Deutsch-amerikanische Spatenbruderschaft
Im Sommer 1972 erwarb die Hessische Landgesellschaft (HLG) im Auftrag
der Stadt Nidderau von Fritz Freiherr v. Leonhardi hinter der "Heiligen
Maria" eine größere Fläche Ackerland. Daraufhin nahm ich
Verhandlungen mit dem neuen Grundstücksbesitzer wegen einer Grabungsgenehmigung
auf. Darüber berichtete der "Nidderauer Anzeiger" in der Ausgabe vom
17. August 1972: "Noch in dieser Woche soll unmittelbar an der B 45 mit
weiteren Sondierungsgrabungen begonnen werden, sofern die Verhandlungen
mit der Hessischen Landgesellschaft nicht noch in letzter Minute scheitern.
Inzwischen hat sich auch Bürgermeister Salzmann in die Bemühungen,
den Acker für eine Ausgrabung freizubekommen, eingeschaltet."
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Friedel Eberhardt (Heldenbergen) absolvierte über Jahre hinweg
die weitaus meisten freiwilligen Einsatzstunden |
Es soll an dieser Stelle einmal festgehalten werden, daß alle
Verhandlungen mit Grundstückseigentümern über Grabungsgenehmigungen
von mir als Privatperson geführt wurden. Da ich, wie alle freiwilligen
Helferinnen und Helfer, einen Revers zu unterschreiben hatte, wonach "in
etwaigen Schadensfällen keine Regreßansprüche gegenüber
dem Hanauer Geschichtsverein" geltend gemacht werden konnten, hätten
die Grundstücksbesitzer bei einer eventuellen Wertminderung ihres
Besitzes mich als offiziellen Leiter der Ausgrabungen in die Pflicht nehmen
können. Dieses große persönliche Risiko, das ich damals
im Interesse der Sache einging, sollten die heutigen Verantwortlichen im
Biebricher Schloß nicht ganz vergessen.
Sofort nach Erteilung der Erlaubnis durch die HLG, auf den nunmehr ihr
gehörenden Flächen Erdbewegungen in von mir festzulegendem Umfang
vorzunehmen, traf ich die erforderlichen Vorbereitungen. Wie aus meinen
Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht, maß ich am 20. August 1972 die
neuen Grabungsflächen ein und legte einen Tag später mit dem
sehr kulanten Baggerunternehmer Karlheinz Hild, die vom Mutterboden zu
befreienden Areale fest. Es folgten bis Mitte November 1972 die zum
Teil großflächig angelegten Grabungsabschnitte II-VIII. Über
die einzelnen Maßnahmen unterichtete ich jeweils den hessischen Landesarchäologen,
der dem Grabungsgelände erst am 25. August 1972 nach Inangriffnahme
der Fläche II einen erneuten Besuch abstattete. Obwohl Professor Schoppa
monierte, daß aufgrund der zu schmalen Suchschnitte aussagekräftige
Befunde kaum zu erwarten seien, stellte er weder eine Fachkraft für
die Beaufsichtigung der weiteren, von mir geplanten Rettungsgrabungen in
Aussicht, noch gab er genaue Anweisungen über eine sinnvolle Fortführung
der ausschließlich von Laien durchgeführten Bergungsarbeiten.
Meine Verbitterung über das mir völlig unverständliche
Verhalten des hessischen Landesarchäologen brachte ich gegenüber
einem Journalisten der Frankfurter Neuen Presse zum Ausdruck, der darüber
am 13. Januar 1973 berichtete:"Hohmann kritisierte, daß der Landesarchäologe
und der "Überwachungsbe-amte" der Ausgrabung, Hanaus Kulturamtsleiter
Dr. Dielmann, nur kommen, mal hinschauen und dann kritisieren, aber nichts
tun, um die Leute einmal anzuweisen, wie es nach Expertenmeinung richtig
gemacht wird." Da ich nur über eine autodidaktische Ausgrabungspraxis
verfügte, sah ich mich später in meiner Not veranlaßt,
den Römerspezialisten Dr. Dietwulf Baatz auf der Saalburg um Rat zu
bitten. Diese Begegnung vermittelte das Autorenehepaar Armin und
Renate Schmidt, das sich oft vor Ort vom Fortgang der Arbeiten informieren
ließ. Nachdem zusätzliche Ausgrabungsflächen in Angriff
genommen worden waren, konnten weitere freiwilige Helfer eingesetzt werden.
