Im Jahre 1502 richtete Graf Reinhard IV. von Hanau für das Amt
Windecken ein Landgericht ein. Es übte später auch das "peinliche
Gericht" aus, entschied also über Leben und Tod, wie in unserem Beitrag
"Abscheulich Exempell am scheppen Georg" nach einem im Stadtarchiv erhalten
gebliebenen Prozeß-Protokoll eindringlich dargestellt. Ab 1566 waren
für kleinere Vergehen Rügegerichte zuständig, die viermal
jährlich über die angezeigten Delikte verhandelten und Bußen
verhängten. Aus der erlassenen Ordnung geht hervor, daß diese
Rügegerichte eingerichtet worden seien, weil Frevel, Beleidigungen,
leichte Körperverletzungen usw. "zuvor in der Gemeinde, wie sonst
bräuchlich und sich gebühret hatte, nicht gerügt und angezeigt
wurden."
Die Vorfälle und verhängten Strafen wurden vom Stadtschreiber
in das "Buß Register" eingetragen, wovon einige aus der Zeit zwischen
1580 und 1660 die Zeitläufte unbeschadet überstanden haben. Die
Rügegerichte hatten zumeist Vergehen zu ahnden, mit denen sich auch
die Schiedsleute unserer Tage vornehmlich zu befassen haben: Schägereien,
üble Nachrede, Nachbarschaftsstreitigkeiten, Beleidigungen usw.
Einen fremden Schumacher übel geschlagen
Auch Anno dunnemals wurde viel Unheil "im Suff" angerichtet. Deshalb
erließ die Obrigkeit zahlreiche Verordnungen, um solche "Rauschtaten"
wenn schon nicht zu verhindern, so zumindest einzudämmen. So schrieb
die Hanauer Rügeordnung von 1581 vor: "Es soll kein Wirt seinen Gästen
Spielens gestatten, oder nach neun Uhren im Sommer, im Winter zu fünf
Uhren zu sitzen, auch keinen Wein geben, und da sich eine Schlägerei
begeben, so soll der Wirt sowohl als die Gäste rügen und getreulich
Fried gebieten und nehmen." Im Buß Register der Stadt Windecken ist
unter anderem dieser Vorfall aktenkundig geworden: "Wirdt fürbracht
daß Jost Rothen Sohn aus Hanau und sein Schwager der Schwartz Ferber
nach dem sie sich im Mohren alhir voll gesoffen mit einem frembden Schumacher
einen großen ufflauf gemacht und denselbigen übel geschlagen,
also daß sie eine nacht in dem Thurm gesetzt, daß deß
morgens wieder heraus gethan undt unßerer Herrschafft straff vorbehalten."
Toll trieb es im Jahre des Herrn 1618 in Eichen "Hannes Wöll, der
Würth," der "uff ein sonntag mit einem bloßen rapier vor Johann
Laubachs dhür oder fenster gelauffen, und Johannens Schwager von Mockstatt
vor die klingen gefordert, damit auch die gassen außen gegangen und
unzeitige Worth gepflogen, darauf auch daß repier zerschlagen, welches
dann lärer (Lehrer) Heilmann undt Hanß Velten angezeigt haben."
Daß sich die Wirte nicht allzu streng an das für bestimmte
Tageszeiten erlassene Ausschankverbot hielten, das ja ihre Einkünfte
schmälerte, geht aus dieser Register-Eintragung hervor: "Georg Blidener
und Michel Schmiden, beide Nachbahrn zu Kiliansteden, haben im Würths
Hauß zum Mohren allhir nächtlicher Weill gedruncken und ein
großes gezenck gehalten, endlichen ein ander in die Haare gefallen,
undt einander zerschlagen, wurden zur Buß gewießen."
Tapferes Schneiderlein kontra Pfarrer
Im Jahre 1657 wurde ein Fall vor dem Rügegericht Windceken verhandelt,
der nicht einer gewissen Komik entbehrt. Dem Sünder war damals
aber bestimmt nicht wohl in seiner Haut. Folgendes hatte sich zugetragen:
"So wirdt angebracht, daß Johann Dückel, bürger undt schneider
alhir, alß er sich in der Hanauer Meß ziemblicher Maßen
bezecht, hette er vor der Kintzbrücken ernstlichen mit seiner frauen
händell angefangen, undt alß ihm Herr Hermann, Pfarr alhero,
abwehren wollen, hett ihn nicht allein mit loßen worten begegnet,
sondern auch den Degen präsentirt." Das "tapfere Schneiderlein" aus
Windecken hatte offensichtlich zielmlich "einen in der Krone", denn gegen
einen um Schlichtung bemühten Pfarrherrn blank zu ziehen, glich zu
jener Zeit fast einer Majestärtsbeleidigung. Es ist im Buß Register
leider nicht vermerkt, wie teuer dem Schneider Dückel sein Streich
gekommen ist. Mit Sicherheit mußte er aber eine Zeit lang seine Nadel
schneller schwingen, um den erleichterten Sparstrumpf wieder zu füllen.
