IV. Stadtverfassung und Verwaltung
Stadtgericht und Landgericht zu Windecken
Über die älteste Stadtverfassung
zu Windecken kann nur wenig gesagt werden; gegenüber dem Dorf hatte
die Stadt als Körperschaft größere Unabhängigkeit
in Gemeindeangelegenheiten und größeren Reichtum der Gemeindeeinrichtungen,
besonders der Gemeindeorgane. Doch waren auch diese in der älteren
Zeit noch ziemlich einfach.
An der Spitze der Stadtverwaltung stand der vom Landesherren
ernannte Schultheiß, der wichtigste Exekutionsbeamte der Herrschaft.
Manchmal wurden ihm noch besondere Dienstobliegenheiten anvertraut. 1562
"ist Bastian Wiegel von Herborn zu einem Schultheißen gent Windecken
angenommen, inhalt seiner Bestallung auch die Rüstkammer, Harnisch
und Wehr zu Hanau zu versehen". Dem Schultheiß zur Seite standen
die Schöffen, die Bürgermeister und der Stadtschreiber. Die Herrschaft
redete bei der Wahl der Schöffen mit. Ihr Amt war lebenslänglich.
War einer aus ihrer Mitte gestorben, so suchten die übrigen und der
Schultheiß etliche Personen, so sie tüchtig zur selben Ehr und
Amt achteten, aus und schlugen diese der Herrschaft zur Auswahl und Bestätigung
vor. Aus den Schöffen wurden die Bürgermeister, der ältere
und jüngere, gewählt, deren Amt je nur ein oder zwei Jahre dauerte.
Die Bürgermeister hatten die Rechnungen zu führen, die Bede-
und Satzungslisten anzufertigen und darauf zu achten, daß diese Listen
und die Zinsregister sich stets in guter Ordnung befanden, sowie überhaupt
für richtige Einnahme und Ausgabe zu sorgen. Den Stadt- und Gerichtsschreiber
ernannte die Herrschaft. Der Jahressold des Stadtschreibers war 1538 10
Gulden; um 1600 dagegen 17 Gulden, außerdem eine Reihe kleinerer
Bezüge, die ungefähr gerade soviel ausmachten, und besondere
Nutzungen. Schultheiß, Schöffen, worunter zwei Bürgermeister,
und Stadtschreiber bildeten das Stadtgericht und den Rat der Stadt.
Des städtischen Dieners, des Stadtknechts, sei noch
kurz gedacht. Er hatte sein Amt treulich zu versehen, es sei zu Tag oder
Nacht, bei Auflauf oder Feuersbrunst, daß die Glocken geläutet
und dei Tore zugehalten würden, und derzeit solches anzuzeigen. Er
sollte die Gefangenen, sonderlich so um Leib oder Leben gefangen sitzen,
zum besten verwahren, die Türen wohl zuzuschließen und niemand
zu ihnen lassen. Er hatte das Rathaus selbst zu verwahren und auch die
Wächter gute Acht zu haben, daß sie ihre Wacht halten, auch
sollte er dabei sein, wenn die Tore auf- oder zugeschlossen würden;
außerdem hatte er auf das ordentliche Verhalten der Einwohner zu
achten.
Der städtische Haushalt erforderte in der älteren
Zeit wenig; es waren zu entlohnen der Stadtschreiber, der Stadtknecht,
die Pförtner an den drei Toren, Feldschützen und Nachtwächter,
die außer geringen Bezügen noch Kleidung geliefert bekamen.
