Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Orte im Wandel
Aus der Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken
Einleitung
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort des Bürgermeisters
Geleitwort des Autors
Kapitel 1:
Von der Mitte des 9. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts
Kapitel 2:
Die Bedeutung de Verleihung der Stadtrechte
Kapitel 3:
Die Burg und Burgmannen
Kapitel 4:
Stadtverfassung und Verwaltung
Kapitel 5:
Kirchen und Kapellen
Kapitel 6:
Die Einführung der Reformation
Kapitel 7:
Die Schulen
Kapitel 8:
Alte Stiftungen
Kapitel 9:
Im 30jährigen Krieg
Kapitel 10:
Ein Beitrag zur Familienkunde
Kapitel 11:
Die Pest
Kapitel 12:
Wirtschaftliches
Kapitel 13:
1800 bis zur Gegenwart
Kapitel 14:
Das Wartbäumchen

 
Home
Die Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken

VIII. Alte Stiftungen
zu Windecken (Präsenz; Almosenkasse; Hospital)

a) Die Präsenz zu Windecken

Im Kreis Hanau bestehen noch zwei im Mittelalter entstandene Präsenzkassen, die zu Hanau und Windecken. Diese, schlechthin "Präsenzen" genannt, sind nach Ausweis der noch zum Teil erhaltenen Urkunden vor der Reformation aus einzelnen Stiftungen und Vermächtnissen entstanden, werden unter Aufsicht des Landeskirchenamtes zu Kassel von besonderen, von diesem ernannten Rechnungsführern, den Präsenzverwaltern, oder einfach nur Präsenzer genannt, verwaltet und haben die Rechte einer juristischen Person sowie den Character als milde Stiftungen.

Wie diese Kassen zu dem Namen "Präsenz" kommen, erhellt aus Folgendem: Jeder Inhaber einer geistlichen Stelle ist verpflichtet, sie persönlich zu verwalten, soweit nicht etwa eine Stellvertretung oder Abwesenheit des Geistlichen gesetzlich zugelassen wird. Man nennt dies die Residenzpflicht. Die persönliche Anwesenheit oder "Präsenz" wurde namentlich von allen denen gefordert, denen die Pflicht oblag, an den gemeinsamen kanonischen Stunden im Chor der Kirche, Seelenmessen und dergleichen teilzunehmen. Nach der Vorschrift des Konzils von Vienne 1311 ist dies der Fall hauptsächlich in den Kathedral-, Regular- und Kollegiatskirchen. Diejenigen, die dieser Verordnung nicht nachlebten, sollten, abgesehen von anderen Strafen, die "Präsenzien" und Konsolationen verlieren. Präsenzien oder Präsenzgelder sind demnach solche Bezüge, die durch die persönliche Gegenwart verdient und täglich, wöchentlich oder sonst an einem festbestimmten Tage an die anwesenden Kleriker verteilt wurden. Sie werden deshalb im Unterschied von der Präbende, der Pfründe einer geistlichen Stelle definiert als "distributiones cotidianae, quae illis solis dantur, qui personaliter et praesentialiter intersunt" - d. h. "tägliche Verteilungen (oder Verteilungen an bestimmten Tagen), die denen allein gereicht werden, die persönlich und gegenwärtig zugegen (nämlich bei Seelenmessen u. ä.) sind". Dementsprechend führen auch die ältesten erhaltenen Windecker Präsenzrechnungen von 1519ff. den Titel "Registrum distributionis communis presentie parrochialis eclesie opidi Winnecken", d. h. "Register der Verteilung der gemeinen Präsenz der Pfarrkirche der Stadt Windecken". Von der Erfüllung der Residenzpflicht, namntlich der Teilnahme an dem regelmäßigen Gottesdienst zu bestimmten Zeiten, den Seelenmessen u. dgl., hing somit fürden einzelnen Kleriker das Recht auf Bezug der Distributionen oder Präsenzgelder ab.

Es ist selbstverständlich, daß nicht alle Stiftungsurkunden mehr vorhanden sind. 1469 wird erwähnt, daß alte Urkunden verbrannt seien. Im Jahre 1668 wurde in der Präsenzkirche zu Windecken elf Urkunden aufgefunden, und zwar aus folgenden Jahren: 1358; 1390; 1413; 1425; 1459; 1469; 1489 (zwei); 1490; 1500 und 1517; diese wurden an das reformierte Konsistorium zu Hanau eingeliefert und geben mit anderen noch erhaltenen einen Anhalt für die  Bestimmung des Alters der Windecker Präsenz, das mit mindestens 500 Jahren angenommen werden darf.

