VIII. Alte Stiftungen
zu Windecken (Präsenz; Almosenkasse; Hospital)
a) Die Präsenz zu Windecken
Im Kreis Hanau bestehen noch zwei im
Mittelalter entstandene Präsenzkassen, die zu Hanau und Windecken.
Diese, schlechthin "Präsenzen" genannt, sind nach Ausweis der noch
zum Teil erhaltenen Urkunden vor der Reformation aus einzelnen Stiftungen
und Vermächtnissen entstanden, werden unter Aufsicht des Landeskirchenamtes
zu Kassel von besonderen, von diesem ernannten Rechnungsführern, den
Präsenzverwaltern, oder einfach nur Präsenzer genannt, verwaltet
und haben die Rechte einer juristischen Person sowie den Character als
milde Stiftungen.
Wie diese Kassen zu dem Namen "Präsenz" kommen, erhellt
aus Folgendem: Jeder Inhaber einer geistlichen Stelle ist verpflichtet,
sie persönlich zu verwalten, soweit nicht etwa eine Stellvertretung
oder Abwesenheit des Geistlichen gesetzlich zugelassen wird. Man nennt
dies die Residenzpflicht. Die persönliche Anwesenheit oder "Präsenz"
wurde namentlich von allen denen gefordert, denen die Pflicht oblag, an
den gemeinsamen kanonischen Stunden im Chor der Kirche, Seelenmessen und
dergleichen teilzunehmen. Nach der Vorschrift des Konzils von Vienne 1311
ist dies der Fall hauptsächlich in den Kathedral-, Regular- und Kollegiatskirchen.
Diejenigen, die dieser Verordnung nicht nachlebten, sollten, abgesehen
von anderen Strafen, die "Präsenzien" und Konsolationen verlieren.
Präsenzien oder Präsenzgelder sind demnach solche Bezüge,
die durch die persönliche Gegenwart verdient und täglich, wöchentlich
oder sonst an einem festbestimmten Tage an die anwesenden Kleriker verteilt
wurden. Sie werden deshalb im Unterschied von der Präbende, der Pfründe
einer geistlichen Stelle definiert als "distributiones cotidianae, quae
illis solis dantur, qui personaliter et praesentialiter intersunt" - d.
h. "tägliche Verteilungen (oder Verteilungen an bestimmten Tagen),
die denen allein gereicht werden, die persönlich und gegenwärtig
zugegen (nämlich bei Seelenmessen u. ä.) sind". Dementsprechend
führen auch die ältesten erhaltenen Windecker Präsenzrechnungen
von 1519ff. den Titel "Registrum distributionis communis presentie parrochialis
eclesie opidi Winnecken", d. h. "Register der Verteilung der gemeinen Präsenz
der Pfarrkirche der Stadt Windecken". Von der Erfüllung der Residenzpflicht,
namntlich der Teilnahme an dem regelmäßigen Gottesdienst zu
bestimmten Zeiten, den Seelenmessen u. dgl., hing somit fürden einzelnen
Kleriker das Recht auf Bezug der Distributionen oder Präsenzgelder
ab.
Es ist selbstverständlich, daß nicht alle Stiftungsurkunden
mehr vorhanden sind. 1469 wird erwähnt, daß alte Urkunden verbrannt
seien. Im Jahre 1668 wurde in der Präsenzkirche zu Windecken elf Urkunden
aufgefunden, und zwar aus folgenden Jahren: 1358; 1390; 1413; 1425; 1459;
1469; 1489 (zwei); 1490; 1500 und 1517; diese wurden an das reformierte
Konsistorium zu Hanau eingeliefert und geben mit anderen noch erhaltenen
einen Anhalt für die Bestimmung des Alters der Windecker Präsenz,
das mit mindestens 500 Jahren angenommen werden darf.
