Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Orte im Wandel
Aus der Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken
Einleitung
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort des Bürgermeisters
Geleitwort des Autors
Kapitel 1:
Von der Mitte des 9. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts
Kapitel 2:
Die Bedeutung de Verleihung der Stadtrechte
Kapitel 3:
Die Burg und Burgmannen
Kapitel 4:
Stadtverfassung und Verwaltung
Kapitel 5:
Kirchen und Kapellen
Kapitel 6:
Die Einführung der Reformation
Kapitel 7:
Die Schulen
Kapitel 8:
Alte Stiftungen
Kapitel 9:
Im 30jährigen Krieg
Kapitel 10:
Ein Beitrag zur Familienkunde
Kapitel 11:
Die Pest
Kapitel 12:
Wirtschaftliches
Kapitel 13:
1800 bis zur Gegenwart
Kapitel 14:
Das Wartbäumchen

 
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Die Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken

IX. Windecken im Dreißigjährigen Krieg
1618-1648

In der ersten Zeit des Dreißigjährigen Krieges war Windecken besser daran als die umliegenden offenen Dörfer. Diese waren jeder Unbill der Feinde, jeder streifenden Partei ohne anderes preisgegeben, während Windecken vermöge seiner Mauern und des Schutzes bietenden Schlosses der Grafen von Hanau seinen Einwohnern eine gewisse Sicherheit bot. Wir Finden deshalb auch zu verschiedenen Zeiten des Krieges Einwohner von Roßdorf, Kilianstädten, Ostheim, Dorfelden usw. als Flüchtlinge in unseren Kirchenbüchern eingetragen, die in dem einigermaßen gesicherten Windecken Zuflucht suchten.

Die erste Notiz über Einwirkungen des Krieges auf die Umgebung von Windecken finden wir im Verzeichnis der Gestorbenen vom Jahre 1622. Damals wurden "die Stadtpforten wegen des bayerischen und spanischen Kriegsvolkes, so nach erhaltener Victory bei Höchst am Main in dieser Gegend mit Plünderung schrecklich gehauset", zugehalten. In der Schlacht von Höchst am 20. Juni 1622 war Herzog Christian von Braunschweig von dem kaiserlichen Feldherrn Tilly geschlagen, dessen Truppen sich nun in der ganzen Geend verbreiteten und überall schrecklich hausten. Im folgenden Jahre lag das so.g Mortainische Regiment längere Zeit hier als Einquartierung; am 10. Dezember 1626 wurde Windecken von einem Kaiserlichen Regiment erstürmet, mehrere Bürger dabei verwundet und einer "beim Einfall der Cronenbergischen Reuterey an der Ostheimer Pforten von einem Soldaten durch den Kopf geschossen und also erschossen".

Die Unsicherheit in jenen Jahren muß sehr groß gewesen sein, und 1628 wird im Kirchenbuch vermerkt, daß "die Stedter Pforten wegen dero streufenden Reuter zugehalten" wurde.  Den größten Schrecken erlebte das Städtlein im Jahre 1634, als nach der Niederlage der Evangelischen bei Nördlingen am 6. September die spärlichen schwedischen Heerestrümmer bis Frankfurt und weiter zurück wichen und ihnen die beutelüsternden Scharen der siegreichen Spanier und Italiener, Kroaten und Ungarn nachfolgten. Einen rechten Einblick in die Greuel und Leiden jenes Krieges gestattet ein Eintrag auf der letzten Seite des ältesten Kirchenbuchs, wo es, aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt, heißt: "Als nach der Niederlage, die bei Nördlingen die Kaiserlichen den Unsrigen beigebracht, die Neapolitanischen Truppen die Wetterau verwüsteten, wurden viele von unseren Bürgern, die in die Hände der Tyrannen fielen, teils durch Schüsse niedergestreckt, teils mit Schwertern erschlagen, teils durch Untertauchen im Wasser ertränkt; viele sind an Krankheiten, die sie sich infolge der ausgestandenen Schrecken zugezogen, elend umgekommen. Unter ihnen befand sich, wehe, der hochachtbare und sehr gelehrte Herr Inspektor Georg Fabricius, ein ehrwürdiger Greis von fast 80 Jahren; nachdem er vorher vonden Croaten in seinem Pfarrhaus auf das jämmerlichste geschlagen worden war, wurde er als Gefangener weggeführt und ist in dem Dorfe Wehrheim, am Tisch sitzend, tot aufgefunden worden; von da wurde er von den Rodheimern abgeholt und ist in der Kirche zu Rodheim beigesetzt worde." Am Rande des Eintrags steht als Datum der 23. September 1634.

