Die Ereignisse in Heldenbergen Anfang der 70er
Jahre
Ein kurzgefasster chronologischer Rückblick
Kein Ruhmesblatt für die hessischen Bodendenkmalpfleger
Einleitend möchte ich an Heinrich Schliemann erinnern, dem wohl
berühmtesten "Amateurarchäologen" aller Zeiten. Als dieser in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verkündete, er halte
die von Homer in der Ilias geschilderten Ereignisse aus frühgeschichtlicher
Zeit für Realität, nannten ihn die "gelernten" Experten auf diesem
Gebiet einen Phantasten und überschütteten ihn mit Hohn. Der
erfolgreiche Kaufmann hat die Spötter eines besseren belehrt und ihr
"homerisches Gelächter" verstummte angesichts der sensationellen Nachrichten
aus Troja sehr bald. Während der Name Schliemann noch heute
breiten Bevölkerungsschichten ein Begriff ist, sind die meisten seiner
einstigen Kritiker nur noch Fußnoten der Geschichte.
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4 Das von den heutigen Bundesstraßen 45 und 521 durchschnittene
polygonale Erdlager mit dem kleinen Kastell nach Georg Wolff. Die straffierten
Flächen kennzeichnen die Ausgrabungsareale der Amateurarchäologen. |
An dieser Überheblichkeit der Wissenschaftler gegenüber interessierten
Laien hat sich nach meinen Erfahrungen bis heute nichts geändert.
Der für die mehrjährige Ausgrabungskampagne in Heldenbergen verantwortliche
Archäologe Dr. Wolfgang Czysz erklärte mir auf meine entsprechende
Frage in Anwesenheit mehrerer Personen, daß ein noch so begabter
und fleißiger Laie, auch durch ein lebenslanges Selbststudium, sich
niemals das Wissen eines akademisch gebildeten Archäologen aneigen
könne. In dieser Einstellung kommt die ganze Geringschätzung
dieses Standes gegenüber den "Amateur-oder Hobbyarchäologen"
zum Ausdruck, ohne deren ehrenamtliche Mitarbeit in unserem Land auch heute
noch die Aufgaben der Bodendenkmalpflege kaum umfassend bewältigt
werden könnten. Meinem Kenntnistand zufolge, haben in unseren Tagen
ernsthaft an der Bodendenkmalpflege interessierte, seriöse Laien aufgrund
der in meinen Augen teilweise völlig überzogenen Vorschriften
und Verbote keinen selbständigen Handlungsspielraum mehr. Anstatt
die vielverdammten "Gelegenheits-Raubgräber" in die legale Forschung
einzubinden und ihnen als kleines Dankeschön eines der hundertfach
in den Magazinen verstaubenden Henkeltöpfchen oder ein anderes Massen-Artefakt
nach erfolgter Protokollierung als "Souvenir" für das heimische Vertiko
leihweise zu überlassen, wird ihnen mit harten Strafen gedroht. Wie
die Erfahrung lehrt, halten auch noch so drakonische Strafandrohungen die
mit Hightech-Sonden ausgestatteten, professionellen Schürfer von der
illegalen Suche nach wertvollen Artefakten ab, die dann an skrupellose
Händler oder betuchte Privatpersonen verscherbelt werden und somit
für die wissenschaftliche Forschung verloren sind.
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Anlegen der ersten Suchschnitte |
Hochachtung zollen die Wissenschaftler unseres Computerzeitalter jedoch
den herausragenden Leistungen des lange in Hanau wirkenden Gymnasiallehrers
Georg Wolff (1845-1929). Dabei verdrängen die "Studierten" die Tatsache,
daß auch er nur ein "interessierter Laie" war. Niemand käme
heute auf den Gedanken, ihn als "Raubgräber" zu bezeichnen. In dem
1958 herausgegebenen 6. Band der Reihe "Lebensbilder aus Kurhessen 1830-1930"
würdigt Gerhard Bott in einem längeren Aufsatz die Verdienste
des " Nestors der hessischen Archäologie" und schreibt in seiner Einleitung:
"In seinem Arbeitsgebiet, der südlichen Wetterau, hat er als Streckenkommissar
der Reichslimeskommission den Limes und seine Kastelle erforscht und festgelegt.