Es kann keinen Zweifel unterliegen, daß die Verwaltung
der in der Präsenz zusammengeflossenen und zusammengeschlossenen Einzelstiftungen
von Haus aus und rechtlich der Gesamtheit der Geistlichen an der Windecker
Kirche zustand; hieran ändert auch nichts das landesherrliche Aufsichtsrecht,
das hier nicht größer war als den anderen Kirchen der Herrschaft
Hanau gegenüber. Am 5. September 1539 wird gesagt: "Man soll gen Wynnecken
schicken, daselbst visitieren, wie die Priesterschaft Haus hält und
Präsenz-Rechnung hören, auch einsehen, daß Briefe über
die Corpora der Altarien besinders verwahrlich gehalten und gemeinen Schlüssel
dazu verordnen." Bei der Kirchenvisitation von 1562 wird die Präsenz
gar nicht erwähnt, und nur in der von 1577 wird unter dem Titel: "Vom
Einkommen der Kirche" gesagt: "Haben sie ihren eigenen Präsenzmeister,
davon sie (die Pfarrer) ihre Unterhaltung bekommen." Daß die Windecker
Pfarrer an der Verwaltung der Präsenz teilnahmen, geht z. B. auch
aus dem Protokoll über die Abhörung der Präsenzrechnung
von 1591 hervor, das am 11. Januar 1593 vom Stadtschultheißen und
den beiden Windecker Pfarrern Johannes Rab, Vater und Sohn, unterzeichnet
ist. Auch bei einem Grundstücksverkauf der Präsenz wirken die
beiden Pfarrer 1593 mit. Einen Kirchenvorstand gab es damals noch nicht.
Nach seiner Einrichtung nahm er mindestens einen Mitwirkungsrecht für
sich in Anspruch, wie es z. B. aus verschiedenen Einträgen im Presbyterialprotokoll
von 1640 und 1643 hervorgeht, und 1641 klagt das Presbyterium, daß
seine Autorität so ar eng eingezogen werde gegen das alte Herkommen
und die Praxis der Kirche. Gegenüber dem heutigen Zustand ist zu bemerken,
daß eine eigene selbstständige Präsenzverwaltung zu Windecken
bestanden haben muß und bestanden hat, lange ehe ein Konsistorium
in Hanau eingerichtet wurde, und daß man auch in Hanau 1563 den Vertretern
der Kirche der Präsenz gegenüber ein bestimmtes Recht wieder
einräumte; das, was die Windecker Protokolle von 1593 und später
sagen, erscheint da als als selbstverständlich.
Die Einkünfte der Präsenz bestanden in Zehnten,
Pachtgeldern, Erlös von verkauften Früchten und Interessen von
Kapitalien. Der früher große Grundbesitz der Präsenz erfuhr
durch Verkauf und Ablösung der Erbleihen starke Verminderung; jetzt
besitzt sie noch Land in Windecken, Bruchköbel, Mittelbuchen (das
sog. Rückinger Lehen) und Ostheim. Ihr Kapitalbestand hat, wie der
aller derartiger Stiftungen, durch die Inflation der Nachkriegszeit außerordentlich
gelitten.
Im § 9 des Hanauer Hauptrezesses von 1670 war die
Präsenz als eine den Reformierten allein zustehende Stiftung mit allen
Gerechtsamen und Befugnissen anerkannt.
Als rechtlich begründete Leistungen der Präsenz
sind zu nennen Besoldungszahlungen an bestimmte Stellen sowie die Unterhaltung
der Pfarrhäuser zu Windecken I, Ostheim und Eichen.
b) Die Almosenkasse zu Windecken
Über den Zeitpunkt, wann die Windecker Almosenkasse
ihren Anfang genommen, kann nichts Bestimmtes gesagt werden. In dem Protokoll
der Kirchenvisitation von 1562 wird sie nicht erwähnt, dagegen wird
bei der von 1577 unter dem Titel: Von Einkommen der Kirche gesagt: "Almosen
haben sie einen Stock, darin die täglichen Gottespfennige gefallen,
werden unter die Hausarmen ausgeteilt." Das Almosengeben für die Armen
war nach reformatorischer Anschauung gottesdienstliche Pflicht (vgl. Erklärung
des Heidelberger Katechismus zum 4. Gebot, Frage 103: Gott will, daß
ich zu der Gemeinde Gottes fleißig komme,... den Herrn öffentlich
anzurufen und das christliche Almosen zu geben). Man sah es als selbstverständliche
Aufgabe der Kirchengemeinde an, die Armen durch Almosen zu unterstützen.
