IX. Windecken im Dreißigjährigen Krieg
1618-1648
In der ersten Zeit des Dreißigjährigen
Krieges war Windecken besser daran als die umliegenden offenen Dörfer.
Diese waren jeder Unbill der Feinde, jeder streifenden Partei ohne anderes
preisgegeben, während Windecken vermöge seiner Mauern und des
Schutzes bietenden Schlosses der Grafen von Hanau seinen Einwohnern eine
gewisse Sicherheit bot. Wir Finden deshalb auch zu verschiedenen Zeiten
des Krieges Einwohner von Roßdorf, Kilianstädten, Ostheim, Dorfelden
usw. als Flüchtlinge in unseren Kirchenbüchern eingetragen, die
in dem einigermaßen gesicherten Windecken Zuflucht suchten.
Die erste Notiz über Einwirkungen des Krieges auf
die Umgebung von Windecken finden wir im Verzeichnis der Gestorbenen vom
Jahre 1622. Damals wurden "die Stadtpforten wegen des bayerischen und spanischen
Kriegsvolkes, so nach erhaltener Victory bei Höchst am Main in dieser
Gegend mit Plünderung schrecklich gehauset", zugehalten. In der Schlacht
von Höchst am 20. Juni 1622 war Herzog Christian von Braunschweig
von dem kaiserlichen Feldherrn Tilly geschlagen, dessen Truppen sich nun
in der ganzen Geend verbreiteten und überall schrecklich hausten.
Im folgenden Jahre lag das so.g Mortainische Regiment längere Zeit
hier als Einquartierung; am 10. Dezember 1626 wurde Windecken von einem
Kaiserlichen Regiment erstürmet, mehrere Bürger dabei verwundet
und einer "beim Einfall der Cronenbergischen Reuterey an der Ostheimer
Pforten von einem Soldaten durch den Kopf geschossen und also erschossen".
Die Unsicherheit in jenen Jahren muß sehr groß
gewesen sein, und 1628 wird im Kirchenbuch vermerkt, daß "die Stedter
Pforten wegen dero streufenden Reuter zugehalten" wurde. Den größten
Schrecken erlebte das Städtlein im Jahre 1634, als nach der Niederlage
der Evangelischen bei Nördlingen am 6. September die spärlichen
schwedischen Heerestrümmer bis Frankfurt und weiter zurück wichen
und ihnen die beutelüsternden Scharen der siegreichen Spanier und
Italiener, Kroaten und Ungarn nachfolgten. Einen rechten Einblick in die
Greuel und Leiden jenes Krieges gestattet ein Eintrag auf der letzten Seite
des ältesten Kirchenbuchs, wo es, aus dem Lateinischen ins Deutsche
übersetzt, heißt: "Als nach der Niederlage, die bei Nördlingen
die Kaiserlichen den Unsrigen beigebracht, die Neapolitanischen Truppen
die Wetterau verwüsteten, wurden viele von unseren Bürgern, die
in die Hände der Tyrannen fielen, teils durch Schüsse niedergestreckt,
teils mit Schwertern erschlagen, teils durch Untertauchen im Wasser ertränkt;
viele sind an Krankheiten, die sie sich infolge der ausgestandenen Schrecken
zugezogen, elend umgekommen. Unter ihnen befand sich, wehe, der hochachtbare
und sehr gelehrte Herr Inspektor Georg Fabricius, ein ehrwürdiger
Greis von fast 80 Jahren; nachdem er vorher vonden Croaten in seinem Pfarrhaus
auf das jämmerlichste geschlagen worden war, wurde er als Gefangener
weggeführt und ist in dem Dorfe Wehrheim, am Tisch sitzend, tot aufgefunden
worden; von da wurde er von den Rodheimern abgeholt und ist in der Kirche
zu Rodheim beigesetzt worde." Am Rande des Eintrags steht als Datum der
23. September 1634.
Georg Fabricius war ein Theologe von großer Bedeutung
und Geltung, Mitglied auch des Hanauer Konsistoriums, der 1612 dem Grafen
Philipp Ludwig II. die Gedächnisrede in Hanau hielt und 1619 an der
großen Gesamtsynode der reformierten Kirchen in Dortrecht (Holland)
teilgenommen hatte.
Daß 1634 großer Schaden an Gebäuden und
Eigentum der Einwohner geschah, läßt sich leicht denken; ohne
Zerstörung und Brandstiftung ist es damals sicher nicht abgegangen.
Der Anfang des Jahres 1635 brachte wieder viel Not, und zwar von den Freunden,
den verbündeten Schweden und Franzosen, die wie in Feindesland hausten
und viele Ortschaften ganz oder teilweise einäscherten. In einem Verzeichnis
vom 6. Februar 1635 wird gesagt: "Zu Windecken ist (so lang das Weimarische
Volk allda gelegen) zu 9 unterschiedlichen Malen Feuer aufgegangen, aber
allemal wieder gedämpft und durch Gottes Gnad die Stadt erhalten worden
bis auf eine große Scheuer aufm Schloß, so ganz eingeäschert."
Binnen zwei Monaten hatte die Grafschaft die mehr oder minder gründliche
Zerstörung von 37 blühenden Ortschaften zu beklagen. Wenn verbündete
Truppen, die für das Land kämpften, so verführen, was mußte
erst da vom Feinde erwarten ! Man hatte bald Gelegenheit, ihn kennenzulernen.
