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Geschichtsverein Windecken 2000

 
Orte im Wandel
"650 Jahre Stadt Windecken" anno 1938
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Die 650 Jahr Feier der Stadt Windecken anno 1938

650 Jahre Glockengießerstadt Windecken


Am 6., 7. und 8. August stand die jetzt 2075 Einwohner zählende Stadt Windecken im Landkreise Hanau im Zeichen ihrer 650=Jahrfeier, denn am 5. August 1288 waren dem Orte Windecken von König Rudolf von Habsburg Stadtrechte verliehen worden. In dem am 7. August 1938 von der Stadt Windecken gebotenen historischen Festzug war in der Gruppe 10 der "Glockenguß in Windecken" vertreten,  denn die Glockengießerei hat seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Windecken besonderen Ruf verschafft.

Der kurz vor der 650=Jahrfeier im Alter von 75 Jahren verstorbene Kreispfarrer i.R. D. Henß hat in der von ihm verfaßten Festschrift zur 650=Jahrfeier berichtet, daß der erste Windecken Glockengießer Johann Peter Bach war, der im Jahre 1722 in Hungen (Oberhessen) geboren wurde. Er scheint 1748 nach Windecken gekommen zu sein, wo er den Glockenguß und die Anfertigung von Spritzen betrieb. Nach einem Vertrag von 1756 goß er für das St. Peter-Stift in Mainz ein größeres Geläute - die schwerste Glocke wog 60 Zentner - für den Preis von 9205 Gulden. Die Größe des Geläutes darf als Beweis seiner Leistungsfähigkeit gesehen werden. Da er als Stück=und Glockengießer bezeichnet wird, scheint er auch Geschütze gegossen zu haben. Ein Sohn von ihm, Johann Michael, geboren 1750, hessischer Artillerieoffizier, war seit 1811 Repetent für Kriegswissenschaft an der Artillerie=und Genieschule in Kassel und starb 1827 als Major zu Ziegenhain. Die Familie Bach weist eine Anzahl tüchtiger Persönlichkeiten auf. Philipp Heinrich Bach, geboren am 26. Mai 1829, starb als letzter Glockengießer des Hanauer Landes am 6. Dezember 1906 in Frankfurt a.M.=Fechenheim bei seinem Sohne, Konrektor Heinrich Bach.

Gerne sei an dieser Stelle nochmals der ehrenvollen Tage der 650=Jahrfeier gedacht, die ganz Windecken im Zeichen des Heimatgedankens stehen sahen und ein großes und schönes Erlebnis für alle waren, die mitfeiern durften. Wie sehr die in der Ferne wohnenden Windecker an der alten Heimat hängen, wurde durch diese Tage schönstens bewiesen. Zu diesem Fest hatte das liebe, alte Städtchen ein Gewand angezogen, das sich dem schmucken, altertümlichen Stadtbilde vortrefflich anpaßte und vor allem mit Geschmack und Bedacht gewählt war. Was sich an diesen drei Festtagen noch besonders bewährte, das war die altbekannte Windecker Gastfreundlichkeit.

Vom Festverlauf an dieser Stelle das Wesentlichste. Feierliches Glockengeläute gab am Sonnabend, 6. August, den Ehrentagen den würdigen Auftakt. Die Ratsherren hatten sich im Sitzungsaale unseres schönen, mit dem Hanauer Wappen prächtig geschmückten Rathaus versammelt, um aus dem Munde von Bürgermeister Muth noch einmal auf die Bedeutung der 650=Jahrfeier hingewiesen zu werden. Dann zog die Stadtwache auf. Ein Fackelzug leitete später, während die Bürgerhäuser festlich beleuchtet waren, zur gro0en Abendfeier auf dem schöngelegenen Festplatz über, bei dem die heimischen Vereine ihr Bestes boten, der Bürgermeister die Gäste und die Versammelten begrüßte und der Landrat des Kreises Hanau, Polizeidirektor Löser, mit seinen Glückwünschen auch die des Herrn Regierungspräsidenten zu Kassel überbrachte und ein Geschenk des Kreises überreichte. - Am Sonntagmorgen gedachte man würdig der Gefallenen der Heimat und der Bewegung, wobei Bürgermeister Muth eine prächtige Kranzspende am Gefallenenehrenmal niederlegte. Anschließend fand im Saale der "Hochmühle" eine Heimatfeier für die in der Fremde wohnenden Windecker statt. 
 
