II. Die Bedeutung der Verleihung der Stadtgerechtigkeit
Bekanntlich führt man die deutschen
Städtegründungen auf König Heinrich I. zurück, der
zum Schutz gegen die das Land überflutenden und ausraubenden Horden
der Ungarn Städte anlegte und jeden zehnten Mann in sie zu ziehen
zwang. Hierbei darf man freilich nicht übersehen, daß es auch
schon vor ihm, namentlich im Süden und Westen Deutschlands (genannt
seien nur Augsburg, Mainz und Köln), Städte gab für die
die einstigen Römerstädte den Rahmen hergegeben hatten. Freilich
hatte sich in ihnen, soweit sie nicht untergegangen waren, die römische
Munizipalverfassung nicht erhalten, sondern sie waren, der ländlichen
Gemeinde- und Gerichtsverfassung der Deutschen unterwerfen, rechtlich nicht
als einfache Dorfgemeinden, wenn sie auch im wirtschaftlichen und tatsächlichen
Sinne immer Städte geblieben waren. So unterscheiden sich in der fränkischen
Zeit die Städte von den Dörfern lediglich durch die Art ihrer
Anlage und des Zusammenwohnens ihrer Bewohner, nicht aber durch eine verschiedene
kommunale Verfassung. Die mittelalterlichen germanischen Ansiedelungen
nach Städteart haben sich im Anschluß an königliche Pfalzen,
bischöfliche Residenzen oder, besonders unter Heinrich I., dem sog.
Städtegründer, an Burgen, d. h. befestigte Plätze, entwickelt.
Planmäßige Städtegründungen, wobei die neuen Ansiedelungen
mit besonderen städtischen Vorrrechten und selbstständigen Verfassungen
nach dem Muster bereits bestehender "bewidmet" wurden, treffen wir erst
seit dem 12. Jahrhunderrt, besonders in Norddeutschland, an (sog. Städte
mit wilder Wurzel). Die Entwicklung einer Ansiedlung zur Stadt ging in
der Regel nur allmählich vor sich. Während so das deutsche Städtewesen,
das außer Zusammenhang mit der römischen Stadtverfasssung erwuchs,
im 10. Jahrhundert seinen Anhang nimmt, finden wir bereitss im folgenden
Jahrhundert eine Reihe deutscher Städte, deutscher Bürgerschaften;
der Ausdruck "Bürger" (burgenses) kommt urkundlich vor, und städtische
Privilegien werden erteilt. Von jetzt an bis zum Anfang des 13. Jarhunderts
gewinnt das deutsche Städtewesen immer bestimmteres Formen; es bildet
sich ein fester Begriff der Stadtverfassung aus. Man kann die Städte
bestimmen als befestigte, des vollen Marktrechtes teilhaftige, zusammenhängende
Ansiedlungen mit eigener Gerichtsbarkeit. Hierzu kam später noch das
Moment der korporativen Selbstverwaltung.
Von Bedeutung ist zunächst die Marktgerechtigkeit.
In der Stadt besteht ein Markt, wenn auch die Gemeinde nicht immer selbst
Herrin des Marktes ist. Als Symbol der Marktgerechtigkeit wird ein Kreuz,
das sog. Marktkreuz, dauernd aufgestellt, das in den zu Marktflecken sich
entwickelnden Dörfern nur während des Marktes selbst errichtet
wurde. Mit dem Markt hängt weiter die Gerichtsbarkeit zusammen. Für
etwa entstehende Streitigkeiten mußte die Möglichkeit sofortiger
Erledigung gegeben sein. Es war deshalb für die Städte äußerst
wichtig, eigene Gerichte zu haben. Für das Stadtgebiet war darum ein
besonderer Stadtgerichtsbezirk vorhanden.
Die "Stadt" ist endlich in bezug auf die öffentlichen,
die militärischen und finanziellen Leistungen und Pflichten vor dem
platten Lande bevorzugt; sie genießt teilweise oder auch ganze Zollfreiheit
an den Zollstätten des Landesherren, in dessen Territorium sie liegt;
sie ist von der landesherrlichen "Bede" (der ältesten deutschen Steuer)
befreit oder zahlt wenigstens (wie es meißstens der Fall ist) nur
einen festen Satz. Es gibt Orte, die wohl einen Markt haben, aber nicht
befestigt sind, und die eben darum nicht als Stadt angesehen werden. Es
gibt Landesgemeinden, die Bedefreiheit genießen, jedoch immer Landgemeinden
bleiben, weil sie nicht auch die anderen Eigenschaften erwerben. Erst die
Vereinigung jener Kriterien schafft die Stadt. Die Wichtigkeit jener Momente
für die Entstehung der deutschen Städte veranschaulichen uns
einige technische Ausdrücke. Vor allem unser Wort "Bürger" ist
nichts anderes als die Bezeichnung der Bewohner der befestigten Ortschaft,
die in der älteren Zeit "Burg" genannt wurde. Der Zusammenhang zwischen
Markt und Stadt findet ferner einen prägnanten Beleg in dem Wort "Marktrecht",
das häufig im Sinn von Stadtrecht vorkommt. Wenn endlich in den Urkunden
von der "städtischen Freiheit" die Rede ist, so wird dabei oft ganz
speziell an die Bedefreiheit gedacht. Wie man sieht, sind es Vorrechte,
die die Stadtgemeinde vor der Landgemeinde, den Bürger vor dem Landmann
auszeichnen. Die Priveligierung ist überhaupt das Kennzeichen der
mittelalterlichen Stadt (vgl. v. Below, Das ältere deutsche Städtewesen
und Bürgertum).