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Scherben waschen - eine nicht beliebte, aber notwendige Tätigkeit |
Bereits am 2. August 1972 wurde direkt vom Grabungsgelände
in die laufende Sendung "Unterwegs in Hessen" eine etwa vierminütige
Reportage eingeblendet. Gegenüber dem HR-Reporter Manns versuchte
ich die besondere Problematik dieser Rettungsgrabung darzulegen. Auch das
Hessische Fernsehen war durch die laufende Berichterstattung in den Medien
auf die Laien-Rettungsaktion in Heldenbergen aufmerksam geworden. In der
zweiten Augustwoche ließ sich die Fernsehredakteurin Renate Feyerbacher
auf dem Kastellgelände eingehend über den Stand der Dinge
informieren. Etwa eine Stunde lang filmte Kameramann Wirthmann das geschäftige
Treiben auf den verschiedenen Grabungsabschnitten. Der in der "Hessenschau"
ausgestrahlte Beitrag hatte zur Folge, daß eine so große Zahl
Freiwilliger ihre Mitarbeit anbot, daß ich viele von ihnen zu meinem
größten Bedauern abweisen mußte. Sie waren aufgrund der
Gegebenheiten beim besten Willen nicht sinnvoll zu beschäftigen. Am
28. August 1972 wurde zwischen den beiden Hauptfeldwebeln James A. Coleman
von der US-Einheit Langendiebach und Günter Weisenstein vom Fla-Rak-Bataillon
in Kilianstädten die in der Geschichte wohl einmalige "deutsch-amerikanische
Spatenbruderschaft" besiegelt.
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Kreisbodendenkmalpfleger Dr. Karl Dielmann (2.v.r.) und Fritz Freiherr
v. Leonhardi bei der Begutachtung eines von den Amateurarchäologen
freigelegten Hauskellers im Lagerdorf |
Über diese ungewöhnliche "Hilfstruppe" bei einer archäologischen
Ausgrabung berichteten zahlreiche Zeitungen des Rhein-Main-Gebiets. Auch
Journalisten der Soldatenzeitung "THE STARS and STRIPES" informierten sich
vor Ort und veröffentlichten am 6. September 1972 einen Bildbericht
über die ungewöhnlichen Vorgänge in Heldenbergen. Nur in
den von Wissenschaftlern herausgegebenen Publikationen fehlt jeglicher
Hinweis auf diese bemerkenswerte "Spatenbruderschaft" auf dem Gelände
einer ehemaligen römischen Militäranlage in Germanien. Da ich
bereits nach der zweiten Woche beschlossen hatte, die Rettungsgrabungen
auf den Kern des ehemaligen Lagerdorfes südlich der Straße nach
Büdesheim auszudehnen, die bisher eingegangenen Geldspenden jedoch
für den Einsatz von Baggern sowie die Anschaffung von Werkzeugen,
Foto-, Zeichen-und Vermessungsmaterial etc. bei weitem nicht ausreichten,
wandte ich mich am 8. August 1972 mit einem Schreiben an den hessischen
Ministerpräsidenten Albert Oswald mit der Bitte um finanzielle Unterstützung.
Ich war der wohl irrigen Meinung, daß die in Heldenbergen tätigen
Helferinnen und Helfer letztlich Aufgaben des Landes Hessen wahrnahmen
und ihr freiwilliges Engagement eine Beihilfe aus der in jener Zeit
recht gut gefüllten Staatskasse verdiene. Außerdem hatte die
Aktion bereits eine breite Publizität erfahren und ich war so naiv
anzunehmen, daß dies die Beamten in der Staatskanzlei beeindrucken
würde. Damals wurde mir jedoch zum ersten Mal so richtig bewußt,
daß man in unserem Staat ohne eine entsprechende Lobby auf ziemlich
verlorenem Posten steht.
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