Noch ein abschließendes Beispiel für eines der vielen unter
Alkoholeinfluß begangenen Delikte aus dem Jahre 1623: "Heinrich Behr
undt Johann Scheffer zu Rostruf (Roßdorf) haben sich in der Lenge
nach in der Herberg zum Löwen geschlagen undt einen großen uff
undt Zulauff gehalten. Beide sindt zur Buß gewießen." Zur Erläuterung
sei noch angemerkt, daß früher in Windecken neben dem wesentlich
beutenderen städtischen Wirtshaus "Zum goldenen Löwen" am Marktplatz,
das bereits 1465 urkundlich erwähnt wird, in der Nähe des Ostheimer
Tors noch das kleinere Wirtshaus "Zum Mohren" existierte. Nachdem es im
Dreißigjähren Krieg abgebrannt war, baute es die Stadt Windecken
Mitte des 18, Jahrhunderts wieder auf. Nach rund 30 Jahren wurde es aber
endgültig aufgegeben.
Einen Dieb und schelmen geheisen
Annähernd jede dritte Buße wurde wegen Beleidigung oder üble
Nachrede verhängt. In der Rügeordnung stehen diese Deleikte deshalb
oben an: "Zum Ersten auf verwegene Worte, die doch nicht schmählich
waren, aber dermaßen beschaffen, daß sie strafbar erkannt möchten
werden, soll eine schlecht Buß gewießen." Eine "schlecht Buß"
bedeutete die Zahlung von sechs Schillingen, "wo aber einer dem anderen
schmähliche Worte thun und schelten würde, als ein Dieb, Mörder,
Räuber und dergleichen ehrenrührige Wort, soll an die höchste
Buß gewießen werden." Wurde jemand wegen seines losen Mundwerks
zum höchsten Bußsatz dieser Kategoroie verdonnert, mußte
er immerhin zehn Gulden blechen. Wenn man bedenkt, daß beispielsweise
1626 die Jahresbesoldung des Ratsschreibers 20 Gulden betrug, hinzu kamen
jedoch noch zahlreiche Nebeneinkünfte, so war die Buße für
grobe Beleidungen recht hoch.
Mit zwei Gulden wurde 1618 in Eichen folgendes Vergehen gerügt:
"Hanns Adam des Jungen Fraw hat ihren Bruder Petern des öffteren einen
Dieb und schelmen geheisen, darumb dann der Schultheiß die frawen
in gehorsam setzen wollen, aber ihr mann Hanns Adam kein gehorsam leisten
wollen, und die frawen nicht folgen noch züchtigen laßen." Einen
Gulden zahlte ebenfalls in Eichen Caspar Schuch, der Hans Rhein "ohne
erhebliche ursach unnötigerweis einen gezeichneten Schelmen gescholden"
hatte. Dies war "in der guten alten Zeit" offenbar ein gern benutztes Schimpfwort.
Dazu noch folgender Fall: "Ferner wirdt fürbracht, daß Simon
der Kühhirtt Johann Bauscher uff der Gaßen beim Mohren einen
Dieb undt schelmen geschollten."
Bey den Halß erwuscht, daß er gegurgelt
Körperverletzungen waren damals "gängige" Delikte. Daran hat
sich bis heute nichts geändert. Im Jahre 1623 befaßte sich das
Windecker Rügegericht mit folgenden Vorkommnissen: "Liebmann Margdeß
Sohn und Salomon Roßkampf sein Eydam haben einen großen Ufflauff
in der Gaßen erweckt und gleich ein ander geschlagen, daß sie
allerdings zu gleich geblutten" und "Conrad Degen und sein Vatter haben
heuer Sommers Zeit in der Nacht einen großen lermen gehalten, also
daß es einen großen Ufflauff gegeben. Der Sohn den Vatter bey
dem Halß erwuscht, daß er gegurgelt, der sohn uf den Morgen,
alß er von Obrigkeit wegen zu gehorsam gehen sollen, sich der Stadt
etliche Dag verweigert."
Familienzwist gab es 1618 auch in Marköbel, das dem Amt Windecken
zugehörig war: "Item hat sich der schultheiß mit seinem Bruder
uf Martiny miteinander geschlagen, und solches in übergehung deß
Bußzettels verschwiegen. Weil Johann Jacobi es leugnet soll mit 1
fl (Gulden) straf belegt werden." Teuer zu stehen kam einem Ostheimer Messerstecher
sein nächtliche Attacke: "Item Contz Theiß von wegen daß
er Mathieß Jarckeln in seinem Hauß bey nachtlicher weil mit
einem Meßer morderischen weiß durch einen Arm gestochen und
solcher frevel that der Herrschafft schuldig zuerbüßen dero
wegen ufs geringst zu geben gesetzt worden 20 Gulden."
Am härtesten bestraften die Rügegerichte aber die "Sittenstrolche"
der gar nicht so guten alten Zeit, wie dieses Beispiel aus dem Buß
Register verdeutlicht: "Item Johann Fauerbach des alten Fauerbacher Sohn
von wegen daß er mit seines Vaters magd in hurerey und unzucht gelebet
und anderen mehr umbstand, ist ufgesetzt worden 50 Gulden." Die kürzeste
Eintragung in den Buß Registern des Amtes Windecken lautet: "Velten
Jost deß Pfarrers magd geschmißen." War wohl kein Kavalier,
der Herr Jost. |