Was veranlaßte nun einen Grund- oder Lehensherren,
sich um die Erhebung einer Landgemeinde zur Stadt zu bemühen ? Aus
dem Vorstehenden geht doch hervor, daß die Macht des Territorialherrn
über eine nach ländlicher Verfassung lebende Gemeinde größer
sein mußste als über eine mit Stadtrecht begabte, die ohnedies,
einmal in den Besitz gewisser Vorrechte gelangt, das Bestreben zeigen mußte,
ihre Privilegien zu erweitern und auf Vergrößerung ihrer Selbstständigkeit
zu dringen. Wenn damals fast jeder Landesherr danach strebte, Städte
in seinem Territorium zu hgaben, wenn er dafür sorgte, daß einzelne
Gemeinden und Dörfer durch Privilegien Stadtrechte erhielten, so muß
er doch seinen Vorteil darin gesucht und gefunden haben. Und in der Tat
war es auch so. Die dem Landesherren zustehenden Zölle warfen größere
Erträge ab, wenn fremde Kaufleute zu den Märkten seiner Städte
zogen. Wenn auch auf den in erster Linie dem Austausch mit der umwohnenden
Landbevölkerung dienenden Wochenmärkten eine Art Freihandel gestattet
war, so war dieser doch nicht unbeschränkt, denn hier blieb immer
der einheimische Produzent vor dem auswärtigen bevorzugt, und der
allgemeine Wohlstand mußte dadurch gefördert werde. So bildeten
sich wohlhabende Bürgerschaften, die in der Lage waren, den Landesherren
in seinen Geldverlegenheiten zu unterstützen. So finden wir denn in
jener Zeit bei fast allen Dynasten das Bestreben, entweder Städte
von wilter Wurzel ins Leben zu rufen oder bereits bestehenden Kommunen
das Stadtrecht zu verschaffen. Auch die kleinsten Herren wollten wenigstens
ein Städtchen haben, und teilweise machte sich ein wahres Städtegründungsfieber
geltend. So verschaffte Ulrich I. von Hanau 1288 dem Ort Wunnecken die
Freiheiten Frankfurts und einen Wochenmarkt; 1303 wird Hanau zur Stadt
erhoben, und 1368 gewährte König Karl IV. bei seiner Anwesenheit
in Frankfurt dem Herrn Ulrich III. von Hanau für seine Dörfer
Bruchköbel, Marköbel, Dorfelden und Schafheim die Rechte und
Freiheiten von Windecken und Hanau und gestattete ihm, sie zu Städten
zu machen und mit Mauern und Gräben, Türmen und Toren und auf
jegliche andere ihm gut dünkende Weise zu befestigen. Von den Stadtrechten
wurde hier jedoch kein Gebrauch gemacht, wenn auch Marköbel z.B. mit
einer Mauer, Bruchköbel mit einem noch in der neueren Zeit vorhandenen
nassen Graben umgeben wurde. So ist manche Stadtgründung mißglückt.
Der Ort, der mit einer Befestigung und Marktgerechtigkeit ausgestattet
wurde, ist trotzdem manchmal tatsächlich nichts als eine Landgemeinde
geblieben: zur Ausgestaltung eines Dorfes oder einer Ansiedelung zur Stadt
gehört eben mehr Als eine Urkunde und guter Wille.
Ohne Zweifel hat man sich bei den ersten germanischen
Stadtgründungen an ein bereits vorhandenes Muster angeschlossen, und
dies werden die aus den Römerstädten erwachsenen ältesten
deutschen Städte gewesen sein; für die spätere Zeit haben
wir für diese Gepflogenheit viele urkundliche Belege. Die der zu bewidmenden
Ortschaft erteilte Stadtrechtsurkunde ist entweder nach der einer anderen
Kommune gearbeitet oder sie spricht Sätze aus, die bereits in einer
älteren Stadt in Geldung waren. Die ältesten Bestandteile der
Städterechte waren die ursprünglich erteilten Privilegien. Die
Fortbildung des Rechts erfolgte durch die Urteile und Weistümer (Rechtsbelehrungen)
des Stadtgerichts und des für verschiedene Städte gleichen Rechts
gemeinschaftlichen oberen Gerichtshofs (Oberhofs), die dann gesammelt und
wie Gesetze bei späteren ähnlichen Fällen zugrunde gelegt
wurden. Die so aus Privilegien, Statuten, Urteilen und Weistümern
sich zusammensetzenden Stadtrechte kamen durch die Bewidmung anderer Städte
vielfach zu einer außerordentlichen Verbreitung. So entstanden große,
durch die Gmeinsamkeit des Stadtrechts verbundene Städtegruppen oder
Städtefamilien. Indem also König Rudolf an Windecken die Freiheiten
Frankfurts verlieh, wurde das letztere in bezug auf das Recht die Mutterstadt
des ersteren.
Am 18. August 1351 erneuerte König Karl IV. auf Bitten
Ulrichs von Hanau die Verleihung Frankfurterischen Rechts an die Städte
Hanau, Babenhausen und Windecken und verlieh ihnen und ihren Bürgern,
den Erben und allen ihren Nachkommen ewiglich aus besonderen königlichen
Gnaden, daß sie fürbaß sitzen sollen und allen den Rechten,
Freiheiten und guten Gewohnheiten, darin die Bürger von Frankfurt
bisher gesessen haben und noch inne sitzen, und daß sie derselben
in allen ihren Sachen genießen und gebrauchen, und bestätigte
ihnen auch dieselben Rechte, Freiheit und gute Gewohnheit und gab ihnen
diese von neuem. Niemand sollte sie darin hindern oder irren noch in irgendeiner
Weise kränken. |