In einem Schreiben der Präfektur (Amt) Rodheim vom Juni 1747 wird
gesagt: "Selbst die noch aller Orten üblichen Klingelbeutelarmengelder
haben diesen Oblationibus (Opfern) ihre Einführung zu danken, ut monstrat
Wildvogel, de oblationibus quae finut in Ecclesia per sacculum sonatem
Cap. I § 11; Cap. II § 1" (wie Wildvogel über die Kirchenopfer
nachweist, die in der Kirche durch den Kligenbeutel geschehen). Der Metropolitan
Ullrich zu Windecken schreibt 1886 an die Regierung zu Kassel, daß
nach der in der Gemeinde noch vorhandenen Tradition die Almosen aus Pfennigen
der Parochianen gesammelt worden seien. Die Richtigkeit dieser Überlieferung
wird zudem bewiesen durch laufende Einträge in den älteren Presbyterialprotokollen.
Der kirchliche Ursprung der Almosenkasse kann nicht wohl angefochten werden.
Auch aus der Präsenz wurde in der älteren Zeit
nach Ausweis z. B. der Rechnungen von 1569, 1570, 1572, 1573, 1576, 1598
Beiträge "in die Almus geben"; man verwandte damals auch Einkünfte
"vacierender Beneficien", d. i. erledigter geistlicher Pfründen, z.
B, des Altars St. Trinitatis, für Zwecke der Almosen.
Als das "Umtragen des Gottesseckels" einmal eingestellt
war, beschloss das Presbyterium am 5. März 1643, es solle künftig
der Almosenseckel dem Schulmeister allhier wie vor Alters bräuchlich,
umjzutragen wiederum anbefohlen sein. Als das Konsistorium 1661 wollte,
daß solche Almosengelder künftig zum Aufbau eines neues Pfarrhauses
sollten mitverwendet werden, wehrte sich das Presbyterium dagegen, weil
es wieder ihre privilegierte Stadtgerechtigkeit laufe. Die Almosen sollen
den Armen verbleiben.
Über die Verwaltung der Almosenkasse erfahren wir
mancherlei aus den Protokollen des Presbyteriums von 1638 an. 1641 wird
der gewesene Almosenrechner erinnert, im künftigen Presbyterium seine
Rechnung gebührend einzuliefern; der neue Almosenpfleger soll die
Legate von 1634 bis 1639 wie auch die künftigen einfordern; die Hauptalmosenrechnung
soll im künftigen Presbyterium gestellt werden. Stiftungen an die
Almosenk)asse zu machen war damals üblich; so vermachte z. B. Hans
Görg Bender, ein Schneider zu Frankfurt, 1641 alles, was er von seinem
Altvater dahier geerbt und nach Abstrattung der Schulden übrig bleiben
möchte, dem Windecker Almosen freiwillig; nach Beschluß sollte
solches vom Prebyterio ins künftig den Almosen zum besten in Acht
genommen werden. Rechnungsführer und Almosenpfleger wurden von dem
Kirchenvorstand bestellt.
Im Hanauer Hauptrezeß von 1670 war die Almosenkasse
wie auch das Spital als eine Stiftung für Angehörige der Reformierten
Konfession anerkannt.
Im Übrigen ist zu vergleichen, was am Schluß
der Abhandlung über das Hospital zu Windecken ausgeführt ist.
c) Das Hospital zu Windecken
Das Hospital zu Windecken kann auf ein Alter von mindestens
500 Jahren zurückblicken. Daß es kirchlichen Ursprungs ist,
kann nicht bezweifelt werden. Auch die Regierung zu Kassel redet in ihrer
Verfügung vom 23. November 1886 (J.U. I. Nr. 11685) von dem ursprünglichen
kirchlichen Character des Hospitals und stellt fest, daß die Vorstandsmitglieder,
solange das Konsistorium die Aufsicht über das Hospital zu führen
hatte, von dieser Behörde ernannt wurden. Vielleicht ist es auf Anregung
und mit Hilfe der Herrschaft Hanau eingerichtet worden, die auch sonst
ihm ihr Interesse zuwandte. So vermachte z. B. Graf Philipp von Hanau in
seinem Testament vom 4. Mai 1500 dem Spital 40 Gulden, umd am 17. September
1649 bedanken sich Bürgermeister und Spitalmeister dafür, daß
Catharina Belgia, die Witwe des 1612 verstorbenen Grafen Philipp Ludwig
II., dem Spital 300 Gulden geschenkt habe.
