Nulla dies sine linea
Geschichtsverein Windecken 2000

 
Orte im Wandel
Aus der Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken
Einleitung
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort des Bürgermeisters
Geleitwort des Autors
Kapitel 1:
Von der Mitte des 9. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts
Kapitel 2:
Die Bedeutung de Verleihung der Stadtrechte
Kapitel 3:
Die Burg und Burgmannen
Kapitel 4:
Stadtverfassung und Verwaltung
Kapitel 5:
Kirchen und Kapellen
Kapitel 6:
Die Einführung der Reformation
Kapitel 7:
Die Schulen
Kapitel 8:
Alte Stiftungen
Kapitel 9:
Im 30jährigen Krieg
Kapitel 10:
Ein Beitrag zur Familienkunde
Kapitel 11:
Die Pest
Kapitel 12:
Wirtschaftliches
Kapitel 13:
1800 bis zur Gegenwart
Kapitel 14:
Das Wartbäumchen

 
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Die Festschrift zur 650 Jahr Feier der Stadt Windecken

VII. Die Schule in Windecken

Soweit sie älteren Datums und nicht etwa erst in der neueren Zeit gegründet worden sind, gehen unsere heutigen Landschulstellen an Pfarrorten ausnahmslos auf kirchlichen Ursprung zurück. Die Anfänge der Windecker Schule lassen sich über mehr als 500 Jahre zurückverfolgen.

Ob man daraus, daß 1391 der "alde scholmeister, mit namen Hartman Menchin, bürgermeister zu Wonnecken" erwähnt wird, auf das Bestehen einer "Schule" in der damaligen Zeit schließen kann, bleibe dahingestellt, abgesehen davon, daß man hierunter in früheren Zeiten etwas ganz anderes verstand als später oder gar in der neueren Zeit. Dagegen kann für den Anfang des 15. Jahrhunderts das Bestehen einer "Schule" in Windecken urkundlich belegt werde, denn 1466 beruft sich der Frühmesser Hartmann zu Windecken auf seine Erinnerung von "mee dann vor funffzig jaren als er ein schuler" gewesen sei. "Schüler" im damaligen Sinne waren die Chorknaben, die im Gottesdienst, namentlich bei Seelenmessen, mitzuwirken und zu singen hatten. Der "Schulmeister" war der niedere Kleriker, der die "Schüler", die Chorknaben, im Gottesdienst singen ließ, aber nicht der Schulmeister, wie man diesse Bezeichnung später auffaßte oder heute noch vielfach versteht. Daß der "Schulmeister" im 15. und 16. Jahrhundert etwas ganz anderes ist als später, geht auch aus einer Urkunde der Gräfin Katharina von Hanau von 1459 hervor, in der sie 2 Achtel Korn jährlich "eynem schulmeynster da selbst (in Windecken) der in zeiten eyne schulmeynster da ist unde midde finget und leset" vermachte. Der Schulmeister hatte mit den Schülern sogar bis zum Jahre 1584/85 die von alten Zeiten her in der Windecker Kirche bei der Liturgie gesungenen lateinischen Antiphonen, Introitus und Responsorien einzuüben und zu singen; damals kamen sie ab, da eine pestilenzische Seuche den größten Teil der Schüler dahinraffte. 

Die ersten Lehrer, die uns im Hanauischen und sonst begegnen, sind im Hauptamt und von Haus aus kirchliche Beamte, Glöckner (Küster). Sie gehörten in der katholischen Zeit zum niederen Klerus und erhielten auch die niederen Weihen. Durch die Reformation erfuhr ihr Amt insofern eine Erweiterung, als sie zum kirchlichen Unterricht der Jugend im Katechismus und evangelischen Kirchenlied herangezogen wurden. Sie mußten lesen und schreiben können und diese Fertigkeit der Jugend beibringen, und zwar zunächst im Interesse des Unterrichts in der Lehre der Kirche. Der Schreib- und Leseunterricht galt als kirchlicher Unterricht und, das hierfür gezahlte Schulgeld als kirchliches Akzidens. Für arme Kinder wurde es vielfach aus der Kirchenkasse dem Küster-Lehrer ersetzt; am 15. Juni 1595 berichtet z.B. der Keller Paul Ludwig, daß noch kürzlich den Schulmeistern aus der Präsenz eine gute Addition (Zulage), daß nämlich eines jeden Bürgers Kund frei und ohne Beschwerung eines Lohns zur Schule gehen können, geworden sei.

