Wüßte keinen Prospekt damit zu vergleichen
Am 30. Juni 1783 brach Superintendent Dr. Johann Christoph Stockhausen,
fünfzehn Jahre lang 1. Prediger der lutherischen Gemeinde von Hanau,
zu einer Reise auf, die ihn über vier Wochen lang durch die Grafschaft
und angrenzende Gebiete führte. Über Meerholz, Gelnhausen gelangte
er durch den Bibergrund nach Lohrhaupten. Nächstes Ziel des unternehmungslustigen
Pfarrherrns war Fulda, das er über Marjoß, Schlüchtern
und Brückenau erreichte. In der Bischofstadt war er von der
Prachtentfaltung der Katholischen Kirche sehr beeindruckt. Sich westwärts
wendend, reiste Dr. Stockhausen über Birstein und Ortenberg in die
fruchtbare Wetterau. Hier besuchte er unter anderem Heuchelheim, Dorheim
und das Kloster Ilbenstadt. In einem Brief "An Herrn W." hat der Superintendent
sein Unternehmen unter der Überschrift "Eine kleine Landreise" sehr
eindrucksvoll beschrieben.
Seine letzte Station war das Landstädtchen Windecken und seine
hier gewonnenen Eindrücke hat er wie folgt wiedergegeben: "Von Windecken
will ich Sie gar nicht weitläufig unterhalten, da Sie den Ort kennen.
Doch möchten Ihnen vielleicht einige kleine Bemerkungen nicht unangenehm
seyn. Dieses alte Städtchen hat ohngefehr 170 Bürger und acht
contributionsfähige Juden, die ihre eigene Gasse haben, worin aber
auch jetzt schon viele Christen wohnen. Ihre Synagoge soll nächst
der von Metz die allerälteste in Deutschland seyn. Unter den Bürgerhäusern
ist das Wittichsche das älteste und einzige in seiner Art zu Windecken,
weil es sehr schmal und hoch von 3 Stockwerken ist. Die luth. Kirche, die
nah am Thor steht, wo man von Hanau herkommt, ist ein hübsches Gebäude.
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Blick vom Schloápförtchen ber die Nidderaue nach Heldenbergen
Zeichnung von Dr. Usener 1835 Repro: Rolf Hohmann
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Wir unterließen nicht nach dem Schloß zu gehen, wo die alten
Herren und Grafen von Hanau residiert haben. An dem Portal desselben beim
Eingang steht unter dem Wappen so wohl von innen als auch von aussen die
Jahreszahl 1594. Das Schloß selbst aber ist doch viel älter,
und aus dem 13. oder 14ten Jahrhundert. An einer Ecke der Mauer nach dem
Portal ist noch ein alter Thurm zu sehen, welcher der Hexenthurm heißt.
Er hat forne keine Treppe mehr zum Eingang, vermuthlich, weil man lang
keine Hexen mehr hineingesteckt hat. Von dem alten Schloß ist ausser
den Ringmauern gar nichts mehr vorhanden, und das neue, oder das Amtshaus,
worinn der Amtmann und Amtskeller wohnen, besteht nur in einem langen Bau
von einem Stockwerk, und ist erst vor 50 Jahren gebaut worden.
In katholischen Zeiten mußte der Altarist zu Heldenbergen hier
alle Sonntage Messe lesen, wofür er 4 Achtel Korn bekam. Das Meßlesen
hat nun freilich mit der Reformation aufgehört, aber das Korn, meyn
ich, wird noch gegeben,
Sie können sich denken, daß ich nicht vergaß die Pfortenthür
an der Ringmauer zu öffnen, wo man mit dem herrlichsten Prospect über
die steile Tiefe hinaus in eine weite Ebene, die voll Abwechslung von Dörfern
und Feldern ist, überrascht wird. Auf dem alten Schloß, das
viel höher war, muß man diese Aussicht von allen Seiten herum
frei gehabt haben, und daher ist der alte Name Wunnecken oder Wonnecken
dem Orte sehr anpassend gewesen. Ich wüßte keinen Prospect damit
zu vergleichen, als den man aus dem Amthause zu Bergen über die Weinberge
herab hat, und welcher freilich noch durch den vorbeiführenden Main
vorzüglich ist." |