Es kann keinen Zweifel unterliegen, daß die Verwaltung der in der Präsenz zusammengeflossenen und zusammengeschlossenen Einzelstiftungen von Haus aus und rechtlich der Gesamtheit der Geistlichen an der Windecker Kirche zustand; hieran ändert auch nichts das landesherrliche Aufsichtsrecht, das hier nicht größer war als den anderen Kirchen der Herrschaft Hanau gegenüber. Am 5. September 1539 wird gesagt: "Man soll gen Wynnecken schicken, daselbst visitieren, wie die Priesterschaft Haus hält und Präsenz-Rechnung hören, auch einsehen, daß Briefe über die Corpora der Altarien besinders verwahrlich gehalten und gemeinen Schlüssel dazu verordnen." Bei der Kirchenvisitation von 1562 wird die Präsenz gar nicht erwähnt, und nur in der von 1577 wird unter dem Titel: "Vom Einkommen der Kirche" gesagt: "Haben sie ihren eigenen Präsenzmeister, davon sie (die Pfarrer) ihre Unterhaltung bekommen." Daß die Windecker Pfarrer an der Verwaltung der Präsenz teilnahmen, geht z. B. auch aus dem Protokoll über die Abhörung der Präsenzrechnung von 1591 hervor, das am 11. Januar 1593 vom Stadtschultheißen und den beiden Windecker Pfarrern Johannes Rab, Vater und Sohn, unterzeichnet ist. Auch bei einem Grundstücksverkauf der Präsenz wirken die beiden Pfarrer 1593 mit. Einen Kirchenvorstand gab es damals noch nicht. Nach seiner Einrichtung nahm er mindestens einen Mitwirkungsrecht für sich in Anspruch, wie es z. B. aus verschiedenen Einträgen im Presbyterialprotokoll von 1640 und 1643 hervorgeht, und 1641 klagt das Presbyterium, daß seine Autorität so ar eng eingezogen werde gegen das alte Herkommen und die Praxis der Kirche. Gegenüber dem heutigen Zustand ist zu bemerken, daß eine eigene selbstständige Präsenzverwaltung zu Windecken bestanden haben muß und bestanden hat, lange ehe ein Konsistorium in Hanau eingerichtet wurde, und daß man auch in Hanau 1563 den Vertretern der Kirche der Präsenz gegenüber ein bestimmtes Recht wieder einräumte; das, was die Windecker Protokolle von 1593 und später sagen, erscheint da als als selbstverständlich.

Die Einkünfte der Präsenz bestanden in Zehnten, Pachtgeldern, Erlös von verkauften Früchten und Interessen von Kapitalien. Der früher große Grundbesitz der Präsenz erfuhr durch Verkauf und Ablösung der Erbleihen starke Verminderung; jetzt besitzt sie noch Land in Windecken, Bruchköbel, Mittelbuchen (das sog. Rückinger Lehen) und Ostheim. Ihr Kapitalbestand hat, wie der aller derartiger Stiftungen, durch die Inflation der Nachkriegszeit außerordentlich gelitten.

Im § 9 des Hanauer Hauptrezesses von 1670 war die Präsenz als eine den Reformierten allein zustehende Stiftung mit allen Gerechtsamen und Befugnissen anerkannt.

Als rechtlich begründete Leistungen der Präsenz sind zu nennen Besoldungszahlungen an bestimmte Stellen sowie die Unterhaltung der Pfarrhäuser zu Windecken I, Ostheim und Eichen.