In dem ältesten Kirchenbuch finden wir zwei Bezeichnungen für Lehrer: Schulmeister oder Ludiomoderator und Unterschulmeister oder Hypodidascalus. In der früheren Zeit waren dies durchweg studierte Leute, Kandidaten der Theologie, die eine Schulstelle so lange versahen, bis sie eine Pfarrstelle bekamen, denn die geistliche Oberbehörde befolgte den Grundsatz "keinen derselben zum Dienste der Kirche zu promovieren, er sei denn im Schuldienst zuvor etwas zeitig und mürbe geworden". Sie fanden hauptsächlich in Hanau, Schlüchtern, Steinau, Bergen und Windecken Verwendung als Lehrer, und mancher hatte in langer Zeit genügend Gelegenheit, zeitig und mürbe zu werden. Es standen ihnen als Kandidaten der Theologie auch gewisse geistliche Verrichtungen zu; so wird im Windecker Totenregister 1637 vermerkt: "Bei den verstorbenen Kindern und ledigen Personen, so noch nicht 'ad S. coenam' (hl. Abendmahl) gegangen, muß der Schulmeister dieses Ortes die Vermahnung oder Leichenpredigten altem Brauch nach verrichten".

Die Unterrichtsgegenstände in der ältesten Zeit waren Lesen, Schreiben, Religion, Gesang und wohl auch Rechnen. Am 14. April 1645 wird im Presbyterium gesagt, daß wegen des Schulmeisters allerhand Klagen vorgefallen, daß ziemlicher Unfleiß und Versäumnis bei ihm in Anweisung der Kinder, sonderlich zum Gesang, Schreiben und Lesen, auch sonst große Unordnung bei der Schuldisziplin gespürt werde, in dem die Kinder während der Predigt zur Kirche aus- und einlaufen; er solle solchem künftig besser als bisher abwarten. Im Jahre 1659 wird vermerkt, daß der Schulmeister am Sonntag bei beiden Predigten die Schulknaben in guter Ordnung, wie es hiervor gebräuchlich gewesen, aus der Schule in die Kirche und wieder zurückzuführen habe; in der Kirche hatte er die Aufsicht über die Kinder zu führen und nach Schluß des Gottesdienstes in der Schule aus der gehaltenen Predigt zu examinieren; außerdem solle er täglich die Schriften der Kinder korrigieren und beim Züchtigen keinen Stock nehmen, sondern "die Schärfe der Ruten gebrauchen". Aus vielen Einträgen geht hervor, daß das Presbyterium sich redlich der Schule annahm und es bitter empfand, wenn "die liebe Jugend kümmerlich verabsäumt" wurde.

Die Aufsicht auf die Schule wurde von den Pfarrern und jeweils bestimmten Mitgliedern des Kirchenvorstandes ausgeübt. Klagen über schlechten Schulbesuch sind namentlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts häufig; die Sommerschulen vor allem litten darunter. Am 2. November 1768 klagt Pfarrer Hartmann, daß die Eltern die Kinder nicht fleißiger in die Schule schickten und zu guten Sitten erzögen; er sei in der letzten Zeit mehrfach in der Schule gewesen und habe eine größere Anzahl der Jugend anzutreffen vergeblich gehofft; daher müsse der Schulmeister immer wieder von vone anfangen; es sei kein Wunder, daß die Kinder mehr ver- als erlernten, weil sie das ganze Jahr demnach kaum vier Monate in die Schule gingen. Die Leistungen der Schüler befriedigten daher selten; 1785 wird z. B. gesagt, daß "die Buben sehr schlecht und die Mädchen wenig oder gar nicht schreiben". Vermahnungen zu Zucht und Ordnung sind häufig.

Auch über die harte Schulzucht finden wir Klagen:1769 zeigen etliche Älteste an, daß der Schulmeister Wolff die Kinder "so hart wider die Köpfe schmisse"; es wurde ihm dies verwiesen und er ermahnt, vor allem Jähzorn und allzo großer Hitze sich zu hüten, damit er keine Verbitterung anrichte. Ja, einmal  beschwert sich ein Vater, daß der Lehrer seinem Knaben das Ohr eingerissen habe; er gab sich aber zufrieden, als der Lehrer den Chirurgen vergütete, der das Ohr wieder angenäht hatte.

Am 3. Dezember 1766 brachte der 1765 nach Windecken gekommene Pfarrer Hartmann vor - bezeichnend für den Schulbetrieb -, daß er unlängst in den Schulen gewesen sei und in der Knabenschule ein Körbchen voll Apfelschalen auf dem Tisch stehend angetroffen habe; als er nun fragte, was dasselbe nun bedeute und wie es dahin käme, gab ihm der Kantor zur Antwort, sonst wäre die ganze Stube voll Schalen. Als er nun weiter fragte, ob man denn in der Schule äße, antwortete der Lehrer, das wäre schon von langen Zeiten her schon gebräuchlich. Der Pfarrer replizierte aber, was von langen Zeiten her unrecht gewesen, das sei keinen Augenblick recht. Man käme in die Schule, um zu lernen, und nicht zu essen.

Die Beheizung der Schulräume geschah durch sog. Schulscheite, die die Kinder mitzubringen hatten, über deren Kleinheit und geringe Zahl die Lehrer öfters klagten.