 
 

Gesangsvorträge der heimischen Sänger umrahmten und verschönten diese. Bürgermeister Muth sprach ein zu Herzen gehendes Grußwort, das den Heimatgedanken als den Grundquell alles wahren Volkslebens feierte und von Ortsgruppenleiter Albert aus Köln, dem Windecken Heimat war, herzlichst erwidert wurde.
In dieser, von gehaltvollen Heimatgedichten umrahmten Feierstunde fand auch eine schlichte Ehrung für den Komponisten eines unserer schönsten Heimatlieder, den greisen Musikdirektor Brodt aus Hanau a.M. statt.

Wer als Gast in Windecken weilte, benutzte die nun folgende Zeitspanne, die wertvolle Heimatausstellung im Schulhaus zu besichtigen, die fleißige und sachverständige Hände zusammengetragen hatten, und die viel Sehenswertes aus dem Volksleben und der Geschichte der Heimat bot: besonders ins Auge fiel die historische Fahne aus dem bewegten 48er Jahr aus der Frankfurter Paulskirche, die auf der einen Seite den österreichischen Doppeladler und auf der anderen das Windecker Wappen zeigt. Auch die einstige Blaudruckherstellung von Windecken erlebte hier, inmitten vieler schöner Heimatbilder und alter Gerätschaften, eine unerwartete Auferstehung. Viele frühgeschichtliche Funde, die in und um Windecken gemacht worden sind, waren ebenfalls ausgestellt und zeugen von der einstmaligen Bedeutung dieser Gegend als Durchgangsgebiet zur fruchtbaren Wetterau.

Der Festzug in den frühen Nachmittagsstunden bot ein buntes Bild. Die Vergangenheit sprach aus ihm, alte, stolze Zeiten des Rittertums, der fleißigen Zünfte, der Schützen, des friedfertigen Bürgers und der wehrhaften Kriegsmänner, die einst die "Burg Wonnecke" besaßen. Daß in ihm auch der historische Akt der Verleihung der Stadtrechte sinnfällig dargestellt war, verdient besonderer Erwähnung. Ebenso war des ehrsamen Gewerbes der Glockengießerei, die einst Windecken einen guten Namen bescherte im Umland, sehr sinnfällig gedacht; eine große Glocke erinnert an das Wirken der Familie Bach, die hier beheimatet war. Nette Trachtengruppen aus den vergangenen Jahrhunderten gaben dem Zug ein eigenes Gepräge. Auf dem Festplatz begrüßte Bürgermeister Muth eine stattliche Feiergemeinde und konnte ihr einen frohen Verlauf des Festes wünschen. Diesem Wunsche entsprechend verliefen auch die Stunden.

Auch der Montag stand im Dienste der Heimat. An ihm ihm wurde zur Erinnerung an den Tag der 650=Jahrfeier eine Linde gepflanzt - ein Mahnzeichen für kommende Geschlechter, gleich uns die Heimat zu lieben, zu achten und zu ehren. Denn die Heimat ist und bleibt unser bester Freunde, wie wir aus manchem Dichterwort und manchem Ausspruch großer Männer Deutschlands wissen: "Der Weg zum großen deutschen Vaterlande führt über die Heimatscholle," lautet ein Wort des Reichfreiherrn vom und zum Stein.

Dieser Pflege eines unveräußerlichen Volksgutes hat sich Windecken würdig bewiesen, denn es verdient, nochmals sei dies betont, lobend Anerkennung, wie das kleine Städtchen seine 650=Jahrfeier vorbereitet, durchgeführt und - erlebt hat.   F.W. Schluckebier

Casseler Sonntagsblatt

21. August 1938