Georg Fabricius war ein Theologe von großer Bedeutung und Geltung, Mitglied auch des Hanauer Konsistoriums, der 1612 dem Grafen Philipp Ludwig II. die Gedächnisrede in Hanau hielt und 1619 an der großen Gesamtsynode der reformierten Kirchen in Dortrecht (Holland) teilgenommen hatte.

Daß 1634 großer Schaden an Gebäuden und Eigentum der Einwohner geschah, läßt sich leicht denken; ohne Zerstörung und Brandstiftung ist es damals sicher nicht abgegangen. Der Anfang des Jahres 1635 brachte wieder viel Not, und zwar von den Freunden, den verbündeten Schweden und Franzosen, die wie in Feindesland hausten und viele Ortschaften ganz oder teilweise einäscherten. In einem Verzeichnis vom 6. Februar 1635 wird gesagt: "Zu Windecken ist (so lang das Weimarische Volk allda gelegen) zu 9 unterschiedlichen Malen Feuer aufgegangen, aber allemal wieder gedämpft und durch Gottes Gnad die Stadt erhalten worden bis auf eine große Scheuer aufm Schloß, so ganz eingeäschert." Binnen zwei Monaten hatte die Grafschaft die mehr oder minder gründliche Zerstörung von 37 blühenden Ortschaften zu beklagen. Wenn verbündete Truppen, die für das Land kämpften, so verführen, was mußte erst da vom Feinde erwarten ! Man hatte bald Gelegenheit, ihn kennenzulernen.

In der Nacht auf den 14. Mai 1635 hatten Hanauer Soldaten unter dem Grafen Jakob Johann von Hanau das kaiserliche Regiment Sparr in Staden überfallen, einen großen Teil von ihm niedergemacht und zogen nun mit vielen Gefangenen und reicher Beute wieder heim. Auf dem Heimweg wurden sie von zwei Kroatenregimentern aufs heftigste angegriffen, wehrten sich aber so gut, daß sie bei geringem Verlust sich weder Beute noch Gefangene abnehmen ließen. Voller Wut über ihren Mißerfolg und den kühnen Handstreich der Hanauer drangen nun die Kroaten in Windecken ein, wo sie namentlich das Schloß plünderten und zerstörten. Viel mehr hatten die nächsten Dörfer, Eichen, Ostheim und Bruchköbel, zu leiden; sie wurden angezündet und niedergebrannt. Wenn einmal im Presbyterialprotokoll gesagt wird, daß schwedische Reiterei geplündert und Vieh geraubt habe, so werden es die Kaiserlichen nicht besser gemacht haben: sie ließen nicht liegen  als glühendes Eisen und Mühlsteine. So trugen Freund und Feind dazu bei, die Not ständig zu steigern. Der Krieg traf nicht nur den wehrhaften Mann; durch Vernichtung der Daseinsbedingungen Wehrloser wurde er in steter Steigerung zur furchtbaren Geißel der davon Betroffenen.