In der Nacht auf den 14. Mai 1635 hatten Hanauer Soldaten
unter dem Grafen Jakob Johann von Hanau das kaiserliche Regiment Sparr
in Staden überfallen, einen großen Teil von ihm niedergemacht
und zogen nun mit vielen Gefangenen und reicher Beute wieder heim. Auf
dem Heimweg wurden sie von zwei Kroatenregimentern aufs heftigste angegriffen,
wehrten sich aber so gut, daß sie bei geringem Verlust sich weder
Beute noch Gefangene abnehmen ließen. Voller Wut über ihren
Mißerfolg und den kühnen Handstreich der Hanauer drangen nun
die Kroaten in Windecken ein, wo sie namentlich das Schloß plünderten
und zerstörten. Viel mehr hatten die nächsten Dörfer, Eichen,
Ostheim und Bruchköbel, zu leiden; sie wurden angezündet und
niedergebrannt. Wenn einmal im Presbyterialprotokoll gesagt wird, daß
schwedische Reiterei geplündert und Vieh geraubt habe, so werden es
die Kaiserlichen nicht besser gemacht haben: sie ließen nicht liegen
als glühendes Eisen und Mühlsteine. So trugen Freund und Feind
dazu bei, die Not ständig zu steigern. Der Krieg traf nicht nur den
wehrhaften Mann; durch Vernichtung der Daseinsbedingungen Wehrloser wurde
er in steter Steigerung zur furchtbaren Geißel der davon Betroffenen.
Man vergegenwärtige sich: Mehrmals war das flache
Land ausgeraubt und geplündert worden; die Dörfer lagen größtenteils
in Schutt und Asche. Die Frucht auf dem Felde wurde vom Feind vernichtet,
war sie wirklich geborgen, in angezündeten Scheuern mit Absicht dem
Verderben preisgegeben. Ihr Preis stieg 1638 in Frankfurt auf das Neunfache,
1637 auf das Sechsfache, und selbst im fruchtbaren Jahre 1638 war er noch
viermal so hoch als sonst. In den Jahren 1635 und 1636 starben eine Menge
Leute in Windecken am Hunger, und zu seinen Opfern traten die von der furchtbaren
Pest Dahingerafften, die, durch größte Entbehrungen in ihrer
Gesundheit geschwächt, wenig oder keine Widerstandskraft mehr besaßen.
Man bedenkeweiter: Damals wurde Hanau belagert: was die Bauern sich zogen,
das holten die kaiserlichen Soldaten, bei denen selbst großer Mangel
herrschte; wie sollte da nicht auf dem Lande bitterste Not herrschen ?
Einen Lichtblick in der schrecklichen Zeit bot das Erscheinen
des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen in Windecken, der am 13. Juni 1636
die Stadt Hanau befreite und entsetzte; aber der Krieg sollte noch 12 Jahre
weitergehen, wovon man noch mancherlei zu spüren bekam. Am 9. Oktober
1642 klagt Pfarrer Heimius "wegen des armen Schleppens seines Weibs und
4 kleinen Kindern zur Zeit der Flucht wegen der Soldaten"; am 14. April
1645 ist die Rede vom "Ausfliehen der marschierenden Völker", vor
denen man sich retten wollte; bayrische Soldaten plünderten in der
Kirche, in der sie freilich nur das abgenutzte und durchlöcherte Tauftuch
auf dem Kirchentisch des Mitnehmens hielten. Am 4. November 1646 wird vermerkt,
daß beiderseits Kriegsarmeen diesen Orten sich genahet und in specie
die kaiserlichen und kurbayrischen Völker allhier in diesem Städtlein
länger als ein Vierteljahr loschiert" hätten. Als sie abzogen,
ließen sie in Windecken eine Besatzung liegen. Am 27. November wurde
diese von dem schwedischen Regiment Schmidberger überfallen, wobei
die Stadt und Kirche wieder sehr litten. Die Stadt wurde vollständig
ausgeplündert, das Vieh geraubt; was die Sieger nicht mitnehmen konnten,
das gaben sie dem Verderben preis. In der Sitzung vom 2. Dezember 1646
redet das Presbyterium von dem "abermaligen Ruin" der Kirche. In jenem
Jahr berichtet ein Werk von Windecken: "Liegt jetzunter fast auf die Hälfte
in der Aschen und ist in eine elende Wüstenei und Einöde geraten."
Welche Geldkosten damals den Leuten durch Einquartierung
entstanden, geht z. B. daraus hervor, daß der Unterhalt nur einer
Kompagnie Reiter dem Amt Büchertal eine Ausgabe von 61 000 Talern
verursachte, was einem heutigen Geldwert von mindestens 750 000 Reichsmark
entspricht. Als der Friede 1648 endlich geschlossen war, mußte die
gänzlich verarmte Grafschaft nach heutigem
Wert mindestens eine halbe Million Reichsmark aufbringen.
Die Verwüstung an Eigentum, Haus und Hof, die Verminderung der Bevölkerung
und die Verrohung der Sitten in jener entsetzlichen Zeit des Dreißigjährigen
Kreiges kann in ihrem ganzen Umfang nicht geschildert werden. Hier ist
nur einiges angeführt, von dem man auf das Ganze schließen kann.
Wie wir etwas Alltägliches nicht besinders aufschreiben und uns merken,
so hat man bei der langen Dauer des Krieges schließlich auch nicht
mehr der Drangsale und Bedrückungen besonders gedacht; sie waren etwas
Alltägliches geworden. Der Krieg mit seinen Schrecken, mit Mord, Brand
und Raub war fast das Normale geworden, wir wir den Frieden für das
Normale und Natürliche ansehen. |