Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Orte im Wandel
Aus der Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken
Einleitung
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort des Bürgermeisters
Geleitwort des Autors
Kapitel 1:
Von der Mitte des 9. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts
Kapitel 2:
Die Bedeutung de Verleihung der Stadtrechte
Kapitel 3:
Die Burg und Burgmannen
Kapitel 4:
Stadtverfassung und Verwaltung
Kapitel 5:
Kirchen und Kapellen
Kapitel 6:
Die Einführung der Reformation
Kapitel 7:
Die Schulen
Kapitel 8:
Alte Stiftungen
Kapitel 9:
Im 30jährigen Krieg
Kapitel 10:
Ein Beitrag zur Familienkunde
Kapitel 11:
Die Pest
Kapitel 12:
Wirtschaftliches
Kapitel 13:
1800 bis zur Gegenwart
Kapitel 14:
Das Wartbäumchen

 
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Die Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken

XI. Die Pest in Windecken
Bader, Chirurgen, Ärzte; Apotheke

Unter den furchtbaren Seuchen früherer Zeit ist an erster Stelle die Pest zu nennen, von deren Wüten uns die Kirchenbücher viel erzählen. Im Gegensatz zu Influenza und Cholera, bei denen ein plötzliches schnelles Ansteigen der Erkrankungszahl zu verzeichnen ist, breitete sich die Pestepedemie nur langsam aus. Die Übertragung erfolgte besinders in der kühleren Jahreszeit aus verseuchten Häusern, wo sich die Leute in engen Quartieren unter vielfach ungünstigen sanitären Verhältnissen dicht zusammendrängten. Die Epidemien waren äußerst mörderisch; von den Erkrankten starben wohl zwei Drittel, so daß Dörfer und Städte verödeten und ganze Familien rasch erloschen.

Während 1582 und 1583 sich die Pest nur wenig bemerkbar gemacht hatte, starben 1584 im ganzen 70 Personen, davon im Oktober allein 30; in diesem Monat starben aus der Familie des Georg Dein 8 Personen, im November aus der des Velten Reidel 5. Im Jahre 1585 starben 50 Leute; im Herbst war die Sterblichkeit größer. In den nächsten Jahren machte die Krankheit sich weniger bemerkbar, um dann wieder anzusteigen. Über die Art der Verbreitung der Krankheit und Beerdigung der an der Pest Verstorbenen erfahren wir 1599/1600 folgendes: Am 12. 12. 1599 stirbt der Balbierers Valentin Vogel Tochter, am 28. 12. seine Frau. "Und weil ein starker Verdacht gewesen, als sollte sie an der Pestilenz gestorben sein, hat der Magistrat nicht gestatten wollen, daß sie am Tage mit gewöhnlichen Solemnitäten begraben würde; ist derowegen den 2. Tag hernach den Abend um 6 Uhr von ihm, Valentin Vogel selbst, zum Begräbnis ausgeführt und also bei nächtlicher Weile begraben worden." Anfang 1600 starben des Vogel Lehrjung und sein Sohn. Der Keller Paul Ludwig macht Ende April 1600 dem Vogel den Vorwurf der Leichtfertigkeit, Als des gewesenen Stadtschreibers Hausfrau gestorben, habe dieser dem Vogel die Kleider gegeben; dessen Tochter von 12 Jahren habe sich darüber entsetzt und sei gestorben; bald darauf habe seine Frau sich gelegt und sei auch gestorben. Pestfälle kommen in der Folgezeit mehr vereinzelt vor; 1607 war ein ausgesprochenes Pestjahr, in dem mehrenteils an der Pest 120 Personen starben, abgesehen von denen, die dem Pfarrer nicht bekannt wurden; vom 1. 9. bis 31. 12. allein 79 Personen, zum größten Teil Opfer der Pest. In den folgenden Jahren erlosch die Pest nicht ganz; ein großer Teil der 53 Todesfälle von 1625 kommt auf ihre Rechnung in den Monaten August bis Dezember. 1627 und 1630 tritt die Pest wieder stark auf; von den 123 Todesfällen des letzten Jahres entfällt der weitaus größte Teil auf die unheimliche Krankheit. Berücksichtigt man noch die ungenannte Zahl derer, die in den nächsten Jahren nach 1634 an der Pest starben, so kann man sich einen Begriff von dem furchtbaren Wüten jener Seuche und dem Dahinschwinden der Bevölkerung in jener Zeit machen. In welcher Weise einzelne Familien dahingerafft wurden, dafür nur folgendes: Im August 1607 sterben des Schnatzhansen Frau, sein Söhnlein, er selbst und seiner übrigen Kinder etliche; bald darauf der welsche Schnürmacher Samson, seine Frau und vier Kinder; Anfang September werden die Witwe und drei Kinder des Melchior Bender zugleich begraben, alle Opfer der Pest. Diese wurden in der Regel bei nächstlicher Weile beerdigt, vielfach von ihren nächsten Angehörigen. Manche Erkrankte brachte man in das Pestilenzhäuschen, wo sie bald starben.

