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Geschichtsverein Windecken 2000

 
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"650 Jahre Stadt Windecken" anno 1938
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Die 650 Jahr Feier der Stadt Windecken anno 1938

Die alte Stadt der Bauhandwerker und Glockengießer
Zur bevorstehenden 650-Jahrfeier der Stadt Windecken im Landkreis Hanau


Die ursprüngliche Anlage der Burg ist noch deutlich an der Vorburg zu erkennen. Eines ist aus der alten, dahingesunkenen Herrlichkeit geblieben, die herrliche Sicht vom alten Schloß hinaus in die Ferne nach den Höhen des Taunus und über die gesegneten Fluren der Heimat.

Die Kirche und ihre Umgebung verdienen besondere Beachtung. Das Rathaus, ein stattlicher, spätgotischer Bau, um die Mitte des 15. Jahrhunderts erbaut, beherrscht den Marktplatz. An dem schönen Erker befindet sich das Hanauer Wappen. Die Stadt führt noch heute das alte Hanauer Schild im Siegel.

Windecken besitzt aus früherer Zeit noch eine große Zahl schöner alter Holzhäuser. Leider sind viele durch Verputz ihres ursprünglich schönen und malerischen Aussehens verlustig gegangen, sie werden aber hoffentlich auf Grund eines Aufrufes des Bürgermeisters bald wieder ihr früheres Aussehen bekommen. Die schmalen Nebengäßchen und Winkel verdanken ihre Entstehung der Zeit, in der die Einwohner durch die einengenden Mauern auf möglichst geringem Flächenraum zu bauen gezwungen waren. Die Einwohnerzahl von Windecken wird am Ende des 16. Jahrhunderts auf 800 bis 900 geschätzt. Die während des Dreißigjährigen Krieges wütende Pest forderte im Jahre 1625 insgesamt 52 Opfer; in den folgenden Jahren setzte sich das Aussterben fort. Erst um das Jahr 1754 konnte sich das Städtchen durch starken Zuzug von außen einigermaßen erholen. Im Jahre 1834 waren etwa 1400 Einwohner vorhanden.

Windecken hat im Dreißigjährigen Krieg viel gelitten. 1645 lagen kaiserliche und bayerische Truppen über ein Vierteljahr hier und raubten und plünderten. Im Jahe 1646 wurde die Stadt durch ein schwedisches Regiment überfallen, wobei sie zum größten Teil zerstört wurde.

An Industriezweigen ist in  Windecken nur die Diamatschleiferei vertreten. Die Gemarkung hat eine Flächengröße von rund 600 Hektar. Hieraus erklärt sich, daß nach dem Wegfall der hier in früherer Zeit zahlreich vorhandenen Gewerbe ein großer Teil der Bewohner auswärts, in der Hauptsache im Baugewerbe, tätig war. So ist in der größeren Umgebung bekannt, daß die Windecker Bauhandwerker sehr geschickt sind.

Eine Industrie aber hat das Städtchen einst gehabt, die seinen Namen weit über die Grenzen bekannt machte, die so rühmlich angesehene Glockengießerei der Familie Bach. Der Ahnherr der Windecker Familie, Johann Peter Bach, wurde am 23. Februar 1722 als Sohn des Spritzenmachers Johann Georg Bach zu Hungen in Oberhessen geboren und starb am 17. Dezember 1780. Er scheint um 1748 nach Windecken gekommen zu sein, wo er den Glockenguß neben der Anfertigung von Feuerspritzen betrieb. 
 

Nach einem Vertrag von 1756 goß er für das St. Peter-Stift zu Mainz ein größeres Geläute-die schwerste Glocke wog wog sechzig Zentner - für den Preis von 9205 Gulden 20 Kreuzer = 15741 Reichsmark, das Pfund wurde ihm mit mit 32 Kreuzern = 0.91  Reichsmark vergütet. Das Geläute gilt als das Schönste in Mainz. Das kleine Gießhaus befand sich im Garten des Bach'schen Anwesens im "Pflücksburger Hof". Das größere Gießhaus befand sich vor dem Kilianstädter Tor. Ungefähr seit 1876 wurden keine Glocken mehr gegossen. Der letzte Windecker Glockengießer, der letzte der Hanauer Lande überhaupt, Philipp Heinrich Bach, starb im Jahre 1906 in Fechenheim. 

Zum Schluß sei noch des Wahrzeichens der Gegend gedacht, des im Besitz der Stadtgemeinde Windecken  befindlichen Wartbaums, einer herrlichen Linde von über 20 Meter Höhe und gut 65 Meter Kronenumfang. Von ihrem Standort aus hat man einen der schönsten Blicke im ganzen Kreis.

Von hier aus hat 1636 der zum Entsatz des belagerten Hanaus heranziehende Landgraf Wilhelm V. von Hessen den hartbedrängten Hanauern durch Feuersignale Kunde von der nahenden Hilfe gegeben; in der Schlacht bei Bergen von den Franzosen zurückgeschlagen, haben sich am Abend des 13. April 1759 die Truppen Ferdinands von Braunschweig in seiner Nähe versammelt; hier loderten Freudenfeuer auf in den Jahren 1814, 1863 und 1913 zur Erinnerung an den über Napoleon I. in der Völkerschlacht bei Leipzig errungenen Sieg, und von hier aus nahm 1897 das große Kaisermanöver seinen  eigentlichn Anfang, das erste, in dem süddeutsche und norddeutsche Truppen, Bayern, Hessen und Preußen, Proben ihrer Leistungsfähigkeit und Kriegstüchtigkeit ablegten. In neuerer Zeit ist der Wartbaum der Platz, an dem die Oster=und Sonnenwendfeuer abgebrannt werden.

Manches hat Windecken im Laufe einer mehr als tausendjährigen Geschichte gesehen. Möge das alte Windecken, das so vieles schon erlebte, Aufstieg und Niedergang, in diesem und den kommenden Jahrhunderten nur Gutes sehen; möge eine tüchtige Bürgerschaft mit ernstem, deutschen Wesen im Sinne unseres großen Führers bauen und schaffen zu ihrer Heimat wohl. 

Hanauer Stadtblatt
24. und 25. November 1937