Während sonst der Stadt nach einer Urkunde des Grafen
Reinhard von Hnau von 1445 das Recht zustand, von jedem Achtel Korn oder
Weizen, das in Windecken gemahlen, gebacken oder gekauft wurde, neun alte
Heller als Ungeld zu erheben, bestimmte Graf Phillip von Hanau in einer
Urkunde von 1453: "Auch wollen Wir, daß Unser Spital zu Wonnecken
von den Früchten, die ihme im Jahr gefallen und werden, was man der
(=davon) zu backen oder zu dem Vieh darinnen bedarf, solches vorgemelten
Ungelds fryhe syn sal" (=frei sein soll). Gebäude füe die Insassen
des Hopitals und das darinnen gehaltene Vieh müssen danach damals
schon vorhanden gewesen sein, und zwar befanden sie sich auf früher
größerem Raum an derselben Stelle wie später und bis in
die Neuzeit. Die Spitalgasse hat nach ihm ihren Namen.
Bei der Kirchenvisitation von 1562 wird gesagt: "Im hospital
werden recht armen erhalten, und ist die ufsehung durch erbare menner bestelt";
bei der Kirchenvisitation von 1577 wird im Zusammenhang mit den anderen
kirchlichen Einrichtungen vermerkt: "Spital, soll ein Aufsehens derhalben
gehalten werden, damit derselb ehrlich und wohl gehalten werde."
Damals sagte man "der" Spital und nicht "das" Spital. Nach der Einrichtung
des Presbyteriums wurden aus diesen die Aufsichtspersonen über das
Spital gewählt anstatt der "ehrbaren" Männer, die früher
von den Parochianen dazu bestellt waren.
Aus den Protokollen des Presbyteriums von 1638 an erfahren
wir manches über die Verwaltung des Spitals. Dieses stand unter der
Obhut eines Spitalmeisters, der für seine Bemühungen 4 Malter
Korn und etwas an Geld erhielt. Als 1644 die Frage erörtert wurde,
ob er von dem Magistratu politico (Vorstand der politischen Gemeinde) oder
von dem Presbyterium allein anzunehmen sein, erklärte Niclas Geyer,
er wisse doch, daß zwei Hofspitalmeister, sein Vater und Johann Textor,
von dem Presbyterium angenommen worden seien. 1657 wurde von Hanau dem
Pfarrer Hermann die Inspektion und Aufsicht auf das Spital aufgetragen
und befohlen, zwei deputierte Personen, wie im Hanauer Spital bräuchlich,
im Presbyterium zu erwählen und sie dem Hospitalmeister "um mehrerer
und besserer Aufsicht und Nutzens wegen" beizufügen.
Von der Tätigkeit des Presbyteriums für das
Spital erfahren wir, um nur kurz dies anzuführen, daß es 1638
eine Geldspende der verwitweten Gräfin Catharina Belgia entgegennimmt,
daß es infolge einer Besichtigung und "in Anhebung augenscheinlichen
Ruins" dem Hospitalmeister befiehlt, die Hospitalbäue wieder in gesunde
Dachung zu bringen, die in Grund verwüstet waren; daß es Leute
in dasselbe aufnimmt; und weil, wie 1641 bemerkt wird, es dafür sorgt,
daß die Hypothekenbriefe wieder erneuert werden; vor allem, daß
es die jährliche Rechnung abnahm und guthieß.
Das jetzt so genannte Spital ist ein Bau an Stelle des
alten, der an die Stadt für1800 Mark verkauft wurde und nun als Armenwohnung
dient; aus der angelegten Summe sollte mit Zinsen ein Kapital erwachsen,
das zu einem Neubau ausreiche. Die Inflation der Nachkriegszeit hat diese
Absicht zu verwirklichen für lange unmöglich gemacht.
Das hessischer Organisationsedikt vom 29. Juni 1821 wollte
und konnte den Zweck und die herkömmliche Bestummung der Almosenkasse
und des Hospitals nicht ändern, sondern traf nur neue Anordnungen
über ihre Aufsicht und Verwaltung.
Für beide nun unter der Verwaltung der sog. Hospital-
und Almosenkommission stehende Stiftungen besteht ein neues Statut vom
12. Märt 1888; danach sind diese dazu bestimmt, "bedürftigen
einheimischen Personen evangelisher Confession, welche das 18. Lebensjahr
überschritten haben und nicht in einem offenbar unsittlichen Lebenswandel
ergeben sind, sich auch im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden,
Geldunterstützungen in Form von Praebenden zu gewähren". In dem
Statut der Almosenkasse fehlt die Beschränkung auf das 18. Lebensjahr. |