Um die ärztliche Hilfe war es in jener Zeit schlecht bestellt; Bader und Barbiere halfen, soweit sie vermochten. 1594 wird zwar der Windecker Johannes Cleß als Magister und Arzt genannt, der aber bald verzog, Nach Hanau wurde erst 1606 ein Arzt berufen. Manchmal war man froh, wenn ein "medicus circumforaneus" auftauchte, ein Arzt der im Umherziehen sich anbot und dessen Hife man in Anspruch nehmen konnte. Selbst größere Operationen scheinen im Notfall von wenig dazu geschickten Händen ausgeführt zu sein. Im November 1601 wird ein Waldförster begraben, dem zuvor ein Ast im Wald den Schenkel entzweigeschlagen und jämmerlich zerschmettert hatte, also daß man ihm am dritten Tag hernach denselben gat hat abschneiden müssen, darauf er doch so bald unterm Schnitt verschnieden; war ein sehr schrecklich und erbärmlich Spectacul, wie es das Kirchenbuch meldet. 

Mit der ärztlichen Betreuung der Einwohnerschaft scheint es von der Mitte des 17. Jahrhunderts an besser geworden zu sein. Im Juni 1655 wird zum ersten Male genannt der Barbier Nicolaus Gebb (Göbb, Gepp) aus Alstorf in Lothringen (gest. 1695), der wohl seines Glaubens wegen aus der Gegend von Saargemünd, woder Name heute noch vorkommt, nach Windecken übersiedelte; er war zugleicht Wundarzt. In der fortlaufenden Ahnenreihe von Nicolaus Gebb bis zu dem Sohne Heinz des bekannten Frankfurter Augenarztes Prof. Dr. med. H. Gepp sind es 9 Generationen; darunter mit einer Unterbrechung achtmal Heilkundige; in der Familie überhaupt bis jetzt 15 Angehörige des Heilberufs, ein besonderes Beispiel der Berufsvererbung in einer Familie durch die Jahrhunderte.

Als Chirurgen treten uns seit Anfang des 18. Jahrhunderts entgegen Cornelius Authäus, geb. zu Frankfurt 1665, gestorben zu Windecken 16. 2. 1730; sein Sohn Mauritius Valerius Authäus, geb. zu Hölste (Waldeck) 5. 2. 1700,  gestorben zu Windecken 10. 7. 1758, hatte sich 1732 mit Johanna Elisabetha Hochstadt verheiratet. Weiter werden genannt Amtschirurg Johann Christian Schönbach, gestorben 2. 10. 1793 im Alter von 60 Jahren; Daniel Christian Friedrich Diestlieb, gestorben 14. 8. 1791 im Alter von 33 Jahren;  Amtschirurg Johann Ernst Wolf, gestorben 29. 8. 1826 im Alter von fast 40 Jahren. Erst von dieser Zeit am begegnen uns praktische Ärzte, Doktoren der Medizin, zu kurhessischen Zeiten beauftragt mit der Verrichtung eines Amtsphysikus. Nachdem die lutherische Kirche abgebrochen war, wurde auf einem Teil des zu ihr gehörigen Geländes die Apotheke errichtet, während der übrige Teil deselben zur Anlage der sog. Neugasse verwendet wurde.


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