Darüberhinaus hat er dann auf dem Gebiet der Straßen- und Siedlungsforschung
bahnbrechende Arbeit geleistet, die heute noch weiterwirkt. Als Autodidakt
hatte er mit Grabungen bei einem lokalen Geschichtsverein begonnen, sich
bald aber durch seine scharfen Beobachtungen, sein klares Urteil und seine
Kombinationsgabe die volle Anerkennung der Fachgelehrten errungen" (Dr.
Czysz lässt grüssen!). In seinem Nachruf auf diesen "Amateurarchäologen
reinsten Wassers" schreibt Kustos Rudolf Welcker: "Wie kam Wolff nun gerade
zur Bodenforschung, wird man fragen. Nach seinen eigenen Worten kam er
dazu durch einen Zufall." Und an anderer Stelle heißt es: "Wolff
war im Ausgrabungswesen ein Autodidakt." Das Lexikon definiert diesen Begriff
wie folgt: "Jemand, der sich durch Selbstunterricht bildet oder gebildet
hat." Ich bezweifle, daß der studierte Archäologe Dr. Czysz
so markante Spuren hinterläßt, wie der Autodidakt Georg Wolff,
der Ende des 19. Jahrhunderts auch das unter Domitian (81-96 n. Chr.) angelegte
polygonale Erdlager Heldenbergen entdeckte und den Verlauf des für
römische Militäranlagen typischen Spitzgrabens durch zahlreiche
Suchschnitte ziemlich exakt festlegte.
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Als "bergmännischen Abbau" bezeichnete Ausgrabungsleiter Rolf
ironisch die von den Laien ohne fachmännische Anleitung vorgenommenen
Notbergungen |
In den folgenden fünfzig Jahren waren die noch unberührten
Überreste der römischen Hinterlassenschaften - von kleineren Teilbereichen
abgesehen-durch Bebaungsmaßnahmen nicht gefährdet. Nach dem
Zweiten Weltkrieg wurden auf der Dreispitz zwischen der damaligen Landesstraße
nach Büdesheim und der Bundesstraße 45- also in unmittelbarer
Nähe des kleinen Erdkastells - die Gebäude der Tankstelle Staaf
und westlich davon einer bäuerlichen Genossenschaft errichtet. Bereits
damals ließ der hessische Landesarchäologe die günstige
Gelegenheit ungenutzt, neue Erkenntnisse über die Bedeutung dieser
römischen Militäranlage zu gewinnen. Die zahlreichen, bei den
Erdarbeiten geborgenen Zufallsfunde, befinden sich alle in Privatbesitz.
Ende der 60er Jahre wurden im Heldenberger Gemeindeparlament Pläne
beraten, die Gemarkung "Am Richtbockspfad" als Baugebiet auszuweisen. Jetzt
hätten bei den Archäologen in Wiesbaden die Alarmglocken schrillen
müssen, denn der südliche Teil dieses Bereichs überdeckte
etwa ein Fünftel des rund 11 Hektar umfassenden polygonalen Erdlagers.
Hier hatte Wolff um die Jahrhundertwende eine Töpferei ausgegraben,
eine große Zahl von Artefakten geborgen sowie Reste von Gebäuden,
Straßen (via decumana) und Zisternen freigelegt. Die Befunde und
Funde ließen mit Sicherheit darauf schließen, daß westlich
des kleinen und nur kurzzeitig belegten domitianischen Erdkastells eine
größere Zivilsiedlung entstanden war. Doch diese Fakten waren
für den hessischen Landesarchäologen offensichtlich so uninteressant,
daß er meinen Recherchen zufolge gegen die geplante Wohnbebauung
keine Einwände vorbrachte. Es war schon gar nicht die Rede davon,
daß aufgrund der Wolff'schen Untersuchungsergebnisse vor Beginn der
Erschließungsmaßnahmen zumindestens auf Teilbereichen wissenschaftlich
fundierte Flächengrabungen durchgeführt werden sollten. Obwohl
ich den hessischen Landesarchäologen Prof. Dr. Helmut Schoppa in Briefen
immer wieder auf die anstehende Bebauung hinwies, löste dies beim
ihm keinerlei Aktivitäten aus.
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