Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Orte im Wandel
Aus der Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken
Einleitung
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort des Bürgermeisters
Geleitwort des Autors
Kapitel 1:
Von der Mitte des 9. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts
Kapitel 2:
Die Bedeutung de Verleihung der Stadtrechte
Kapitel 3:
Die Burg und Burgmannen
Kapitel 4:
Stadtverfassung und Verwaltung
Kapitel 5:
Kirchen und Kapellen
Kapitel 6:
Die Einführung der Reformation
Kapitel 7:
Die Schulen
Kapitel 8:
Alte Stiftungen
Kapitel 9:
Im 30jährigen Krieg
Kapitel 10:
Ein Beitrag zur Familienkunde
Kapitel 11:
Die Pest
Kapitel 12:
Wirtschaftliches
Kapitel 13:
1800 bis zur Gegenwart
Kapitel 14:
Das Wartbäumchen

 
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Die Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken

II. Die Bedeutung der Verleihung der Stadtgerechtigkeit

Bekanntlich führt man die deutschen Städtegründungen auf König Heinrich I. zurück, der zum Schutz gegen die das Land überflutenden und ausraubenden Horden der Ungarn Städte anlegte und jeden zehnten Mann in sie zu ziehen zwang. Hierbei darf man freilich nicht übersehen, daß es auch schon vor ihm, namentlich im Süden und Westen Deutschlands (genannt seien nur Augsburg, Mainz und Köln), Städte gab für die die einstigen Römerstädte den Rahmen hergegeben hatten. Freilich hatte sich in ihnen, soweit sie nicht untergegangen waren, die römische Munizipalverfassung nicht erhalten, sondern sie waren, der ländlichen Gemeinde- und Gerichtsverfassung der Deutschen unterwerfen, rechtlich nicht als einfache Dorfgemeinden, wenn sie auch im wirtschaftlichen und tatsächlichen Sinne immer Städte geblieben waren. So unterscheiden sich in der fränkischen Zeit die Städte von den Dörfern lediglich durch die Art ihrer Anlage und des Zusammenwohnens ihrer Bewohner, nicht aber durch eine verschiedene kommunale Verfassung. Die mittelalterlichen germanischen Ansiedelungen nach Städteart haben sich im Anschluß an königliche Pfalzen, bischöfliche Residenzen oder, besonders unter Heinrich I., dem sog. Städtegründer, an Burgen, d. h. befestigte Plätze, entwickelt. Planmäßige Städtegründungen, wobei die neuen Ansiedelungen mit besonderen städtischen Vorrrechten und selbstständigen Verfassungen nach dem Muster bereits bestehender "bewidmet" wurden, treffen wir erst seit dem 12. Jahrhunderrt, besonders in Norddeutschland, an (sog. Städte mit wilder Wurzel). Die Entwicklung einer Ansiedlung zur Stadt ging in der Regel nur allmählich vor sich. Während so das deutsche Städtewesen, das außer Zusammenhang mit der römischen Stadtverfasssung erwuchs, im 10. Jahrhundert seinen Anhang nimmt, finden wir bereitss im folgenden Jahrhundert eine Reihe deutscher Städte, deutscher Bürgerschaften; der Ausdruck "Bürger" (burgenses) kommt urkundlich vor, und städtische Privilegien werden erteilt. Von jetzt an bis zum Anfang des 13. Jarhunderts gewinnt das deutsche Städtewesen immer bestimmteres Formen; es bildet sich ein fester Begriff der Stadtverfassung aus. Man kann die Städte bestimmen als befestigte, des vollen Marktrechtes teilhaftige, zusammenhängende Ansiedlungen mit eigener Gerichtsbarkeit. Hierzu kam später noch das Moment der korporativen Selbstverwaltung.

