Wie man aus der Not eine Tugend machen kann
Die damalige Ausgangssituation schildert das Autorenehepaar Armin und
Renate Schmid in der 1972 herausgegebenen zweiten erweiterten Auflage des
Buches "Die Römer an Rhein und Main" treffend wie folgt: "Als Heimatforscher
Rolf Hohmann im Sommer 1972 in Heldenbergen (Nidderau) seine Ausgrabung
begann, wußte er, daß er vor den Baumaschinen herlaufen mußte.
Aber er glaubte sich des Erfolges sicher, dem Boden Neues über das
Kastell zu entreißen. Da Scherben gleich säckeweise anfielen,
hat Hohmann mit viel Energie und 0rganisationstalent eine große Kampagne
gestartet, an der sich viele freiwillige Helfer, auch amerikanische Soldaten,
beteiligten. Die Bundeswehr stellte Zelte zur Verfügung, Banken, Firmen
und Privatleute halfen mit Geld-und Sachspenden."
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Anfang September 1972 besuchte der Kommandeur der US-Einheit Langendiebach
(2.v.l.) seine GI's in Heldenbergen. Er ließ sich von den Hauptweldwebeln
Weisenstein und Coleman einige interessante Fundstücke erläutern.
Bürgermeister Salzmann dankte allen Akteuren für die gewährte
Unterstützung |
Nachdem der hessische Landesarchäologe zwei Jahre lang "keine Zeit"
für eine Ortsbesichtigung in Heldenbergen und auch kein Fahrgeld mehr
hatte, wurde er nun aufgrund der Presseberichte in überregionalen
Zeitungen über die Vorgänge in Heldenbergen auf wundersame Weise
hellwach. Nur drei Tage nach meinem ersten Spatenstich auf dem inzwischen
abgeernteten Acker Fuhr traf er mit "großem Gefolge" auf dem Kastellgelände
ein. Über die Fülle der von mir auf einer etwa 1,5 x 1,5 Meter
messenden Fläche in nur wenigen Stunden geborgenen Artefakte
zeigten sich die Besucher, darunter auch Dr. Pachali, Dr. Dielmann, Hans
Kroegel vom Geschichtsverein Hanau, einige Pressevertreter und der Nidderauer
I. Stadtrat Bernd Reuter sehr erstaunt.
Jetzt endlich dämmerte es den für die Bodendenkmalpflege in
Hessen zuständigen Beamten, daß dieser Boden wesentlich mehr
Überraschungen bereithalten könnte, als es sich ihre Gelehrtenweisheit
träumen ließ. Deshalb machten sie aus der Not schleunigst seine
Tugend und erklärten diese Laien-Rettungsaktion zur "offiziellen Grabung"
mit einem Amateurarchäologen als Leiter. Hierzu dürfte es kaum
eine Parallele geben und diese "unorthodoxe" Entscheidung spiegelte
die Verlegenheit des hessischen Landesarchäologen wider. In dem von
Dr. Dielmann verfassten und von mir am 15. August 1972 unterzeichneten
Protokoll über die "Lokalbesprechung" wurde vereinbart, "daß
die Grabung als wissenschaftliches Unternehmen des Hanauer Geschichtsvereins
unter der fachlichen Verantwortung des Vorsitzenden in seiner Eigenschaft
als Kreispfleger für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer in
Stadt-und Landkreis Hanau durchgeführt wird."
Der Journalist Gerd Lobin, zusammen mit seinen Familienangehörigen
von Beginn an einer der eifrigsten freiwilligen Helfer auf dem Gelände,
berichtete in der FAZ-Ausgabe vom 31. Juli 1972 über diese Vorgänge
unter anderem: "Das Römerkastell im Nidderauer Stadtteil Heldenbergen
ist zur offiziellen Ausgrabungsstätte erklärt worden. Der Landesarchäologe
in Wiesbaden, Professor Dr. Schoppa, und Kreisbodendenkmalpfleger Dr. Karl
Dielmann haben bei einem überraschenden Besuch am Wochenende zugesichert,
daß sie die Ausgrabungen im Auge behalten wollten, die der Amateurarchäologe
Rolf Hohmann mit einer Schar freiwilliger Helfer durchführen will,
bevor das Kastellgelände in diesem Herbst durch die Planierraupen
umgewühlt wird." Zu meiner größten Verblüffung erklärte
der bisher völlig desinteressierte Landesarchäologe den Pressevertretern
bei dieser Ortsbesichtigung, "er erwarte bedeutende wissenschatftliche
Ergebnisse von dieser Grabung."
Anlaß zu dieser Erwartung habe eine Probegrabung Hohmanns gegeben,
"der vor Ankunft der Besucher eine zwei Quadratmeter große und einen
Meter tiefe Grube ausgehoben und dabei Dutzende von Fundstücken wie
Scherben, Nägel und ein Messer zutage gefördert hatte."
Diese reiche "Ausbeute" war ein Glücksumstand, denn ohne die in der
winzigen "Urgrabung" geborgenen zahlreichen Artefakte, wäre die Geschichte
mit Sicherheit anders verlaufen. Auch im Hanauer Anzeiger erschien am 1.
August 1972 ein Bericht über den Beginn der Ausgrabungen in Heldenbergen,
in dem es heißt: "Nachdem Hohmann kürzlich vom hessischen Landesarchäologen
mitgeteilt worden war, daß keine Mittel für eine wissenschaftliche
Ausgrabung zur Verfügung stehen, hatte er eine breitangelegte Kampagne
angekurbelt und alle Heimatfreunde gebeten, ihm bei der vorgesehenen Flächengrabung
auf privater Basis ihre Unterstützung nicht zu versagen."
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Zwei junge Ausgrabungshelferinnen auf der Suche nach alten Römern |
Und an anderer Stelle heißt es: "Obwohl inzwischen die Notwendigkeit
einer umfassenden Flächengrabung im Bereich des noch wenig erforschten
römischen Erdkastells Heldenbergen auch von Fachleuten erkannt wurde,
stehen dafür keine öffentlichen Mittel zur Verfügung." Der
Landesarchäologe und auch der Kreisbodendenkmalpfleger hatten zwar
bei ihrer überraschenden Stippvisite am 28. Juli 1972 zugesichert,
die Ausgrabungen "im Auge behalten und kontrollieren zu wollen", doch sie
gaben mir bei ihren wenigen sporadischen Stippvisiten nur sehr vage Anleitungen,
wie ich mit den zahlreichen freiwilligen Laien-Ausgräbern die Untersuchungen
sinnvoll durchführen könnte. Auch in den folgenden Monaten erhielt
ich keine konkreten Anweisungen und mußte meine Entscheidungen aufgrund
von "Bücherwissen" treffen.
Sie fielen aufgrund mangelnder Erfahrung auf dem Gebiet der archäologischen
Ausgrabungstechnik zumeist rein gefühlsmässig aus, stellten jedoch
große organisatorische Anforderungen, mußten doch an manchen
Wochenenden bis zu sechzig freiwillige Helfer angeleitet, beaufsichtigt
und mit Getränken versorgt werden. Bereits Anfang 1972 hatte Bürgermeister
Salzmann mitgeteilt, daß die "Arbeitsgemeinschaft für Städtebau
und Architektur" (ASAD) von einer Baugesellschaft beauftragt worden sei,
für das Baugebiet westlich der B 45 zwischen den Stadtteilen Heldenbergen
und Windecken, in das auch der südlich angrenzende Bereich "Allee
Nord" einbezogen werden sollte, Strukturpläne aufzustellen.
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