin unbekannte Grabform größtes Interesse weckte und die relativ kleinen Objekte sich gut in einer Schaugrabung vorführen ließen." Sehen wir davon ab, ob man einen Fachmann wie Professor Wolff tatsächlich durch anderthalb Jahrzehnte immer und immer wieder täuschen kann. Es bleibt die Frage: Kann man hundertmal - davon in etlichen Fällen vor immer neuen Sachverständigen - die gleiche schwierige Fälschung machen, ohne entdeckt zu werden? Hundertmal! Um diese Frage kommt man nicht herum. Bejaht man sie, dann gehören die Wetterauer (und Frankfurter) Brandgräber zu den einmaligen wissenschaftlichen Irreführungen, gehört der Brunnenbauer Georg Bausch in die Galerie der Meisterfälscher, wie es nur wenige gegeben hat."

Der getürkte Jupiter von Nidderau

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Der Hessische Landesarchäologe Prof. Dr. Helmut Schoppa (rechts) mit Rolf Hohmann am 28. Juli 1972 an der "Urgrabung" auf dem Kastellgeläde in Heldenbergen.
Rolf Hohmann ist aufgrund seiner bisherigen Recherchen zu der Überzeugung gelangt, daß Georg Bausch, sofern Manipulationen stattfanden, das "Unternehmen Wetterauer Brandgräber" kaum allein hätte durchführen können. Schon Müller-Karpe äusserte 1944 einen Verdacht in einer bestimmten Richtung: "Einige heute noch lebende Windecker, mit denen ich über die Angelegenheit sprach, versicherten übereinstimmend, dass sie es für ausgeschlossen hielten, dass der alte Bausch die Schmuckbeigaben der neolithischen Gräber gefälscht habe, einmal wegen seines im Grunde ehrlichen Charakters, dann aber auch, weil sie ihm die geistige sowohl wie die technische Fähigkeit nicht zutrauten, die doch zur Herstellung der Fundgegenstände und ihre Unterbringung in "zurechtgemachten" Gräbern nötig gewesen wäre. Es bliebe dann allerdings einen im Hintergrund arbeitenden raffinierten Alterumshändler oder dergl. anzunehmen, der mit Bausch unter einer Decke gesteckt habe. Von einem solchen Verkehr wußten aber die gefragten Windecker Einwohner gar nichts."  Rolf Hohmann hatte in seinem Antwortschreiben an die in Gießen lebende Bausch-Enkelin ausgeführt: "Meine Recherchen hier in Windecken haben den Verdacht genährt, daß sich Ihr Großvater als Werkzeug einiger Spaßvögel hat mißbrauchen lassen, die der Fachwelt aus bisher noch unbekannten Gründen eins auswischen wollten. Das ist aber nur eine Vermutung."

Rolf Hohmann ist selbst ein "gebranntes Kind" und recherchiert deshalb in dieser Angelegenheit mit viel Fingerspitzengefühl. Als Leiter der Ausgrabungen auf dem Kastellgelände in Heldenbergen führte er genau Protokoll. Am 5. September 1972 notierte er: "Bisher wichtigster Fund. Terrakotta? Halbmaske eines bärtigen Mannes (Gott?) ohne Beschädigung im Abschnitt IIa." Finder dieses lehmverkrusteten Artefakts war der eifrigste Ausgrabungshelfer und der Laie Hohmann schöpfte deshalb zunächst keinerlei Verdacht; auch wenn sich bis zu diesem Zeitpunkt unter dem umfangreichen Fundmaterial, ausser zwei oder drei kleinen Terra sigillata-Schälchen, und einem Öllämpchen, keine unbeschädigte Keramik befand. In seiner regelmässigen Presseberichterstattung über die Ausgrabung erwähnte er diesen "Sensationsfund" zunächst jedoch nicht, denn er wollte erst einmal die Expertise des Landesarchäologen abwarten. 
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Der getürkte "Jupiter von Nidderau". 
Repro: Rolf Hohmann
Doch auch dieser erkannte auf Anhieb nicht, dass sich hier ein Spaßvogel einen Jux machte, und seine erste Bewertung des Fundstücks war so präzise wie eine Weissagung des Orakels von Delphi. Aufgrund dieser Ausgangslage erschien im Hanauer Anzeiger am 11. Oktober 1972 ein Foto des "Jupiter von Nidderau" mit der Unterschrift: "Das ist der wertvollste Fund, der seit einigen Wochen auf dem Gelände des ehemaligen Erdkastells im Gang befindlichen Ausgrabungen, die ausschließlich von Amateuren durchgeführt werden. Die Terrakotta-Maske eines bärtigen Mannes ist zwölf Zentimeter hoch und bis auf zwei feine Risse unbeschädigt. Sie wurde in etwa einem Meter Tiefe von dem bisher erfolgreichsten Ausgrabungeshelfer, Friedel E., aus dem Nidderauer Stadteil Heldenbergen, geborgen. 

In der überregionalen Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde der Fund mit folgendem Text abgebildet: "Für ein Abbild Jupiters hält Amateurarchäologe Rolf Hohmann aus Nidderau diese zwölf Zentimeter hohe Terrakotta-Maske eines bärtigen Mannes, den bisher wertvollsten Fund bei den seit drei Monaten unter seiner Leitung laufenden Ausgrabungen auf dem Gelände des Römerkastells bei Heldenbergen. Daneben wurden zentnerweise Tonscherben, darunter viel wertvolle Sigillata, Bronzeschmuck, Münzen, eine bronzene Standartenspitze, Messer, Lanzen, Gefäße und viele Mauerreste gefunden." 

Doch sehr schnell wurde klar, daß der "getürkte Jupiter von Nidderau" wahrscheinlich aus einem mediterranen Souvenirladen unserer Tage stammte und er verschwand deshalb in einer Pappschachtel, um bis zu dieser Veröffentlichung nie wieder erwähnt zu werden. Der "unehrliche Finder" hatte sicher eine "klammheimliche Freude" an seinem gelungenen Coup. Er outete sich später zwar "durch die Blume", bekannte sich jedoch nie offen zu seinem Schelmenstück.


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