Von Bedeutung ist zunächst die Marktgerechtigkeit. In der Stadt besteht ein Markt, wenn auch die Gemeinde nicht immer selbst Herrin des Marktes ist. Als Symbol der Marktgerechtigkeit wird ein Kreuz, das sog. Marktkreuz, dauernd aufgestellt, das in den zu Marktflecken sich  entwickelnden Dörfern nur während des Marktes selbst errichtet wurde. Mit dem Markt hängt weiter die Gerichtsbarkeit zusammen. Für etwa entstehende Streitigkeiten mußte die Möglichkeit sofortiger Erledigung gegeben sein. Es war deshalb für die Städte äußerst wichtig, eigene Gerichte zu haben. Für das Stadtgebiet war darum ein besonderer Stadtgerichtsbezirk vorhanden.

Die "Stadt" ist endlich in bezug auf die öffentlichen, die militärischen und finanziellen Leistungen und Pflichten vor dem platten Lande bevorzugt; sie genießt teilweise oder auch ganze Zollfreiheit an den Zollstätten des Landesherren, in dessen Territorium sie liegt; sie ist von der landesherrlichen "Bede" (der ältesten deutschen Steuer) befreit oder zahlt wenigstens (wie es meißstens der Fall ist) nur einen festen Satz. Es gibt Orte, die wohl einen Markt haben, aber nicht befestigt sind, und die eben darum nicht als Stadt angesehen werden. Es gibt Landesgemeinden, die Bedefreiheit genießen, jedoch immer Landgemeinden bleiben, weil sie nicht auch die anderen Eigenschaften erwerben. Erst die Vereinigung jener Kriterien schafft die Stadt. Die Wichtigkeit jener Momente für die Entstehung der deutschen Städte veranschaulichen uns einige technische Ausdrücke. Vor allem unser Wort "Bürger" ist nichts anderes als die Bezeichnung der Bewohner der befestigten Ortschaft, die in der älteren Zeit "Burg" genannt wurde. Der Zusammenhang zwischen Markt und Stadt findet ferner einen prägnanten Beleg in dem Wort "Marktrecht", das häufig im Sinn von Stadtrecht vorkommt. Wenn endlich in den Urkunden von der "städtischen Freiheit" die Rede ist, so wird dabei oft ganz speziell an die Bedefreiheit gedacht. Wie man sieht, sind es Vorrechte, die die Stadtgemeinde vor der Landgemeinde, den Bürger vor dem Landmann auszeichnen. Die Priveligierung ist überhaupt das Kennzeichen der mittelalterlichen Stadt (vgl. v. Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum).