Zur Bestreitung des Haushalts war die Stadt auf sog. Ungeld
angewiesen. Damit die Stadt sich an Leuten und anderen Sachen wohl bessern
und desto besser davon in redlichem Bau, Besserung und Wesen gehaltenund
mit der Wacht und sonst anderen Sachen versorgt und ausgerichtet werde,
und auch die Bürger desto besser bei Nahrnung und Wesen bleiben möchten,
gestattete Graf Reinhard 1445 den Bürgermeistern, Schöffen und
der ganzen Gemeinde und ihren Nachkommen auf Widerruf, von jedem Achtel
Korn oder Weizen, das in Windecken gemahlen, gebacken, gekauft oder verkauft
würde, neun alte Heller zu erheben, und von Sommerfrüchten je
die Hälfte, mit Ausnahme der nach Windecken geführten und daselbst
gemahlenen Frucht. Außerdem sollen die Ackerleute nach Größe
der bewirtschafteten Fläche Landes an die Stadt Steuern zahlen; Priester
und in Windecken wohnende Edelleute sollten vom Dienst und Bede von ihren
Gotteslehen und Gütern frei sein. Eine Ergänzung erfuhr diese
Bestimmung in einer Urkunde des Grafen Philipp von 1453, wonach jeder geschworene
Bürger zu Windecken alle seine Früchte, die er außerhalb
Windeckens in einem Umkreis von zwei Meilen kaufe oder einnehme, nach Windeceken
zu führen hatte, um sie daselbst und nirgendwo anders auszuschütten,
auf daß der Stadt ihr Ungeld davon gefalle und werde; kann ein Bürger
seine Frucht nicht nach Windecken führen, der möge sie verkaufen,
doch daß der Stadt ihr Ungeld davon werde. Außderdem wurde
noch über den Verkauf von Wein durch Bürger und Wirte und das
hierfür zu zahlende Ungeld Bestimmung getroffen.
Zur Unterhaltung der Wege erhob die Stadt ein Wegegeld.
Alss das Kloster Ilbenstadt sich 1537 darüber beschwerte, wurde ihm
von Hanau der Bescheid, die Bürger zu Windecken hätten ein Weggeld,
das jedermann zur Erhaltung der Wege geben müsse, es sei dann jemand
davon befreit; wenn das Kloster diese Freiheit hätte und anzeige,
wolle man sich der Gebühr vernehmen lassen, wo nicht, könne man
seiner Bitte nicht stattgeben.
Wie in Abschnitt II ausgeführt, hängt mit der
Marktgerechtigkeit die Gerichtsbarkeit zusammen. Die mittelalterliche Stadt
bildete einen Gerichtsbezirk, im Gegensatz zur modernen Stadt, die nur
Gemeinde ist. Nicht alle Bewohner der Stadt waren dem Stadtgericht unterworfen,
sondern nur die Bürger, zu denen wohl die Kaufleute und die freien
Handwerker gehörten, nicht aber die Geistlichen, die meist den Ministerialen
(Dienstbaren) entnommenen Beamten des Stadtherren und die in der Stadt
wohnenden Hörigen. Beim Stadtgericht waren nur am Orte selbst angesessene
Personen die Urteilsfinder, die nach dem alten Herkommen und wenig Statuten
ihren Spruch fällten, und die Angehörigen der Stadtgemeinde hatten
an dem Stadtgericht ihren ausschließlichen Gerichtsstand und brauchten
der Ladung an eine andere Dingstätte nicht zu folgen. Gegen die Urteile
des Stadtgerichtes konnte beim Grafen (Landgericht) appelliert werden,
und zwar innerhalb Monatsfrist. Schultheiß und und Schöffen
bildeten das Stadtgericht, dem auch die Grenzbegehung der Gemarkung oblag.
Nach den Gerichtssitzungen fanden in der Regel Schmausereien statt, wobei
genau vorgeschrieben war, wieviel auf die Tafel zu kommen hatte.
Im Jahre 1502 wurde durch Graf Reinhard ein Landgericht
zu Windecken eingerichtet, das dessen Ordnung folgendes mitgeteilt wird:
Der Schultheiß zu Windecken soll als Richter den Stab in der Hand
haben und das Gericht hegen von des gnädigen Herrn wegen, wie sichs
gebührt und zu Hanau am Landgericht gehalten wird. In der Sommerzeit
sollen die Schöffen vormittags von 8 Uhr, im Winter von 9 Uhr an sitzen.
