VI. Die Einführung der Reformation in Windecken
Verhältnismäßig spät,
erst vom Jahre 1540 an, ist die Reformation in Windecken eingeführt
worden. Die letzten bekannten katholischen Pfarrherren von Windecken waren
Paulus Scheffer, dem die Herrschaft am 25. November 1536 die Pfarrei aufkündigte,
und Konrad Kulman, Pastor zu Wachenbuchen, von dem der Schultheiß
Peter Buches Ende November 1539 anzeigte, daß er nicht länger
Pfarrverweser bei ihnen bleiben wolle, weil es jetztund zu Wachenbuchen
an der Pestilenz sterben wolle; der Schultheiß bekam die Weisung,
wenn er weiter nach Wachenbuchen wandern wolle, so soll er ihn heraus und
nicht mehr gen Windecken hinein lassen. Ende Januar 1540 reichte das Stadtgericht
"von eyner gantz gemein wegen" bei der vormundschaftlichen Regierung zu
Hanau eine Vorstellung ein, in der es um die Anstellung eines evangelischen
Pfarrers bat: "Dieweil uns armen Untersassen an einem Pfarrherren und Seelsorger
mehr, denn an zeitlicher und vergänglicher Habe gelegen, so werden
wir merklich verursacht, Eure Gnaden als Hanauischen Vormündern solche
unsere anliegende Beschwernis in kurzem Vergriff anzuzeigen, ungezweifelter
Hoffnung, Eurer Gnade werde uns mit einem Pfarrherrn zu Heil und zur Erhaltung
der Seelen Heil aufs förderlichste, so das durch Euer Gnaden beschehen
kann, verstehen, weil uns in solchen fährlichen und geschwinden Gezeiten
zur Erhaltung gemeiner Polizei (=bürgerlicher Ordnung) und christlicher
Ordnung eines gelehrten Pfarrherren, welcher das Evangelium lauter und
klar predigt, höchlich von Nöten ist; wann wir einen Pfarrherrn
heut und den anderen morgen haben, so gereicht das zum verderblichen Schaden
der Pfarrgüter, so nicht erbauet, und also von Jahr zu Jahr durch
mutwillige Verlassengheit verwüstet und ausgesogen werden, so dann
Windecken allewege den Trost und Zuversicht hat, es sollte dergleichen
wie Hanau mist christlicher Ordnung und gemeiner Polizei im gleichen Bekenntnis
durch Euer Gnaden gehalten und geordnet werden; hierum ist unsere untertänige
Bitte, Euer Gnaden wolle diesen obangezeigten unsern Gebreften, so der
Seelen und gemeiner Jugends, so im Wort des Herren sollen erzogen werden,
in Gnaden beherzigen, und uns mit einem gelehrten frommen Prediger versehen,
und was wir ihm, um seiner treuen Lehre und Dienste zu tun schuldig sind,
wollen wir uns gegen ihn williglich erzeigen." Nach dem Kanzleivermerk
auf der Rückseite der Eingabe verhandelte die Herrschaft mit dem Pfarrherrn
in Schlüchtern, "der sich erboten, die Pfarrei aller Gestalt anzunehmen
und zu versehen mit Predigten und Sakramenten wie der Pfarrherr zu Hanau,
aber Messe zu tun, sei wider sein Conscienz (Gewissen), und daß man
die Priester zu Windecken die Messe und andere Ämter halten lasse,
wie zu Hanau, und daß er nichts mit ihnen zu schaffen haben möchte",
worauf ihm die Pfarrei mit ihren Einkommen zugesagt wurde.
Der neue Pfarrherr war Johann Widmann, über den Abt
Petrus Lotichius von Schlüchtern später schrieb: "In diesem ersten
Jahr (1534) kommt zu mir gen Schlüchtern eine unbekannte religiöse
Person, Johannes Salicetus, aus dem Land zu Bayern gebürtig, war ziemlich
gelehrt; diesen nahm ich auf in unser Kloster, weil er aus unseres Ordens
Sancti Benedicti war, bestellte ihn ein Jahr als Kapellan zu dienen, dann
setzte ich ihn zum Pfarrherrn gen Schlüchtern, und von diesem an wurden
meine Sachen ein wenig besser. Wie er ist das sechste Jahr bei mir gewesen,
nahm er ein Weib zu Schlüchtern, das war in der Zeit ungewöhnlich,
darum mußte er weichen und kam nach Windecken, ward Pfarrherr daselbst
und ist endlich da gestorben."
