Von den katholischen Geistlichen, die in der Windecker Kirche bis zur
Reformation ihr Amt versahen, sind nur wenige namentlich bekannt. Bestens
informiert sind wir jedoch über die reformierten Pfarrherren. Erster
in der langen Reihe war Johannes
Widmann, ehemaliger Mönch des Klosters Schlüchten. Er kam
1540 nach Windecken und wirkte hier bis zu seinem Tod im Jahre 1555.
Die reformierten und lutherischen (von 1672 bis 1832) Pfarrer in Windecken
versahen zumeist unauffällig ihre seelsorgerische Tätigkeit,
und gibt eigentlich bis heute nur drei, die überörtliche Bedeutung
erlangten. Hier ist zunächst Georg
Fabricius zu nennen, Abgeordneter zur reformierten Synode 1618 in Dordrecht
und Verfasser einer Hanauer Kirchengeschichte. Er trat sein Pfarramt im
Nidderstädtchen 1595 an. Im Jahr 1634 verschleppen kaiserliche Truppen
den damals 80jährigen Geistlichen, und an den Folgen der Gefangeschaft
starb Fabricius am 23. September des gleichen Jahres in Wehrheim. Seine
letzte Ruhestätte fand er in der Kirche von Rodheim.
Von 1814 bis 1823 war Karl Wilhelm Zimmermann erster Pfarrer in Windecken.
Er wurde weit über die Mauern des Grafenstädtchens hinaus bekannt
durch seine mitreißende Rede, die er bei der großen Feier anläßlich
des ersten Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober
1814 auf der Wartbaumhöhe hielt. Damals versammelten sich nach zeitgenössischen
Berichten etwa 10 000 Menschen aus dem Hanauer Raum im Bannkreis der historischen
Linde. Sein früher Tod im Jahre 1823 löste tiefe Trauer in der
Bevölkerung aus. Es entstand die Legende, daß seine reine Seele
aus dem Sterbezimmer im Pfarrhaus als weiße Taube in den Himmel aufstieg.
Unvergessen ist in Windecken auch der Kreispfarrer und Metropolitan
Carl Henß,
der bis 1938 vierzig Jahre lang in Windecken wirkte. Er war auch ein hervorragender
Historiker und wurde von seiner Marburger Fakultät für sein
Werk "Die Hanauer Union" mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.
Von Pfarrer Johannes Wilhelm Bernhard Ehringhaus, der in Windecken von
1868 bis 1876 die zweite Pfarrstelle versah, läßt sich dagegen
nichts Bemerkenswertes im positiven Sinne berichten. Wie aus den
von Rolf Hohmann in jahrelanger Arbeit gesichteten umfangreichen Unterlagen
des Stadtarchivs Windecken hervorgeht, muß er aber ein rechter "Querkopf"
gewesen sein. Seit der Okkupation des Kurfürstentums Hessen-Kassel
durch die Preußen im Jahre 1866 waren die Gemeindeverwaltungen verpflichtet,
für die vorgesetzte Behörde monatlich sogenannte Polizeiberichte
zu verfassen. Während Bürgermeister Dietz in der Rubrik "Kirchliche
Angelegenheiten" bis Ende 1871 in der Regel lediglich "Nichts Neues" oder
"Nichts Außergewöhnliches" eintrug, notierte er im zweiten Quartal
1872: "Der Kirchenbesuch bei Herrn Pfarrer Ehringhaus ist immer mehr im
Abnehmen, weil sich die Gemeinde-Mitglieder bei solchen Strafpredigten
nicht erbauen können. So war seine erste Pfingstfest-Predigt nichts
als über Presbyterial=Synodalfragen usw., welche er als als einen
Schwindel bezeichnete, wodurch die Gemeinde-Mitglieder sehr aufgeregt wurden,
weil sie noch nicht einmal an einem ersten Feiertag Gottes Wort und die
Bedeutung des Feiertages hören sollten. Diese Aufregung dauerte mehrere
Tage. Sollte Pfarrer Ehringhaus in seinen Predigten sich nicht mäßigen,
so muß ich das Schlimmste befürchten."
Der Pfarrherr muß es dann in Windecken ziemlich toll getrieben
haben und da die Kirche zu
jenen Zeiten in jeder Gemeinde auch ein Machtfaktor war, fand Bürgermeister
Dietz in seinen Berichten an die vorgesetzte Behörde in Hanau deutliche
Worte. Im dritten Quartal 1873 notierte er: "Der Kirchenbesuch hat hier
sehr nachgelassen, indem die Einwohner es müthe sind, das Schimpfen
und Toben gegen die Gesetze usw. mit anzuhören, denn von einer wirklichen
Predigt, wo sich die Einwohner erbauen können, ist keine Rede mehr.
So wurde in diesem Monat der Bettag auf den gewesenen Kürfürst
von Hessen auf seinen Geburtstag verlegt und die ganz Predigt, welche Herr
Pfarrer Ehringhaus hielt, war nur vom Kurfürsten von Hessen und von
dem heiligen Bernhard von Frankreich. Es waren nur fünf Personen Zuhörer.
Der Balkentreter M. Prinz, der ein sehr gutes Gedächtnis hat, kann
die ganze Predigt auswendig."
Auch im folgenden Jahr wurde das völlig aus dem Rahmen fallende
Verhalten des Geistlichen nicht nur in Windecken heftig diskutiert. Bürgermeister
Dietz schien jedoch resigniert zu haben, wie aus seinem dritten Qiuartalsbericht
des Jahres 1874 geschlossen werden muß´: "Der Kirchgang nimmt
immer mehr ab, ist beinahe Null," und am Ende des Jahres heißt es
kurz und bündig: "Bleibt viel zu wünschen übrig." In einer
Zeit, in der preußische Beamte und geistliche Herren Vorbildfunktionen
zu erfüllen hatten, ist die lange geübte Nachsicht des Presbyterium
gegenüber diesem rebellischen Geistlichen nicht recht verständlich.
Doch 1876 lief das Faß endgültig über und Pfarrer Ehringhaus
mußte eine andere Seelsorgerstelle übernehmen.
Bis 1882 kamen dann die Kirchenbesucher in Helmershausen in den "Genuß"
seiner seltsamen Predigten, anschließend die Gläubigen im Datterode.
Bereits 1885 wurde der nunmehr 46jährige Johannes Wilhelm Bernhard
Ehringhaus in den Ruhestand versetzt. Gründe für diesen offensichtlichen
"Rausschmiß" sind nicht bekannt. Gesundheitliche Gebrechen
können es wohl nicht gewesen sein. Seine permanenten Strafpredigten
und Angriffe gegen die Obrigkeit waren für Ehringhaus offensichtlich
kreislauffördernd, denn der Pfarrer i. R. erreichte ein fast biblisches
Alter. Selbst von den ältesten Windeckern längst vergessen, verstarb
er 96jährig am 12. Februar 1935 in Fulda. |