Alle vier Wochen soll ein Landgericht gehalten werden. Der Schultheiß
zu Windecken soll mitsamt den 10 Landschöffen und ihrem Schreiber
aan allen Gerichtstagen einen Imbiß im Wirtshaus haben; die Kosten
werden aus den Butzen bezahlt, und wenn die am Gericht tätigen Personen
wieder heimgehen, sollen sie einen ziemlichen Trunk, nämlich ein Viertel
Wein haben und ohne weitere Zehrung damit abscheiden. Die erkannten Bußen
sollen durch die Rechenmeister mit dem Keller und dem Schreiber verzeichnet
werden; zwei Drittel sollen dem gnädigen Herren und ein Drittel dem
Landgericht zustehen. Von jedem gefällten Urteil gebührt dem
Landgericht ein Vierteil Weins. Alle Jahre sollen zwei Landschöffen
zur Aufhebung und Verrechnung der Gerichtsfälle verordnet werden.
Das Landgericht übte das peinliche Gericht aus; seine
Schöffen wurden aus allen oder wenigstens den meisten Orten des Gerichtsbezirks
gewählt. Der Keller, Amtskeller, war der Rentmeister, dem die Aufsicht
über das Staatseigentum und die Verwaltung der herrschaftlichen Einkünfte
übertragen war.
Von "peinlichen Fällen", in denen es sich um Leib
und Leben handelte, seien folgende erwähnt: 1582 stirbt im Gefängnis
ein Weib von Nauheim, das in der Tortur böse Taten bekannt hatte,
also der Zauberei angeklagt war; 1593 ist Anderssen Margreth im Gefängnis
aufm Schloß (Hexenturm ?), darin sie getriebener und gestandener
Zauberei wegen über 3 Wochen gelegen, am Morgen tot gefunden worden,
ist auf der Herrn Rät Befehl nach 2 Tagen durch den Nachrichter hinaus
bis zur Wart geführt und von ihm begraben worden, denn auch ohne das
sie daselbst hin, nach kurzen Tagen, auf ergangene Erkenntnis hat sollen
geführt werden und ihren verdienten Lohn empfangen. Unter der Warte
ist sicher der Platz beim Wartbaum zu verstehen. Die letzte Hexenverbrennung
zu Windecken fand am 16. Mai 1682 statt. 1593 wird Heinrich Meyh von Gelnhausen
zu Köbel geköpft, obwohl er wegen eines Diebstahls von 270 Gulden
gehenkt werden sollte; 1615 wird Ludwig Scheffer von Eichen wegen Diebstahls
geköpft. Im Jahre 1681 wurde ein neuer Galgen errichtet.
Im Jahre 1603 sah sich Graf Philipp Ludwig II. veranlaßt,
bei der Reformation der Gerichte des Amtes Windecken eine Taxe in Kriminalsachen
festzusetzen, weil mit Zehrungen und anderen unnötigen Unkosten seltsam
gehaust worden. Als 1617 sich Bürgermeister und Rat zu Windecken beschwerten,
daß der Keller alle Stadt- und Landgerichtsbußen von 10 Gulden
und mehr allein für die Herrschaft einnähme und verrechne, was
wider das alte Herkommen sei, verfügte die Gräfin Catharina Belgia
am 2. Mai 1617, daß es noch zur Zeit bei dem alten Herkommen verbleiben
solle, damit die Gerichte um so viel mehr bei ihren Wesen erhalten werden
möchten. Das Land- und Stadtgericht Windecken war 1642 zusammengesetzt
aus Oberschultheiß, Schultheiß, Räten und Schöffen.
Vom Jahre 1681 besteht eine Akte betr. Aufrichtung des Hochgerichts und
dessen Kosten.
Die Verhandlungen des Stadt- und Landgerichts fanden auf
dem Windecker Rathaus statt, das um die Mitte des 15. Jahrhunderts als
herrschaftliches Gebäude, vielleicht an Stelle eines älteren,
errichtet sein wird, früher im Unterstock offene Hallen besaß
und sich namentlich durch seine schönen Erker auszeichnet. - Mit der
steigenden landesherrlichen Gewalt und dem Vordringen neuer Rechtsformen
verloren Stadt- und Landgericht allmählich ihre Bedeutung und Geltung. |