XI. Die Pest in Windecken
Bader, Chirurgen, Ärzte; Apotheke
Unter den furchtbaren Seuchen früherer
Zeit ist an erster Stelle die Pest zu nennen, von deren Wüten uns
die Kirchenbücher viel erzählen. Im Gegensatz zu Influenza und
Cholera, bei denen ein plötzliches schnelles Ansteigen der Erkrankungszahl
zu verzeichnen ist, breitete sich die Pestepedemie nur langsam aus. Die
Übertragung erfolgte besinders in der kühleren Jahreszeit aus
verseuchten Häusern, wo sich die Leute in engen Quartieren unter vielfach
ungünstigen sanitären Verhältnissen dicht zusammendrängten.
Die Epidemien waren äußerst mörderisch; von den Erkrankten
starben wohl zwei Drittel, so daß Dörfer und Städte verödeten
und ganze Familien rasch erloschen.
Während 1582 und 1583 sich die Pest nur wenig bemerkbar
gemacht hatte, starben 1584 im ganzen 70 Personen, davon im Oktober allein
30; in diesem Monat starben aus der Familie des Georg Dein 8 Personen,
im November aus der des Velten Reidel 5. Im Jahre 1585 starben 50 Leute;
im Herbst war die Sterblichkeit größer. In den nächsten
Jahren machte die Krankheit sich weniger bemerkbar, um dann wieder anzusteigen.
Über die Art der Verbreitung der Krankheit und Beerdigung der an der
Pest Verstorbenen erfahren wir 1599/1600 folgendes: Am 12. 12. 1599 stirbt
der Balbierers Valentin Vogel Tochter, am 28. 12. seine Frau. "Und weil
ein starker Verdacht gewesen, als sollte sie an der Pestilenz gestorben
sein, hat der Magistrat nicht gestatten wollen, daß sie am Tage mit
gewöhnlichen Solemnitäten begraben würde; ist derowegen
den 2. Tag hernach den Abend um 6 Uhr von ihm, Valentin Vogel selbst, zum
Begräbnis ausgeführt und also bei nächtlicher Weile begraben
worden." Anfang 1600 starben des Vogel Lehrjung und sein Sohn. Der Keller
Paul Ludwig macht Ende April 1600 dem Vogel den Vorwurf der Leichtfertigkeit,
Als des gewesenen Stadtschreibers Hausfrau gestorben, habe dieser dem Vogel
die Kleider gegeben; dessen Tochter von 12 Jahren habe sich darüber
entsetzt und sei gestorben; bald darauf habe seine Frau sich gelegt und
sei auch gestorben. Pestfälle kommen in der Folgezeit mehr vereinzelt
vor; 1607 war ein ausgesprochenes Pestjahr, in dem mehrenteils an der Pest
120 Personen starben, abgesehen von denen, die dem Pfarrer nicht bekannt
wurden; vom 1. 9. bis 31. 12. allein 79 Personen, zum größten
Teil Opfer der Pest. In den folgenden Jahren erlosch die Pest nicht ganz;
ein großer Teil der 53 Todesfälle von 1625 kommt auf ihre Rechnung
in den Monaten August bis Dezember. 1627 und 1630 tritt die Pest wieder
stark auf; von den 123 Todesfällen des letzten Jahres entfällt
der weitaus größte Teil auf die unheimliche Krankheit. Berücksichtigt
man noch die ungenannte Zahl derer, die in den nächsten Jahren nach
1634 an der Pest starben, so kann man sich einen Begriff von dem furchtbaren
Wüten jener Seuche und dem Dahinschwinden der Bevölkerung in
jener Zeit machen. In welcher Weise einzelne Familien dahingerafft wurden,
dafür nur folgendes: Im August 1607 sterben des Schnatzhansen Frau,
sein Söhnlein, er selbst und seiner übrigen Kinder etliche; bald
darauf der welsche Schnürmacher Samson, seine Frau und vier Kinder;
Anfang September werden die Witwe und drei Kinder des Melchior Bender zugleich
begraben, alle Opfer der Pest. Diese wurden in der Regel bei nächstlicher
Weile beerdigt, vielfach von ihren nächsten Angehörigen. Manche
Erkrankte brachte man in das Pestilenzhäuschen, wo sie bald starben.
Um die ärztliche Hilfe war es in jener Zeit schlecht
bestellt; Bader und Barbiere halfen, soweit sie vermochten. 1594 wird zwar
der Windecker Johannes Cleß als Magister und Arzt genannt, der aber
bald verzog, Nach Hanau wurde erst 1606 ein Arzt berufen. Manchmal war
man froh, wenn ein "medicus circumforaneus" auftauchte, ein Arzt der im
Umherziehen sich anbot und dessen Hife man in Anspruch nehmen konnte. Selbst
größere Operationen scheinen im Notfall von wenig dazu geschickten
Händen ausgeführt zu sein. Im November 1601 wird ein Waldförster
begraben, dem zuvor ein Ast im Wald den Schenkel entzweigeschlagen und
jämmerlich zerschmettert hatte, also daß man ihm am dritten
Tag hernach denselben gat hat abschneiden müssen, darauf er doch so
bald unterm Schnitt verschnieden; war ein sehr schrecklich und erbärmlich
Spectacul, wie es das Kirchenbuch meldet.
Mit der ärztlichen Betreuung der Einwohnerschaft
scheint es von der Mitte des 17. Jahrhunderts an besser geworden zu sein.
Im Juni 1655 wird zum ersten Male genannt der Barbier Nicolaus Gebb (Göbb,
Gepp) aus Alstorf in Lothringen (gest. 1695), der wohl seines Glaubens
wegen aus der Gegend von Saargemünd, woder Name heute noch vorkommt,
nach Windecken übersiedelte; er war zugleicht Wundarzt. In der fortlaufenden
Ahnenreihe von Nicolaus Gebb bis zu dem Sohne Heinz des bekannten Frankfurter
Augenarztes Prof. Dr. med. H. Gepp sind es 9 Generationen; darunter mit
einer Unterbrechung achtmal Heilkundige; in der Familie überhaupt
bis jetzt 15 Angehörige des Heilberufs, ein besonderes Beispiel der
Berufsvererbung in einer Familie durch die Jahrhunderte.
Als Chirurgen treten uns seit Anfang des 18. Jahrhunderts
entgegen Cornelius Authäus, geb. zu Frankfurt 1665, gestorben zu Windecken
16. 2. 1730; sein Sohn Mauritius Valerius Authäus, geb. zu Hölste
(Waldeck) 5. 2. 1700, gestorben zu Windecken 10. 7. 1758, hatte sich
1732 mit Johanna Elisabetha Hochstadt verheiratet. Weiter werden genannt
Amtschirurg Johann Christian Schönbach, gestorben 2. 10. 1793 im Alter
von 60 Jahren; Daniel Christian Friedrich Diestlieb, gestorben 14. 8. 1791
im Alter von 33 Jahren; Amtschirurg Johann Ernst Wolf, gestorben
29. 8. 1826 im Alter von fast 40 Jahren. Erst von dieser Zeit am begegnen
uns praktische Ärzte, Doktoren der Medizin, zu kurhessischen Zeiten
beauftragt mit der Verrichtung eines Amtsphysikus. Nachdem die lutherische
Kirche abgebrochen war, wurde auf einem Teil des zu ihr gehörigen
Geländes die Apotheke errichtet, während der übrige Teil
deselben zur Anlage der sog. Neugasse verwendet wurde. |