Was veranlaßte nun einen Grund- oder Lehensherren, sich um die Erhebung einer Landgemeinde zur Stadt zu bemühen ? Aus dem Vorstehenden geht doch hervor, daß die Macht des Territorialherrn über eine nach ländlicher Verfassung lebende Gemeinde größer sein mußste als über eine mit Stadtrecht begabte, die ohnedies, einmal in den Besitz gewisser Vorrechte gelangt, das Bestreben zeigen mußte, ihre Privilegien zu erweitern und auf Vergrößerung ihrer Selbstständigkeit zu dringen. Wenn damals fast jeder Landesherr danach strebte, Städte in seinem Territorium zu hgaben, wenn er dafür sorgte, daß einzelne Gemeinden und Dörfer durch Privilegien Stadtrechte erhielten, so muß er doch seinen Vorteil darin gesucht und gefunden haben. Und in der Tat war es auch so. Die dem Landesherren zustehenden Zölle warfen größere Erträge ab, wenn fremde Kaufleute zu den Märkten seiner Städte zogen. Wenn auch auf den in erster Linie dem Austausch mit der umwohnenden Landbevölkerung dienenden Wochenmärkten eine Art Freihandel gestattet war, so war dieser doch nicht unbeschränkt, denn hier blieb immer der einheimische Produzent vor dem auswärtigen bevorzugt, und der allgemeine Wohlstand mußte dadurch gefördert werde. So bildeten sich wohlhabende Bürgerschaften, die in der Lage waren, den Landesherren in seinen Geldverlegenheiten zu unterstützen. So finden wir denn in jener Zeit bei fast allen Dynasten das Bestreben, entweder Städte von wilter Wurzel ins Leben zu rufen oder bereits bestehenden Kommunen das Stadtrecht zu verschaffen. Auch die kleinsten Herren wollten wenigstens ein Städtchen haben, und teilweise machte sich ein wahres Städtegründungsfieber geltend. So verschaffte Ulrich I. von Hanau 1288 dem Ort Wunnecken die Freiheiten Frankfurts und einen Wochenmarkt; 1303 wird Hanau zur Stadt erhoben, und 1368 gewährte König Karl IV. bei seiner Anwesenheit in Frankfurt dem Herrn Ulrich III. von Hanau für seine Dörfer Bruchköbel, Marköbel, Dorfelden und Schafheim die Rechte und Freiheiten von Windecken und Hanau und gestattete ihm, sie zu Städten zu machen und mit Mauern und Gräben, Türmen und Toren und auf jegliche andere ihm gut dünkende Weise zu befestigen. Von den Stadtrechten wurde hier jedoch kein Gebrauch gemacht, wenn auch Marköbel z.B. mit einer Mauer, Bruchköbel mit einem noch in der neueren Zeit vorhandenen nassen Graben umgeben wurde. So ist manche Stadtgründung mißglückt. Der Ort, der mit einer Befestigung und Marktgerechtigkeit ausgestattet wurde, ist trotzdem manchmal tatsächlich nichts als eine Landgemeinde geblieben: zur Ausgestaltung eines Dorfes oder einer Ansiedelung zur Stadt gehört eben mehr Als eine Urkunde und guter Wille.

Ohne Zweifel hat man sich bei den ersten germanischen Stadtgründungen an ein bereits vorhandenes Muster angeschlossen, und dies werden die aus den Römerstädten erwachsenen ältesten deutschen Städte gewesen sein; für die spätere Zeit haben wir für diese Gepflogenheit viele urkundliche Belege. Die der zu bewidmenden Ortschaft erteilte Stadtrechtsurkunde ist entweder nach der einer anderen Kommune gearbeitet oder sie spricht Sätze aus, die bereits in einer älteren Stadt in Geldung waren. Die ältesten Bestandteile der Städterechte waren die ursprünglich erteilten Privilegien. Die Fortbildung des Rechts erfolgte durch die Urteile und Weistümer (Rechtsbelehrungen) des Stadtgerichts und des für verschiedene Städte gleichen Rechts gemeinschaftlichen oberen Gerichtshofs (Oberhofs), die dann gesammelt und wie Gesetze bei späteren ähnlichen Fällen zugrunde gelegt wurden. Die so aus Privilegien, Statuten, Urteilen und Weistümern sich zusammensetzenden Stadtrechte kamen durch die Bewidmung anderer Städte vielfach zu einer außerordentlichen Verbreitung. So entstanden große, durch die Gmeinsamkeit des Stadtrechts verbundene Städtegruppen oder Städtefamilien. Indem also König Rudolf an Windecken die Freiheiten Frankfurts verlieh, wurde das letztere in bezug auf das Recht die Mutterstadt des ersteren.

Am 18. August 1351 erneuerte König Karl IV. auf Bitten Ulrichs von Hanau die Verleihung Frankfurterischen Rechts an die Städte Hanau, Babenhausen und Windecken und verlieh ihnen und ihren Bürgern, den Erben und allen ihren Nachkommen ewiglich aus besonderen königlichen Gnaden, daß sie fürbaß sitzen sollen und allen den Rechten, Freiheiten und guten Gewohnheiten, darin die Bürger von Frankfurt bisher gesessen haben und noch inne sitzen, und daß sie derselben in allen ihren Sachen genießen und gebrauchen, und bestätigte ihnen auch dieselben Rechte, Freiheit und gute Gewohnheit und gab ihnen diese von neuem. Niemand sollte sie darin hindern oder irren noch in irgendeiner Weise kränken.


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