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Bittschrift und Gnadengesuche
Da Meißner und Unger zwar geklaut hatten "wie die Raben", jedoch nie Gewalt gegen Personen angewandt hatten, war die Forderung nach der Todesstrafe auch für damalige Verhältnisse für alle Außenstehenden wohl schockierend. In unseren Tagen würden in einem solchen Fall die Handys der Gerichtsreporter heiß laufen und Eilmeldungen über Satelliten in alle Welt gesendet. Ob der Verteidiger zuvor über den Antrag des Anklägers informiert war, ist nicht bekannt. Er versuchte jedenfalls mit einer eilig aufgesetzten Bittschrift vor allem für den hauptsächlich belasteten Georg Meißner das Verhängnis abzuwenden. Er führte zur Entlastung seines Mandanten unter anderem aus: "So hat Peinlich Beklagter die Folterbanck und dero graußame Schärffe nicht ohne sonderbahre große Schmerzen und seiner Glieder Zerschinderung erfahren müsen. Es lebt derselbe dahingegen der ohngezweifelten Hoffnung, man werde dahero umb so da mehr gnädiger und gelinder mit ihm verfahren, zumahlen, wann man reifflichen überlegt, daß der meiste Theil der entfrembdeten Sachen in eßen und anderen zu unterhaltung des menschlichen Lebens dienenden Mitteln bestanden." 

An anderer Stelle der vierseitigen Bittschrift heißt es:"Gestalten aus denen actis bekandt, daß der meiste Theil der entfrembteten sachen von dem Peinlich Beklagten retiuriret worden, sodaß der meiste Theil derjenigen, denen das entwendete zugehörig geweßen, keinen schaden, Peinlich Beklagter aber nur wenigen oder gar keinen Gewinn gehabt. Ja, daß eine entwendung der jenigen sachen, so zu erhaltung des menschlichen Lebens dienen, und in etwa in kleinem Vieh, Kleider, Betten, Geld und dergleichen eußerlichen Dingen bestehen, nicht an dem Leben, sondern mit einer gebührlichen Geld oder gelinden Leibsstraff zu belegen sey." Nachdem der Verteidiger in seinem Bittschreiben lang und breit aus dem Alten Testament zitiert hatte, um die Diebstahlserie seines Mandanten vor dem Hohen Gericht in einem milderen Licht erscheinen zu lasssen, heißt es weiter: "Die Menschen können nicht beßere Gesetze geben oder machen, alß Gott selbsten solche schon zuvor gegeben, dahero es dann kommen, daß einige von denen göttlichen gesetzen verordnete Straffen alleinig nach zu leben, und denen zu folge der Peinlich Beklagte mit einer gelinden leibsstraff zu belegen sey, wird dahero umb so da billiger sey, weilen er eine herzliche Reue und leyd über sothane seine mißethat trägt, daß er auch die gantze Zeit über anders nichts alß heulen und weinen thut; Ja hiermit festiglich verpricht, sein leben zu beßern, und wie von allen andern alßo und absonderlich von dißen Lastern sich zu enthalten, und lebenslang zu hüthen, gestalten sothanigenfals ebenmäßig in denen rechten stattlichen versehen, daß alß dann die straffe, wo gar nicht erlassen, jedennoch nachtrücklich zu lindern und zu mindern sey."

Am Schluß des Gnadengesuchs kommt Georg Meißner selbst zu Wort: "Belanget dahero des Peinlich Beklagten instandiges Bitten, und gehorsamliches fußfälliges begehren, dieselbige mögen gnädigst geruhen wollen, obbemelte umbstände zu hertzen zu nehmen, und in hoch vernünfftiger erwegung derselben, dißes mein verbrechen derogestalten in gnaden anzusehen, daß ich bey dem leben erhalten, und mit einer extraorinari leibliche oder thurm straff beleget werden möge."

Auch für den minder schwer belasteten Angeklagten Hans Georg Unger wurde eine Bittschrift verfaßt  und um ein milderes Urteil gebeten.  Der Verteidiger wirft darin dem Ankläger übermäßige Härte bei seinem Strafantrag vor, und argumentiert: "So will es jedennoch von nöthen seyn, zu den Fiscalischen allzuscharfen begehren begegnung vorzustellen, daß dergleichen Diebstahl, welcher wegen Peinlich Beklagter in hafften sitzet, de jure divino keines wegs am leben, sondern mit einer ander gelinden leibes straffe zu belegen, in mehrer erwegung deßen, daß der allein weise und gerechteste Gott dießes heylsame und in der natürlichen billigkeit gegründete gesetz selbsten gegeben, und hindert dagegen nichts, was von dem Fiscali dargegen opponirt werden will, ob wären nämblich dahero, daß der diebstahl so gemein würde, deßen straffe zu vergrößern." 

Der Verteidiger gibt dann zu bedenken, daß man harmloseren Krankheiten auch nicht gleich mit den stärksten Arzneimitteln zu Leibe rücke und fährt fort: "Alßo muß man auch die straffen nicht zu sehr schärffen, daß umb des euserlichen guthes willen der mensch sein liebes leben hergeben müßte; Zweytens, so stehet die regul "Wann die Sünden zunehmen, so sollen auch die straffen zunehmen" nicht in denen göttlichen, sondern weltlichen gesetzen, und ist eine politische Satzung. Drittens, so haben die Richter und Eltesten bey dem Judischen Volck die Sünden nach dem Gesetz Gottes bestrafft, niemals aber die Straffe erhöhet, nichtso weniger aber hat sich die damahlige volckreiche Judische policey wohl darbey befunden; Dennoch gab es nicht so viele diebe, alß jetziger Zeit."

Auch Hans Georg Unger konnte ein letztes Wort sprechen: "Gelanget demnach mein unterhäniges inständiges begehren, dieselbe grosgünstig geruhen wolen, inhochvernünfftiger erwegung oben geführter trifftiger ursachen Peinlich Beklagten mit einer gantz gelinden Straffe anzusehen. Darüber dero mild richterliches ambt unterthänigen fleißes anruffend."
 

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