Leider wissen wir von Widmanns Amtsführung und Erfolgen
so gut wie nichts. Für seine Bedeutung spricht indessen das Urteil
dess Abtes Petrus Litichius, dem er auch mit Rat und Tat bei der Durchführung
der Reformation in Schlüchtern beigestanden haben soll, und die Freundschaft
des bekannten evangelischen Liederdichters Erasmus Alberus, der sich früher
für ihn um eine Pfarrstelle in der Grafschaft Katzenellenbogen beworben
und in einem sseiner Briefe Bezug auf seine Verheiratung genommen hat.
Nach Widmanns Amtsantritt ging in Windecken noch eine
Zeitlang evangelischer und katholischer Gottesdienst nebeneinander her;
wann letzterer ganz aufhörte, kann nicht angegeben werden. Die Einrichtung
der Kirche im Inneren mit ihren alten Altären scheint im wesentlichen
bis zum Ende des 16. Jahrhunderts fortbestanden zu haben. An die aus dem
katholischen in den evangelischen Gottesdienst übernommene und da
bis 1584/85 gebräuchliche Liturgie erinnern noch die auf Seite 2 bis
17 des ältesten, 1577 beginnenden, Kirchenbuches aufgezeichneten Antiphonen
in lateinischer Sprache mit Noten nach dem Mainzer Ritual.
Einmal tritt uns Widmanns Name bedeutungsvoll entgegen,
nämlich bei der Antwort der Hanauischen Prediger auf das sog. Augsburger
Interim. Als Kaiser Karl V. nach der für die Evangelischen unglücklich
verlaufenen Schlacht bei Mühlberg 1547 von diesen, wie überall
im Reich, so auch im Hanauischen, die Anerkennung des Papstes, der Siebenzahl
der Sakramente, die Verpflichtung zum Fasten, die Anrufung der Heiligen
usw. verlangte, wurde dieses Ansinnen auch von einem großen Teil
der Hanauischen Prediger zurückgewiesen; unter den Unterzeichnern
des Protestes finden wir an zweiter Stelle, hinter Philipp Neunheller,
dem Hanauer Reformator, unseren Johann Widmann, während seine Kollegen,
der Erzpriester und Altarist Hartmann Rod und die beiden anderen Altaristen
Johann Schreiber (+ 1552) und Konrad Eschbach, die auch zugleich Pfaffer
zu Eichen und Bleichenbach waren, das Interim annahmen. Damit verschwindet
der Reformator Windeckens für uns aus der Geschichte; aber das Letzte,
was wir von ihm hören, ist ein entschiedenes Eintreten für das,
was er als wahr erkannt und seiner Gemeinde verkündigt hatte; und
wenn wir auch nur wenig von ihm wissen, das dürfen wir von ihm annehmen,
daß seine Gemeinde in ihm erhalten, was sie gewünscht und begehrt,
einen gelehrten Pfarrherrn, der das Evangelium lauter und klar predigte.
Von seiner Hand ist noch ein Schreiben vom 18. Februar 1540 vorhanden;
es befindet sich im Marburger Staatsarchiv. Der Reformator Windeckens hat
es wenige Tage nach dem Antritt seines neuen Amtes verfaßt. Sein
Nachfolger und Fortsetzer seines Werkes war der aus Friedberg stammende
Magister Johann Rab (Corvinus), der am 17. September 1594 in einem Alter
von 73 Jahren starb, nachdem er der Kirche zu Windecken 42 Jahre 7 Monate
am Wort gedient hatte. Bei der Kirchenvisitation des Jahres 1562 gab er
an, zu Mainz ordiniert zu sein; als er nach Windecken gekommen, sei er
zu einem Diakonus angenommen, aber nachdem der Pfarrherr gestorben, sei
er nun sieben Jahre allein und versehe beide Ämter. Johann Widmann
wird demnach 1555 gestorben sein.
Aus der Zeit des Pfarrers Corvinus ist noch zu bemerken,
daß am 24. und 25. April 1571 eine Synode sämtlicher Hanauischen
Geistlichen in Windecken abgehalten wurde und daß am 21. Juli 1562
und am 13. Mai 1577 besondere Kirchenvisitationen hier stattfanden. |