Man vergegenwärtige sich: Mehrmals war das flache Land ausgeraubt und geplündert worden; die Dörfer lagen größtenteils in Schutt und Asche. Die Frucht auf dem Felde wurde vom Feind vernichtet, war sie wirklich geborgen, in angezündeten Scheuern mit Absicht dem Verderben preisgegeben. Ihr Preis stieg 1638 in Frankfurt auf das Neunfache, 1637 auf das Sechsfache, und selbst im fruchtbaren Jahre 1638 war er noch viermal so hoch als sonst. In den Jahren 1635 und 1636 starben eine Menge Leute in Windecken am Hunger, und zu seinen Opfern traten die von der furchtbaren Pest Dahingerafften, die, durch größte Entbehrungen in ihrer Gesundheit geschwächt, wenig oder keine Widerstandskraft mehr besaßen. Man bedenkeweiter: Damals wurde Hanau belagert: was die Bauern sich zogen, das holten die kaiserlichen Soldaten, bei denen selbst großer Mangel herrschte; wie sollte da nicht auf dem Lande bitterste Not herrschen ?

Einen Lichtblick in der schrecklichen Zeit bot das Erscheinen des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen in Windecken, der am 13. Juni 1636 die Stadt Hanau befreite und entsetzte; aber der Krieg sollte noch 12 Jahre weitergehen, wovon man noch mancherlei zu spüren bekam. Am 9. Oktober 1642 klagt Pfarrer Heimius "wegen des armen Schleppens seines Weibs und 4 kleinen Kindern zur Zeit der Flucht wegen der Soldaten"; am 14. April 1645 ist die Rede vom "Ausfliehen der marschierenden Völker", vor denen man sich retten wollte; bayrische Soldaten plünderten in der Kirche, in der sie freilich nur das abgenutzte und durchlöcherte Tauftuch auf dem Kirchentisch des Mitnehmens hielten. Am 4. November 1646 wird vermerkt, daß beiderseits Kriegsarmeen diesen Orten sich genahet und in specie die kaiserlichen und kurbayrischen Völker allhier in diesem Städtlein länger als ein Vierteljahr loschiert" hätten. Als sie abzogen, ließen sie in Windecken eine Besatzung liegen. Am 27. November wurde diese von dem schwedischen Regiment Schmidberger überfallen, wobei die Stadt und Kirche wieder sehr litten. Die Stadt wurde vollständig ausgeplündert, das Vieh geraubt; was die Sieger nicht mitnehmen konnten, das gaben sie dem Verderben preis. In der Sitzung vom 2. Dezember 1646 redet das Presbyterium von dem "abermaligen Ruin" der Kirche. In jenem  Jahr berichtet ein Werk von Windecken: "Liegt jetzunter fast auf die Hälfte in der Aschen und ist in eine elende Wüstenei und Einöde geraten."

Welche Geldkosten damals den Leuten durch Einquartierung entstanden, geht z. B. daraus hervor, daß der Unterhalt nur einer Kompagnie Reiter dem Amt Büchertal eine Ausgabe von 61 000 Talern verursachte, was einem heutigen Geldwert von mindestens 750 000 Reichsmark entspricht. Als der Friede 1648 endlich geschlossen war, mußte die gänzlich verarmte Grafschaft nach heutigem
Wert mindestens eine halbe Million Reichsmark aufbringen. Die Verwüstung an Eigentum, Haus und Hof, die Verminderung der Bevölkerung und die Verrohung der Sitten in jener entsetzlichen Zeit des Dreißigjährigen Kreiges kann in ihrem ganzen Umfang nicht geschildert werden. Hier ist nur einiges angeführt, von dem man auf das Ganze schließen kann. Wie wir etwas Alltägliches nicht besinders aufschreiben und uns merken, so hat man bei der langen Dauer des Krieges schließlich auch nicht mehr der Drangsale und Bedrückungen besonders gedacht; sie waren etwas Alltägliches geworden. Der Krieg mit seinen Schrecken, mit Mord, Brand und Raub war fast das Normale geworden, wir wir den Frieden für das Normale und Natürliche ansehen.


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