b) Die Almosenkasse zu Windecken

Über den Zeitpunkt, wann die Windecker Almosenkasse ihren Anfang genommen, kann nichts Bestimmtes gesagt werden. In dem Protokoll der Kirchenvisitation von 1562 wird sie nicht erwähnt, dagegen wird bei der von 1577 unter dem Titel: Von Einkommen der Kirche gesagt: "Almosen haben sie einen Stock, darin die täglichen Gottespfennige gefallen, werden unter die Hausarmen ausgeteilt." Das Almosengeben für die Armen war nach reformatorischer Anschauung gottesdienstliche Pflicht (vgl. Erklärung des Heidelberger Katechismus zum 4. Gebot, Frage 103: Gott will, daß ich zu der Gemeinde Gottes fleißig komme,... den Herrn öffentlich anzurufen und das christliche Almosen zu geben). Man sah es als selbstverständliche Aufgabe der Kirchengemeinde an, die Armen durch Almosen zu unterstützen. In einem Schreiben der Präfektur (Amt) Rodheim vom Juni 1747 wird gesagt: "Selbst die noch aller Orten üblichen Klingelbeutelarmengelder haben diesen Oblationibus (Opfern) ihre Einführung zu danken, ut monstrat Wildvogel, de oblationibus quae finut in Ecclesia per sacculum sonatem Cap. I § 11; Cap. II § 1" (wie Wildvogel über die Kirchenopfer nachweist, die in der Kirche durch den Kligenbeutel geschehen). Der Metropolitan Ullrich zu Windecken schreibt 1886 an die Regierung zu Kassel, daß nach der in der Gemeinde noch vorhandenen Tradition die Almosen aus Pfennigen der Parochianen gesammelt worden seien. Die Richtigkeit dieser Überlieferung wird zudem bewiesen durch laufende Einträge in den älteren Presbyterialprotokollen. Der kirchliche Ursprung der Almosenkasse kann nicht wohl angefochten werden.

Auch aus der Präsenz wurde in der älteren Zeit nach Ausweis z. B. der Rechnungen von 1569, 1570, 1572, 1573, 1576, 1598 Beiträge "in die Almus geben"; man verwandte damals auch Einkünfte "vacierender Beneficien", d. i. erledigter geistlicher Pfründen, z. B, des Altars St. Trinitatis, für Zwecke der Almosen.

Als das "Umtragen des Gottesseckels" einmal eingestellt war, beschloss das Presbyterium am 5. März 1643, es solle künftig der Almosenseckel dem Schulmeister allhier wie vor Alters bräuchlich, umjzutragen wiederum anbefohlen sein. Als das Konsistorium 1661 wollte, daß solche Almosengelder künftig zum Aufbau eines neues Pfarrhauses sollten mitverwendet werden, wehrte sich das Presbyterium dagegen, weil es wieder ihre privilegierte Stadtgerechtigkeit laufe. Die Almosen sollen den Armen verbleiben.

Über die Verwaltung der Almosenkasse erfahren wir mancherlei aus den Protokollen des Presbyteriums von 1638 an. 1641 wird der gewesene Almosenrechner erinnert, im künftigen Presbyterium seine Rechnung gebührend einzuliefern; der neue Almosenpfleger soll die Legate von 1634 bis 1639 wie auch die künftigen einfordern; die Hauptalmosenrechnung soll im künftigen Presbyterium gestellt werden. Stiftungen an die Almosenk)asse zu machen war damals üblich; so vermachte z. B. Hans Görg Bender, ein Schneider zu Frankfurt, 1641 alles, was er von seinem Altvater dahier geerbt und nach Abstrattung der Schulden übrig bleiben möchte, dem Windecker Almosen freiwillig; nach Beschluß sollte solches vom Prebyterio ins künftig den Almosen zum besten in Acht genommen werden. Rechnungsführer und Almosenpfleger wurden von dem Kirchenvorstand bestellt.

Im Hanauer Hauptrezeß von 1670 war die Almosenkasse wie auch das Spital als eine Stiftung für Angehörige der Reformierten Konfession anerkannt.

Im Übrigen ist zu vergleichen, was am Schluß der Abhandlung über das Hospital zu Windecken ausgeführt ist.

c) Das Hospital zu Windecken

Das Hospital zu Windecken kann auf ein Alter von mindestens 500 Jahren zurückblicken. Daß es kirchlichen Ursprungs ist, kann nicht bezweifelt werden. Auch die Regierung zu Kassel redet in ihrer Verfügung vom 23. November 1886 (J.U. I. Nr. 11685) von dem ursprünglichen kirchlichen Character des Hospitals und stellt fest, daß die Vorstandsmitglieder, solange das Konsistorium die Aufsicht über das Hospital zu führen hatte, von dieser Behörde ernannt wurden. Vielleicht ist es auf Anregung und mit Hilfe der Herrschaft Hanau eingerichtet worden, die auch sonst ihm ihr Interesse zuwandte. So vermachte z. B. Graf Philipp von Hanau in seinem Testament vom 4. Mai 1500 dem Spital 40 Gulden, umd am 17. September 1649 bedanken sich Bürgermeister und Spitalmeister dafür, daß Catharina Belgia, die Witwe des 1612 verstorbenen Grafen Philipp Ludwig II., dem Spital 300 Gulden geschenkt habe.