Neben der Knabenschule begegnen wir schon 1622 einer Schule für Mädchen in Windecken, die von dem Glöckner oder seiner Frau versehen wurde. Sie befand sich in der Glöcknerwohnung in der Nähe der Kirche neben dem alten Friedhof. 1652 hielt der Glöckner bei dem Presbyterium um die Maigdleinsschul an; es wurde ihm willfahrt und die Schule sonderlich seinem Weib vertraut, dabei fleißiger Anweisung mit Lesen, Schreiben, Beten (Religion) mit erinnert worden. Am 28. Juni 1657 wurde Barbara Apelliana von dem Presbyterium zu einer Maigdleinsschulmeisterin angenommen. 1661 bewarb sich Joh. Heinrich Lucanus aus Neukirchen in Hessen um die Mädchenschule und das Glöckneramt; da aber die "Annehmung zu solchen Diensten disputierlich gemacht" wurde, berief sich das Presbyterium darauf, daß es allezeit "eine uralte Gewohnheit bei dieser Kirche allhier gewesen, die geringsten Diener, als Maigdleinsschulmeister und Glöckner anzunehmen" und daß dies nie disputierlich von anderen Seiten gemacht worden sei. Mit Gutheißung des Konsistoriums wurde dann Lucanus im Beisein etlicher Kirchenältesten zu einem "ordinari Meigdleins Schul Meister und Glöckner declariert". Vergleichsweise sei bemerkt, daß 1598 die Bürger zu Hanau um Errichtung einer Mädchenschule anhielten und daß eine solche in Schlüchtern erst 1671 erwähnt wird.

In § 9 des sog. Hanauer Hauptrezesses von 1670 war bestimmt, daß die Lutheraner in der Grafschaft Kirchen und Schulen lediglich auf eigene Kosten aufführen und die hierzu zu bestellenden Personen aus eigenen Mitteln dotieren und unterhalten sollten. 1694 wurde eine lutherische Schule erbaut. Es bestanden vom Ende des 17. Jahrhunderts an zwei Schulen mit drei Schulstellen, zwei reformierten, und zwar je einer für Knaben und Mädchen, und eine lutherische. Infolge der Kirchenvereinigung von 1818 wurden die beiden Schulen 1822 vereinigt; 1843 wurde eine dritte Lehrerstelle neu geschaffen und fundiert. Das früher lutherische Schulhaus wurde 1832 verkauft.

Die früher reformierten Schulhäuser wurden von der Windecker Präsenz unterhalten. Die Dienstwohnung des ersten reformierten Lehrers (Knabenlehrers) war das Haus des Inhabers des Altars Sanctae Trinitatis (der hl. Dreifaltigkeit); der letzte katholische Kleriker, der in ihm gewohnt hatte, war nach der Präsenzrechnung von 1574 Hartmann Rod, Erzpriester, der 1548 sich den Forderungen des Interims gefügt hatte. Die Dienstwohnung des Glöckners und Mädchenlehrers fefand sich mit Schulräumen hinter der Kirche und ist 1878 abgebrannt. Durch Vertrag vom 17. März 1842 hat die Stadt Windecken für immer die Verbindlichkeit übernommen, "die für das dasige Schulwesen erforderlichen Ausgaben, namentlich aller Kosten für die Erbauung und Unterhaltung der in Windecken nötigen Schulhäuser" zu bestreiten; sie bekam von der Präsenz Windecken erstens ein Wohnhaus, worin der Knabenlehrer wohnte, neben der Kirche und der Stadtmauer, und ein Wohnhaus hinter der Kirche, worin der Mädchen-Schullehrer wohnte; außerdem eine Abfindung von 3150 Gulden oder 1799 Taler 29 Silbergroschen 11 Pfennig; weiter von der Kirchenkasse zu Windecken den Verkaufserlös des vormals lutherischen Schulhauses mit 965 Gulden oder 551 Taler 18 Silbergroschen 9 Pfennig, zusammen in bar nach heutigem Geld 6844 RM. 87 Rpf., sowie von der zweiten Pfarrei einen Platz zur Aufrichtung des Schulgebäudes. Das neue Schulhaus erhielt drei große Räume für den Unterricht und die Dienstwohnung für den Kantor und Knabenlehrer, in dessen bisherige Wohnung der Glöckner und Mädchenlehrer (der zweite Lehrer) zog, um darinnen bis zum Jahre 1884 zu bleiben; damals wurde das Haus, das wohl älteste in der Stadt, an den Sattlermeister Karl Pfeiffer verkauft. Im neuen Schulhaus hatte der Inhaber der I. Stelle, Rektor Karl Joffroy, bis zum 1. Mai 1911 seine Dienstwohnung, die in diesem Jahre für die Herstellung eines weiteren Schulsaales umgebaut wurde.


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