Während sonst der Stadt nach einer Urkunde des Grafen Reinhard von Hnau von 1445 das Recht zustand, von jedem Achtel Korn oder Weizen, das in Windecken gemahlen, gebacken oder gekauft wurde, neun alte Heller als Ungeld zu erheben, bestimmte Graf Phillip von Hanau in einer Urkunde von 1453: "Auch wollen Wir, daß Unser Spital zu Wonnecken von den Früchten, die ihme im Jahr gefallen und werden, was man der (=davon) zu backen oder zu dem Vieh darinnen bedarf, solches vorgemelten Ungelds fryhe syn sal" (=frei sein soll). Gebäude füe die Insassen des Hopitals und das darinnen gehaltene Vieh müssen danach damals schon  vorhanden gewesen sein, und zwar befanden sie sich auf früher größerem Raum an derselben Stelle wie später und bis in die Neuzeit. Die Spitalgasse hat nach ihm ihren Namen.

Bei der Kirchenvisitation von 1562 wird gesagt: "Im hospital werden recht armen erhalten, und ist die ufsehung durch erbare menner bestelt"; bei der Kirchenvisitation von 1577 wird im Zusammenhang mit den anderen kirchlichen Einrichtungen vermerkt: "Spital, soll ein Aufsehens derhalben gehalten werden,  damit derselb ehrlich und wohl gehalten werde." Damals sagte man "der" Spital und nicht "das" Spital. Nach der Einrichtung des Presbyteriums wurden aus diesen die Aufsichtspersonen über das Spital gewählt anstatt der "ehrbaren" Männer, die früher von den Parochianen dazu bestellt waren.

Aus den Protokollen des Presbyteriums von 1638 an erfahren wir manches über die Verwaltung des Spitals. Dieses stand unter der Obhut eines Spitalmeisters, der für seine Bemühungen 4 Malter Korn und etwas an Geld erhielt. Als 1644 die Frage erörtert wurde, ob er von dem Magistratu politico (Vorstand der politischen Gemeinde) oder von dem Presbyterium allein anzunehmen sein, erklärte Niclas Geyer, er wisse doch, daß zwei Hofspitalmeister, sein Vater und Johann Textor, von dem Presbyterium angenommen worden seien. 1657 wurde von Hanau dem Pfarrer Hermann die Inspektion und Aufsicht auf das Spital aufgetragen und befohlen, zwei deputierte Personen, wie im Hanauer Spital bräuchlich, im Presbyterium zu erwählen und sie dem Hospitalmeister "um mehrerer und besserer Aufsicht und Nutzens wegen" beizufügen. 

Von der Tätigkeit des Presbyteriums für das Spital erfahren wir, um nur kurz dies anzuführen, daß es 1638 eine Geldspende der verwitweten Gräfin Catharina Belgia entgegennimmt, daß es infolge einer Besichtigung und "in Anhebung augenscheinlichen Ruins" dem Hospitalmeister befiehlt, die Hospitalbäue wieder in gesunde Dachung zu bringen, die in Grund verwüstet waren; daß es Leute in dasselbe aufnimmt; und weil, wie 1641 bemerkt wird, es dafür sorgt, daß die Hypothekenbriefe wieder erneuert werden; vor allem, daß es die jährliche Rechnung abnahm und guthieß.

Das jetzt so genannte Spital ist ein Bau an Stelle des alten, der an die Stadt für1800 Mark verkauft wurde und nun als Armenwohnung dient; aus der angelegten Summe sollte mit Zinsen ein Kapital erwachsen, das zu einem Neubau ausreiche. Die Inflation der Nachkriegszeit hat diese Absicht zu verwirklichen für lange unmöglich gemacht.

Das hessischer Organisationsedikt vom 29. Juni 1821 wollte und konnte den Zweck und die herkömmliche Bestummung der Almosenkasse und des Hospitals nicht ändern, sondern traf nur neue Anordnungen über ihre Aufsicht und Verwaltung.

Für beide nun unter der Verwaltung der sog. Hospital- und Almosenkommission stehende Stiftungen besteht ein neues Statut vom 12. Märt 1888; danach sind diese dazu bestimmt, "bedürftigen einheimischen Personen evangelisher Confession, welche das 18. Lebensjahr überschritten haben und nicht in einem offenbar unsittlichen Lebenswandel ergeben sind, sich auch im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, Geldunterstützungen in Form von Praebenden zu gewähren". In dem Statut der Almosenkasse fehlt die Beschränkung auf das 18. Lebensjahr.


 << Zurück  Weiter >>